Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  W 8 K 18.30771

Datum:
27.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 20822
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Ungereimte, widersprüchliche und teils gesteigerte Angaben fallen ebenso wie ein im Wesentlichen auf Vermutungen und Spekulationen beruhender Vortrag als Basis für die Annahme einer bestehenden Verfolgungsgefahr oder sonst einer ernsthaften Gefahr für Leib und Leben aus. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. Juni 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Asyl. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsvebots sind ebenfalls nicht zu beanstanden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Das Gericht ist insbesondere auch nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung nicht davon überzeugt, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Libyen politische Verfolgung oder sonst eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
Ein Ausländer darf gemäß § 3 ff. AsylG nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Verfolgungshandlungen müssen an diese Gründe anknüpfend mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377). Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 – 9 C 59/91 – Buchholz 402.25, § 7 AsylVfG Nr. 1).
Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 106.84 – BVerwGE 71, 180).
Dem Kläger ist es nicht gelungen, die für seine Ansprüche relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen. Unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass eine begründete Gefahr (politischer) Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestand bzw. besteht oder sonst eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohte oder droht.
Der Kläger hat im Verlauf des Behördenverfahrens sowie des gerichtlichen Verfahrens, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, ungereimte und widersprüchliche sowie teils gesteigerte Angaben gemacht. Demgegenüber ließ er eine zweifelsfreie, in sich stimmige Geschichte vermissen. Weiter stützt er seine Verfolgungsfurcht im Wesentlichen auf Vermutungen und Spekulationen. So bleiben aufgrund des persönlichen Eindrucks des Klägers in der mündlichen Verhandlung letztlich durchgreifende Zweifel an der Glaubhaftigkeit des klägerischen Vorbringens und einer darauf beruhenden tatsächlich drohenden ernsthaften Gefahr.
Nicht ganz eindeutig ist schon die Staatangehörigkeit des Klägers. So gab er bei der Anhörung am 9. März 2017 ausdrücklich an, er habe die libysche und die marokkanische Staatsangehörigkeit. Seine Mutter sei Marokkanerin, sein Vater Libyer. Demgegenüber erklärte er bei der Bundesamtsanhörung am 1. Juni 2017 sowie in der mündlichen Verhandlung, er besitze nur die libysche Staatsangehörigkeit.
Des Weiteren gab der Kläger zunächst an, seinen Vater zuletzt als Kind gesehen und nicht persönlich gesprochen zu haben (vgl. die Anhörung vom 21.3.2017 und die Bundesamtsanhörung vom 1.6.2017), gleichwohl erklärte er kurz darauf ebenso wie in der mündlichen Verhandlung, er habe seinen Vater vor den Anwerbeversuchen im Jahre 2015 schon im Jahr 2014 gesehen. Er sei von ihm aufs Auge geschlagen worden, nachdem der Kläger ihn beleidigt habe, weil der Vater die Schwester gegen ihren Willen mit einem alten Mann habe verheiraten wollen.
Des Weiteren gab der Kläger bei der Bundesamtsanhörung an, er habe Angst, sich bei einer Rückkehr wieder Rebellen anzuschließen zu müssen, weil er jetzt volljährig sei. Demgegenüber ist aber festzuhalten, dass der Kläger nach dem libyschen Recht erst mit 21 Jahren volljährig wird.
Des Weiteren berichtete der Kläger in der mündlichen Verhandlung nur von einem Anwerbeversuch durch seinen Vater bzw. dessen Miliz. Trotz gerichtlicher Nachfrage erwähnte der Kläger weitere Anwerbeversuche durch einen Freund bzw. Arbeitskollegen nicht.
Ungereimt und teilweise gesteigert ist des Weiteren die Aussage zu dem Anwerbeversuch durch den Vater. Während der Kläger bisher erklärt hatte, der Vater sei zu ihnen gekommen und habe mit seiner Mutter gesprochen, brachte er erstmals und gesteigert in der mündlichen Verhandlung vor, die ganze Miliz, bei der sein Vater gewesen sei, sei zu ihnen gekommen und habe ihn anwerben wollen. Bei der Bundesamtsanhörung erklärte der Kläger lediglich, dass die Mutter einmal im Januar/Februar 2015 von den Leuten der Gruppierung angesprochen worden sei. Erstmals in dem Zusammenhang und gesteigert erwähnte der Kläger in der mündlichen Verhandlung weiter, dass ihm Mitglieder der Miliz seines Vaters nach dem Hörensagen von seiner Mutter noch geschlagen hätten, als er schon bewusstlos blutend auf dem Boden gelegen habe. Er habe auch Tritte gegen den Kopf bekommen.
