Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis infolge Identitätstäuschung

Aktenzeichen  B 6 S 17.993

Datum:
28.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 158531
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 10, § 25b Abs. 1, Abs. 5
AsylG § 71

 

Leitsatz

– Auch eine in der Vergangenheit liegende Identitätstäuschung kann gegen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 b AufenthG sprechen, wenn durch sie der langfristige Aufenthalt erst ermöglicht wurde. (Rn. 59)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
4. Der Streitwert wird auf 3.750,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt seine Nichtabschiebung.
Der Antragsteller stellte zusammen mit seinen Eltern und seinem Bruder … am 23.02.2009 einen Asylantrag unter dem Familiennamen … Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16.12.2011 wurde der Antrag abgelehnt und die Abschiebung nach Armenien angedroht. Mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 10.08.2012 wurde die hiergegen am 28.12.2011 erhobene Klage abgewiesen. Der hiergegen gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16.01.2013 abgelehnt. Die Ausreisepflicht wurde am 25.02.2013 vollziehbar.
Am 05.10.2011 wurde dem Antragsteller eine Duldung mit dem Vermerk „Beschäftigung gestattet als Spenglerhelfer bei Fa. a…, …, … bis 30.11.2011. Selbständige Tätigkeit nicht gestattet.“ ausgehändigt. Bei dem dazugehörigen Antrag gab der Antragsteller seinen Namen mit … an und sein Geburtsdatum mit dem …
In der für den Zeitraum vom 30.11.2011 bis 29.02.2012 gültigen Duldung war neben dem obigen Passus enthalten: „Beschäftigung zur Probe vom 21.02.12 – 24.02.12 bei Fa. p… gestattet In der Duldung für den Zeitraum vom 28.02.2012 bis 31.05.2012 war wieder der Passus enthalten „Erwerbstätigkeit nicht gestattet.“.
Mit Bescheid vom 25.04.3012 wurde eine beantragte Zustimmung zu einer Beschäftigung bei der Fa. p, …, abgelehnt. Bei dem dazugehörigen Antrag gab der Antragsteller seinen Namen mit … an und sein Geburtsdatum mit dem …
In der Duldung für den Zeitraum vom 31.05.2012 bis 31.08.2012 befand sich der Zusatz „Beschäftigung gestattet als Wäschereimitarbeiter bis zum 11.07.2013 bei der Firma G… … GmbH … … Selbständig Tätigkeit nicht gestattet.“ Bei dem dazugehörigen Antrag gab der Antragsteller seinen Namen mit … an und sein Geburtsdatum mit dem … Mit Schreiben vom 29.01.2013 forderte die Regierung von Mittelfranken den Antragsteller auf, seinen Pass vorzulegen.
Der Antragsteller füllte am 19.03.2013 und 07.05.2013 einen Fragebogen zur Prüfung eines Duldungsanspruchs aus. Hierbei gab er seinen Namen mit „…“ „…” an. Gleiches gab er jeweils am 02.07.2013, 12.09.2013, am 16.12.2013, am 07.04.2014, am 16.07.2014, am 18.12.2014 und am 17.12.2015 in einem Antrag auf Erteilung einer Verlassenserlaubnis an.
Bezüglich eines Antrages auf Klärung der Staatsangehörigkeit verweigerte er am 07.06.2013 die Unterschrift.
Mit Schreiben seines damaligen Verfahrensbevollmächtigten vom 22.04.2014 forderte der Antragsteller den Antragsgegner auf, ihm jedwede Erwerbstätigkeit, hilfsweise die Berufsausbildung bei der …Automobile … zu erlauben.
Mit Schreiben vom 09.05.2015 stimmte der Antragsgegner dem Antritt der Berufsausbildung zu.
Mit Schreiben vom 12.05.2014 bat der Antragsteller den Antragsgegner unter Nutzung des Namens … darum, eine Ausbildung zum KFZ-Mechatroniker beginnen zu können.
Mit Schreiben vom 26.05.2014 forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, die letzte Adresse, unter der er zuletzt in der Russischen Föderation gelebt habe, anzugeben. Hierauf gab der damalige Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers mit am 16.06.2014 zugegangenem Schreiben eine Adresse an.
Mit Bescheid des Antragsgegners vom 13.03.2015 wurde der Antragsteller nach … umverteilt.
Mit Schreiben vom 05.02.2016 beantrage der Antragsteller unter Nutzung des Namens … den Umzug in eine Privatwohnung.
