Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Familienflüchtlingszuerkennung für syrische Staatsangehörige

Aktenzeichen  21 B 16.31043

Datum:
6.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 31415
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1, Abs. 4, § 26 Abs. 1, Abs. 3 S. 1, Abs. 5

 

Leitsatz

1. Eine Gewährung von abgeleitetem Schutz nach § 26 AsylG von einem Familienangehörigen, der selbst diesen Schutzstatus erhalten hat, ist nach Sinn und Zweck der Vorschrift nicht möglich (Rn. 22 – 25). (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass eine syrische Staatsangehörige allein wegen ihrer Ausreise, ihres Asylantrags und des Aufenthalts in Deutschland als Oppositionelle betrachtet wird und deshalb eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG zu befürchten hat (Rn. 35). (redaktioneller Leitsatz)
3. Allein wegen der Militärdienstentziehung eines nahen Familienangehörigen ist im Fall einer Rückkehr nach Syrien eine Verfolgung durch den syrischen Staat unter dem Gesichtspunkt der Sippenhaft nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten (Rn. 37 – 38). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 11 K 16.31618 2016-08-04 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 4. August 2016 wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht Regensburg hat der Klage mit Urteil vom 4. August 2016 zu Unrecht stattgegeben. Die Klägerin hat in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), weder im Rahmen der Familienflüchtlingszuerkennung nach § 26 Abs. 1 bzw. Abs. 3 i.V.m. Abs. 5 AsylG (1.) noch auf der Rechtsgrundlage des § 3 Abs. 1 AsylG (2.).
1. Die Klägerin erfüllt nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 26 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 AsylG (vgl. 1.1, abgeleitet vom Ehemann) noch gem. Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 5 AsylG (vgl. 1.2, abgeleitet vom Kind).
1.1 Der Klägerin steht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Ableitung von ihrem Ehemann, dem mit bestandskräftigem Bescheid des Bundesamts vom 14. Juli 2016 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde, nicht zu, weil die Ehe in Syrien noch nicht bestanden hat (vgl. § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 5 AsylG).
Die Klägerin verließ Syrien im August 2013, hielt sich bis Oktober 2015 in der Türkei auf und reiste schließlich im November 2015 in das Bundesgebiet ein. Nach ihren Angaben erfolgte die standesamtliche Eheschließung im Herbst 2018 in Dänemark. An ihrem 18. Lebensjahr sei in Syrien ein Ehevertrag abgeschlossen worden, es habe eine Imam-Ehe bestanden. Richtig geheiratet und zusammen gelebt und gewohnt, hätten sie erst in der Türkei. Unabhängig davon, dass der noch in Syrien geschlossene „Ehe“-Vertrag und die nach religiösem Ritual geschlossene „Ehe“ nach dem Recht des Heimatstaates keine staatlich registrierte bzw. anerkannte Ehe darstellt, und es somit begrifflich an einer „Ehe“ i.S. des § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG fehlt, liegt auch das Erfordernis des Ehebestands im Verfolgerstaat nicht vor. Aus dem Wortlaut und Sinn und Zweck des Ehegattenasyls folgt die Notwendigkeit des Bestehens einer tatsächlichen Lebensgemeinschaft im Verfolgerstaat. Das Ehegattenasyl soll dem Ehegatten wegen seiner Nähe zum Verfolgungsgeschehen Schutz vor eigener politischer Verfolgung gewähren. Eine Nähe des Ehegatten zum Verfolgungsgeschehen und eine eigene Gefährdung liegt aber regelmäßig nur dann vor, wenn die Ehegatten bereits im Verfolgerstaat zusammengelebt haben (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Band 4, Stand Jan. 2019, § 26 Rn. 48ff.). Nach den Angaben der Klägerin in der Berufungsverhandlung hat eine solche tatsächliche Lebensgemeinschaft zwischen den Eheleuten in Syrien nicht bestanden.
1.2 Der Erwerb der Familienflüchtlingszuerkennung der Klägerin, abgeleitet vom Kind, scheitert nicht nur an der fehlenden Möglichkeit der Vermittlung von Familienflüchtlingsschutz durch Familienflüchtlingsschutzberechtigte („keine Ableitungsketten“; 1.2.1), sondern auch an der Voraussetzung des § 26 Abs. 3 Nr. 2 AsylG (Art. 2 Buchst. j der Richtlinie 2011/95/EU), weil die „Familie“ nie im Herkunftsland bestanden hat (1.2.2).
Dem im Jahre 2016 im Bundesgebiet geborenen Kind der Klägerin wurde mit bestandskräftigem Bescheid vom 11. August 2017 die Flüchtlingseigenschaft gem. § 26 Abs. 2 i.V.m. Abs. 5 AsylG zuerkannt, abgeleitet von seinem Vater.
