Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots bezogen auf Afghanistan

Aktenzeichen  13a B 20.31087

Datum:
26.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 30351
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Für alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige sind auch angesichts der aktuellen Auskunftslage weiterhin im Allgemeinen nicht die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG gegeben (wie bisherige Rechtsprechung). Das gilt auch für die Volksgruppe der Hazara. (Rn. 17 – 41 und 58)
2. Erkenntnisse für eine relevante Gefährdung durch die Auswirkungen der SARS-CoV-2-Pandemie liegen nicht vor. (Rn. 42 – 48 und 55 – 57)

Verfahrensgang

M 26 K 17.32347 2018-11-13 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 13. November 2018 wird die Klage insgesamt abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Über die Berufung konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten im Hinblick auf die SARS-CoV-2-Pandemie hierauf übereinstimmend verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 125 Abs. 1 VwGO; allg. zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung auch BVerwG, B.v. 8.6.2020 – 1 B 27.20 – juris Rn. 15).
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 128 Satz 1 VwGO).
Nach der im Entscheidungszeitpunkt maßgeblichen Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 AsylG) hat der Kläger keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung, dass in seinem Fall ein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistans gegeben ist (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Dies gilt zunächst mit Blick auf den individuellen Verfolgungsvortrag des Klägers. Seine ursprünglichen Schilderungen, dass seine Brüder in der Armee bzw. als Fahrer bei der Nationalen Polizei gewesen seien und die Taliban ihn und seinen Vater immer bedroht hätten, hat der Kläger schon im Klageverfahren nicht weiterverfolgt, nachdem ihm im gerichtlichen Schreiben vom 7. Februar 2018 mitgeteilt worden war, dass er auch im Fall einer Vorverfolgung auf eine Fluchtalternative verwiesen werden könne. In seiner Berufungserwiderung mit Schriftsätzen vom 8. Juni und 8. Juli 2020 hat sich der Kläger ebenfalls allein auf die allgemeine Situation für Rückkehrer nach Afghanistan gestützt, insbesondere im Hinblick auf die Volksgruppe der Hazara.
Hinsichtlich der somit allein zu prüfenden allgemeinen Gefahren ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats in der Regel nicht davon auszugehen, dass eine Abschiebung nach Afghanistan ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde mit der Folge eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG, und ist auch keine extreme Gefahrenlage anzunehmen, die zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG analog führen würde (vgl. BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004 – juris m.w.N.). An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch unter Berücksichtigung der in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnismittel fest.
1. Zum einen sind im Fall des Klägers die Voraussetzungen aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK hinsichtlich Afghanistans nicht gegeben.
a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685; Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
Eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung kann sich aus einer allgemeinen Situation der Gewalt im Zielstaat ergeben, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 – juris Rn. 25). Auch wenn die Bewertung der allgemeinen Situation der Gewalt im Rahmen des § 60 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK am Maßstab des Konventionsrechts zu messen ist, so kann doch wegen der insoweit bestehenden methodischen Vergleichbarkeit im Rahmen dieser Bewertung auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur erheblichen individuellen Gefahr im Rahmen eines bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) zurückgegriffen werden, soweit sie sich auf die Gefahrendichte bezieht (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris; OVG NW, U.v. 18.6.2019 – 13 A 3930/18 – juris Rn. 91 ff. m.w.N.). Danach bedarf es neben einer quantitativen Ermittlung der Häufigkeit von Akten willkürlicher Gewalt sowie der Zahl der dabei Verletzten und Getöteten in Relation zur Gesamteinwohnerzahl auch einer wertenden Gesamtbetrachtung des statistischen Materials mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen – Todesfälle und Verletzungen – bei der Zivilbevölkerung; ein Schädigungsrisiko von etwa 1:800 ist insoweit weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – NVwZ 2012, 454 = juris Rn. 22 f.).
Soweit – wie in Afghanistan – ein für die Verhältnisse eindeutig maßgeblich verantwortlicher Akteur fehlt, können in ganz außergewöhnlichen Fällen auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse im Zielstaat Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung zwingend sind (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – Asylmagazin 2019, 311 – juris Rn. 12; B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 9: „nur in besonderen Ausnahmefällen“; U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – BVerwGE 147, 8 -juris Rn. 25; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 – juris Rn. 25 unter Bezugnahme auf EGMR, U.v. 28.6.2011 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 – NVwZ 2012, 681 – Rn. 278 ff.; BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004 – juris m.w.N.). Der Gerichtshof der Europäischen Union stellt in seiner neueren Rechtsprechung zu Art. 4 GRCh darauf ab, ob sich die betroffene Person unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 89 ff.; U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 92 ff.).
Für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse im Zielstaat ist keine Extremgefahr wie im Rahmen der verfassungskonformen Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderlich (BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 13). Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen vielmehr ein gewisses „Mindestmaß an Schwere“ erreichen; diese Voraussetzung kann erfüllt sein, wenn der Ausländer nach Würdigung aller Umstände des Einzelfalls im Zielstaat der Abschiebung seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten kann (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 11). Die Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (U.v. 28.6.2011, a.a.O., Rn. 278, 282 f.) als auch des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12) macht letztlich deutlich, dass von einem sehr hohen Gefahrenniveau auszugehen ist; nur dann liegt ein „ganz außergewöhnlicher Fall“ vor, in dem die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind ((vgl. BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004 – juris m.w.N.).
Auch im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen; erforderlich aber auch ausreichend ist daher die tatsächliche Gefahr („real risk“) einer unmenschlichen Behandlung (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – BVerwGE 136, 377 = NVwZ 2011, 51 – juris Rn. 22). Bei der Prüfung einer Verletzung von Art. 3 EMRK ist grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung an dem Ort droht, an dem die Abschiebung endet (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 – juris Rn. 26; (vgl. BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004 – juris m.w.N.).
b) Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze und der aktuellen Erkenntnismittel nimmt der Senat weiterhin nicht an, dass eine Abschiebung nach Afghanistan ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen und deshalb ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegen würde ((vgl. BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004 – juris m.w.N.). Der Senat geht insoweit davon aus, dass ein alleinstehender und arbeitsfähiger Mann regelmäßig auch ohne nennenswertes Vermögen im Fall einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland Afghanistan in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten etwa in seiner Heimatregion oder in Kabul ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten. Trotz großer Schwierigkeiten bestehen grundsätzlich auch für Rückkehrer durchaus Perspektiven im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts, insbesondere Rückkehrer aus dem Westen sind auf dem Arbeitsmarkt allein aufgrund ihrer Sprachkenntnisse in einer vergleichsweise guten Position. Auf ein stützendes Netzwerk in Afghanistan oder einen vorherigen Aufenthalt im Heimatland kommt es hierbei nicht an; ausreichend ist vielmehr, dass eine hinreichende Verständigung in einer der afghanischen Landessprachen möglich ist (siehe zum Ganzen: BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004 – juris m.w.N.).
(aa) Dies gilt zunächst mit Blick auf die Sicherheitslage in Afghanistan.