Mit Schreiben an den Antragsgegner vom 23.02.2016 beantragte die … A. GmbH für den Antragsteller die Erlaubnis, einen Führerschein der Fahrzeugklasse B zu erwerben.
Mit Schreiben vom 03.03.2016 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, dass für die Ausstellung eines Führerscheines die Klärung der Identität notwendig ist.
Er füllte am 22.06.2016 ein Antragsformular gerichtet auf Klärung der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit mit dem Namen … aus.
In einem Gespräch mit dem Antragsgegner am 23.08.2016 teilte der Antragsteller mit, keine Papiere zu besitzen, sich aber um die Beschaffung von Dokumenten kümmern zu wollen.
Mit Schreiben vom 11.01.2017 zeigten sich die jetzigen Prozessbevollmächtigten als Verfahrensbevollmächtigte an. Sie teilten mit, dass der Antragsteller zutreffend nicht … …, sondern … heiße und nicht …, sondern … geboren sei. Es sei eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen.
Mit Schreiben vom 25.01.2017 forderte der Antragsgegner die Angabe weiterer Daten und die Vorlage weiterer Unterlagen an.
Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 08.03.2017 legte der Antragsteller vier Geburts- und eine Heiratsurkunde vor.
Mit Schreiben vom 11.05.2017 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zur beabsichtigten Rücknahme der Beschäftigungserlaubnis an.
Mit Schreiben vom 12.05.2017 hörte der Antragsgegner die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers zur beabsichtigten Ablehnung des Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG an.
Mit Schreiben vom 31.05.2017 teilten die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers mit, dass eine verschuldete Verlängerung des Aufenthaltes nicht vorliege, da Rückführungsmaßnahmen nicht vorher hätten durchgeführt werden können. Es habe insbesondere bei der Mutter des Antragstellers eine krankheitsbedingte Reiseunfähigkeit ab Einreise in das Bundesgebiet vorgelegen. Der Antragsteller könne seinen _ebensunterhalt selbst sicherstellen. Die Passlosigkeit habe der Antragsteller jetzt nicht mehr zu vertreten. Mit Schreiben vom 31.05.2017 teilten die Verfahrensbevollmächtigten mit, dass die Rücknahme der Beschäftigungserlaubnis unverhältnismäßig sein dürfte. Der Antragsteller habe klare Verhältnisse geschaffen. Er sei im Bundesgebiet integriert.
Mit Bescheid vom 21.08.2017 nahm der Antragsgegner die Beschäftigungserlaubnis für die Berufsausbildung zum KFZ Mechatroniker zurück (Ziff. 1) und ordnete die sofortige Vollziehbarkeit der Rücknahme an (Ziff. 3).
Mit Bescheid vom 28.08.2017 wurde ein Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG vom 11.01.2017 abgelehnt.
Mit Bescheid vom 04.09.2017 wurden die Folgen der Abschiebung auf 48 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Die für den 05.09.2017 geplante Abschiebung scheiterte, da der Antragsteller und dessen Familie nicht in der Unterkunft angetroffen werden konnten.
Mit Schriftsatz vom 06.09.2017 erhob der Antragsteller durch seine Prozessbevollmächtigten Klage und beantragte, „den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 28.08.2017 zu verpflichten, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.“ Daneben beantragte er im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes: „dem Antragsgegner zu untersagen, Abschiebungsabschiebemaßnahmen gegen den Antragsteller durchzuführen.“ Die Klage wird unter dem Aktenzeichen B 6 K 17.703 geführt; das Eilverfahren wurde unter dem Aktenzeichen B 6 S 17.702 geführt.
Mit Bescheid vom 08.09.2017 verpflichtete der Antragsgegner den Antragsteller und dessen Familie gesamtschuldnerisch zur Erbringung einer Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000,00 €.
Mit Beschluss vom 12.09.2017 (AZ. B 6 S 17.702) wurde der Eilantrag abgelehnt. Dies wurde maßgeblich auf das fehlende Rechtsschutzbedürfnis wegen Untertauchens des Antragstellers gestützt.
Hiergegen legte der Antragsteller durch seine Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 14.09.2017, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof am 14.09.2017 eingegangen, Beschwerde ein. Er beantragte, „1. Dem Antragsgegner zu untersagen, Abschiebemaßnahmen durchzuführen. Ein weiterer einstweiliger Rechtschutzantrag wird ebenfalls noch ausgebracht. 2. Während des laufenden Rechtsmittelverfahrens dem Antragsgegner zu untersagen, Abschiebemaßnahmen gegen die Antragsteller durchzuführen.“ Das Beschwerdeverfahren wurde unter dem Aktenzeichen 19 CS 17.1812 angelegt.