Der Kläger erklärte des Weiteren in der mündlichen Verhandlung, er sei vom Dach bzw. von einem Balkon gesprungen, während er vorher ausgesagt hatte, er sei aus einem Fenster gesprungen, als sein Vater ihn habe anwerben wollen. Er sei vor ihm geflohen.
Widersprüchlich und nicht aufklärbar ist weiter, ob der Sprung deshalb erfolgt ist, um vor seinem Vater bzw. den Anwerbeversuchen zu fliehen, oder, ob dies in Selbstmordabsicht geschehen ist, wie der Kläger bei seiner Anhörung am 9. März 2017 angegeben hatte.
Auf ausdrückliche gerichtliche Nachfrage verneinte der Kläger, in Libyen in psychiatrischer Behandlung oder im psychiatrischen Krankenhaus gewesen zu sein. Demgegenüber erklärte er in der Anhörung vom 9. März 2017 ausdrücklich, er sei nie zur Schule gegangen, in Libyen gebe es Schulpflicht, er sei aber nicht hingegangen. Er sei mehrmals im psychiatrischen Krankenhaus gewesen, deswegen habe er da nicht hingekonnt.
Insgesamt blieben die Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung blass und unsubstanziiert. Auf gerichtliche Fragen antwortete er teilweise auch ausweichend. Widersprüche und Ungereimtheiten konnte er trotz gerichtlicher Nachfrage wiederholt nicht überzeugend auflösen. Sein – in der mündlichen Verhandlung erstmals geäußerter – Einwand, der erste Dolmetscher sei Marokkaner gewesen und habe schlecht gesprochen, verfängt nicht, weil der Kläger bei der Anhörung am 9. März 2017 ausdrücklich erklärt hatte, den Dolmetscher gut zu verstehen und auch bei der Bundesamtsanhörung am 1. Juni 2017 bestätigt hatte, dass es keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben habe.
Auffällig ist des Weiteren in dem Zusammenhang, dass der Kläger nicht von sich aus von weiteren aktuellen Bedrohungssituationen gesprochen hat. Auf gerichtliche Nachfrage erklärte er, er spreche mit seiner Mutter oder Schwester nicht über derartige Dinge. Der Kläger gab auf weitere gerichtliche Nachfrage zwar ausdrücklich an, sein Vater habe die Mutter aufgefordert, ihn nach Libyen zurückzubringen, dies sei aber vor zwei Jahren gewesen. Dem Gericht erscheint es lebensfremd und nicht nachvollziehbar, dass der Kläger nicht aus eigenem Antrieb gegebenenfalls weitere konkrete Erkundigungen eingezogen hat, die auf eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende ernsthafte Gefahr für ihn hindeuten. Gerade, wenn jemand eine Verfolgung oder ernsthafte Gefahren befürchtet – und damit sein Asylbegehren in Deutschland begründet –, wäre es lebensnah, sich weitere konkrete Informationen über ein Fortbestehen der Gefahr zu besorgen und gegebenenfalls entsprechende Belege von sich aus unaufgefordert den deutschen Behörden bzw. dem Gericht vorzulegen. In dieser Richtung hat der Kläger nichts Substanzielles vorgetragen.
Insgesamt drängt sich dem Gericht der Eindruck auf, dass gegen den Kläger überhaupt keine relevanten Verfolgungsmaßnahmen oder sonstige Maßnahmen in Richtung Anwerbeversuche einschließlich entsprechender Bedrohungen erfolgt sind und bei seiner Rückkehr erst recht nicht drohen. Genauso ist möglich, dass der Kläger aus psychischen Gründen aus dem zweiten Stock gesprungen ist und sich verletzt hat, etwa aus Selbstmordabsicht, und Anwerbeversuche womöglich gar nicht stattgefunden haben, zumal er sich bei betreffenden Nachfragen regelmäßig auf das Hörensagen von seiner Mutter berief.
