Verwaltungsrecht

kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsduldung

Aktenzeichen  19 CE 21.363

Datum:
18.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 5343
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 25a Abs. 1, § 60a Abs. 2 S. 1, S. 3, § 60c

 

Leitsatz

1. Ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG löst keine Fiktionswirkung nach § 81 AufenthG und damit kein vorläufiges Bleiberecht aus. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Verfahrensduldung zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes erteilt werden, wenn eine Aussetzung der Abschiebung notwendig ist, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Verfahrens aufrecht zu erhalten und so sicher zu stellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zu Gute kommen kann. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 7 E 21.65 2021-01-20 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird insoweit unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts für beide Rechtszüge auf 1.250,– EUR festgesetzt.

Gründe

Mit seiner Beschwerde verfolgt der am 25. Mai 2002 geborene Antragsteller, ukrainischer Staatsangehöriger (Einreise mit den Eltern in das Bundesgebiet am 8.7.2014; Ablehnung des gestellten Asylantrages mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15.5.2017; Abweisung der hiergegen erhobenen Klage mit Urteil des Verwaltungsgerichts W. vom 12.12.2018; Ablehnung des hiergegen erhobenen Antrags auf Zulassung der Berufung mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 28.1.2019), seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag („im Wege der einstweiligen Anordnung die Beklagtenseite zu verpflichten, dem Kläger den Aufenthalt in Deutschland bis zum rechtskräftigen Abschluss des laufenden Verfahrens zu gestatten“) nunmehr mit dem Antrag weiter „den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller eine Aufenthaltsduldung bis zum rechtskräftigen Abschluss des laufenden Verfahrens zu bewilligen“.
Das Verwaltungsgericht hat den dort (mit dem Vortrag, er habe gegen die Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG durch Bescheid des Antragsgegners vom 18.5.2020 Klage zum Verwaltungsgericht erhoben, dortiges Az. W 7 K 20.795, zudem seien die Voraussetzungen für eine Ausbildungsduldung gegeben) gestellten Antrag mit der Begründung abgelehnt, der Antragsteller habe keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Ein Duldungsanspruch wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bestehe insbesondere nicht aufgrund einer etwaigen Vereitelung des Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels. Der Antragsteller habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG. Die Voraussetzungen hierfür lägen weder zum Entscheidungszeitpunkt vor noch hätten sie zum Zeitpunkt der Antragstellung am 27. November 2018 vorgelegen. Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens sei der Aufenthalt des Antragstellers gestattet gewesen. Danach sei er vollziehbar ausreisepflichtig und nicht im Besitz einer Duldung gewesen. Er sei im bis 1. Juli 2019 gültigen Pass seiner Mutter eingetragen gewesen. Deshalb sei die Abschiebung nicht aus tatsächlichen Gründen unmöglich gewesen. Erst nach Ablauf der Gültigkeit des Passes habe ein Duldungsgrund vorgelegen. Nach § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG sei aber ein vierjähriger ununterbrochener erlaubter, geduldeter oder gestatteter Aufenthalt im Bundesgebiet erforderlich. Diese Voraussetzung sei ersichtlich nicht erfüllt, da der geduldete Aufenthalt im Sinne dieser Vorschrift nicht vor dem 2. Juli 2019 begonnen habe. Der Antragsteller habe auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60c AufenthG. Weder der Behördenakte noch der Gerichtsakte sei zu entnehmen, dass ein solcher Antrag jemals bei der Behörde gestellt worden sei. Insoweit fehlt es bereits am Rechtsschutzbedürfnis. Ein solcher Anspruch scheide aber bereits deshalb aus, da konkrete aufenthaltsbeendende Maßnahmen eingeleitet worden seien, wie sich aus einem Schreiben der Zentralen Ausländerbehörde vom 14. Januar 2021 ergebe.
Die hiergegen gerichtete zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt keine Abänderung des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts.
