Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Fristverlängerung – Antrag nicht rechtzeitig gestellt

Aktenzeichen  Au 8 K 18.1839

Datum:
21.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 11755
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayHSchG ARt. 61 Abs. 3 S. 2 Nr. 4, Art. 63 Abs. 1 S. 1
POMALehramt § 4 Abs. 1 Nr. 1, § 15 Abs. 3, § 18 Abs. 3, § 24 Abs. 3, § 25

 

Leitsatz

1 Ein Anspruch auf Anerkennung einer an derselben Hochschule erbrachten gleichwertigen Prüfungsleistung ergibt sich unmittelabr aus dem Grundrecht der Berufsfreiheit. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2 Artikel 61 Absatz 3 Nummer 4 BayHSchG verlangt, dass die Prüfungsordnung das Verfahren zur Anrechnung von Prüfungsleistungen, insbesondere in welcher Frist die Anrechnung beantragt werden muss, regelt (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 1. Juni 2018 und des Widerspruchsbescheids vom 27. September 2018 wird die Beklagte verpflichtet, die im Lehramtsstudiengang für das Lehramt an Realschulen erbrachten 30 Leistungspunkte für den Pflichtbereich A im Masterstudiengang „Master of Education“ anzurechnen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässig erhobene Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 1. Juni 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2018 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Anrechnung ihrer im Lehramtsstudiengang für das Lehramt an Realschulen erbrachten 30 Leistungspunkte für den „Pflichtbereich A“ im Masterstudiengang „Master of Education“ (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Die Klageänderung ist zulässig. Der Übergang zur Verpflichtungsklage stellt sich als objektive Klageänderung i.S.d. § 91 Abs. 1 VwGO dar, da hiermit eine Ausweitung des sachlichen Streitstoffs und eine Änderung des Klagegrundes verbunden ist (Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 91 Rn. 15). Eine Klageänderung ist als sachdienlich anzusehen, wenn sie der endgültigen Ausräumung des sachlichen Streits zwischen den Parteien im laufenden Verfahren dient (Rennert in Eyermann, VwGO, § 91 Rn. 31). Nach dem Vortrag der Beklagten findet eine Prüfung der materiellen Voraussetzungen der beantragten Anrechnung durch den Prüfungsausschuss nicht statt. Da die Klägerin bei Vorliegen der formellen Voraussetzungen somit einen Anspruch auf Anrechnung hat, ist die Klageänderung hin zur Verpflichtungsklage sachdienlich. Im Übrigen ist die Einwilligung der Beklagten anzunehmen, da sie sich in der mündlichen Verhandlung auf die geänderte Klage eingelassen hat, ohne ihr zu widersprechen, § 91 Abs. 1 Abs. 2 VwGO.
2. Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Anrechnung von Prüfungsleistungen aus ihrem abgeschlossenen Lehramtsstudiengang für den Masterstudiengang „Master of Education“. Da mit der Anrechnung der Abschluss des Masterstudiengangs verbunden ist, ist die Feststellung des endgültigen Nichtbestehens rechtswidrig.
a) Die landesgesetzliche Rechtsgrundlage für die Anrechnung von Kompetenzen, wie von der Klägerin begehrt, findet sich in Art. 63 Abs. 1 Satz 1 des Bayerischen Hochschulgesetzes (BayHSchG). Danach sind Studienzeiten, Studien- und Prüfungsleistungen, die in Studiengängen an anderen staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland, durch die erfolgreiche Teilnahme an einer Fernstudieneinheit im Rahmen eines Studiengangs an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule in der Bundesrepublik Deutschland oder in Studiengängen an ausländischen Hochschulen erbracht worden sind, anlässlich der Fortsetzung des Studiums, der Ablegung von Prüfungen, der Aufnahme eines weiteren Studiums oder der Zulassung zur Promotion anzurechnen, außer es bestehen wesentliche Unterschiede hinsichtlich der erworbenen Kompetenzen (Lernergebnisse).