Nach alledem fehlt es an einem glaubhaften, in sich stimmigen und widerspruchsfreien Vorbringen des Klägers, das Basis für die Annahme einer bestehenden Verfolgungsgefahr oder sonst einer ernsthaften Gefahr für Leib und Leben sein könnte.
Nach der Auskunftslage ist das Gericht auch sonst nicht davon überzeugt, dass dem Kläger bei einer Rückkehr Verfolgung oder sonst ein ernsthafter Schaden droht (vgl. § 4 Abs. 1 AsylG).
Zwar ist zusammengefasst nach der Erkenntnislage von folgender Situation in Libyen auszugehen:
Nach dem Auswärtigen Amt (Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libyen vom 3. August 2018, Stand Juli 2018) befindet sich Libyen Mitte 2018 im siebten Jahr nach dem Tod des Diktators Gaddafi weiterhin im politischen Umbruch. Landesweite Sicherheit bleibt die größte und wichtigste Herausforderung des seit Dezember 2015 bestehenden Präsidialrats. Große Teile des Landes und der Gesellschaft werden von Milizen kontrolliert, andere Teile sind praktisch unregiert. Bewaffnete Gruppen beanspruchen jeweils auf ihrem Gebiet die Ausübung einer Art staatlicher Kontrolle. Eine der größten Gefahren für die Bevölkerung ist es, als Unbeteiligte in die immer wieder aufflammenden Auseinandersetzungen zwischen Milizen zu geraten bzw. Opfer eines terroristischen Anschlags zu werden. Menschenrechtsverletzungen in Libyen sind an der Tagesordnung. Die vulnerabelste Gruppe sind Migranten und Flüchtlinge. Aber auch Libyer sind Menschenrechtsverletzungen durch staatliche wie nichtstaatliche Akteure ausgesetzt, ohne sich dagegen wirksam schützen zu können. Ein einheitliches funktionierendes Rechtssystem steht nicht zur Verfügung. Besonders betroffen sind Minderheiten. Die Sicherheitslage in Libyen ist instabil. Dem Präsidialrat gegenüber loyalen Milizen aus der westlibyschen Stadt Misrata gelang es den sogenannten IS im Dezember 2016 aus seiner Hochburg in der zentralibyschen Küstenstadt Sirte zu vertreiben. Er ist weiterhin in Libyen aktiv und hat auch 2017 bis 2018 Anschläge verübt. In Ostlibyen geht General Haftar gegen islamistische und dschihadistische Gruppen mit wenig Rücksicht auf die Zivilbevölkerung vor. Auch Tripolis ist faktisch im Einflussbereich von vier Milizen. Eine davon ist die salafistische Rada-Miliz. Diese Miliz übt inzwischen die vollständige Kontrolle über den einzigen funktionstüchtigen Flughafen (Mitiga) von Tripolis und das dort gelegene größte Gefängnis Westlibyens aus. Einer Vielzahl von Milizen werden Folter und standrechtliche Hinrichtungen vorgeworfen. Auch die im Osten vorherrschende LNA ist kein einheitliches Gebilde, vielmehr eine Klammer für einzelne Milizen, die auch eigene Interessen verfolgen und denen ihrerseits Menschenrechtsverletzungen sowie die Hinnahme ziviler Opfer nachgesagt werden.
Alle Konfliktparteien verübten wahllose sowie gezielte Angriffe auf dicht besiedelte Gebiete, die zum Tod von Zivilpersonen und der rechtswidrigen Tötungen führten. Tausende Menschen wurden von bewaffneten Gruppen verschleppt, willkürlich festgenommen und zeitlich unbegrenzt inhaftiert. In den Gefängnissen waren Folter und andere Misshandlungen an der Tagesordnung. Menschen wurden aufgrund ihrer Überzeugung, ihrer Herkunft, ihrer vermuteten politischen Zugehörigkeit und ihres mutmaßlichen Reichtums von bewaffneten Gruppen und Milizen verschleppt und rechtswidrig inhaftiert (Amnesty International, Report Libyen 2017/2018).
Die Lage im ganzen Land ist extrem unübersichtlich und unsicher. Es kommt immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. In großen Teilen des Landes herrschen bewaffnete Milizen oder sonstige bewaffnete Kräfte. In Abwesenheit staatlicher Kontrolle über das gesamte Territorium setzen sich Dutzende rivalisierende Milizen und militärischen Streitkräfte mit unterschiedlichen Zielsetzungen und Allianzen straffrei über internationales Recht hinweg. Rivalisierende Milizen und militärische Streitkräfte entführen Personen und lassen diese verschwinden, foltern, inhaftieren willkürlich und führen ungesetzliche Tötungen durch (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Libyen vom 20.10.2017).
