Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug

Aktenzeichen  M 24 K 16.6

Datum:
25.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 5, § 29 Abs. 1, § 30 Abs. 1, § 32 Abs. 1, § 33 S. 2

 

Leitsatz

Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug als Ehegatte bzw. als Kind liegen nicht vor. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerinnen haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerinnen dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige, insbesondere für beide Klägerinnen fristgerecht erhobene Klage ist unbegründet, da die Bescheide der Beklagten vom … Dezember 2015 in der Fassung vom 25. Februar 2016 rechtmäßig sind und die Klägerinnen nicht in ihren Rechten verletzen (§ 113 Abs. 5, § 114 VwGO).
1. Die Klägerin zu 1) hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug als Ehegatte eines Ausländers nach § 30 Abs. 1 i. V. m. § 27, § 29 Abs. 1 AufenthG.
1.1. Dabei kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob die Klägerin zu 1) überhaupt Ehegatte des Herrn A. i. S. von § 30 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist, d. h. ob es sich bei dem im Verwaltungsverfahren vorgelegten, als Heiratsurkunde der Klägerin zu 1) mit Herrn A. bezeichneten, in Ghana ausgestellten Dokument vom … Juli 2013 um den Nachweis einer im Ausland begründeten und in Deutschland anerkannten und registrierten Ehe handelt. Denn es fehlt an weiteren Tatbestandsvoraussetzungen der Anspruchsnormen, so dass insbesondere weitere Ermittlungen des Gerichts nach § 86 Abs. 1 VwGO im Hinblick auf die Echtheit des Dokumentes nicht veranlasst sind.
1.2. Die Klägerin zu 1), mit der die Verständigung in der mündlichen Verhandlung vom 25. Februar 2016 ausschließlich über einen Dolmetscher in der Sprache Twi erfolgte, hat weder vorgetragen noch durch Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung nachgewiesen, dass sie das Sprachniveau der Stufe A 1 der elementaren Sprachanwendung des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens der Europarats (GER) besitzt, sich also zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG). Dazu, dass das Vorliegen dieser Voraussetzung bei der Klägerin zu 1) nach § 30 Abs. 1 Satz 2 oder Satz 3 AufenthG unbeachtlich wäre, wurde nichts vorgetragen und ist auch sonst nichts ersichtlich.
1.3. Zudem fehlt es an der Tatbestandsvoraussetzung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 2 Abs. 4 AufenthG, wonach für den Familiennachzug zu einem Ausländer ausreichend Wohnraum zur Verfügung stehen muss.
Nach Nr. 2.4.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum AufenthG vom 26. Oktober 2009 (GMBl. 2009, S. 878 ff) ist ausreichender Wohnraum – unbeschadet landesrechtlicher Regelungen – stets vorhanden, wenn für jedes Familienmitglied über sechs Jahren 12 qm und für jedes Familienmitglied unter sechs Jahren 10 qm Wohnfläche zur Verfügung stehen und Nebenräume (Küche, Bad, WC) in angemessenem Umfang mitbenutzt werden können. Eine Unterschreitung dieser Wohnungsgröße um etwa 10% ist unschädlich. Wohnräume, die von Dritten mitbenutzt werden, bleiben grundsätzlich außer Betracht; mitbenutzte Nebenräume können berücksichtigt werden.
Vorliegend wurden keine Angaben zur Größe der Wohnung, in der die Klägerinnen zu 1) und zu 2) zusammen mit Herrn A. und dessen Bruder leben, gemacht. Ein entsprechender (Unter-)Mietvertrag wurde nicht vorgelegt. Auf eine Anfrage der Beklagten teilte die … Wohnen … in … am 5. Oktober 2015 vielmehr mit, dass die Untervermietung der Wohnung, in der die Klägerinnen derzeit wohnen würden, an die Klägerin zu 1) nicht genehmigt werde, da die Wohnung bereits mit zwei Personen belegt sei und weitere Personen eine Überbelegung darstellen würden. Ausreichender Wohnraum steht der Klägerin zu 1) somit nicht zur Verfügung, auch wenn zumindest derzeit die aktuelle Wohnsituation wohl durch die Vermieterin geduldet wird.
1.4. Neben den speziellen Anspruchsvoraussetzungen für einen Familiennachzug zu einem Ausländer fehlt es vorliegend aber auch an den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG.
1.4.1. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Da nach der Bedarfsberechnung der Beklagten vom 4. Dezember 2015 für die Klägerinnen ein Fehlbedarf von monatlich EUR 444,00 besteht, ist die Beklagte in ihrem Bescheid vom … Dezember 2015 (Seite 5) zu Recht davon ausgegangen, dass der Lebensunterhalt der Klägerin zu 1) nicht gesichert und dass vorliegend auch keine Ausnahme vom Regelfall anzunehmen ist.
1.4.2. Einem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 i. V. m. § 27, § 29 Abs. 1 AufenthG steht des Weiteren entgegen, dass die Klägerin zu 1) ohne das erforderliche Visum ins Bundesgebiet eingereist ist.
Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumsantrag gemacht hat. Für den von der Klägerin zu 1) angestrebten Daueraufenthalt im Bundesgebiet wäre ein vor der Einreise erteiltes Visum erforderlich gewesen (§ 6 Abs. 3 Satz 1 AufenthG).
Ein Absehen vom Visumsverfahren nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG kommt vorliegend nicht in Betracht, weil die Klägerin zu 1) – wie oben bereits unter Nr. 1.1., 1.2., 1.3. und 1.4.1. dargelegt – keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat. Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG kann vom erforderlichen Visums-verfahren abgesehen werden, wenn es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumsverfahren nachzuholen. Dass im vorliegenden Fall solche besonderen Umstände vorliegen, hat die Beklagte zutreffend in der Begründung ihres Bescheides vom … Dezember 2015 (Seite 6, zweiter Absatz) verneint.
Über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus kann unter bestimmten Voraussetzungen ein Aufenthaltstitel (ohne vorherige Ausreise) im Bundesgebiet eingeholt oder verlängert werden (Abschnitt 4 der Aufenthaltsverordnung – AufenthV). Da die Voraussetzungen der dort angeführten Vorschriften vorliegend jedoch nicht erfüllt sind, kommt ein Absehen vom Visumsverfahren auch insoweit nicht in Betracht. So kann sich die Klägerin zu 1) als ghanaische Staatsangehörige – ungeachtet der weiteren Voraussetzungen dieser Vorschrift – nicht auf § 39 Nr. 3 AufenthV berufen, da Ghana nicht im Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 (EG-VisaVO) aufgeführt ist. Da die Klägerin zu 1) auch weder aufgrund einer Eheschließung im Bundesgebiet noch aufgrund der Geburt eines Kindes während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat, kommt eine Einholung des Aufenthaltstitels im Bundesgebiet auch nicht über § 39 Nr. 5 AufenthG in Betracht.
2. Auch die Klägerin zu 2) hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Da vorliegend nicht beide Elternteile, sondern nur der Vater der Klägerin zu 2), im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sind, dieser jedoch nicht allein personensorgeberechtigt ist, sind die Anspruchsvoraussetzungen weder des § 33 Satz 2 AufenthG noch des § 32 Abs. 1 AufenthG erfüllt.
3. Die Klägerin zu 2) hat auch keinen Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensausübung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 AufenthG, wonach dem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann, wenn es aufgrund der Umstände des Einzelfalles zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist. Dass die Versagung der Aufenthaltserlaubnis für die Klägerin zu 2) derart nachteilige Folgen auslösen würde, die sich wesentlich von den Folgen unterscheiden, die anderen minderjährigen Ausländern zugemutet werden, die ebenfalls keine Aufenthaltserlaubnis nach § 32 Abs. 1 bis 3 AufenthG erhalten, ist weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Zu Recht hat die Beklagte das Vorliegen einer besonderen Härte aufgrund der Umstände des Einzelfalles in ihrem Bescheid vom … Dezember 2015 (Seite 5) verneint.
4. In nicht zu beanstandender Weise hat die Beklagte im Bescheid vom … Dezember 2015 in der in der mündlichen Verhandlung vom 25. Februar 2016 geänderten Fassung auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die Klägerin zu 2) nach § 33 Satz 1 AufenthG abgelehnt (§ 114 VwGO). Das Gericht verweist insoweit auf die zutreffende Begründung der Beklagten auf den Seiten 3 und 4 des Bescheides vom … Dezember 2015 in der in der mündlichen Verhandlung vom 25. Februar 2016 geänderten Fassung, der das Gericht in diesem Punkt folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO).
5. Da die Klägerinnen kein Aufenthaltsrecht für die Bundesrepublik Deutschland besitzen, sind sie vollziehbar ausreisepflichtig (§§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 Satz 2, 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Ihr Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Versagung der Aufenthaltserlaubnis und die Abschiebungsandrohungen anzuordnen, wurde aufgrund mündlicher Verhandlung vom 25. Februar 2016 am 25. Februar 2016 abgelehnt bzw. das Verfahren nach Antragsrücknahme eingestellt (M 24 S 16.15). Die Abschiebungsandrohungen entsprechen den gesetzlichen Vorschriften (§ 59 AufenthG).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; der unterliegende Teil hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
7. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff der Zivilprozessordnung – ZPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 10.000,- festgesetzt (§ 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m. Nr. 1.1.3 und Nr. 8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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