Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Familiennachzug bei nicht ausreichender Sicherung des Lebensunterhaltes

Aktenzeichen  M 10 S 17.819, M 10 S 17.821, M 10 S 17.823

Datum:
4.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 2
VwGO VwGO § 80 Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

Ein erheblicher Fehlbetrag zum erforderlichen Lebensunterhalt rechtfertigt die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG und führt zugleich zum Fehlen eines Rechtsanspruchs auf Familiennachzug, der Grundlage für ein Absehen von dem Visumverstoß nach § 5 Abs. 2 S. 2 AufenthG ist. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Verfahren M 10 S 17.819, M 10 S 17.821 und M 10 S 17.823 werden zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
II. Die Anträge werden abgelehnt.
III. Die Antragstellerinnen haben gesamtverbindlich die Kosten des Verfahrens zu tragen.
IV. Der Streitwert wird auf insgesamt 7.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerinnen sind bosnische Staatsangehörige, die Antragstellerin zu 2) ist die Mutter der minderjährigen, 2015 und 2011 geborenen Antragstellerinnen zu 1) und zu 3).
Mit Schreiben vom 13. April 2016 beantragte der Bevollmächtigte der Antragstellerinnen bei der Antragsgegnerin formlos die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen. Laut dem am 6. Juni 2016 bei der Antragstellerin abgegebenen Formblattantrag seien die Antragstellerinnen erstmalig am 25. Februar 2016 in das Bundesgebiet eingereist.
Zu der Frage nach früheren Aufenthalten in Deutschland gab die Antragstellerin zu 2) Besuchsaufenthalte ohne Datum an. Als Aufenthaltszweck wurde der Familiennachzug zum Ehemann und Vater der Antragstellerinnen – ebenfalls bosnischer Staatsangehöriger mit Wohnung in der …straße in … und Inhaber einer Niederlassungserlaubnis – angegeben. Ein Arbeitsvertrag, eine Entgeltabrechnung sowie ein bis zum 30. Juni 2016 befristeter Mietvertrag des Ehemanns über die genannte Wohnung wurden vorgelegt. Die Antragstellerinnen erhielten Fiktionsbescheinigungen.
Mit Bescheiden vom 31. Januar 2017 wurden die Anträge auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen der Antragstellerinnen abgelehnt (Nr. 1 der Bescheide), die Antragstellerinnen zum Verlassen des Bundesgebietes bis zum 1. März 2017 aufgefordert (Nr. 2), für den Fall der erheblichen schuldhaften Überschreitung der Ausreisefrist auf die Möglichkeit eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes für die Dauer bis zu einem Jahr für die Bundesrepublik Deutschland hingewiesen (Nr. 3) sowie für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung nach Bosnien-Herzegowina oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht (Nr. 4).
In den Gründen wird ausgeführt, die Antragstellerinnen seien zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Rahmen des visumsfreien Touristenverkehrs in das Bundesgebiet eingereist. Mit Datum vom 27. Dezember 2015 hätten sie sich erstmals mit Hauptwohnsitz beim Ehemann angemeldet. Am 15. Januar 2016 seien sie nach Bosnien-Herzegowina zurückgereist. Am 28. Februar 2016 seien die Antragstellerinnen im Rahmen des visumsfreien Touristenverkehrs wiederholt gemeinsam in das Bundesgebiet eingereist und hätten sich mit Hauptwohnsitz beim Ehemann und Vater angemeldet. Aus dem vorgelegten Mietvertrag sei ersichtlich, dass dieser lediglich auf Zeit abgeschlossen worden sei und zum 30. Juni 2016 geendet habe. Im Anschluss daran hätte die Familie in einer Pension in der … Straße in … gewohnt. Erst am 29. Dezember 2016 habe der Ehemann einen Mietvertrag für eine 3-Zimmer-Wohnung in der …-Straße in … vorgelegt. Hierzu habe er mündlich angegeben, dass der Mietvertrag nur dann zustande kommen würde, wenn die Ausländerbehörde bis Ende des Jahres gegenüber dem Sozialreferat/Wohnungsamt schriftlich mitteile, dass Aufenthaltserlaubnisse erteilt würden. Da die Berechnung des Lebensunterhalts mit dem im Mietvertrag angegebenen Mietzins ergeben habe, dass das Einkommen des Ehemannes nicht ausreiche, habe diese Bestätigung nicht ausgestellt werden können.
Am 16. Januar 2017 sei eine Anmeldung unter der Anschrift …-Straße erfolgt. Es sei daher davon auszugehen, dass der Mietvertrag auch ohne Ausstellung der Bescheinigung für das Wohnungsamt über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zustande gekommen sei.
Die Antragstellerinnen seien schon nicht mit dem erforderlichen Visum in das Bundesgebiet eingereist. Die Ausländerbehörde gehe davon aus, dass die Antragstellerinnen nicht im Rahmen des Besuchsaufenthaltes eingereist seien, sondern von Anfang an einen Daueraufenthalt im Bundesgebiet geplant hätten. Hierfür hätten sie ein entsprechendes Visum bei der zuständigen Auslandsvertretung beantragen müssen. Dieses Visum hätte der vorherigen Zustimmung der Ausländerbehörde bedurft und wäre nur erteilt worden, wenn die Voraussetzungen zum Familiennachzug – wie Sicherung des Lebensunterhalts, ausreichender Wohnraum, ausreichende Sprachkenntnisse – erfüllt gewesen wären. Von dem Visumserfordernis könne im Einzelfall abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt seien oder es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar sei, das Visumsverfahren nachzuholen. Ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug liege jedoch nicht vor.
Der Lebensunterhalt sei nicht gesichert. Nach den vorgelegten Einkommensnachweisen verfüge der Ehemann über ein Durchschnittseinkommen in Höhe von 2.468,- EUR brutto, woraus sich ein monatlich zu berücksichtigendes Netto-Einkommen in Höhe von 1.763,24 EUR ergebe. Unter Einbeziehung von Kindergeld komme man auf ein anrechenbares Einkommen in Höhe von 2.143,24 EUR. Dem stehe ein Bedarf in Höhe von 2.812,- EUR gegenüber, wodurch sich ein Fehlbetrag in Höhe von 468,76 EUR ergebe. Nachweise für ein eventuelles zusätzliches Nebeneinkommen seien nicht vorgelegt worden. Der Lebensunterhalt sei somit nicht auf Dauer als gesichert anzusehen, es fehle an den Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Zugleich fehle es damit an den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 AufenthG.