Mit Bescheid vom 14.09.2017 wurde der Antragsteller der Aufnahmeeinrichtung Bayern, B…, zugewiesen.
Mit Schriftsatz vom 14.09.2017, bei Gericht am selben Tag eingegangen, beantragte der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten, „dem Antragsgegner/Beklagten zu untersagen, während des laufenden Rechtsmittelverfahrens Abschiebemaßnahmen gegen die Antragsteller durchzuführen“ (B 6 E 17.731).
Mit Beschluss vom 26.09.2017 (AZ. B 6 E 17.731) wurde der Eilantrag abgelehnt. Dies wurde damit begründet, dass ein solcher Antrag unter Berücksichtigung der erhobenen Beschwerde nicht statthaft sei.
Der Antragsteller stellte am 29.09.2017 einen Asylfolgeantrag.
Mit Bescheid vom 13.10.2017 hob der Antragsgegner die sofortige Vollziehbarkeit des Bescheids vom 21.08.2017 auf.
Mit Beschluss vom 06.11.2017 (AZ. 19 CS 17.1812) verwarf der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Beschwerden in den Verfahren B 6 S 17.700, B 6 S 17.702, B 6 S 17.704, B 6 S 17.706. Dies begründete er damit, dass die Antragsteller, der Antragsteller in dem vorliegenden Verfahren und sein Bruder, kein Rechtsschutzbedürfnis mehr hätten. Da der Antragsgegner nicht mehr auf die Rücknahme der bereits erteilten Arbeitserlaubnisse bestehe, fehle es nunmehr an einem Rechtsschutzbedürfnis.
Mit Schreiben vom 09.11.2017 schlug der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers dem Antragsgegner einen Vergleich vor. Er wies darauf hin, dass aus der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 13.10.2017 in der Sache 19 CS 17.2020 (Verfahren der Eltern des Antragstellers) gefolgert werden könne, dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof den Integrationsfortschritt des Antragstellers höher bewerte, als dessen geringe Beteiligung an der Identitätstäuschung.
Mit Schreiben vom 11.12.2017 teilte der Antragsgegner mit, den Vorschlag nicht anzunehmen.
Mit Schriftsatz vom 14.12.2017, bei Gericht eingegangen am selben Tag, stellte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Er beantragte,
1.„die aufschiebende Wirkung der Klage (B 6 K 17.703) anzuordnen,
2.hilfsweise, dem Antragsgegner zu untersagen, Abschiebemaßnahmen gegen den Antragsteller durchzuführen.
3.Weiter hilfsweise wird beantragt, dem Antragsgegner zu untersagen, Abschiebemaßnahmen durchzuführen, solange bis über die rechtshängige Klage rechtskräftig entschieden worden ist.“
Daneben beantragte er:
Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Unterzeichners zu bewilligen.“
Es sei versucht worden, mit dem Antragsgegner eine Lösung herbeizuführen. Die Duldung sei nur bis 09.01.2018 verlängert worden. Es erscheine zumindest offen, ob dem Antragsteller ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bei nachhaltiger Integration zustehe. Die Versagungsvorschrift des § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG sei trotz Identitätstäuschungen nicht verwirklicht worden, da zurückliegende Täuschungshandlungen unbeachtlich seien. Es dürften keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden, sodass dem Antrag stattzugeben sei. Auch habe der Antragsgegner übersehen, dass ein Antrag zur Feststellung von Abschiebungshindernissen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gestellt worden sei. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof habe in der Sache 19 CS 17.2020 geschrieben: „Der Umstand, dass der Antragsgegner gegenwärtig die Aufenthaltsbeendigung der beiden Söhne der Antragsteller nicht betreibt, ist – abgesehen von deren bislang noch nicht verbeschiedenen Asylfolgeanträgen – angesichts deren geringen Beteiligung an der Identitätstäuschung und angesichts deren Integrationsfortschritt nachvollziehbar.“ Dies bedeute, dass dem Antragsteller seine geringe Beteiligung nicht so schwerwiegend vorgeworfen werden könne, dass er keine Aufenthaltserlaubnis erhalte.
Mit Schriftsatz vom 20.12.2017 beantragte der Antragsgegner die Ablehnung der Anträge.