Nach Art. 61 Abs. 3 Satz 1 BayHSchG regelt die jeweilige Prüfungsordnung die Prüfungsanforderungen und das Prüfungsverfahren. Sie muss gemäß Art. 61 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 BayHSchG insbesondere das Verfahren zur Anrechnung von Kompetenzen nach Maßgabe des Art. 63 BayHSchG auf die nach der Prüfungsordnung nachzuweisenden Kompetenzen sowie für außerhalb des Hochschulbereichs erworbene Kompetenzen auch den Umfang der anrechenbaren Kompetenzen regeln.
Konkretisiert wird dies auf Hochschulebene durch § 15 Abs. 1 der Prüfungsordnung für den Lehramtsbezogenen Masterstudiengang der Universität … vom 5. Dezember 2012, zuletzt geändert durch Satzung vom 15. Februar 2017, (im Folgenden: POMALehramt), der die Regelung des Art. 63 Abs. 1 BayHSchG im Wesentlichen wiederholt. Gemäß § 15 Abs. 3 Satz 1 POMALehramt setzt die Anrechnung einen Antrag der Studierenden an den Prüfungsausschuss voraus. Im Antrag müssen die zur Anrechnung gestellten Studienzeiten, Studienleistungen oder Prüfungsleistungen bzw. die außerhochschulisch erworbenen Kompetenzen hinreichend beschrieben werden, um die erworbene Kompetenz beurteilen zu können (§ 15 Abs. 3 Satz 2 POMALehramt). Weiter sind Nachweise über deren Erwerb oder ihre Ablegung vorzulegen (§ 15 Abs. 3 Satz 3 POMALehramt). Der Antrag ist dabei unzulässig, nachdem das Bestehen oder endgültige Nichtbestehen der korrespondierenden Studienleistung oder Prüfungsleistung festgestellt ist (§ 15 Abs. 3 Satz 4 POMALehramt).
Eine weitere Konkretisierung findet sich in § 4 Abs. 1 Nr. 1 der Allgemeinen Prüfungsordnung der Universität … in Fassung vom 10. April 2006 (APrüfO). Danach werden einschlägige Studiensemester an wissenschaftlichen Hochschulen im Geltungsbereich des Grundgesetzes und dabei erbrachte Studienleistungen, soweit sie nachgewiesen werden und sofern Gleichwertigkeit besteht, angerechnet.
b) Die Klägerin erfüllt die formellen und materiellen Voraussetzungen der Rechtsgrundlage.
aa) Zunächst ist festzustellen, dass Art. 63 Abs. 1 BayHSchG und § 15 Abs. 1 POMALehramt zur Anwendung kommen, obwohl die Klägerin die zur Anrechnung gestellten Prüfungsleistungen an derselben Hochschule abgelegt hat. Sowohl in Art. 63 Abs. 1 BayHSchG als auch in § 15 Abs. 1 POMALehramt ist nur die Anrechnung einer Prüfungsleistung, die in einem Studiengang an einer anderen Hochschule erbracht worden ist, geregelt. Ein Anspruch auf Anerkennung einer an derselben Hochschule erbrachten gleichwertigen Prüfungsleistung ergibt sich jedoch schon aus dem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG). Ein Prüfling muss eine Prüfung nicht noch einmal ablegen, wenn er die in dieser Prüfung abgeforderten Kenntnisse und Kompetenzen bereits nachgewiesen hat (Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 743). Ob dieser Nachweis an einer anderen Hochschule erbracht wurde oder an derselben Hochschule in einem anderen Studiengang, kann keinen Unterschied machen. Die Klägerin von vornherein deshalb von der Anrechnung von Prüfungsleistungen auszuschließen, weil sie diese an derselben Hochschule erbracht hat, würde eine nicht zu rechtfertigende Berufszugangsbeschränkung darstellen. Es ist davon auszugehen, dass einer Hochschule die Durchführung eines Anrechnungsverfahrens für eine Prüfungsleistung, die bei ihr selbst erbracht wurde, unter erleichterten Bedingungen möglich ist. Sachliche Gründe, die gegen eine Anrechnung von an derselben Hochschule erbrachten Prüfungsleistungen sprächen, sind nicht ersichtlich.