Unter Bezugnahme auf UNAMA-Angaben führt der aktuelle Lagebericht des Auswärtigen Amts (Lagebericht Afghanistan v. 16.7.2020, S. 17 ff. – Lagebericht 2020) aus, dass 2019 die geringsten Opferzahlen seit 2013 zu verzeichnen seien. In ganz Afghanistan habe es 10.392 zivile Opfer (6.989 Verletzte und 3.403 Tote) gegeben, was einem Minus von 5% im Vergleich zu 2018 entspreche. Einer erhöhten Gefährdung seien diejenigen ausgesetzt, die öffentlich gegen die Taliban Position bezögen, wie zum Beispiel Journalisten und Menschenrechtsverteidiger, oder die in ihrer Lebensweise erkennbar von ihrer islamistischen Ideologie abweichen, wie zum Beispiel Konvertiten, Angehörige sexueller Minderheiten oder berufstätige Frauen (siehe hierzu auch UNAMA, Afghanistan Midyear Report, Protection of Civilians in Armed Conflict: 1 January to 30 June 2020 v. 27.7.2020 – UNAMA Midyear Report 2020 – S. 10: religiöse Führer, Personal im Gesundheitswesen, zivile Aktivisten, Personal von NGO’s, Journalisten). Die Taliban und andere bewaffnete regierungsfeindliche Gruppen agierten seit dem Abzug des Großteils der internationalen Truppen zum Jahreswechsel 2014/15 mit größerer Bewegungsfreiheit. Sie versuchten, den Einfluss in ihren Kernräumen – paschtunisch geprägten ländlichen Gebieten, vornehmlich in den Provinzen Helmand, Kandahar, Uruzgan und zunehmend auch Farah im Westen und Süden sowie Kunduz, Balkh und Faryab im Norden – zu konsolidieren und auszuweiten. Auch wenn aktuelle belastbare Zahlen zur genauen Anzahl der Distrikte nicht vorlägen, sei davon auszugehen, dass die Taliban in zahlreichen Distrikten die alleinige Kontrolle oder trotz fortdauernder Präsenz von staatlichen Sicherheitskräften und Verwaltungsstrukturen zumindest zeitweilig Einfluss ausüben. Es gelinge ihnen immer wieder, teils auch für längere Zeiträume, wichtige Überlandstraßen zu blockieren. Allerdings habe auch die Fähigkeit der afghanischen Streitkräfte zur Durchführung eigenständiger offensiver Operationen zugenommen.
Laut dem UNHCR habe sich die Sicherheitslage in Afghanistan in den letzten Monaten weiter verschlechtert; auch Kabul sei inzwischen hochgefährlich. Die Taliban hätten dramatisch wieder an Boden gewonnen, es gebe Terroranschläge und ständige Menschenrechtsverletzungen (siehe zum Ganzen: UNHCR v. 11.6.2019, UNHCR warnt vor umfassenden Abschiebungen nach Afghanistan). Auch laut einer aktuellen Einschätzung des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl – BFA – bleibe die Sicherheitslage in Afghanistan volatil (BFA, Länderinformationsblatt Afghanistan v. 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 21.7.2020, S. 33 ff.). Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO, Afghanistan Security Situation, 1.6.2019, S. 21) weist in seinem aktuellen Bericht darauf hin, dass sich laut UNAMA im Jahr 2018 die Kämpfe besonders im Osten, Südosten und in einigen südlichen Bereichen Afghanistans intensiviert hätten. Die Taliban hätten die Kontrolle über einige dünn besiedelte Gebiete erlangt und ihre Positionen in Gebieten, in denen es seit Jahren keine Kampfhandlungen gegeben habe, ausgebaut. Human Rights Watch habe festgestellt, dass durch die willkürliche Anwendung von Gewalt seitens der Taliban hunderte von Zivilisten getötet und verletzt worden seien. Auch das Austrian Center for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (ACCORD, Überblick über die Sicherheitslage v. 27.11.2019; Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e-Scharif v. 26.11.2019) dokumentiert diverse Berichte über sicherheitsrelevante Vorfälle sowie staatliche und nicht-staatliche Akteure in den Jahren 2018/19.
Trotz dieser besorgniserregenden Entwicklung ist die für eine Verletzung von Art. 3 EMRK erforderliche Gefahrendichte in Afghanistan jedoch grundsätzlich weiterhin nicht gegeben. Die im UNAMA-Jahresbericht 2019 vom 22. Februar 2020 (UNAMA, Afghanistan Annual Report on Protection of Civilians in Armed Conflict: 2019) ausgewiesenen zivilen Opferzahlen für das Jahr 2019 sind im Vergleich zum Vorjahr 2018 um 5% zurückgegangen und befinden sich auf dem niedrigsten Stand seit 2013. Bei einer Gesamtzahl konfliktbedingter ziviler Opfer im Jahr 2019 von 10.392 (3.403 Todesopfer; 6.989 Verletzte) und einer zugunsten des Klägers konservativ geschätzten Einwohnerzahl Afghanistans von nur etwa 27 Mio. Menschen (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 20; die National Statistics and Information Authority Afghanistan – NSIA – geht für 2019/20 sogar von 32,2 Mio. Einwohnern Afghanistans aus) ergibt sich hieraus ein konfliktbedingtes Schädigungsrisiko von 1:2.598. Auch wenn man die Provinz Kabul zugrunde legt, für die UNAMA im Jahr 2019 die höchste absolute Zahl an zivilen Opfern registriert hat (1.563 zivile Opfer; UNAMA, S. 94), ergibt sich bei einer geschätzten Bevölkerungszahl der Provinz von 5.029.850 Menschen (BFA, S. 46) ein Schädigungsrisiko von 1:3.218. Beide Werte sind jedoch derart weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass auch bei wertender Gesamtbetrachtung nicht von einer in Afghanistan oder Teilen hiervon aufgrund der Sicherheitslage jeder Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit tatsächlich drohenden, Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgegangen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – NVwZ 2012, 454 – juris Rn. 22 f. zu einem Schädigungsrisiko von 1:800). Ein sich in diesem Bereich bewegender Gefahrengrad vermag auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Dunkelziffer bzw. Untererfassung der zivilen Opfer noch nicht die Annahme einer Situation außergewöhnlicher allgemeiner Gewalt zu begründen (vgl. HessVGH, U.v. 27.9.2019 – 7 A 1923/14.A – juris Rn. 117 m.w.N.; NdsOVG, U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris Rn. 63). Aus dem UNAMA Midyear Report 2020 ergibt sich nichts anderes. Hiernach sind die zivilen Opferzahlen mit insgesamt 3.458 Getöteten und Verletzten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sogar um 13% zurückgegangen und haben den niedrigsten Stand für das erste Halbjahr seit 2012 erreicht. Bei einer proportionalen Hochrechnung dieser Opferzahlen für 2020 insgesamt (6.916 zivile Opfer) und einer konservativ geschätzten Einwohnerzahl Afghanistans von nur etwa 27 Mio. Menschen ergibt sich hieraus ein konfliktbedingtes Schädigungsrisiko von 1:3.904.
Dass die UNAMA-Daten zu zivilen Konfliktopfern nicht hinreichend valide bzw. belastbar sein könnten, ist klägerseitig weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, B.v. 25.4.2018 – 2 BvR 2435/17 – NVwZ 2018, 1563 – juris Rn. 35) hat im Hinblick auf die Belastbarkeit und Validität der UNAMA-Daten keine grundlegenden allgemeinen Bedenken erhoben. Im Kontext der gesteigerten Anforderungen an eine offensichtlich unbegründete Klage im Sinn des § 78 Abs. 1 AsylG hat es hierbei lediglich ausgeführt, dass von dritter Seite – etwa vom Schweizerischen Bundesverwaltungsgericht – derartige Bedenken erhoben würden.