1.2.1 Nach Sinn und Zweck der Vorschrift des § 26 AsylG ist eine Gewährung von abgeleitetem Schutz nach § 26 AsylG von einem Familienangehörigen, der selbst diesen Schutzstatus erhalten hat, nicht möglich (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Band 4, Stand Januar 2019, § 26 Rn. 38ff.; BayVGH, U.v. 20.4.2018 – 20 B 18.30332 – juris).
Nach § 26 Abs. 4 Satz 2 AsylG gelten die Abs. 2 und 3 nicht für Kinder eines Ausländers, der selbst nach Abs. 2 oder 3 als Asylberechtigter anerkannt worden ist. Die Regelung ist über Abs. 5 Satz 1 AsylG auf Kinder eines international Schutzberechtigten entsprechend anwendbar. Zweck der Regelung ist die Verhinderung von „Ableitungsketten“ (BT-Drs. 17/13063, S. 22). Die ohne Rücksicht auf eine eigene Verfolgungsgefahr nach den Absätzen 2 oder 3 erlangte Asyl- bzw. Schutzberechtigung soll nicht unbegrenzt weitergegeben werden können. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 26 AsylVfG a.F. konnten über den Wortlaut der Vorschrift hinaus Familienasylberechtigte, also Ausländer, deren Familienasylberechtigung auf § 26 AsylVfG beruht, nicht ihrerseits Familienasyl vermitteln (BVerwG, U.v. 7.3.1995 – 9 C 389/94 – InfAuslR 1995, 301; U.v. 16.8.1993 – 9 C 7/93 – DVBl 1994, 58). Das Bundesverwaltungsgericht begründete dies mit einem Verweis auf Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck des § 26 AsylVfG (näher s. Hailbronner, Ausländerrecht, Band 4, Stand Januar 2019, § 26 AsylG Rn. 39 f.).
Für eine Beschränkung des Familienasyls auf Familienangehörige eines in eigener Person Verfolgten spricht bereits der Wortlaut des Abs. 1 Nr. 2, der eine politische Verfolgung des Asylberechtigten verlangt. Dafür spricht aber auch die internationalrechtliche Grundlage des Familienasyls. Sie ist von der Familieneinheit bei einem gemeinsamen Schicksal von Verfolgung und Flucht geprägt. Familienasyl wird daher nicht oder zumindest nicht ausschließlich vom Grundsatz des Schutzes der Familieneinheit bestimmt. Die Familieneinheit wird u.a. auch durch die Gewährung von Aufenthaltsrechten für Familienmitglieder von Flüchtlingen realisiert. Die allgemein als Grundlage des Familienasyls angesehene Empfehlung der Delegiertenkonferenz, die in die Schlussakte der Genfer Flüchtlingskonferenz Aufnahme gefunden hat, dürfte von einem Verständnis des Familienasyls ausgegangen sein, wie es in den Beschlüssen des Ad-Hoc-Komitees zum Konventionsentwurf zum Ausdruck kam. Danach konnte aber kaum ein Zweifel daran bestehen, dass das Familienasyl nur den engeren Familienmitgliedern einer Person, die selbst die Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft erfüllt, zustehen sollte. (näher vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Januar 2019, § 26 AsylG, Rn. 40 m.w.N.).
Nach alledem kann die Vorschrift des § 26 Abs. 4 Satz 2 AsylG, der regelt, dass die Kinder eines Familienasylberechtigten von der Gewährung des Familienasyls ausgeschlossen sind, herangezogen werden, um den Willen des Gesetzgebers zu verdeutlichen, dass grundsätzlich nur ein wegen eigener politischer Verfolgung Asylberechtigter, nicht aber ein allein Familienasylberechtigter in der Lage ist, als Stammberechtigter Familienasyl zu vermitteln (Günther in Beck´scher Online-Kommentar, AuslR, Stand Jan. 2019, § 26 AsylG Rn. 26).
1.2.2 Nach § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG werden die Eltern eines minderjährigen ledigen Asylberechtigten – gleichgestellt gem. Abs. 5 die Flüchtlingsanerkennung – auf Antrag als Asylberechtigte (bzw. als Flüchtling) anerkannt, insbesondere wenn die Familie im Sinne des Art. 2 Buchst. j der Richtlinie 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird. Durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28.8.2013 wurde erstmals der Familienasylschutz auch auf Eltern minderjähriger lediger Asylberechtigter erstreckt. Die Neuregelung geht auf Art. 2 Buchst. j 3.Strich der Richtlinie 2011/95/EU zurück. Danach ist für alle Familienangehörigen geltende Voraussetzung, dass sie sich im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz in demselben Mitgliedstaat aufhalten, und dass die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat.