Nichts anderes ergibt sich auch unter Berücksichtigung des über § 1 Abs. 2 POMALehramt anwendbaren § 4 Abs. 1 Nr. 1 APrüfO, der an die Erbringung von Studienleistungen an wissenschaftlichen Hochschulen im Geltungsbereich des Grundgesetzes anknüpft. Die Beklagte ist als Universität wissenschaftliche Hochschule i.S.d. Art. 5 Abs. 3 GG (Scholz in Maunz/Dürig/Scholz, GG, 85. EL November 2018, Art. 5 Abs. 3 Rn. 131). Eine Anrechnung der bei der Beklagten im Studiengang für das Lehramt an Realschulen mit den Unterrichtsfächern Englisch und Kunst erbrachten Leistungen für den „Pflichtbereich A“ des lehramtsbezogenen Masterstudiengangs „Master of Education“ kommt daher grundsätzlich auch nach dieser Vorschrift in Betracht.
bb) Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Anrechnungsantrag der Klägerin nicht verfristet. Die Auffassung, die Anrechnung von Prüfungsleistungen müsse innerhalb der Höchststudiendauer des § 24 Abs. 3 POMALehramt beantragt werden, findet keine Grundlage im Gesetz.
I. Art. 61 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 BayHSchG verlangt, dass die Prüfungsordnung das Verfahren zur Anrechnung von Prüfungsleistungen regelt. Eine Vorschrift über die Anrechnung von Prüfungsleistungen enthält vorliegend nur § 15 POMALehramt. Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 POMALehramt erfolgt die Anrechnung auf Antrag des Studierenden an den Prüfungsausschuss. Im Antrag müssen die zur Anrechnung gestellten Studienzeiten, Studienleistungen oder Prüfungsleistungen bzw. die außerhochschulisch erworbenen Kompetenzen hinreichend beschrieben, sowie Nachweise über deren Erwerb oder ihre Ablegung vorgelegt werden (§ 15 Abs. 3 Satz 2 und 3 POMALehramt). Darüber hinaus enthält § 15 POMA-Lehramt keine verfahrensrechtlichen Vorschriften über das Anrechnungsverfahren. Insbesondere ist nicht ausdrücklich geregelt, in welcher Frist die Anrechnung beantragt werden muss.
II. Dass der Antrag auf Anrechnung zulässig nur innerhalb der Höchststudiendauer desjenigen Studiengangs gestellt werden kann, in dem die Prüfungsleistung angerechnet werden soll, ergibt sich auch nicht aus § 24 Abs. 3 POMALehramt. Danach ist die Masterprüfung endgültig nicht bestanden, wenn innerhalb von insgesamt sechs Fachsemestern die geforderten 120 Leistungspunkte und die hierfür erforderlichen studienbegleitenden Modulprüfungen nicht erfolgreich erbracht wurden. Ob die erforderlichen Leistungspunkte von der Klägerin im lehramtsbezogenen Masterstudiengang „Master of Education“ erbracht wurden, hängt vom Erfolg der beantragten Anrechnung ab. Eine Regelung zu den Voraussetzungen der Anrechnung einer in einem anderen Studiengang erbachten Prüfungsleistung trifft § 24 Abs. 3 POMALehramt jedoch nicht, vielmehr sind diese nur in § 15 POMALehramt enthalten. Im Unterschied zu der in der von der Beklagten für ihre Auffassung herangezogene Prüfungsordnung, die der Entscheidung des Verwaltungsgerichts München (VG München, B.v. 5.2.2014 – M 3 E 13.5437 – juris Rn. 49) zugrunde liegt, enthält § 15 POMALehramt wie bereits dargestellt (s.o. zu i.) keine Regelung, in welcher Frist die Anrechnung beantragt werden muss. Die im Fall des Verwaltungsgerichts München maßgebliche Prüfungsordnung normiert demgegenüber ausdrücklich, in welcher Frist die für die Anrechnung erforderlichen Unterlagen vorzulegen sind. Die Anrechnung durfte von der Beklagten somit vorliegend nicht deshalb versagt werden, weil der Antrag auf Anrechnung erst nach Ablauf der Höchststudiendauer gestellt wurde.