Die Vorlagen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg zum Europäischen Gerichtshof zu § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (VGH BW, B.v. 29.11.2019 – A 11 S 2374/19 und A 11 S 2375/19 – juris) führen schließlich ebenfalls zu keiner anderen Bewertung der konfliktbedingten Gefahrendichte in Afghanistan. Die Vorlagebeschlüsse beziehen sich bereits ausdrücklich auf solche Kläger, die aus der Provinz Nangarhar stammen und denen nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg deshalb kein interner Schutz nach § 3e AsylG zur Verfügung steht, weil es sich nicht um „erwachsene leistungsfähige Männer“, sondern um „Personen mit erhöhter Vulnerabilität“ handele; den vorgelegten Fällen lag ein alleinerziehender Witwer sowie ein verheirateter Kläger mit fünf Kindern zugrunde (a.a.O., juris Rn. 5, 13 ff. und 21 ff.). Unabhängig davon ist der Senat der Auffassung, dass selbst dann, wenn man bei der Ermittlung der Gefahrendichte den vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg angedachten Bewertungsmaßstab einer „umfassenden Beurteilung auch anderer gefahrbegründender Umstände“ heranziehen wollte und dabei nicht auf eine (nach dem Verständnis des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in der deutschen Rechtsordnung angenommene) „quantitative Mindestschwelle“ abstellen wollte, gemessen an den vorliegenden Erkenntnismitteln im Ergebnis unverändert davon auszugehen wäre, dass in Afghanistan im Allgemeinen derzeit weiterhin keine hinreichende Gefahrendichte gegeben ist. Denn im Rahmen einer solchen umfassenden Beurteilung aller gefahrbegründenden Umstände würde sich letztlich durchgreifend auswirken, dass sich das konfliktbedingte Schädigungsrisiko deutlich unter 1:800 und damit auf einem nicht hinreichend hohen Niveau befindet. Zudem erschließt sich dem Senat auch nicht, welche entscheidende Relevanz der Lebenssituation der Binnenvertriebenen und Rückkehrer bei der Ermittlung der konfliktbedingten Gefahrendichte zukommen sollte (vgl. zum Ganzen: BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004 – juris m.w.N.). Ungeachtet dessen hält das Bundesverwaltungsgericht an seiner ständigen Rechtsprechung zur erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben im Sinn von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG fest, wonach es zunächst einer annäherungsweise quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos bedarf und auf deren Grundlage einer wertenden Gesamtschau zur individuellen Betroffenheit des Ausländers (U.v. 20.5.2020 – 1 C 11.19 – juris mit Verweis auf U.v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 14 Rn. 24; U.v. 17.2011 – 10 C 13.10 – Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u Asylrecht Nr. 58 Rn. 22 f. und U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – BVerwGE 136, 360 Rn. 33 jeweils zu der wortgleichen Vorgängernorm des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F.). Dieser „quantitative“ Ansatz unterscheide sich allenfalls graduell von der teilweise vertretenen Gegenposition, wonach es einer rein qualitativen Betrachtung bedürfe. Denn er ziele nicht auf einen „Gefahrenwert“ im Sinne einer zwingend zu beachtenden mathematisch-statistischen Mindestschwelle, sondern lasse durch das Erfordernis einer abschließenden Gesamtbetrachtung ausreichend Raum für qualitative Wertungen.
Im Übrigen geht auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte davon aus, dass die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan nicht derart ist, dass jede Überstellung dorthin notwendig Art. 3 EMRK verletzt (vgl. EGMR, U.v. 9.7.2020 – M.H./Finnland, Nr. 42255/18 – Rn. 48 ff.; U.v. 5.11.2019 – A. A./Schweiz, Nr. 32218/17 – NVwZ 2020, 538 Rn. 46; U.v. 11.7.2017 – S.M.A./Netherlands, Nr. 46051/13 – Rn. 53; U.v. 11.7.2017 – Soleimankheel and others/Netherlands, Nr. 41509/12 – Rn. 51; U.v. 11.7.2017 – G.R.S./Netherlands, Nr. 77691/11 – Rn. 39; U.v. 11.7.2017 – E.K./Netherlands, Nr. 72586/11 – Rn. 67; U.v. 11.7.2017 – E.P. and A.R./Netherlands, Nr. 63104/11 – Rn. 80; U.v. 16.5.2017 – M.M./Netherlands, Nr. 15993/09 – Rn. 120; U.v. 12.1.2016 – A.G.R./Niederlande, Nr. 13442/08 – NVwZ 2017, 293 – Rn. 59). Insoweit hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bereits in seinem Urteil vom 9. April 2013 (H. and B./United Kingdom, Nr. 70073/10 – Rn. 92 f.) festgestellt, dass es in Afghanistan keine allgemeine Gewaltsituation gibt, die zur Folge hätte, dass allein wegen der Abschiebung einer Person dorthin tatsächlich die Gefahr von Misshandlungen gegeben sei. In den vorgenannten Urteilen hat er angesichts der ihm mittlerweile vorliegenden Informationen an dieser Einschätzung festgehalten.
(bb) Auch aus der aktuellen humanitären bzw. wirtschaftlichen Lage in Afghanistan ergibt sich grundsätzlich kein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Denn ein ganz außergewöhnlicher Fall, in dem (schlechte) humanitäre Verhältnisse im Zielstaat Art. 3 EMRK verletzen und daher die humanitären Gründe gegen die Ausweisung zwingend sind, ist weiter nicht gegeben.
Dem aktuellen Lagebericht 2020 ist zu entnehmen, dass Afghanistan nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt sei. Auch die Weltbank prognostiziere einen weiteren Anstieg ihrer Rate von 55% aus dem Jahr 2016, da das Wirtschaftswachstum durch die hohen Geburtenraten absorbiert werde. Zusätzlich belaste die Covid-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark. Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte gebe es vielerorts nur unzureichende Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport. Die Grundversorgung sei für große Teile der afghanischen Bevölkerung – insbesondere Rückkehrer – weiterhin eine tägliche Herausforderung. UNOCHA erwarte, dass 2020 bis zu 14 Millionen Menschen (2019: 6,3 Mio. Menschen) auf humanitäre Hilfe (u.a. Unterkunft, Nahrung, sauberes Trinkwasser und medizinische Versorgung) angewiesen sein würden. Die aus Konflikten und chronischer Unterentwicklung resultierenden Folgeerscheinungen, verschärft durch die Dürre 2018, hätten dazu geführt, dass ca. zwei Mio. afghanische Kinder unter fünf Jahren als akut unterernährt gelten würden. Jedoch habe die afghanische Regierung 2017 mit der Umsetzung eines Aktionsplans für Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge begonnen. Seit 2002 habe sich die medizinische Versorgung in Afghanistan stark verbessert, dennoch bleibe sie im regionalen Vergleich zurück. Die Zahlen der Rückkehrer aus dem Iran seien auf einem hohen Stand (2019: 485.000; 2018: 775.000), während ein deutliches Nachlassen an Rückkehrern aus Pakistan zu verzeichnen sei (2019: 19.900; 2018: 46.000). Für Rückkehrer leisteten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Das Fehlen sozialer oder familiärer Netzwerke könne Rückkehrern die Reintegration stark erschweren, da von diesen etwa der Zugang zum Arbeitsmarkt maßgeblich abhänge (siehe zum Ganzen: Lagebericht 2020, S. 22-25).