Der Antragsteller habe sich in den Zeiträumen vom 20.12.2016 bis 26.04.2017 und 27.05. bis 08.10.2017 weder geduldet noch gestattet im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten. Es sei ein Fall des § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG gegeben; zwar könnten zu Beginn des Verfahrens begangene Täuschungen unberücksichtigt bleiben, soweit diese nicht allein kausal für den längeren Aufenthalt seien, der Antragsteller habe sich aber geweigert, die PEP-Anträge auszufüllen. Auch sei die Passpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG verletzt worden. Eine Abschiebung stehe derzeit nicht bevor, da der Antragsteller im Besitz einer Duldung sei und auch das BAMF noch nicht über seinen Folgeantrag entschieden habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird gemäß § 117 Abs. 3 S. 2 VwGO auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.
II.
1. Die Anträge sind, soweit sie zulässig sind, unbegründet. Sie haben keinen Erfolg.
Vorliegend ließ der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten in Ziffer 1 einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung, in Ziffern 2 und 3 im Wesentlichen jeweils einen Antrag auf Untersagung der Durchführung von Abschiebemaßnahmen stellen.
1.1 Soweit die Prozessbevollmächtigten die Anordnung der aufschiebenden Wirkung beantragen, ist dieser Antrag nicht statthaft.
Gemäß § 123 Abs. 5 VwGO gilt Abs. 1 nicht in den Fällen der § 80 und § 80a VwGO. § 80 und § 80a VwGO enthalten (Sonder) Regelungen für die Fallsituation des Widerspruchs und der Anfechtungsklage. Vorliegend begehrt der Antragsteller im Rahmen einer Versagungsgegenklage die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Insoweit ist keine Anfechtungssituation und damit grundsätzlich auch keine Statthaftigkeit eines Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO gegeben. Ausnahmsweise kann in besonderen Fallsituationen ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft sein; eine solche Situation ist grundsätzlich beim Eingreifen des § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG gegeben (vgl.: Zeitler, HTK-AuslR / § 81 AufenthG / zu Abs. 3 und 4 06/2017 Nr. 4.2 m.w.N.). Voraussetzung für den Eintritt der Fiktionswirkung sind jedoch das Bestehen eines Aufenthaltstitels nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG bzw. ein rechtmäßiger Aufenthalt. Der Antragsteller hatte weder einen Aufenthaltstitel inne, noch war sein Aufenthalt rechtmäßig – seine Abschiebung war seit der bestandskräftigen Ablehnung seines Asylverfahrens vielmehr wiederholt vorübergehend ausgesetzt worden – da er – wie auch der Rest seiner Familie – eine falsche Identität angenommen hatte. Eine Erlaubnisfiktion greift damit nicht.
1.2 Die auf Untersagung von Abschiebemaßnahmen gerichteten hilfsweisen Anträge nach § 123 Abs. 1 VwGO sind zwar zulässig, aber unbegründet. Einer Unterscheidung zwischen erstem und zweitem Hilfsantrag bedarf es nicht.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Voraussetzung ist hierbei, dass der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Rechts, den sogenannten Anordnungsanspruch, und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den sogenannten Anordnungsgrund, glaubhaft macht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Über den Erfolg des Antrags ist aufgrund einer im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen und auch nur möglichen summarischen Prüfung zu entscheiden. Ergibt die überschlägige rechtliche Beurteilung auf der Grundlage der verfügbaren und vom Antragsteller glaubhaft zu machenden Tatsachenbasis, dass von überwiegenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache auszugehen ist, besteht regelmäßig ein Anordnungsanspruch. Ein Anordnungsgrund setzt voraus, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen unzumutbar ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl., § 123 RdNr. 26 m. w. N.).
1.2.1 Ein Anordnungsgrund wurde nicht glaubhaft gemacht.
Aktuell ist die Abschiebung des Antragstellers noch bis zum 09.01.2018 vorläufig ausgesetzt. Darüber hinaus besteht auch noch das gesetzliche Abschiebungshindernis aus § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG (Diesterhöft, HTK-AuslR / § 71 AsylG / Aufenthaltsrecht 10/2017 Nr. 1). Dass vor diesem Hintergrund ein weiteres Abwarten einer Hauptsacheentscheidung nicht zumutbar wäre, ist nicht ersichtlich. Vorliegend ist auf Grund der Aufhebung der Anordnung des Sofortvollzugs des Widerrufs der Beschäftigungserlaubnis auch nicht ersichtlich, dass eine Aufenthaltsbeendigung vor Abschluss der Ausbildung droht (vgl. BayVGH, B. v. 06.11.2017, AZ. 19 CS 17.1812).