Das Gericht geht gleichwohl davon aus, dass dem Kläger kein ernsthafter Schaden nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG in Form einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht. Im Ergebnis kann offen bleiben, ob derzeit in Libyen ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrscht (vgl. bejahend VG Dresden, U.v. 22.9.2017 – 12 K 1598/16.A – Asylmagazin 4/2018, S. 123 [auszugsweise] – juris; VG Ansbach, U.v. 29.3.2018 – AN 10 K 16.32482 – juris; offengelassen VG Chemnitz, U.v. 31.5.2018 – 7 K 2166/16.A – juris; U.v. 24.5.2018 – 7 K 3986/16.A – juris; U.v. 15.3.2018 – 7 K 2975/16.A – juris; U.v. 2.1.2018 – 7 K 692/16.A – juris; jeweils mit weiteren Nachweisen). Denn selbst wenn, ist die Gefahrendichte für den Raum Tripolis, zu dem auch der Ort Dschanzur (Dschansur, Sansur, Janzour) gut 20 km entfernt von Tripolis gehört, jedenfalls nicht so hoch, dass praktisch jede Zivilperson bei einer Rückkehr in die Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dies bleibt außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen sehr hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43.07 – BVerwGE 131, 198).
Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt ist, reichen grundsätzlich nicht, eine individuelle Bedrohung zu begründen. Es ist auch nichts von einer Gefahrendichte ersichtlich, dass hier für jedermann eine ernsthafte individuelle Bedrohung von Leib oder Leben besteht. Das Bundesverwaltungsgericht hat in zwei Entscheidungen festgestellt, dass jedenfalls ein Risiko von 1:800 bzw. 1:1.000 in dem betreffenden Gebiet im Laufe eines Jahres verletzt oder getötet zu werden, weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt ist (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – NVwZ 2012, 454 – juris Rn. 22 und 10 C 11.10 – juris Rn. 20). Ein solcher Gefährdungsgrad ist jedenfalls für den Raum Tripolis bei weitem nicht ersichtlich. Dem Gericht fehlen gegenteilige Erkenntnisse. Auch die Klägerseite hat Entsprechendes nicht substanziiert vorgebracht.
Gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers sind nicht erkennbar. Die bloße Aufforderung durch andere, wie auch durch den Vater, sich ebenfalls einer Miliz oder sonstigen Gruppierung anzuschließen, rechtfertigt bei weitem nicht die Annahme einer politischen Verfolgung oder eines drohenden ernsthaften Schadens (so VG Bayreuth, U.v. 5.7.2017 – B 4 K 16.31506 – juris). Sonstige gefahrerhöhende Umstände, die eine ernsthafte individuelle Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG bedeuten würden, sind nicht gegeben. Vielmehr ist jedenfalls einem alleinstehenden jungen Mann zumutbar, nach Libyen zurückzukehren (so im Ergebnis auch VG Chemnitz, U.v. 24.5.2018 – 7 K 3986/16.A – juris; U.v. 15.3.2018 – 7 K 2975/16.A – juris; VG Dresden, U.v. 26.1.2018 – 12 K 2548/16.A – juris; U.v. 26.9.2017 – 12 K 304/17.A – juris; VG Würzburg, U.v. 13.9.2017 – W 2 K 17.32898 – juris). Dies gilt jedenfalls mit Blick auf die Region in und um Tripolis.
Dem Kläger droht insbesondere auch kein ernsthafter Schaden nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG infolge Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. Zwar hat das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht angegeben (vgl. Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libyen vom 3. August 2018, Stand Juli 2018, S. 15), es ist davon auszugehen, dass zurückkehrende Libyer, insbesondere dann, wenn sie durch ausländische Polizei begleitet werden, Aufmerksamkeit und gegebenenfalls Misstrauen erwecken und bei der Einreise strengen Kontrollen unterzogen werden. Eine anschließende Inhaftierung ist insbesondere am Flughafen Mitiga, der von der salafistischen Rada-Miliz kontrolliert wird, nicht auszuschließen. Es gibt Berichte von Menschenrechtsverletzungen in diesem Gefängnis. Es ist davon auszugehen, dass die salafistische Rada-Miliz, die den Flughafen Mitiga und das dort befindliche Gefängnis kontrolliert, Listen von gesuchten Libyern einsehen kann und bei der Einreisekontrolle strenge Maßstäbe anlegt. Auch die anderen libyschen Flughäfen werden von bewaffneten Gruppen kontrolliert, die meist ihre eigenen Kriterien für Einreise, Befragung und Festnahme setzen. Einzelfalluntersuchungen des Risikos für Abzuschiebende werden in diesem Licht durchzuführen zu sein.