Laut dem Bericht des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO, Country Guidance: Afghanistan, 1.6.2019, S. 132-135) vom 1. Juni 2019 habe die Dürre im Jahr 2018 mehr als zwei Drittel der afghanischen Bevölkerung betroffen; die Einkommen seien halbiert worden. Laut einem Hungersnotfrühwarnsystem sei die Versorgungslage in Kabul und Mazar-e-Sharif im Dezember 2018 angespannt gewesen. Herat sei in die Kategorie „Krise“ eingestuft worden. Der Hauptfaktor hinsichtlich des Zugangs zu Nahrungsmitteln sei die Fähigkeit einer Person, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten; dies könne bei Vertriebenen besonders schwierig sein. 72% der afghanischen städtischen Bevölkerung lebe in Slums oder unzureichenden Unterkünften. Etwa 70% der Bevölkerung Kabuls lebe in informellen Siedlungen. Die afghanischen Großstädte böten jedoch gerade für Alleinstehende die Option relativ billigen Wohnens in sog. „Teehäusern“. Unter Berufung auf eine Untersuchung der Zentralen Statistikbehörde Afghanistans (Afghanistan Living Conditions Survey – ALCS) wird ausgeführt, der Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Anlagen habe sich bedeutend verbessert. Jedoch bleibe der Zugang zu Trinkwasser für viele Afghanen ein Problem, die sanitären Anlagen seien weiterhin schlecht. Laut dem afghanischen Gesundheitsministerium hätten im April 2018 60% der Bevölkerung Zugang zu medizinischer Versorgung gehabt. Nach ALCS habe 2016/17 die Arbeitslosenquote 23,9% betragen, zu diesem Zeitpunkt hätten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze gelebt. Für Rückkehrer sei das erweiterte familiäre Netzwerk überaus wichtig, um Zugang zu Arbeit und Unterkunft zu erhalten. Selbst mit einem solchen Netzwerk blieben jedoch unbegleitete Minderjährige, alleinstehende Frauen bzw. Haushalte mit Frauen als Haushaltsvorstand besonders vulnerabel. Viele Rückkehrer ohne familiäre Netzwerke würden sich in den Großstädten in der Annahme niederlassen, dass die Sicherheitslage und die Möglichkeiten, den Lebensunterhalt zu bestreiten, dort besser seien. Zum Teil würden nach Afghanistan abgeschobene Personen in der Anfangsphase auch Reintegrationshilfen erhalten. Angesichts der allgemeinen Lage sei es generell – vorbehaltlich individueller Umstände – zwar nicht unzumutbar, sich in den Großstädten Kabul, Herat oder Mazar-e-Sharif niederzulassen. In diesem Zusammenhang sei jedoch der Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk oder finanziellen Mitteln von besonderer Bedeutung.
Ausweislich des Länderinformationsblatts Afghanistan des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 13. November 2019 (BFA, S. 328 ff.) sei Afghanistan nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Die Armutsrate habe sich auf 55% (2016) verschlechtert. Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte gebe es vielerorts nur unzureichende Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport. Die afghanische Wirtschaft sei stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig und stütze sich hauptsächlich auf den informellen Sektor. Schätzungen zufolge seien 1,9 Mio. Afghanen arbeitslos, wobei Frauen und Jugendliche am meisten mit der Krise auf dem Arbeitsmarkt zu kämpfen hätten. Bei der Arbeitsplatzsuche spielten Fähigkeiten, die sich Rückkehrende im Ausland angeeignet haben, sowie persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Bei Arbeitslosigkeit werde lediglich beratende Unterstützung angeboten, zu der auch rückkehrende afghanische Staatsangehörige Zugang hätten. Rund 45% oder 13 Mio. Menschen seien in Afghanistan von anhaltender oder vorübergehender Lebensmittelunsicherheit betroffen. Der Anteil an armen Menschen sei gestiegen. Das im Jahr 2016 ins Leben gerufene Citizens‘ Charter Afghanistan Projekt (CCAP) ziele darauf ab, die Armut zu reduzieren und den Lebensstandard zu verbessern. Rückkehrer hätten zu Beginn meist positive Reintegrationserfahrungen, insbesondere durch die Wiedervereinigung mit der Familie, jedoch sei der Reintegrationsprozess oft durch einen schlechten psychosozialen Zustand charakterisiert. Neben der Familie kämen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basierten auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder beruflichen sowie politischen Netzwerken. Fehlten lokale Netzwerke oder sei der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt, könne dies die Reintegration stark erschweren. Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Rückkehrer erhielten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehrten, und internationalen Organisationen (z.B. IOM, UNHCR) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen. Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrende sähen bei der Reintegration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der „whole of community“ vor. Demnach sollten Unterstützungen nicht nur einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Regierung Afghanistans bemühe sich gemeinsam mit internationalen Unterstützern, Land an Rückkehrende zu vergeben. Mehrere Studien hätten jedoch Probleme bezüglich Korruption und fehlender Transparenz im Vergabeprozess gefunden. IOM biete im Bereich Rückkehr verschiedene Programme zur Unterstützung und Reintegration von Rückkehrern an.
Nach den aktualisierten UNHCR-Richtlinien (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender v. 30.8.2018, S. 36 f., 125 f.) sind die humanitären Indikatoren in Afghanistan auf einem kritisch niedrigen Niveau. Ende 2017 sei bezüglich 3,3 Mio. Afghanen ein akuter Bedarf an humanitärer Hilfe festgestellt worden; nunmehr kämen weitere 8,7 Mio. Afghanen hinzu, die langfristiger humanitärer Hilfe bedürften. Über 1,6 Mio. Kinder litten Berichten zufolge an akuter Mangelernährung, wobei die Kindersterblichkeitsrate mit 70 auf 1.000 Geburten zu den höchsten in der Welt zähle. Ferner habe sich der Anteil der Bevölkerung, die laut Berichten unterhalb der Armutsgrenze lebe, auf 55% (2016/17) erhöht, von zuvor 33,7% (2007/08) bzw. 38,3% (2011/12). 1,9 Mio. Afghanen seien von ernsthafter Nahrungsmittelunsicherheit betroffen. Geschätzte 45% der Bevölkerung hätten keinen Zugang zu Trinkwasser, 4,5 Mio. Menschen hätten keinen Zugang zu medizinischer Grundversorgung. In den nördlichen und westlichen Teilen Afghanistans herrsche die seit Jahrzehnten schlimmste Dürre, weshalb die Landwirtschaft als Folge des kumulativen Effekts jahrelanger geringer Niederschlagsmengen zusammenbreche. 54% der Binnenvertriebenen (Internally Displaced Persons – IDPs) hielten sich in den Provinzhauptstädten Afghanistans auf, was den Druck auf die ohnehin überlasteten Dienstleistungen und Infrastruktur weiter erhöhe und die Konkurrenz um Ressourcen zwischen der Aufnahmegemeinschaft und den Neuankömmlingen verstärke; die bereits an ihre Grenze gelangten Aufnahmekapazitäten der Provinz- und Distriktszentren seien extrem belastet. Dies gelte gerade in der durch Rückkehrer und Flüchtlinge rapide wachsenden Hauptstadt Kabul (Anfang 2016: geschätzt 3 Mio. Einwohner). Flüchtlinge seien zu negativen Bewältigungsstrategien gezwungen wie etwa Kinderarbeit, früher Verheiratung sowie weniger und schlechtere Nahrung. Laut einer Erhebung aus 2016/17 lebten 72,4% der städtischen Bevölkerung Afghanistans in Slums, informellen Siedlungen oder unzulänglichen Wohnverhältnissen. Im Januar 2017 sei berichtet worden, dass 55% der Haushalte in den informellen Siedlungen Kabuls mit ungesicherter Nahrungsmittelversorgung konfrontiert gewesen seien.