1.2.2 Auch hat der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorzunehmenden, summarischen Prüfung ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass ihm nach Maßgabe der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung eine Aufenthaltserlaubnis zuzuerkennen ist.
1.2.2.1 Ein Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 AufenthG besteht nicht.
Eine darauf gerichtete Klage hat nach summarischer Prüfung keine Aussicht auf Erfolg. Unabhängig vom Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen und der speziellen Tatbestandsmerkmale des § 25b Abs. 1 AufenthG (sowie der Frage, ob bei einer derartigen Identitätstäuschung Integrationsdefizite vorliegen, vgl.: OVG Rheinland-Pfalz, B. v. 18.10.2016, AZ. 7 B 10201/16) ist jedenfalls der Versagungsgrund des § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG erfüllt:
Der Antragsteller hat unstreitig seit seiner Ankunft im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einen falschen Nachnamen und ein falsches Geburtsdatum angegeben. Erst mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 11.01.2017 teilte der Antragsteller mit, dass sein wahrer Name … und nicht … laute. Da er selbst nach seinem 18. Geburtstag und der damit verbundenen Volljährigkeit am 17.01.2011 in mehreren Anträgen zur Prüfung eines Duldungsanspruchs und auf Erteilung einer Verlassenserlaubnis seinen Namen mit … angab, hat er die Identitätstäuschung weitergeführt. Das aus dem Zusammenhang gerissene Zitat aus dem Beschluss des BayVGH vom 13.12.2017, AZ. 19 CS 17.2020, rechtfertigt keine andere Beurteilung, zumal es keine rechtliche Würdigung der hier zu entscheidenden Fallkonstellation beinhaltet und § 25b Abs. 2 AufenthG eine gebundene Entscheidung darstellt.
Eine Aufenthaltsbeendigung wurde durch den Antragsteller verhindert. Entgegen der Ansicht der Prozessbevollmächtigten ist § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Antragsteller mittlerweile seinen richtigen Namen angegeben hat (vgl. zu der grundsätzlich parallelen Problematik des § 25 Abs. 5 Sätze 3 und 4 AufenthG auch BayVGH, B. v. 13.10.2017, AZ. 19 CS 17.2020; B. v. 05.07.2017, AZ. 19 CE 17.657). Zwar knüpft der Normtatbestand an aktuelles Verhalten an, dies hat aber nicht zur Folge, dass zurückliegendes Fehlverhalten generell unbeachtlich wäre; dieses bleibt beachtlich, wenn es sich aktuell noch auswirkt (vgl.: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, § 25b AufenthG Rn. 31; Zühlcke, HTK-AuslR / § 25b AufenthG / zu Abs. 2 12/2016 Nr. 2 m.w.N.). Insoweit ist der Zweck der Regelung hinreichend klar: „Dieses Kriterium wird vor dem Hintergrund eingeführt, um auf diese Weise Ungerechtigkeiten gegenüber Ausländern, die nicht getäuscht haben, zu vermeiden. Diese Regelung knüpft nur an aktuelle Mitwirkungsleistungen des Ausländers an, ist jedoch keine Amnestie für jedes Fehlverhalten in den vorangegangenen Verfahren“ (BTDrucksache, 18/4097, S. 44). Ein Fortwirken der Identitätstäuschung ist aktuell (noch) gegeben; der seit Februar 2013 fortdauernde Aufenthalt ist in der Gesamtschau angesichts der vollziehbaren Ausreisepflicht letztlich nur so zu erklären.
1.2.2.2 Auch wenn sich die Prozessbevollmächtigten in ihrem Antrag nicht (mehr) auf den Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, den der Antragsteller in dem Hauptsacheverfahren B 6 K 10.701 geltend macht, beziehen, würde ein Berufen hierauf auf Grund des § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG zu keinem anderen Ergebnis führen (s.o.; vgl.: BayVGH, B. v. 13.10.2017, AZ. 19 CS 17.2020; B. v. 05.07.2017, AZ. 19 CE 17.657).
2. Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Nachdem der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes erfolgslos blieb, konnte auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes keinen Erfolg haben (§ 166 VwGO, § 114 ZPO).
4. Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.5, 8.3 (entsprechend) des Streitwertkataloges.


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