Der Antragsteller rügt, der Antragsgegner habe es mutwillig unterlassen, dem Antragsteller eine Duldung zu erteilen. Deshalb habe er vorsätzlich verhindert, dass die Voraussetzungen für einen Ausbildungsaufenthalt nach § 25a AufenthG oder eine Ausbildungsduldung eintreten. Der Antragsteller habe einen Anspruch darauf, zumindest bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Verfahrens in Deutschland zu bleiben, da es ihm bei einer vorzeitigen Ausreise nicht mehr möglich sei, die bereits in Deutschland begonnene Ausbildung für sich positiv abzuschließen. Es gehe um seine persönliche, berufliche Zukunft und seinen damit verbundenen wirtschaftlichen Werdegang (im Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Vorlage eines „Zeugnis über den mittleren Schulabschluss“ der Städtischen Wirtschaftsschule W. vom 24.7.2020 sowie eines Schreibens der Stadt W. vom 9.6.2020 an den Antragsteller des Inhalts, dass er als Schüler der Städtischen Berufsfachschule für Maschinenbau im Schuljahr 2020/2021 aufgenommen werden könne; Voraussetzung wäre eine verbindliche Erklärung bis 22.6.2020, dass er von dem Angebot, die Schule zu besuchen, Gebrauch machen werde; zudem Vorlage eines Bestätigungsschreibens des Städtischen Berufsbildungszentrums I in W. vom 14.9.2020, über den Schulbesuch, Eintrittsdatum 7.9.2020, voraussichtliches Austrittsdatum 27.7.2023, Ausbildungsberuf Maschinenbaumechaniker). Das Verwaltungsgericht verkenne, dass der Antragsteller nach Auslaufen seines Aufenthaltsrechts im Hinblick auf das abgeschlossene Asylverfahren, d.h. nach dem 28. Januar 2019 einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung bis zum Zeitpunkt der Beschaffung der Ausreisepapiere durch den Antragsgegner, d.h. bis zum 14. Dezember 2020 gehabt habe. Er sei am 25. Mai 2018 16 Jahre alt geworden und seither verpflichtet, einen eigenen Reisepass zu haben. Ein eigener Reisepass habe für ihn zum 28. Januar 2019 nicht vorgelegen. Gehe man gleichwohl davon aus, dass für eine Ausreise die Eintragung seiner persönlichen Daten im Ausweis der Mutter ausreichend sei, habe zumindest ab dem 1. Juli 2019 ein Abschiebungshindernis bestanden, so dass spätestens zu diesem Zeitpunkt ihm eine Duldung hätte erteilt werden müssen. Mit Vorliegen der Voraussetzungen für eine Duldungserteilung wäre somit der Antragsgegner spätestens ab dem 1. Juli 2019 verpflichtet gewesen, dem Antragsteller bis zur Beschaffung der Ausreisepapiere eine Duldung zu erteilen, „d.h. bis zum 23.9.20“. Damit hätten alle Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG vorgelegen. Soweit das Verwaltungsgericht darauf abstelle, dass auch ein Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60c AufenthG nicht bestehe, werde auf das Schreiben des Antragstellervertreters vom 14. Februar 2020 verwiesen. Bereits in diesem Schreiben habe der Unterzeichner im letzten Absatz sowohl für die Eltern als auch für den Antragsteller eine Duldung im Hinblick auf den gewünschten Ausbildungsaufenthalt beantragt. Explizit sei bei der Antragstellung lediglich auf § 25a AufenthG verwiesen worden. Gleichzeitig mache „jeder Schriftsatz deutlich“, dass es um einen Aufenthalt bis zum Abschluss der bereits begonnenen Ausbildung des Antragstellers gehe. Das Ziel des Antragstellers sei entweder ein Aufenthalt nach § 25a AufenthG oder aber eine Ausbildungsduldung nach § 60c AufenthG, auch wenn dies explizit nicht so mit Nennung der entsprechenden Paragraphen unterlegt worden sei. Mangels eines eigenen Reisepasses habe zumindest für die Dauer der Passbeschaffung für den Antragsteller vom 28. Januar 2019 bis zum 14. Dezember 2020 ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung bestanden. Damit sei auch ein ununterbrochener, vierjähriger Aufenthalt gegeben. Unter dem 10. März 2021 ergänzte der Antragsteller seinen Vortrag dahingehend, dass er „seinerzeit“ die Städtische Wirtschaftsschule W. besucht habe. „Per“ 18. März 2019 seien sämtliche Unterlagen im Hinblick auf die begehrte Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG übersandt worden. Zu diesem Zeitpunkt wäre dem Antragsgegner eine Entscheidung „über die Ausbildungsduldung bzw. Ausbildungserlaubnis nach § 25a AufenthG“ möglich gewesen. Zu diesem Zeitpunkt habe der Antragsteller über keinen eigenen Pass verfügt. Ab Rechtskraft der Ausreiseverpflichtung habe für den fraglichen Zeitpunkt bis zum Ablauf des Passes der Mutter bereits ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung im Hinblick auch auf die Ausbildung, die der Antragsteller begonnen habe und die er zu diesem Zeitpunkt auch bereits absolviert