Auch laut einem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH, Afghanistan: Gefährdungsprofile – Update, 12.9.2019, S. 20-23) werden Rückkehrer in der Regel de facto zu Binnenvertriebenen, da sie aufgrund der bewaffneten Konflikte und fehlender Netzwerke meist nicht in ihre afghanischen Herkunftsorte zurückkehren könnten. Rückkehrer wie Binnenvertriebene lebten meist in informellen Siedlungen und notdürftigen Unterkünften. Der Zugang zu Grunddienstleistungen sei für die gesamte afghanische Bevölkerung eingeschränkt, Rückkehrer und Binnenvertriebene seien jedoch noch stärker betroffen. So hätten rückkehrende Familien einen nur eingeschränkten Zugang zu Wasser und sanitären Anlagen. Rückkehrer und Binnenvertriebene benötigen meist langfristige Unterstützung, um sich lokal integrieren zu können. Insbesondere alleinstehende Frauen, ältere Menschen, unbegleitete Minderjährige und andere verletzliche Personengruppen seien auf spezielle Unterstützung angewiesen. Der Mangel an Grunddienstleistungen wie Wasser, adäquate sanitäre Einrichtungen, Unterkunft und Lebensmittel beeinträchtige den Gesundheitszustand der Binnenvertriebenen und der Rückkehrer. Die Suche nach Unterkünften gehöre zu den absoluten Prioritäten sowohl der Binnenvertriebenen als auch der Rückkehrer. Durch die Dürre habe sich die Lage zusätzlich zugespitzt. Der Zugang zu Lebensmitteln und Wasser bilde in Kabul (geschätzte Einwohnerzahl: 3,5 – 5,5 Mio. Menschen) eine der größten Herausforderungen. Gemäß einer Studie von Oxfam seien die meisten Rückkehrer bezüglich Unterkunft und Unterstützung von ihren Verwandten abhängig. Die hohe Zahl an Rückkehrer und intern Vertriebenen verstärke die Nachfrage nach Dienstleistungen, sozialer Infrastruktur und beeinträchtige die Aufnahmefähigkeit des Landes.
Auch die aktualisierten UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 gehen letztlich weiterhin (vgl. bereits UNHCR, Richtlinien v. 19.4.2016, S. 99) davon aus, dass alleinstehende leistungsfähige afghanische Männer sowie verheiratete Paare in erwerbsfähigem Alter als Rückkehrer grundsätzlich auch ohne ein Unterstützungsnetzwerk ihren zumutbaren Lebensunterhalt in Afghanistan sicherstellen könnten, soweit im Einzelfall keine besonderen Gefährdungsfaktoren gegeben seien. Diese Personen könnten unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in städtischen und halbstädtischen Gebieten leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Lebensgrundlagen zur Sicherung der Grundversorgung böten und die unter der tatsächlichen Kontrolle des Staates stünden (siehe zum Ganzen: UNHCR, a.a.O., S. 125; vgl. bereits BayVGH, B.v. 20.2.2018 – 13a ZB 17.31970 – juris Rn. 9; vgl. auch OVG NW, U.v. 18.6.2019 – 13 A 3930/18 – juris Rn. 282 ff.; NdsOVG, U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris Rn. 113; VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 422 f.). Zum selben Ergebnis gelangt auch das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen in seinem Bericht vom 1. Juni 2019 (EASO, a.a.O., S. 137).
Soweit der UNHCR in seinen aktualisierten Richtlinien vom 30. August 2018 zu der Auffassung gelangt, dass eine inländische Fluchtalternative in Kabul mit Blick auf Grenzen der Aufnahmekapazität der Stadt und die humanitären Lebensbedingungen in den dortigen sog. informellen Siedlungen generell nicht zur Verfügung stehe (UNHCR, a.a.O., S. 129), so beschränkt sich diese Aussage bereits auf Kabul, ohne jedoch das Vorhandensein hinreichender Lebensbedingungen für Rückkehrer im restlichen Afghanistan – insbesondere den sonstigen Großstädten – in Frage zu stellen. Zudem gilt, dass der Ausschluss Kabuls im Kontext der Zumutbarkeit als inländische Fluchtalternative i.S.v. Art. 8 der RL 2011/95/EU erfolgt ist (vgl. UNHCR, S. 128: „Die Zumutbarkeit von Kabul als interner Schutzalternative“). Hiernach muss beim internen Schutz die Existenzgrundlage jedoch so weit gesichert sein, dass vom Ausländer vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält; dieser Zumutbarkeitsmaßstab bzw. dieses Zumutbarkeitsniveau geht über das Fehlen einer im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK maßgeblichen Sicherung des Existenzminimums hinaus (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 – juris Rn. 20; VGH BW, B.v. 8.8.2018 – A 11 S 1753/18 – juris Rn. 22). Ohnehin beruht die Bewertung des UNHCR auf von ihm selbst angelegten Maßstäben, die sich von den gesetzlichen Anforderungen und der höchstrichterlichen Rechtsprechung unterscheiden können (vgl. BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004 – juris m.w.N.).
Auch die Studie zum Verbleib und zu den Erfahrungen abgeschobener Afghanen von Stahlmann (Asylmagazin 8-9/2019, S. 276 ff.) führt zu keinem anderen Ergebnis. Diese Studie begegnet durchgreifenden Bedenken hinsichtlich der Repräsentativität, des methodischen Vorgehens sowie der Validität, Belastbarkeit und Objektivität der erhobenen Daten. Dies ergibt sich bereits aus dem Beitrag von Stahlmann selbst über die Studie im Asylmagazin, in dem derartige Probleme eingeräumt werden, ohne diese ausräumen zu können. Doch selbst wenn man die in der Studie beschriebenen Fallbeispiele zugrunde legen wollte, ließen diese schon aufgrund ihrer geringen Zahl nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit den Schluss zu, dass jeder Rückkehrer oder auch nur eine weit überwiegende Zahl der vielen Rückkehrer von schwerwiegenden Folgen betroffen wäre. Erst recht erlaubte dies nicht den weiteren Schluss auf die Folge, dass den Betreffenden damit stets auch der Zugang zu sozialen Netzwerken, zu Wohnung und Arbeit sowie jeder Art von Existenzsicherung verwehrt wäre (vgl. zu entsprechenden Angaben von Stahlmann über konkrete Fälle abgeschobener Afghanen als Sachverständige des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg: VGH BW, U.v. 26.6.2019 – A 11 S 2108/18 – juris Rn. 124 ff.; U.v. 12.12.2018 – A 11 S 1923/17 – juris Rn. 207 ff.; U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 19 ff., Rn. 408 ff.).