In der vorliegenden Fallkonstellation hat die Familie zu keinem Zeitpunkt im Herkunftsland Syrien bestanden (§ 26 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 5 AsylG). Abgesehen davon, dass das gemeinsame Kind, dem vom Vater abgeleiteter Flüchtlingsschutz gewährt wurde, erst im Bundesgebiet geboren wurde, haben auch die Klägerin und der Vater des Kindes in Syrien nicht zusammengelebt.
2. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 AsylG
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer – soweit hier von Interesse – Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Diese Voraussetzungen lagen bei der Klägerin im Zeitpunkt ihrer Ausreise aus der Arabischen Republik Syrien nicht vor (2.1), noch ergeben sie sich aus Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem die Klägerin ihr Herkunftsland verlassen hat (2.2)
2.1 Die Klägerin ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Umstände, aus denen sich eine bereits erlittene oder im Zeitpunkt der Ausreise unmittelbar drohende Verfolgung durch den syrischen Staat oder sonstige Akteure im Sinn des § 3 c Nr. 2 und 3 AsylG ergeben, hat die Klägerin nicht geltend gemacht. Sie hat vielmehr vorgetragen, wegen der allgemeinen Kriegssituation und der schlechten Sicherheitslage ausgereist zu sein.
2.2. Die Klägerin kann für einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nichts daraus für sich ableiten, dass gemäß § 28 Abs. 1a AsylG die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG auch auf Ereignissen beruhen kann, die eingetreten sind, nachdem sie ihr Herkunftsland verlassen hat. Ein solcher Nachfluchtgrund besteht nicht.
Davon wäre nur dann auszugehen, wenn der Klägerin bei verständiger (objektiver) Würdigung der gesamten Umstände ihres Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihr nicht zuzumuten ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Die „verständige Würdigung aller Umstände“ hat dabei eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe zum Inhalt. Im Rahmen dieser Prognose ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es ist maßgebend, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage der Klägerin Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne begründete Furcht vor einem Ereignis kann deshalb auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ Betrachtungsweise weniger als 50 v.H. Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der im Rahmen der Prognose vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist in dieser Hinsicht damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage der Klägerin nach Abwägung aller bekannten Umstände eine (hypothetische) Rückkehr in den Herkunftsstaat als unzumutbar erscheint. Ergeben die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer politischen Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage v. 7.2.2008 – 10 C 33.07 – juris Rn. 37 und zu Art. 16a GG U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – juris Rn. 17).
Nach diesem Maßstab und nach der Erkenntnislage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) hat der Senat unter Berücksichtigung des Charakters des syrischen Staates (2.2.1) die Überzeugung gewonnen, dass der Klägerin bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle allein wegen ihrer Ausreise, ihres Asylantrags und des damit verbundenen Aufenthalts in Deutschland eine politische Verfolgung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (2.2.2). Der Klägerin droht unter dem Gesichtspunkt der Sippenhaft selbst dann keine Verfolgung, wenn sich ein naher Familienangehöriger dem Militärdienst entzogen haben sollte (2.2.3).
2.2.1 Das Herrschaftssystem des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad ist durch den seit dem Jahr 2011 anhaltenden militärischen Kampf gegen verschiedene feindliche Organisationen und infolge internationaler Sanktionen militärisch sowie wirtschaftlich unter erheblichen Druck geraten. Ziel der Regierung ist es, die bisherige Machtarchitektur bestehend aus dem Präsidenten Bashar al-Assad sowie den drei um ihn gruppierten Clans (Assad, Makhlouf und Shalish) ohne einschneidende Veränderungen zu erhalten und das Herrschaftsmonopol auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik wiederherzustellen. Diesem Ziel ordnete die Regierung in den vergangenen Jahren alle anderen Sekundärziele unter (vgl. Gerlach, „Was in Syrien geschieht – Essay“ vom 19. Februar 2016). Sie geht in ihrem Einflussgebiet im Ganzen betrachtet zielgerichtet und ohne Achtung der Menschenrechte gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner (Oppositionelle) mit größter Brutalität und Rücksichtslosigkeit vor. Dabei sind die Kriterien dafür, was als politische Opposition betrachtet wird, sehr weit: Kritik, Widerstand oder schon unzureichende Loyalität gegenüber der Regierung sollen Berichten zufolge zu schweren Vergeltungsmaßnahmen für die betreffenden Personen geführt haben (UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 5. Fassung – im Folgenden UNHCR-Erwägungen 2017 – unter Verweis auf: United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2015, 13.4.2016; Amnesty International, Human Slaughterhouse: Mass Hangings and Extermination at Saydnaya Prison, Syria, 7.2.2017; UN Human Rights Council, Out of Sight, out of Mind: Deaths in Detention in the Syrian Arab Republic, 3.2.2016). Seit dem Ausbruch des Krieges im März 2011 sind zahlreiche Fälle von Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, „Verschwindenlassen“, tätlichen Angriffen, Tötung in Gewahrsam der Sicherheitskräfte und Mordanschlägen belegt. Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung ist in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben, als besonders hoch einzustufen. Personen, die unter dem Verdacht oppositioneller Umtriebe stehen, unterliegen ebenfalls einem hohen Folterrisiko (Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, 13.11.2018). Menschenrechtsgruppen zufolge hat das Regime seit März 2011 zwischen 17.500 und 60.000 Männer, Frauen und Kinder zu Tode gefoltert oder exekutiert; das syrische Regime stellt falsche Totenscheine offenbar mit dem Ziel aus, die wahre Ursache und den Ort des Todes der Gefangenen zu verschleiern (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Syrien, 25.1.2018, S. 34 unter Verweis auf US Department of State, 2016 Country Reports on Human Rights Practices – Syria, 3.3.2017). Das Schicksal und der Aufenthaltsort Zehntausender Menschen, die seit Ausbruch des Krieges von Regierungskräften inhaftiert worden waren und seitdem „verschwunden“ sind, ist nach wie vor unbekannt. Während der Haft werden Folter und andere Misshandlungen systematisch angewendet (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Syrien, 25.1.2018, S. 34 unter Verweis auf Human Rights Watch, World Report 2017 – Syria; Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E, 19.1.2016).
2.2.2 Trotz des Umstands, dass die syrischen Machthaber gegen tatsächliche oder vermeintliche Oppositionelle mit äußerster Härte vorgehen, ist es zur Überzeugung des Senats nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerin allein wegen ihrer Ausreise, ihres Asylantrags und des Aufenthalts in Deutschland als Oppositionelle betrachtet wird und deshalb eine Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG zu befürchten hat (ebenso mit zum Teil abweichender Begründung: VGH BW, U.v. 27.3.2019 – A 4 S 335.19; U.v. 23.10.2018 – A 3 S 791.18; OVG Berlin-Bbg, U.v. 12.2.2019 – OVG 3 B 27.17; OVG Bremen, U.v. 24.1.2018 – 2 LB 237.17; OVG Hamburg, U.v. 11.1.2018 – 1 Bf 81/17.A; HessVGH, U.v. 26.7.2018 – 3 A 809/18.A; NdsOVG, U.v. 3.4.2019 – 2 LB 341.19; OVG NRW, U.v. 12.12.2018 – 14 A 667/18.A; OVG RhPf, U.v. 12.4.2018 – 1 A 10988.16; OVG Saarl, U.v. 14.11.2018 – 1 A 609.17; OVG SH, U.v. 7.3.2019 – 2 LB 29.18; ThürOVG, U.v. 15.6.2018 – 3 KO 155.18 – alle juris)
Zur Darlegung der maßgeblichen tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen nimmt der Senat Bezug auf seine zu dieser Frage ergangene Rechtsprechung (vgl. U.v. 12.4.2019 – 21 B 18.32459 – juris Rn. 27ff.; U.v. 22.6.2018 – 21 B 18.30852 – juris Rn. 22-38, U.v. 12.4. 2018 – 21 B 18.32459 – juris Rn. 27ff; 20.6.2018 – 21 B 18.30833 – juris Rn. 22-38; 21 B 18.30853 – juris Rn. 22-38; 21 B 18 30854 – juris Rn. 21-39; Kraft in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 108 Rn. 74).
2.2.3 Es kommt nicht darauf an, ob sich ein naher Familienangehöriger der Klägerin der Einziehung zum Militärdienst entzogen hat, denn die Klägerin könnte daraus nichts für die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft herleiten. Der Senat ist aufgrund der Quellenlage davon überzeugt, dass die Klägerin allein wegen einer Militärdienstentziehung eines nahen Familienangehörigen (Brüder) im Falle einer Rückkehr nach Syrien unter dem Gesichtspunkt der Sippenhaft eine Verfolgung durch den syrischen Staat nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat.
Angehörigen eines Militärflüchtlings droht im Falle der Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrechtlich relevante Reflexverfolgung. Zur Darlegung der maßgeblichen tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen nimmt der Senat Bezug auf seine zu dieser Frage ergangene Rechtsprechung (vgl. insbesondere Urteile vom 12. April 2019 – 21 B 18.32459 – juris Rn. 76 bis 92 und 22. Juni 2018 – 21 B 18.30852 – juris Rn. 49 bis 63; ebenso die Senatsurteile vom 20. Juni 2018: 21 B 18 30854 – juris Rn. 50 bis 64; 21 B 18.30833 – juris Rn. 49 bis 63; Kraft in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 108 Rn. 74).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
5. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.


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