habe, bestanden. Es habe zu diesem Zeitpunkt auch ein vierjähriger, ununterbrochener, erlaubter, geduldeter oder gestatteter Aufenthalt vorgelegen. Die zeitliche Lücke von fünf Monaten (vom 28.1.2019 bis zum 1.7.2019) sei der mangelnden Bearbeitung des unter dem 18. März 2019 gestellten Antrags auf Aufenthaltserlaubnis durch den Antragsgegner geschuldet. Jedenfalls zum Zeitpunkt der Antragsablehnung durch den Antragsgegner (Bescheid vom 18.5.2020) sei der Antragsteller (und zwar ab dem 13.5.2020) im Besitz einer Duldung wegen fehlender Reisedokumente gewesen. Damit habe er die Antragsberechtigung des § 25a AufenthG erfüllt. Wegen fehlender Ausreisepapiere hätte ihm für den Zeitraum vom 28. Januar 2019 bis zum Ablauf des Passes der Mutter am 1. Juli 2019 eine Duldung erteilt werden müssen. Die erstinstanzliche Entscheidung verkenne den bereits nach endgültiger Ablehnung des Asylantrags ab dem 28. Januar 2019 bestehenden Duldungsanspruch des Antragstellers. Der Antragsteller erfülle somit die Voraussetzungen des § 25a Abs. 1 AufenthG auch im Hinblick auf den ununterbrochenen vierjährigen Aufenthalt. Die beim Verwaltungsgericht anhängige Klage sei keineswegs aussichtslos. Der Antragsteller habe einen Anspruch auf Duldung, zumindest für die Dauer des Verfahrens. Die sofortige Ausreise würde seine Rechte verletzen, da er seine in Deutschland begonnene Ausbildung abbrechen müsste, seine bisherige Schul- und Berufsausbildung wäre dann vergeblich gewesen, was bei ihm zu einem irreparablen Schaden führen würde. Die in Deutschland angestrebte Ausbildung schließe mit einer besseren Qualifikation ab, als er diese in seinem Heimatland erwerben könnte und ermögliche es ihm, seine Zukunft optimaler zu gestalten als mit einem ukrainischen Abschluss, für den er im Moment mit der deutschen Ausbildung auch nicht ansatzweise die Voraussetzungen erfülle.
Diese Rügen greifen nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass der Antragsteller einen Anspruch auf Aufenthaltsgewährung bis zum rechtskräftigen Abschluss des auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG gerichteten Klageverfahrens nicht glaubhaft gemacht hat. Der Antragsteller hat voraussichtlich keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25a AufenthG und auch nicht auf Erteilung einer Ausbildungsduldung gemäß § 60c AufenthG, für deren Erhalt ihm aus Art. 19 Abs. 4 GG zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes ein Duldungsanspruch erwachsen könnte.
Nach § 25a Abs. 1 AufenthG soll einem jugendlichen oder heranwachsenden geduldeten Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich seit vier Jahren ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufhält, er im Bundesgebiet in der Regel seit vier Jahren erfolgreich eine Schule besucht oder einen anerkannten Schul- oder Berufsabschluss erworben hat, der Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vor Vollendung des 21. Lebensjahres gestellt wird, es gewährleistet erscheint, dass er sich aufgrund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann und keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Ausländer sich nicht zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennt. Nach der Gesetzesbegründung sollte mit § 25a AufenthG eine Bleiberechtsregelung geschaffen werden, um nachhaltige Integrationsleistungen, die trotz des fehlenden rechtmäßigen Aufenthalts von einem Geduldeten erbracht wurden, durch die Erteilung eines gesicherten Aufenthaltsstatus zu honorieren (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 1, 23).
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG keine Fiktionswirkung nach § 81 AufenthG und damit kein vorläufiges Bleiberecht auslöst. Es widerspräche der durch §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 1 und 2, 81 Abs. 3 und 4 AufenthG vorgegebenen Systematik und Konzeption des Aufenthaltsgesetzes, denen zufolge für die Dauer eines Erteilungsverfahrens nur unter den in § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG geregelten Voraussetzungen ein vorläufiges Bleiberecht besteht, darüber hinaus derartige „Vorwirkungen“ anzuerkennen und für die Dauer eines Erteilungsverfahrens eine Duldung vorzusehen (vgl. BayVGH, B.v. 26.11.2018 – 19 C 18.54 – juris Rn. 24; OVG NRW, B.v. 2.5.2006 – 18 B 437/06 – juris Rn. 2). Zur Sicherung eines effektiven Rechtsschutzes ist nach § 19 Abs. 4 GG eine Ausnahme nur dann zu machen, wenn allein durch eine vorläufige Aussetzung der Abschiebung der Erhalt des geltend gemachten und bestehenden Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG sichergestellt werden kann.