Zusammenfassend lassen sich aus den aktuellen Erkenntnismitteln zur humanitären Lage in Afghanistan keine für die Beurteilung der Gefahrenlage relevanten Änderungen entnehmen. Der Senat verkennt hierbei nicht, dass die humanitäre Situation in Afghanistan weiterhin sehr besorgniserregend ist. Jedoch liegen keine Erkenntnisse vor, die hinreichend verlässlich den Schluss zuließen, dass jeder alleinstehende, arbeitsfähige männliche Rückkehrer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Afghanistan eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung zu erwarten hätte; die hohen Anforderungen aus Art. 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK sind daher weiterhin nicht erfüllt. Zudem liegen Erkenntnisse dahingehend, dass gerade auch leistungsfähige erwachsene männliche Rückkehrer in Afghanistan in großer Zahl oder sogar typischerweise von Obdachlosigkeit, Hunger, Krankheit betroffen oder infolge solcher Umstände gar verstorben wären, trotz hoher Rückkehrzahlen nicht vor.
cc) Die durch den Senat vorgenommene Bewertung der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan entspricht – soweit ersichtlich – der einhelligen Rechtsprechung der anderen Oberverwaltungsgerichte (OVG Bremen, U.v. 26.6.2020 – 1 LB 57/20 – juris; VGH BW, U.v. 29.11.2019 – A 11 S 2376/19 – juris Rn. 71 ff.; U.v. 29.10.2019 – A 11 S 1203/19 – juris Rn. 33 ff.; U.v. 26.6.2019 – A 11 S 2108/18 – juris Rn. 105 ff.; U.v. 12.12.2018 – A 11 S 1923/17 – juris Rn. 190 ff.; OVG NW, U.v. 18.6.2019 – 13 A 3930/18 – juris Rn. 115 ff. m.w.N.; NdsOVG, U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris Rn. 55 ff). Eine Auseinandersetzung mit einer abweichenden Würdigung verallgemeinerungsfähiger Tatsachen durch andere Oberverwaltungsgerichte (vgl. allg. BVerwG, B.v. 6.7.2012 – 10 B 18.12 – juris Rn. 10) ist daher nicht geboten. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht nach wie vor davon aus, dass eine Rückführung nach Afghanistan angesichts der allgemeinen Lage nicht notwendig zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen würde (vgl. EGMR, U.v. 9.7.2020 – M.H./Finnland, Nr. 42255/18 – Rn. 48 ff.; U.v. 5.11.2019 – A. A./Schweiz, Nr. 32218/17 – NVwZ 2020, 538 Rn. 46; U.v. 11.7.2017 – S.M.A./Netherlands, Nr. 46051/13 – Rn. 53; U.v. 11.7.2017 – Soleimankheel and others/Netherlands, Nr. 41509/12 – Rn. 51; U.v. 11.7.2017 – G.R.S./Netherlands, Nr. 77691/11 – Rn. 39; U.v. 11.7.2017 – E.K./Netherlands, Nr. 72586/11 – Rn. 67; U.v. 11.7.2017 – E.P. and A.R./Netherlands, Nr. 63104/11 – Rn. 80; U.v. 16.5.2017 – M.M./Netherlands, Nr. 15993/09 – Rn. 120; U.v. 12.1.2016 – A.G.R./Niederlande, Nr. 13442/08 – NVwZ 2017, 293 – Rn. 59).
c) An diesem Ergebnis vermögen schließlich auch die Auswirkungen der SARS-CoV-2-Pandemie nichts zu ändern. Nach den zum Verfahren beigezogenen Erkenntnismitteln ist eine Gefährdung im dargelegten Sinn nicht zu erkennen.
ACCORD berichtet, dass in Afghanistan mit 37,6 Millionen Einwohnern 15.451 Personen positiv getestet worden seien (Afghanistan: Covid-19 v. 5.6.2020, S. 1). Davon seien 297 Personen verstorben, darunter 13 Mitarbeiter des Gesundheitswesens. Betroffen seien großteils Personen zwischen 40 und 69 Jahren. Zu der jeweiligen Aktualisierung wird auf die Website der Weltgesundheitsorganisation (World Health Oranisation – WHO) verwiesen. Kabul sei am stärksten betroffen, gefolgt von Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar. Lockdown-Maßnahmen seien getroffen worden, die landesweit zu einer Reihe von Protesten geführt hätten (S. 2 f.). Die Kapazitäten Afghanistans zur Bekämpfung des Coronavirus seien angesichts der schon zuvor nicht angemessenen Gesundheitsdienste eingeschränkt (S. 3 f.). Die Regierung sei auf die Unterstützung der Sicherheitskräfte zur Umsetzung der Lockdown-Maßnahmen und zum Transport grundlegender Güter angewiesen, jedoch könnten sie nicht eingesetzt werden, solange Angriffe von Aufständischen weiter andauern würden (S. 4). Die Bekämpfungsmaßnahmen hätten Auswirkungen auf die Versorgungslage, insbesondere hätten sie die Nahrungsmittelpreise in die Höhe getrieben und es gebe weniger Gelegenheitsarbeit (S. 4 f.). Die Pandemie entwickle sich von einem Gesundheitsnotfall zu einer Nahrungsmittel- und Lebensunterhaltskrise. Allerdings habe sich die Antwort der Taliban verändert und Mitarbeitern des Gesundheitswesens werde in Gebieten unter Taliban-Kontrolle sichere Durchfahrt zugesichert (S. 5 f.), die Taliban hätten selbst Maßnahmen ergriffen und kooperierten mit der afghanischen Regierung. Rückkehrer würden mit fehlenden Übernachtungsmöglichkeiten konfrontiert, Hotels und Teehäuser seien geschlossen (S. 7).
Das BFA (Kurzinformation der Staatendokumentation, COVID-19 Afghanistan, Stand 21.7.2020) geht davon aus, dass aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters wahrscheinlich insgesamt zu wenige Fälle gemeldet würden (S. 1 f.). Verschärft werde die Situation durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es bestehe nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung. Zwar behinderten die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin die Bewegung der humanitären Helfer, doch habe sich die Situation deutlich verbessert (S. 2). Mit Unterstützung der Weltbank lege die Regierung Programme auf, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen (S. 3). Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte seien geschlossen. Aufgrund der unzureichenden Kapazität der öffentlichen Krankenhäuser sei auch privaten Krankenhäusern die Behandlung gestattet worden. Insbesondere Kabul sehe sich aufgrund von Regenmangels, einer boomenden Bevölkerung und verschwenderischen Wasserverbrauchs mit Wasserknappheit und Ernährungsunsicherheit konfrontiert. Humanitäre Helfer seien weiterhin besorgt über die Auswirkungen auf die am stärksten gefährdeten Menschen, die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen seien (S. 4).
Stahlmann (Risiken der Verbreitung von SARS-CoV-2 und schweren Erkrankung an COVID-19 in Afghanistan, besondere Lage Abgeschobener v. 27.3.2020) prognostizierte im März 2020, dass eine unkontrollierte Verbreitung des Virus nicht vermeidbar zu sein scheine. Es drohe eine humanitäre Not: mit medizinischer Versorgung könne nicht gerechnet werden und angesichts der bestehenden Lebensbedingungen hätten auch junge Erwachsene mit einem schweren Verlauf der Krankheit zu rechnen. Es komme zu einer Stigmatisierung von Rückkehrern, die primär für die Gefahr durch Corona verantwortlich gemacht würden (S. 2). Von den wenigen Versuchen, Angehörige unter Quarantäne zu stellen, werde berichtet, dass die Betroffenen auch deshalb versuchten, zu fliehen, weil sie nicht mit Essen versorgt würden. Die große Mehrheit der armen Bevölkerung habe schon aufgrund des Platzmangels keine Chance zur Selbstisolation (S. 3). Da die akute Nahrungsmittelversorgung nicht gewährleistet werden könne, ohne arbeiten zu gehen, könnten es sich die Betroffenen nicht leisten, zu Hause zu bleiben. Eine realistische Chance auf medizinische Versorgung bestehe nicht (S. 4). Zudem weise ein Gutteil der erwachsenen Bevölkerung, die schon im Normalfall aus finanziellen Gründen keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung habe, Vorerkrankungen auf (S. 6). Die Enge der Unterkünfte und der Mangel an sauberem Trinkwasser führten grundsätzlich dazu, dass sich Krankheiten schneller verbreiteten. Aufgrund der dramatisch schlechten Luftqualität in den Städten seien Atemwegserkrankungen schon generell sehr häufig. Diese Meinung werde vom Direktor des Antoni-Krankenhauses in Kabul nicht geteilt (S. 5).