Anzumerken ist des Weiteren, dass selbst bei Antragstellung innerhalb der Höchststudiendauer nicht gewährleistet ist, dass innerhalb dieser Höchststudiendauer auch über die Gleichwertigkeit hinsichtlich der erworbenen Kompetenzen entschieden ist. Die Beklagte ist unter Verweis auf § 11 POMALehramt der Ansicht, dass Leistungspunkte erst mit Bekanntgabe der Anrechnungsentscheidung erbracht sind. Dies würde jedoch dazu führen, dass ein – nach Auffassung der Beklagten fristgerechter – Antrag in der letzten Sekunde der Höchststudiendauer keinen Erfolg brächte. Eine Anrechnungsentscheidung wird zu diesem Zeitpunkt noch nicht ergangen bzw. bekanntgegeben sein. Den Anrechnungsantrag so frühzeitig zu stellen, dass darüber innerhalb der Frist des § 24 Abs. 3 POMALehramt entschieden werden könnte, kann dem Studierenden demgegenüber nicht zugemutet werden. Wie viel Zeit die Anrechnungsentscheidung in Anspruch nimmt, entzieht sich im Regelfall der Kenntnis des Studierenden. Ihm das nicht beeinflussbare Risiko einer über den Ablauf der Höchststudiendauer hinausgehenden Entscheidungsdauer und eines damit verbundenen Ausschlusses der Anrechnungsmöglichkeit aufzuerlegen, ist nicht hinnehmbar.
III. Dass die Anrechnung der im Studiengang für das Lehramt an Realschulen erbrachten Prüfungsleistungen noch nach Ablauf der Höchststudiendauer beantragt werden konnte, verstößt im vorliegenden Fall auch nicht gegen den Grundsatz der Chancengleichheit. Wird die Anrechnung von Prüfungsleistungen beantragt, die bereits vor Aufnahme des Studiengangs, in dem sie angerechnet werden sollen, abgelegt wurden, bedeutet dies immer eine Verlängerung der Höchststudiendauer. Wer sich solche Prüfungsleistungen anrechnen lassen kann, muss innerhalb der Höchststudiendauer zwangsläufig nur noch die fehlenden Leistungen erbringen. Soweit eine zeitliche Begrenzung von Anrechnungsmöglichkeiten den Zweck verfolgt, eine Verlängerung der Höchststudiendauer durch Anrechnung von nach ihrem Ablauf in anderen Studiengängen abgelegten Prüfungen zu verhindern, ist dieser vorliegend nicht berührt. Die Klägerin hat die Prüfungsleistungen, deren Anrechnung sie beantragt, in dem zuvor abgeschlossenen Studiengang für das Lehramt an Realschulen und damit weit vor Ablauf der Höchststudiendauer des lehramtsbezogenen Masterstudiengangs „Master of Education“ erbracht.
IV. Auch aus § 4 Abs. 1 Nr. 1 APrüfO ergibt sich keine Fristenregelung zur Antragstellung. Im Gegensatz zu § 15 POMALehramt enthält dieser überhaupt keine Regelungen über das Anrechnungsverfahren.
cc) Da eine Entscheidung des Prüfungsausschusses über die materielle Frage der Gleichwertigkeit der im Lehramtsstudiengang erbrachten Studienleistungen nach Aussage der Beklagten nicht mehr notwendig ist, hat die Klägerin einen Anspruch auf Vornahme der beantragten Anrechnung.
c) Mit Anrechnung der 30 Leistungspunkte für den „Pflichtbereich A“ hat die Klägerin alle für das Bestehen der Masterprüfung erforderlichen 120 Leistungspunkte erbracht (§ 25 POMALehramt i.V.m. § 18 Abs. 3 POMALehramt). Der Bescheid der Beklagten vom 1. Juni 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2018 über das endgültige Nichtbestehen des Masterstudiengangs „Master of Education“ ist damit rechtswidrig.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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