Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens und Feststellung von Abschiebungsverboten

Aktenzeichen  Au 5 K 14.30351

Datum:
9.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Irakischen Staatsangehörigen sunnitischen Glaubens droht im Irak wegen ihrer Religionszugehörigkeit keine Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure (BayVGH BeckRS 2011, 34502). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Abschiebungsverbot wegen einer erheblichen konkreten Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nach § 60 Abs. 7 AufenthG liegt nur vor bei einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde; eine der medizinischen Versorgung in Deutschland gleichwertige Versorgung im Herkunftsland wird nicht vorausgesetzt. (Rn. 21 ff.) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Gegenstand der Klage ist nach dem zuletzt in der mündlichen Verhandlung gestellten Klageantrag ausschließlich das Wiederaufgreifen des Verfahrens hinsichtlich der Feststellung nationaler Abschiebungsverbote.
Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen seines Verfahrens und Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid des Bundesamts wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
1. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens, soweit es die Feststellungen zu § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG betrifft, liegen nicht vor.
Die Entscheidung des Bundesamts im angefochtenen Bescheid, die bisherige Entscheidung zu § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht abzuändern, begegnet rechtlich keinen Bedenken. Das Bundesamt hat insoweit das in § 51 Abs. 5 VwVfG eingeräumte Ermessen zutreffend erkannt und in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger bereits durch den Erlass des Bayerischen Staatsministerium des Innern vom 3. Juli 2008 (Az. IA-2086.10-439) ausreichend vor Gefahren geschützt ist, denen die Bevölkerung im Irak allgemein ausgesetzt ist, oder ob der Erlass auf den Kläger als Straftäter nicht anwendbar ist. Die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ungeachtet der Erlasslage nicht vor.
a) Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger Gefahr liefe, im Irak auf derart schlechte humanitäre Bedingungen zu stoßen, dass die Abschiebung eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen würde, die im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG zu berücksichtigen wäre (s. hierzu BayVGH, B.v. 30.9.2015 – 13a ZB 15.30063), gibt es nach der Auskunftslage nicht. Auch aus dem Vorbringen des Klägers selbst ergibt sich nichts anderes. Der Vater des Klägers lebt seit vielen Jahren in … Obwohl er nach Angaben des Klägers ein hochrangiger General unter Saddam Hussein war, war es ihm auch nach dem Sturz Husseins offensichtlich möglich, trotz angespannter Sicherheitslage bis heute in … zu leben und dort sein Existenzminimum sicher zu stellen. Auch eine Tante des Klägers lebt in … Die Mutter des Klägers, nach seinen Angaben eine schiitische Religionszugehörige, lebt nach wie vor mit ihren Geschwistern in … Der Bruder des Klägers war nach … gezogen, wo er sich jedenfalls im Jahr 2009 noch aufhielt. Damit leben enge Familienangehörige des Klägers seit vielen Jahren sowohl im Südirak als auch im Zentralirak und vermutlich auch im Nordirak. Allein dies spricht nach Auffassung des Gerichts gegen die Annahme, dass allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen für den Kläger ein derart hohes Gefährdungsniveau im Irak besteht, dass die Annahme einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung bei einer Rückkehr gerechtfertigt wäre.
b) Zu Recht wurde im angefochtenen Bescheid auch darauf hingewiesen, dass der Kläger im Irak keinen anderen Gefahren ausgesetzt wäre als die übrige Bevölkerung sunnitischen Glaubens. Irakischen Staatsangehörigen sunnitischen Glaubens droht im Irak wegen ihrer Religionszugehörigkeit keine Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure (BayVGH, U.v. 29.12.2011 – 13a B 11.30236 – juris Rn. 15). Auch wenn die Sicherheitslage im Irak nicht als stabil angesehen werden kann, ist die Gefahrendichte nicht so hoch, dass jeder Rückkehrer sehenden Auges dem Tod oder schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen entgegenginge. Das Risiko für den Kläger ist nicht höher als für die übrige Bevölkerung. Individuelle, gefahrerhöhende Umstände sind beim Kläger auch im Hinblick auf die militärische Vergangenheit seines Vaters nicht gegeben. Der Vater des Klägers war über dreißig Jahre General in der Armee von Saddam Hussein. Dennoch konnte er offensichtlich auch nach dem Sturz Husseins dort überleben. Weshalb dies nicht auch für den Kläger, der nach eigenen Angaben nur während seines Wehrdienstes vier Monate lang für das Regime Hussein gearbeitet hat, möglich sein sollte, ist nicht ersichtlich. Auch das Vorbringen des Klägers, er habe sich dem