Diesen Berichten lässt sich nicht entnehmen, dass im Fall des Klägers mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Afghanistan eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung zu erwarten wäre.
Zwar mag es zutreffend sein, dass sich die Lage für Gelegenheitsarbeiter verschärft habe, jedoch enthalten die vorhandenen Erkenntnismittel hierzu keine belastbaren – über etwaige Einzelfälle hinausgehenden – Aussagen. Soweit insbesondere von Stahlmann diverse Befürchtungen geäußert werden, ist darauf hinzuweisen, dass diese Äußerungen auf dem (nicht mehr aktuellen) Blickwinkel im März 2020 und persönlichen Erfahrungen beruhen, ohne dass hierzu verlässliche Daten zugrunde gelegen wären bzw. zum damaligen Zeitpunkt schon hätten zugrunde liegen können. Dass die Einschätzung von Stahlmann, eine Reihe von Gründen sorge absehbar für eine unkontrollierte Verbreitung von SARS-CoV-2 in der afghanischen Bevölkerung (S. 1), sich nicht bewahrheitet hat, zeigt sich an den aktuellen Daten der WHO, auf die auch von ACCORD verwiesen wird: Danach sind bislang bei 40.626 bestätigten Fällen 1.505 Tote zu verzeichnen (https://covid19.who.int/region/emro/country/af, Stand 23.10.2020), langsam ansteigend ab März 2020 mit einem Höhepunkt im Mai/Juni 2020 (im Vergleich Deutschland, stärker betroffen gekennzeichnet: 403.291 bestätigte Fälle, insbes. März/April 2020 mit 9.954 Toten – https://covid19.who.int/region/euro/country/de, Stand 23.10.2020). Größeres Gewicht ist diesen Daten auch noch deshalb beizumessen, weil sich nach der Beobachtung von Stahlmann das öffentliche Leben bis zu ihrer Abreise am 17. März 2020 trotz zunehmend dramatischer internationaler Nachrichten über die Tödlichkeit des Virus nicht spürbar verändert habe (S. 3). Zudem stellen die Einschätzungen von Stahlmann lediglich eine subjektive Prognose dar. Insbesondere weist sie in ihrer Stellungnahme schon selbst darauf hin, dass ihre Meinung vom Direktor des Antoni-Krankenhauses in Kabul nicht geteilt werde (S. 5). Unabhängig davon ist das weltweite Pandemiegeschehen gegenwärtig von großer Dynamik gekennzeichnet und deshalb nicht ersichtlich, dass über eine bloße Momentaufnahme hinaus eine verlässliche Einschätzung seiner mittelfristigen Auswirkungen auf die Lebensbedingungen in einzelnen Ländern überhaupt möglich wäre (vgl. BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004 – juris; BayVGH, B.v. 16.6.2020 – 9 ZB 20.31250 – juris Rn. 4 mit Verweis auf VGH BW, B.v. 8.5.2020 – A 4 S 1082/20 – juris Rn. 5; OVG NW, B.v. 21.9.2020 – 2 A 2255/20.A – juris Rn. 12). Aktuelle Entwicklungen, die einer Abschiebung entgegenstehen, wären im Übrigen im Rahmen der Abschiebung von der Ausländerbehörde zu berücksichtigen (vgl. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG) bzw. wäre ihnen mit einem Folgeantrag zu begegnen.
Eine Bewertung durch andere Oberverwaltungsgerichte, ob und inwieweit sich dieSARS-CoV-2-Pandemie auf die humanitäre Situation auswirkt, steht bislang – soweit ersichtlich – noch aus. Auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (B.v. 9.7.2020 – A 11 S 1196/20 – juris) hat zunächst lediglich die Berufung zur Klärung der Frage zugelassen, ob sich die tatsächlichen Verhältnisse in Kabul infolge der weltweiten Corona-Pandemie derart verschlechtert hätten, dass leistungsfähige erwachsene Männer nicht in der Lage seien, ihr Existenzminimum zu erwirtschaften.
d) Im Einzelfall des Klägers sind auch keine besonderen individuellen Umstände gegeben, die ausnahmsweise zum Vorliegen der Voraussetzungen aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK hinsichtlich Afghanistans führen.
Soweit es die Sicherheitslage in Afghanistan angeht, so gilt, dass in der Person des Klägers keine individuellen gefahrerhöhenden Umstände gegeben sind. Ein individueller gefahrerhöhender Umstand ergibt sich insbesondere nicht aus der bloßen Zugehörigkeit des Klägers zur Volksgruppe der Hazara. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, dass Hazara in Afghanistan zwar noch einer gewissen Diskriminierung unterliegen, derzeit und in überschaubarer Zukunft aber weder einer an ihre Volks- oder Religionszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten politischen oder religiösen Verfolgung noch einer erheblichen Gefahrendichte im Sinn von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt sind (BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004 – juris; vgl bereits U.v. 3.7.2012 – Az. 13a B 11.30064 – juris unter Zugrundelegung von ca. 3.800 Opfern [= 50% der Gesamtzahl der Opfer im Jahr 2011 mit 3.021 Toten und 4.507 Verletzten] Wahrscheinlichkeit von 0,13%; siehe auch OVG Bremen, U.v. 26.6.2020 – 1 LB 57/20 – juris; VGH BW, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris Rn. 233 ff.). Auch die aktuell vorliegenden Gutachten und Berichte enthalten keine entsprechenden Hinweise. Nach dem Lagebericht 2020 (S. 8) hat sich die Lage für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara grundsätzlich verbessert, auch wenn soziale Diskriminierung und Ausgrenzung im Alltag fortbesteht und nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert werden kann. Hazara bekleideten inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, seien allerdings in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert. Sie würden regelmäßig Opfer von Anschlägen des ISKP. Allerdings ist hier ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen. Während UNAMA dem ISKP im Jahr 2018 landesweit 2.181 zivile Opfer (681 Tote und 1.500 Verletzte) zuschrieb, wies der Bericht 2019 (UNAMA, Annual Report 2019, S. 11) mit 1.223 Opfern (309 Tote und 914 Verletzte) einen Rückgang um 44% aus. Gesunken ist ferner die Häufigkeit von Angriffen auf religiöse Stätten und Religionsführer. Im Annual Report 2018 (S. 28) dokumentiert UNAMA 22 Vorfälle mit 453 Opfern (156 Tote, 297 Verletzte). Dem Annual Report 2019 (S. 46) zufolge gab es im Jahr 2019 mit 236 Opfern (80 Tote und 156 Verletzte) bei 20 Vorfällen einen Rückgang um 48%. Gleiches gilt für religiös motivierte Anschläge gegen schiitisch-muslimische Zivilpersonen, von denen die meisten zu den Hazara zählen (Lagebericht 2019, S. 21; Lagebericht 2020, S. 8). Im Jahr 2018 (Annual Report 2018, S. 29) wurden dem ISKP von insgesamt 747 Geschädigten (223 Tote, 524 Verletzte; Annual Report 2019: 117 Tote, 368 Verletzte) 711 Geschädigte zugerechnet (212 Tote, 499 Verletzte; Annual Report 2019: 112 Tote und 361 Verletzte). Das entspricht einem Minus von 35%. Der UNAMA Midyear Report 2020 (S. 4) spricht von einem signifikanten Rückgang der Anschläge von ISKP. Dies drückt sich auch in den Gesamtzahlen aus, die im Jahr 2019 die geringsten Opferzahlen seit 2013 aufweisen (Lagebericht 2020, S. 17) bzw. nach dem UNAMA Midyear Report 2020 (S. 3) im ersten Halbjahr 2020 den niedrigsten Stand seit 2012. Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (U.v. 9.7.2020 – M.H./Finnland, Nr. 42255/18 – Rn. 52) ist die spezifische Situation der Hazara nicht derart, dass eine Abschiebung Art. 3 EMRK verletzen würde.