Insofern ist jedoch festzuhalten, dass bei dem Kläger auch insoweit gefahrerhöhende Umstände fehlen. Darüber hinaus kann sich der Kläger nicht darauf berufen, im Falle einer Abschiebung wegen einer möglichen Polizeibegleitung erhöhten Gefahren ausgesetzt zu sein, weil ihm eine freiwillige Rückkehr zumutbar ist. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden, nicht die Feststellung eines Abschiebungsverbotes verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – BverwGE 104, 265; VGH BW, U.v. 26.2.2014 – A 11 S 2519/12 – juris).
Im Übrigen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen – in dem schon ausführliche dargelegt ist, dass das Existenzminimum des Klägers bei einer Rückkehr gesichert ist und die Grundversorgung in Libyen gewährleistet ist (vgl. Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libyen vom 3. August 2018, Stand Juli 2018, S. 14 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Libyen vom 20.10.2017, S. 14 f.) – und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Der Kläger ist noch jung und erwerbsfähig; ihm ist zuzumuten zur Sicherung seines Existenzminimums den notwendigen Lebensunterhalt für sich durch Erwerbstätigkeit zu verdienen und gegebenenfalls auf die Unterstützung durch Familienangehörige der in Libyen bzw. Marokko noch lebenden (Groß-)Familie zurückzugreifen. Insofern ist die Lage nicht anders als bei zahlreichen Landsleuten in vergleichbarer Lage (ebenso VG Chemnitz, U.v. 24.5.2018 – 7 K 3986/16.A – juris; U.v. 15.3.2018 – 7 K 2975/16.A – juris; VG Dresden, U.v. 26.1.2018 – 12 K 2548/16.A – juris; U.v. 26.9.2017 – 12 K 304/17.A – juris; VG Würzburg, U.v. 13.9.2017 – W 2 K 17.32898 – juris).
Auch im Hinblick auf die gesundheitliche Situation des Klägers sind nach Überzeugung des Gerichts die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nicht gegeben. Insofern liegen keine aktuellen Atteste vor. Der Kläger erklärte in der mündlichen Verhandlung, er habe keine aktuellen ärztlichen Atteste. Einmal sei er in Deutschland in psychischer Behandlung gewesen, weil er nicht habe schlafen können. Demnach sind keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen ersichtlich, wonach bei einer Rückkehr in die Heimat eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen bestünde, dass eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG).
Nach dem vorstehend Gesagten sind insgesamt betrachtet keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt wären. Im Übrigen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Dies gilt auch hinsichtlich der Begründung der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots.
Ohne, dass es entscheidungserheblich darauf ankommt, ist ergänzend noch anzumerken, dass realistischer Weise nicht anzunehmen ist, dass der Kläger tatsächlich vor Erreichung der Volljährigkeit (in Libyen mit 21 Jahren) abgeschoben wird. Denn nach § 58 Abs. 1a AufenthG hat sich die Behörde vor Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einem zur Personensorge Berechtigten oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird. Dabei ist dem Kindeswohl Rechnung zu tragen. Es dürfen keine vernünftigen Zweifel mehr verbleiben. Die Ausländerbehörde hat die betreffenden Ermittlungen dem Minderjährigen in einer überprüfbaren Weise mitzuteilen. Gegen die Entscheidung der Ausländerbehörde eine Abschiebung trotz Minderjährigkeit steht dem Betroffenen gerichtlicher Rechtsschutz zu. Nach Erreichen der Volljährigkeit könnte der Kläger mit Hinweis auf Änderung der Sach- und Rechtslage beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Folgeantrag stellen (vgl. zum Ganzen etwa Hocks in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 58 AufenthG Rn. 29 m.w.N.).
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.


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