Die Versagung der Aufenthaltserlaubnis sei auch nicht unverhältnismäßig. Das persönliche Interesse, sich weiterhin in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten zu dürfen, müsse gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Beendigung des Aufenthaltes zurücktreten. Den Antragstellern sei es zumutbar, zur Schaffung der Erteilungsvoraussetzungen sowie zur Beantragung des erforderlichen Visums kurzfristig auszureisen. Die Ausreisepflicht ergebe sich aus § 50 Abs. 1 AufenthG. Die gesetzte Ausreisefrist sei angesichts der bisherigen Aufenthaltsdauer angemessen und ermögliche es, die zur Ausreise erforderlichen Vorbereitungen zu treffen.
Die Möglichkeit der Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes für die Bundesrepublik Deutschland für die Dauer von bis zu 1 Jahr ergebe sich aus § 11 Abs. 6 Satz 1 AufenthG.
Die Androhung der Abschiebung ergebe sich aus § 58 Abs. 1, § 59 Abs. 1 AufenthG. Im Falle einer erfolgten Abschiebung dürfe das Bundesgebiet nach § 11 Abs. 1 AufenthG nicht wieder betreten werden. Abschiebungsverbote oder Duldungsgründe lägen nicht vor.
Am 27. Februar 2017 haben die Antragstellerinnen durch ihren Prozessbevollmächtigten beim Verwaltungsgericht München Klagen gegen die ablehnenden Bescheide erhoben mit dem Ziel einer Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnisse.
Gleichzeitig wurde jeweils beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Eine Begründung der Klagen und Eilanträge erfolgte bisher nicht.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Anträge abzulehnen.
Zur Begründung trägt sie vor, da weder Klagen noch Eilanträge begründet worden seien und sich auch niemand um die Verlängerung der seit dem 2. März 2017 abgelaufenen Ausreisefrist gekümmert habe, seien Vollzugsmaßnahmen beabsichtigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Verfahren werden gemäß § 93 VwGO zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
Die zulässigen Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen nach § 80 Abs. 5 VwGO haben in der Sache keinen Erfolg.
Die Anträge sind zulässig. Insbesondere besteht bezüglich der Nr. 1 der Bescheide, mit denen die Antragsgegnerin die Anträge auf Aufenthaltserlaubnis ablehnte, ein Rechtsschutzinteresse der Antragstellerinnen, da allein der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht verhindern kann. Denn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht richtet sich gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nach der Vollziehbarkeit der Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis. Ein stattgebender Beschluss des Gerichts ließe mithin die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht entfallen (vgl. Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 58 Rn. 15). Die Antragstellerinnen sind auch nicht ohnehin und unabhängig von der Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis ausreisepflichtig, denn ihre Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erfolgten während der visumfreien Aufenthaltsdauer. Damit gilt ihr Aufenthalt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt (§ 81 Abs. 3 AufenthG).
Die Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO sind jedoch unbegründet.
Im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht eine eigene Interessenabwägung anzustellen (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 80 Rn. 68). Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten der Klage einzubeziehen. Wird die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben, so überwiegt regelmäßig das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das private Interesse des Antragstellers, da kein schutzwürdiges Interesse daran besteht, von dem Vollzug eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben. Nur wenn die Vollziehung einen erheblichen, nicht mehr rückgängig zu machenden Eingriff darstellt, mithin vollendete Tatsachen schafft, könnte auch in diesem Fall das private Interesse des Antragstellers überwiegen (vgl. Schmidt in Eyermann, a.a.O. Rn. 76).
Im vorliegenden Fall ist nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung davon auszugehen, dass die Ablehnung der Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 31. Januar 2017 rechtmäßig ist und die Antragstellerinnen nicht in ihren Rechten verletzt. Hierzu folgt das Gericht der Begründung der ablehnenden Bescheide vom 31. Januar 2017 und sieht von einer ausführlichen Darstellung entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO ab.
Mangels ausreichender Sicherung des Lebensunterhalts der Familie der Antragstellerinnen und ihres Ehemannes bzw. Vaters liegt die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegenwärtig nicht vor. Die Antragsgegnerin hat unwidersprochen einen erheblichen Fehlbetrag zum erforderlichen Lebensunterhalt der Familie festgestellt. Damit konnte die Antragsgegnerin die Ablehnung der Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auch auf § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 AufenthG (fehlende erforderliche Visa, kein Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis) stützen. Die Antragstellerinnen haben weder im Klagenoch im Eilverfahren geltend gemacht, dass entgegen der Berechnung der Antragsgegnerin doch von einem gesicherten Lebensunterhalt für die gesamte Familie auszugehen ist oder dass es eine unbillige Härte darstellt, sie zunächst auf eine Nachholung des Visumsverfahrens vom Heimatland aus zu verweisen.
Sonstige Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich. Die Ablehnung der Anträge erfolgte rechtmäßig. Die Eilanträge sind deshalb mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Festsetzung des Streitwertes bestimmt sich nach §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog.


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