Diese Ausnahmesituation ist vorliegend nicht gegeben, da der Antragsteller die Voraussetzungen des § 25a AufenthG nicht erfüllt. Es handelt sich bei dem vollziehbar ausreisepflichtigen Antragsteller jedenfalls nicht um einen „geduldeten Ausländer“ im Sinne von § 25a Abs. 1 AufenthG. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz. Das gilt grundsätzlich auch für die Voraussetzung, dass ein Antragsteller ein „geduldeter Ausländer“ sein muss (vgl. BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 23 zu § 25b AufenthG; OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 4.3.2020 – OVG 6 S 10/20 – juris Rn. 9; Hecker in Beck-OK AuslR, Stand 1.10.2020, § 25a AufenthG Rn. 4; Röder in Beck-OK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 1.10.2020, § 25a AufenthG Rn. 7; Röcker in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 25a AufenthG Rn. 9). Ein Ausländer ist geduldet, wenn ihm eine rechtswirksame Duldung erteilt ist oder er einen Rechtsanspruch auf Duldung hat. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung in der Tatsacheninstanz ist der Antragsteller nicht mehr geduldet (er ist – wie der Antragsgegner unwidersprochen mitteilt – seit dem 5.11.2020 nicht mehr im Besitz einer gültigen Duldung; in der Behördenakte befindet sich ein Schreiben des Antragsgegners an den Antragsteller vom 14.12.2020, die Duldung sei erloschen, die Rückführung werde eingeleitet) und das Vorliegen materieller Duldungsgründe ist nicht ersichtlich (dazu im Einzelnen sogleich). Es kommt daher entscheidungserheblich nicht mehr darauf an, ob sich der Antragsteller (in der Vergangenheit) vier Jahre ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufgehalten hat (§ 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG). Ersichtlich zu Recht weisen das Verwaltungsgericht und der Antragsgegner allerdings darauf hin, dass der Aufenthalt des Antragstellers nach dem 28. Januar 2019 nicht mehr gestattet war, ein materieller Duldungsanspruch sodann frühestens ab dem 1. Juli 2019 (nach Ablauf des Reisepasses der Mutter, in den der Antragsteller mit eingetragen war) vorlag und der zeitlichen Lücke von jedenfalls fünf Monaten kein unschädlicher Bagatellcharakter beigemessen werden kann.
Im Übrigen kann sich der Antragsteller zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung in der Tatsacheninstanz nicht auf einen materiellen Duldungsanspruch wegen Unmöglichkeit der Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG) berufen. Insoweit ist nicht ersichtlich, dass einer Aufenthaltsbeendigung tatsächliche oder rechtliche Hindernisse entgegenstehen.
Nicht ersichtlich ist auch ein Anspruch auf Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG im Wege einer Ermessensreduzierung auf Null. Zwar kann grundsätzlich der Abschluss einer Schul- oder Berufsausbildung einen dringenden persönlichen Grund im Sinne der genannten Vorschrift begründen, sofern sich der Schüler im letzten Schuljahr befindet oder wenn das Schuljahr nur noch wenige Wochen dauert (vgl. Kluth/Breitenbach in Kluth/Heusch, Beck-OK AuslR, Stand 10/2020, AufenthG § 60a Rn. 20; Dollinger in Bergmann/Dienelt, a.a.O. § 60a Rn. 42). Der Antragsteller besucht nach der vorgelegten Bestätigung des Berufsbildungszentrums W. vom 14. September 2020 seit dem 7. September 2020 diese Schule, voraussichtliches Austrittsdatum ist der 27. Juli 2023. Mit seinem Vortrag, er müsste die in Deutschland begonnene Ausbildung abbrechen, diese schließe mit einer besseren Qualifikation ab, als er sie im Heimatland erwerben könnte, sie ermögliche es ihm, seine Zukunft optimaler zu gestalten als mit einem ukrainischen Abschluss, legt er einen dringenden persönlichen Grund nicht dar. Insbesondere ist auch nicht dargelegt, welche besondere Bedeutung der Abschluss der 1. Klasse haben könnte. Zumindest ist nicht von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen.
