Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach Wegzug des Kindes nach Spanien

Aktenzeichen  10 CS 20.2031

Datum:
23.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 26732
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, § 25 Abs. 4 S. 2, § 54 Abs. 2 Nr. 9, § 95 Abs. 2 Nr. 2
AEUV Art. 20

 

Leitsatz

Bei der Prüfung, ob eine außergewöhnliche Härte im Sinne des § 25 Abs. 4 S. 2 AufenthG vorliegt, können keine Gesichtspunkte berücksichtigt werden, die zum Prüfungsrahmen von anderen humanitären Aufenthaltsrechten oder von anderen Aufenthaltsrechten gehören, die Härtefallklauseln enthalten  (Rn. 5). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 S 20.1218 2020-08-17 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag, nach § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 18. Juni 2020, mit dem diese die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis abgelehnt hatte, anzuordnen, hilfsweise der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO aufzugeben, einstweilen von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen, weiter.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen weder die Aufhebung noch eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die Klage des Antragstellers werde voraussichtlich erfolglos bleiben, weil der Antragsteller keinen Anspruch auf eine weitere Aufenthaltserlaubnis habe. Für ihn stelle das Verlassen des Bundesgebietes keine außergewöhnliche Härte i.S.d. § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG dar. Familiäre Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet bestünden nicht mehr, insbesondere, weil die Tochter des Antragsstellers (eine deutsche Staatsangehörige) mit ihrer Mutter nach Spanien verzogen sei. Soweit der Antragsteller sich auf eine noch bestehende Beziehung zu seiner Tochter berufe, seien keine Gründe ersichtlich, warum diese Beziehung im Bundesgebiet geführt werden müsse. Die bestehende Beziehung in der konkret gelebten Form könne – auch unter den Bedingungen der SARS-CoV-2-Pandemie – in gleicher Weise vom Senegal aus aufrechterhalten werden. Letztlich sei es dem Antragsteller nach Art. 20 Abs. 2 Buchst. a AEUV auch möglich, zur Betreuung seiner Tochter einen spanischen Aufenthaltstitel zu erlangen. Unter diesen Umständen bestehe auch keine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise im Sinne von § 25 Abs. 5 AufenthG.
Dem hält der Antragsteller im Wesentlichen entgegen, dass Reisen in den Senegal – noch dazu für ein alleinreisendes Kind – aufgrund pandemiebedingter Einschränkungen kaum möglich sein dürften. Selbst wenn sie möglich wären, sei unklar, ob die Mutter der Tochter einer entsprechenden Reise zustimmen würde. Der deshalb zu erwartende Abbruch der Vater-Kind-Beziehung stelle eine besondere Härte im Sinne von § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG dar.
Dieses Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine Abänderung der erstgerichtlichen Entscheidung. § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG gestattet die Verlängerung eines Aufenthaltstitels nur unter der Voraussetzung, dass auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebietes für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Als außergewöhnlich sind nur solche Härten anzusehen, welche diesen Ausländer im Vergleich zu anderen wesentlich härter treffen, d.h. bei ihm eine exzeptionelle Ausnahmesituation begründen würden (hierzu und zum Folgenden: BayVGH, B.v. 23.7.2020 – 10 CS 20.1391 – juris Rn. 18). Erforderlich ist, dass es gänzlich unvertretbar ist/wäre, in dieser Situation auf einer Rückkehr zu bestehen. Dagegen scheidet die Annahme einer außergewöhnlichen Härte aus, wenn sich die Beendigung eines Aufenthalts als Folge einer vom Gesetzgeber geregelten Normallage ergibt, auch wenn die Rechtsfolge im Einzelfall als hart erscheinen mag. Bei der Prüfung, ob eine außergewöhnliche Härte vorliegt, können keine Gesichtspunkte berücksichtigt werden, die zum Prüfungsrahmen von anderen humanitären Aufenthaltsrechten oder von anderen Aufenthaltsrechten gehören, die Härtefallklauseln enthalten (Röcker in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Auflage 2020, AufenthG, § 25 Rn. 71). Das Nichtvorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen anderer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften rechtfertigt die Annahme einer außergewöhnlichen Härte grundsätzlich nicht (Göbel-Zimmermann in Huber, AufenthG, 2. Auflage 2016, § 25 Rn. 40). Insbesondere dient die Vorschrift nicht dazu, subsidiäre Aufenthaltsrechte zu schaffen, wenn die vorgebrachten Gründe an sich von den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften und den dort normierten Voraussetzungen erfasst werden, den dortigen Anforderungen aber nicht genügen (HambOVG, B.v. 1.11.2016 – 3 Bs 126/05 – juris Rn. 24).