Auch wenn man auf die Gefährdung von Zivilpersonen in der Heimatprovinz des Klägers Ghazni abstellt, in der etwas weniger als die Hälfte der Bevölkerung Hazara sind (BFA, S. 93), ergibt sich nichts anderes. Bei einer geschätzten Bevölkerungszahl der Provinz von 1.338.597 Menschen (BFA, S. 93) beträgt das Schädigungsrisiko 1:1.989. Dieser Wert ist ebenfalls derart weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass auch bei wertender Gesamtbetrachtung nicht von einer jeder Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit tatsächlich drohenden, Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgegangen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – NVwZ 2012, 454 – juris Rn. 22 f. zu einem Schädigungsrisiko von 1:800). An diesem Ergebnis änderte sich auch dann nichts, wenn man fiktiv nur den Bevölkerungsanteil der Hazara von ca. 50% der Gesamtbevölkerung zugrunde legen würde. Zudem sind nach dem UNAMA Midyear Report 2020 Zivilpersonen nicht am stärksten betroffen in Ghazni, sondern in den Provinzen Balkh und Kabul, gefolgt von Nangarhar, Faryab und Kunduz.
Soweit es die humanitäre bzw. wirtschaftliche Lage in Afghanistan betrifft, wäre der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan in der Lage, für sich als Einzelperson das Existenzminimum zu bestreiten. Der 22-jährige Kläger ist gesund, erwerbsfähig und spricht eine der afghanischen Landessprachen (Dari). Er hat zwar keinen Beruf erlernt, aber die Schule neun Jahre besucht (Anhörungsprotokoll, VA S. 36). In Deutschland hat er in einer Vorklasse zum Berufsintegrationsjahr die Berufsschule besucht (VA S. 43). Damit hebt sich der Kläger allein schon durch seine Schulbildung von vielen Rückkehrern ab.
2. Die Voraussetzungen aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen im Fall des Klägers hinsichtlich Afghanistans ebenfalls nicht vor.
Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Ausnahmsweise kann hier Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beansprucht werden, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Der erforderliche hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Dies bedeutet nicht, dass im Fall der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 23.10 – NVwZ 2012, 244 – juris Rn. 21 f.; B.v. 14.11.2007 – 10 B 47.07 u.a. – juris Rn. 3).
a) Eine Gefahr im dargelegten Sinn ergibt sich zunächst nicht hinsichtlich der Auswirkungen der SARS-CoV-2-Pandemie.
Da der Kläger ersichtlich nicht erkrankt ist bzw. keine relevanten Vorerkrankungen aufweist, liegt bei ihm derzeit keine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG vor.
Die Gefahr, nach Rückkehr in Afghanistan zu erkranken, stellt eine allgemeine Gefahr dar, bei der nach obigen Darlegungen nur Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beansprucht werden kann, wenn der Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Insoweit lassen die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel jedoch keine signifikant höhere Gefahr als weltweit erkennen. Selbst im Fall einer Erkrankung des Klägers nach Rückkehr sowie der Annahme, dass die Gesundheitsversorgung in Afghanistan nicht dem deutschen oder europäischen Standard entsprechen und möglicherweise eine entsprechende Versorgung nicht gewährleistet sein sollte, lässt sich den Erkenntnismitteln allerdings kaum eine höhere Gefahr als etwa in Deutschland entnehmen. Nach den bereits zitierten Daten der WHO sind in Afghanistan bei 40.626 bestätigten Fällen 1.505 Tote zu verzeichnen (https://covid19.who.int/region/emro/country/af, Stand 23.10.2020), im Vergleich dazu in Deutschland bei 403.291 bestätigten Fällen 9.954 Tote (https://covid19.who.int/region/euro/country/de, Stand 23.10.2020). Das entspricht einer Sterblichkeitsquote von ca. 3,7% bzw. 2,5%, die somit keinen gravierenden Unterschied aufweist. Soweit sich Stahlmann auf die Aussage von zwei von ihr befragten Ärzten des Afghan-Japan-Krankenhauses beruft, die die hohe Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs auch unter sonst gesunden Erwachsenen betont hätten, wird deren Einschätzung damit begründet, dass die meisten jungen erwachsenen Afghanen aufgrund von langjähriger Mangelernährung ein geschwächtes Immunsystem hätten (Risiken der Verbreitung von SARS-CoV-2 und schweren Erkrankung an COVID-19 in Afghanistan, besondere Lage Abgeschobener v. 27.3.2020, S. 5). Dies trifft jedoch auf Rückkehrer aus Europa – wie den Kläger – nicht zu. Im Übrigen weist Stahlmann selbst auf die Einschätzung des medizinischen Direktors des Antoni-Krankenhauses hin, der Corona nicht als gravierendes Problem einstufe (S. 5). Insgesamt ist damit nicht von einer Gefahr, dass es zu einem schwerwiegenden (tödlichen) Verlauf käme, auszugehen. Lediglich in besonderen Ausnahmefällen mag die Gefährdung anders zu sehen sein (etwa bei älteren Personen oder bei Personen mit relevanten Vorerkrankungen).
b) Auch im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die einen Ausländer im Zielstaat erwarten – insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage – sind die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in analoger Anwendung nicht gegeben. Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze und der aktuellen Erkenntnismittel liegen im Fall des Klägers die Voraussetzungen aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auch hinsichtlich der humanitären (allgemeinen) Lage nicht vor. Insoweit wird auf die Ausführungen zu § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK verwiesen. Insbesondere sind hinsichtlich allgemeiner Gefahren im Zielstaat die Anforderungen in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (eine mit hoher Wahrscheinlichkeit drohende Extremgefahr) höher als jene in § 60 Abs. 5 AufenthG (BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 13), so dass im Lichte des Nichtvorliegens eines Abschiebungsverbots aus Art. 60 Abs. 5 AufenthG erst recht die Voraussetzungen aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung nicht gegeben sind (vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 453).
3. Gegen das Vorliegen der Voraussetzungen für die Abschiebungsandrohung unter Nr. 5 des streitgegenständlichen Bescheids und die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots in Nr. 6 des Bescheids vom 31. Januar 2017 bestehen keine Bedenken; insoweit erhebt der Kläger auch keine Einwendungen.
4. Die Klage war deshalb mit der Kostenfolge in § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO sind nicht gegeben.


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