Wehrdienst nach kurzer Zeit entzogen, begründet nach Überzeugung des Gerichts keinen besonderen, gefahrerhöhenden Umstand für den Kläger. Der Kläger entzog sich dem Wehrdienst nach eigenen Angaben bereits 1998/1999, noch vor dem Zusammenbruch des Regimes von Saddam Hussein. Im Irak gibt es mittlerweile keine Wehrpflicht mehr (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 23.12.2014 – im Folgenden: Lagebericht, S. 10). Nach der Auflösung der Sicherheitskräfte des SaddamRegimes und angesichts der fundamentalen Verschiebung der Machtverhältnisse ist deshalb nicht ernsthaft davon auszugehen, dass der Kläger wegen der behaupteten Desertion mehr als 25 Jahre später noch belangt werden wird. Konkrete Anhaltspunkte für eine nach wie vor wegen der Desertion drohende Strafverfolgung sind auch unter Berücksichtigung der Auskunftslage weder ersichtlich noch hat der Kläger hierzu etwas vorgetragen.
Im Übrigen steht dem Kläger auch eine innerstaatliche Fluchtalternative zu Verfügung. Eine innerirakische Migration in die Region Kurdistan-Irak ist möglich (Lagebericht, S. 14). Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass der Kläger sein Existenzminimum in der Region Kurdistan-Irak ebenso wie im übrigen Irak nach seiner Rückkehr sicherstellen könnte. Er verfügt über zwei abgeschlossene handwerkliche Berufsausbildungen und spricht mehrere Sprachen. Familienangehörige des Klägers leben nach wie vor verteilt im Irak, so dass er notfalls auf entsprechende familiäre Verbindungen zurückgreifen kann.
c) Soweit der Kläger sich auf seine bislang noch nicht therapierte Drogenabhängigkeit beruft, rechtfertigt dieses Vorbringen nicht die Annahme eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Bei der Frage, ob einem Ausländer wegen einer Erkrankung bei einer Rückkehr in die Heimat eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG droht, ist der richtige Gefahrenmaßstab anzuwenden. Nach den in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Grundsätzen ist die Gefahr, dass sich eine Erkrankung des Ausländers auf Grund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat verschlimmert, in der Regel als individuelle Gefahr einzustufen, die am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfen ist. Eine „erhebliche konkrete Gefahr“ im Falle einer ziel-staatsbezogenen Verschlimmerung einer Erkrankung ist gegeben, wenn sich der Gesundheitszustand alsbald nach der Rückkehr in den Heimatstaat wegen der dortigen Behandlungsmöglichkeiten wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Gründe hierfür können nicht nur fehlende Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat sein, sondern etwa auch die tatsächliche Nichterlangbarkeit einer an sich vorhandenen medizinischen Behandlungsmöglichkeit aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – NVwZ 2007, 712/713).
Gemessen an diesen Maßstäben ergibt sich aus der Drogenabhängigkeit des Klägers keine erhebliche konkrete Gefahr i.S. des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Der Kläger befindet sich seit dem 27. März 2013 in Haft. Aus dem Führungsbericht der JVA … vom 28. Januar 2016 ergibt sich, dass der Kläger seit seiner Inhaftierung drogenfrei blieb. Er gehe in der Haft einer Arbeit nach. Er befinde sich in der Phase der Therapievorbereitung und -vermittlung. Dies bedeutet, dass der Kläger die Phase körperlicher Entzugserscheinungen bereits überwunden hat und derzeit gesund und leistungsfähig ist. Mit der nicht therapierten Drogensucht lebt der Klä 23 ger bereits seit elf Jahren, ohne dass er deshalb in eine lebensbedrohliche Lage geraten wäre. Selbst wenn der Kläger bei einer Rückkehr in den Irak keine Drogentherapie erlangen könnte, ist deshalb nicht ersichtlich, dass sich sein Gesundheitszustand alsbald wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern werde. Zum einen ist angesichts des langen Entzugs, den der Kläger derzeit wegen der Inhaftierung durchstehen muss, nicht zwangsläufig damit zu rechnen, dass er alsbald im Irak wieder rückfällig werden wird. Zum anderen führt auch ein möglicher Rückfall, wie sich im bisherigen Lebenslauf des Klägers zeigt, noch nicht alsbald zu einer lebensbedrohlichen Lage. Ein Rückfall würde vielmehr allenfalls einen langandauernden Suchtprozess erneut in Gang setzen. Auf die vom Bevollmächtigten des Klägers unter Beweis gestellte Frage, ob die Drogenabhängigkeit des Klägers im Irak behandelt werden kann und ob ihm diese Behandlung zugänglich ist, kommt es deshalb nicht entscheidend an. Das Gericht ist vielmehr der Überzeugung, dass dem Kläger auch ohne eine Drogentherapie im Irak zwar möglicherweise ein Rückfall in die Drogenabhängigkeit, nicht jedoch eine damit verbundene alsbald auftretende, lebensbedrohliche Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes droht.
2. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


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