Gemessen daran spricht vorliegend bereits vieles dafür, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG zur Umgehung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz Nr. 3 AufenthG (hier: gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes im Bundesgebiet) führen würde. Unabhängig davon ist mit dem Beschwerdevorbringen nicht aufgezeigt, dass das Verlassen des Bundesgebiets für den Antragsteller eine außergewöhnliche Härte wäre. Selbst wenn zwischen dem Antragsteller und seiner in Spanien lebenden Tochter tatsächlich eine für das Kindeswohl entscheidende Nähebeziehung bestünde – die wenig konkreten und teilweise widersprüchlichen Angaben beider Elternteile lassen eine abschließende Klärung im Eilverfahren nicht zu -, spräche dies nicht für ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet, sondern für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Spanien ggf. unmittelbar auf der Grundlage von Art. 20 AEUV (vgl. EuGH, U.v. 8.3.2011 – Ruiz Zambrano, C-34/09 – juris – Lsu. Rn. 42 m.w.N.; U.v. 10.5.2017 – Chavez-Vilchez u. 8 andere, C-113/15 – juris Rn. 61; zusammenfassend BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – BVerwGE 162, 349 – juris Rn. 34 f.; BayVGH, B.v. 4.5.2020 – 10 ZB 20.666 – juris Rn. 21). Sowohl für den Fall, dass dem Antragsteller ein solches Aufenthaltsrecht in Spanien zusteht, als auch für den Fall, dass ihm ein solches nicht zusteht, weil die behauptete für das Kindeswohl entscheidende Nähebeziehung und damit eine sog. affektive Abhängigkeit im Sinne der genannten Rechtsprechung tatsächlich nicht besteht, würde das Verlassen des Bundesgebietes in dieser Hinsicht für den Antragsteller keine besondere Härte darstellen. Dass ihm die Erlangung eines Aufenthaltsrechts in Spanien trotz einer solchen Bindung unmöglich wäre, hat der Antragsteller weder geltend gemacht noch – etwa durch die Schilderung konkreter aber erfolgloser Bemühungen um ein Aufenthaltsrecht in Spanien – belegt (zur aus § 82 Abs. 1 AufenthG folgenden Darlegungspflicht vgl. etwa BayVGH, B.v. 26.4.2019 – 10 ZB 19.290 – juris Rn. 7).
Unabhängig davon sind weitere Anspruchsvoraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG die Erfüllung der Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 AufenthG und die Reduzierung des der Antragsgegnerin eingeräumten Ermessens auf Null (BayVGH, B.v. 23.7.2020 – 10 CS 20.1391 – juris Rn. 19). Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass diese Anspruchsvoraussetzungen vorlägen. Die Antragsgegnerin hat im Ablehnungsbescheid vom 18. Juni 2020 vom Antragsteller letztlich unwidersprochen darauf hingewiesen, dass die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG nicht erfüllt sind, ohne dass Umstände vorlägen, die ein Absehen von diesen Regelerteilungsvoraussetzungen geböten. Der Lebensunterhalt des Antragstellers ist nicht gesichert, da das Entgelt für seine Teilzeittätigkeit den Regelbedarf zzgl. Kosten für die Unterkunft nicht deckt (insofern verweist der Senat auf die Ausführungen im Ablehnungsbescheid der Antragsgegnerin). Im Übrigen hat der Antragsteller bei der Beantragung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis im Jahr 2018 falsche Angaben im Hinblick auf den gewöhnlichen Aufenthalt seiner Tochter gemacht, damit eine – den Umständen des Falles nach offensichtlich vorsätzliche – Straftat nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG begangen (vgl. zu letzterem BayVGH, B.v. 8.2.2019 – 10 C 18.1641 – juris Rn. 10 unter Verweis auf BGH, B.v. 2.9.2009 – 5 StR 266/09 – juris Rn. 19, 22) und somit ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG begründet. Angesichts dessen sind die (jedenfalls der Sache nach angestellten) Ermessenerwägungen der Antragsgegnerin im Ablehnungsbescheid vom 18. Juni 2020, die die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis selbständig tragen, rechtlich nicht zu beanstanden.
Zur Annahme des Verwaltungsgerichts, es bestehe kein Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, verhält sich das Beschwerdevorbringen nicht. Gleiches gilt für Ablehnung des Hilfsantrags des Antragstellers, die Antragstellerin zu verpflichten, vorläufig von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 45 Abs. 1 Satz 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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