Soweit sich der Antragsteller auf einen Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung gemäß § 60c AufenthG (ebenfalls eine Duldung im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG) beruft, sind die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, es sei weder der Behördenakte noch der Gerichtsakte zu entnehmen, dass ein solcher Antrag jemals bei der Behörde gestellt worden sei, es insoweit bereits am Rechtsschutzbedürfnis fehle, nicht zu beanstanden. Zu Recht weist der Antragsgegner darauf hin, dass weder dem Schreiben des Antragstellervertreters vom 14. Februar 2020 an die Ausländerbehörde noch dessen Schreiben vom 6. August 2020 und vom 30. September 2020 an das Verwaltungsgericht im Klageverfahren betreffend die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG insoweit eine Antragstellung entnommen werden kann. Hinsichtlich des Schreibens vom 14. Februar 2020 liegt eine derartige Antragstellung auch deshalb fern, weil der Antragsteller erst zum 7. September 2020 in die Berufsfachschule eintrat, zuvor von dort darauf hingewiesen worden war, bis zum 22. Juni 2020 eine verbindliche Erklärung über den Schulbesuch abgeben zu können. Im Hinblick auf weitere zeitliche Entwicklung führte die Ausländerbehörde sodann unter dem 14. Dezember 2020 gegenüber dem Antragsteller u.a. aus, er sei vollziehbar ausreisepflichtig, es bestehe kein Duldungsgrund, seine Ausreise/Abschiebung werde derzeit vorbereitet. Der Antragsgegner bereitete sodann die Abschiebung des Antragstellers für den 29. Januar 2021 vor. Unter dem 12. Januar 2021 erklärte der Antragsteller in seinem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegenüber dem Verwaltungsgericht u.a., es werde nach wie vor davon ausgegangen, „dass die Voraussetzungen für eine Ausbildungsduldung gegeben sind“. Der Antragsgegner habe mittlerweile mit Schreiben vom 14. Dezember 2020 mitgeteilt, dass die Abschiebung des Antragstellers in Vorbereitung sei. Auch dies zugrunde gelegt sind die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, es fehle dem Begehren des Antragstellers auf Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60c AufenthG bereits am Rechtsschutzbedürfnis, da ein solcher Antrag ersichtlich bei der Behörde nicht gestellt worden sei, nicht zu beanstanden. Selbst wenn das Schreiben des Antragstellers vom 12. Januar 2021 an das Verwaltungsgericht (aufgrund der sodann erfolgten Weiterleitung an den Antragsgegner) als Antrag auf Erteilung einer Ausbildungsduldung gemäß § 60c AufenthG angesehen werden könnte (oder, wie der Antragsgegner ausführt, der Antragsteller unter dem 12.1.2021 an den Antragsgegner ggf. ein – weiteres – Antragsschreiben insoweit gerichtet hat) ist zunächst (worauf der Antragsgegner zu Recht hinweist) festzuhalten, dass wegen des sogenannten Trennungsprinzips (vgl. Samel in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 81 Rn. 7) neue Aufenthaltszwecke (hier auf der Grundlage des § 60c AufenthG) nicht nachträglich erstmalig in gerichtliche Verfahren eingebracht werden können (vgl. z.B. auch OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 22.3.2018 – OVG 11 S 19.18 – juris Rn. 2). Hinzukommt, dass der Antragsteller im Januar 2021 nicht mehr im Besitz einer Duldung nach § 60a AufenthG (vgl. § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG) war. Zudem waren zum Zeitpunkt einer (etwaigen) Antragstellung unter dem 12. Januar 2021, worauf das Verwaltungsgericht und der Antragsgegner ebenfalls unwidersprochen hinweisen, bereits konkrete aufenthaltsbeendende Maßnahmen eingeleitet, welche die Erteilung einer Ausbildungsduldung gemäß § 60c Abs. 2 Nr. 5c, d AufenthG ausschließen.
Aus dem Vortrag des Antragstellers ergibt sich schließlich kein Anspruch auf Erteilung einer sogenannten Verfahrensduldung. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist für die Dauer von Verwaltungs- oder gerichtlichen Verfahren nicht stets eine sogenannte Verfahrensduldung zu erteilen. Sie kann aber zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach § 19 Abs. 4 GG erteilt werden, wenn eine Aussetzung der Abschiebung notwendig ist, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Verfahrens aufrecht zu erhalten und so sicher zu stellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zu Gute kommen kann. Je besser insoweit die Erfolgsaussichten sind, desto eher werden die Voraussetzungen für eine Verfahrensduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG (effektiver Rechtsschutz als rechtliches Abschiebungshindernis) oder zumindest nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG (Ermessensduldung) erfüllt sein (BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34/18 – juris Rn. 30). Diese Voraussetzungen liegen (wie ausgeführt) nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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