Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes

Aktenzeichen  W 10 S 20.31082

Datum:
30.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 25088
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4, § 30 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 1, § 36 Abs. 1, Abs. 3 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
Asylverfahrens-RL Art. 31 Abs. 8 lit. a, Art. 32 Abs. 2
VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

1. Bei einer Einreise aus einem sicheren Drittstaat auf dem Landweg besteht kein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die allgemeine wirtschaftliche und soziale Lage in Nigeria bergründet kein Abschiebungsverbot. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch die derzeitige Covid-19 (sog. Corona-)Pandemie, ausgelöst durch das SARS-COV-2-Virus, welche auch Nigeria erfasst hat, führt nicht zur Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Abschiebungsandrohung nach Nigeria aufgrund der Ablehnung ihres Asylantrags als offensichtlich unbegründet.
1. Die Antragstellerin wurde nach eigenen Angaben am … … 1982 in Lagos, Nigeria, geboren und gibt an, nigerianische Staatsangehörige mit der Volkszugehörigkeit der Ibo und christlicher Religionszugehörigkeit zu sein. Sie reiste angeblich bereits am 4. Juli 2020 mit einem Bus aus Radom, Polen, in das Bundesgebiet ein. Am 6. Juli 2020 wurde sie in Bochum polizeilich aufgegriffen und erkennungsdienstlich behandelt. Die Antragstellerin äußerte ein Asylbegehren. Ein Abgleich der Fingerabdrücke mit der Eurodac-Datenbank ergab keine Treffer.
Am 23. Juli 2020 stellte die Antragstellerin beim Bundesamt für … (Bundesamt) einen Asylantrag. Dabei gab sie im Wesentlichen an, ihr Herkunftsland bereits 2013 verlassen zu haben. Sie sei per Flugzeug nach Nordzypern gereist und habe sich bis September 2016 in Famagusto aufgehalten. Im September 2016 sei sie dann ebenfalls nach Ankara in der Türkei geflogen, wo sie anschließend ein Studium der Politikwissenschaft aufgenommen habe. Mit einem bis 15. Juni 2020 gültigen Studentenvisum sei sie am 2. März 2020 nach Polen eingereist. Dort habe sie sich vier Monate lang aufgehalten, ehe sie nach Deutschland weitergereist sei.
Am 30. Juli 2020 wurde die Antragstellerin zur Zulässigkeit des Asylantrags angehört. Sie gab im Wesentlichen an, in Nordzypern habe sie in einer Fabrik gearbeitet und dort Kleider gewaschen. Sie habe einen im Jahr 2012 in Nigeria ausgestellten Reisepass gehabt, den sie jedoch in Polen verloren habe. Möglicherweise habe sie ihn schon unmittelbar nach der Einreise am Flughafen in Polen verloren, vielleicht aber auch erst beim Auszug aus ihrer polnischen Unterkunft. Sie habe bereits im Jahr 2014 bei der deutschen Botschaft in Nikosia ein Visum beantragt, welches jedoch abgelehnt worden sein. Sie habe vorgehabt, in Deutschland ihr Studium fortzusetzen und sich anschließend eine geregelte Arbeit zu suchen. In Polen hätten ihr die Leute geraten, nach Deutschland zu gehen, weil es dort besser für sie sei. Ein Onkel von ihr lebe in Deutschland, sie kenne ihn jedoch nicht.
Ebenfalls am 30. Juli 2020 erfolgte die persönliche Anhörung der Klägerin. Sie bestätigte, der Volksgruppe Ibo und der Pfingstbewegung anzugehören. Ihre Mutter habe aus Delta gestammt, ihr Stiefvater sei Ibo gewesen. Über ihren Vater sei zu Hause nicht gesprochen worden. Sie habe in Lagos bei ihrem Onkel und dessen Frau gelebt. Ihre Mutter habe mit ihren fünf Kindern bei ihrem Mann gelebt. Am 26. Oktober 2016 sei ihre Mutter verstorben. Sie habe Brustkrebs und einen Herzinfarkt gehabt. Der Onkel habe der Antragstellerin zwar angeboten, bei ihr zu bleiben, sie habe aber lieber bei ihrer Mutter sein wollen. Das sei jedoch wegen des Streits mit dem Stiefvater nicht möglich gewesen. Sie sei in Nigeria nicht gemeldet oder registriert gewesen. Sie habe in Nigeria noch einen „Onkel“ väterlicherseits, der – nach näherer Nachfrage – aber nur ein Bruder des Stiefvaters sei. Sie habe sein Heimatdorf nicht besucht, denke aber, dass er sie kenne. Der Onkel, bei dem sie gewohnt habe, lebe noch. Sie habe jedoch schon lange keinen Kontakt mehr zu ihm, erst recht nicht mehr, seitdem ihre Mutter verstorben sei. In Nigeria habe sie fast alles gemacht, um Geld zu verdienen. Sie habe gewaschen, geputzt und unterrichtet. Ihre Mutter habe Früchte, Öl und andere Sachen verkauft. Sie selbst sei bis zur Oberstufe zur Schule gegangen und habe dann später, im Jahr 2003 ihr Abitur nachgemacht. Danach habe sie gearbeitet bzw. ihrer Mutter geholfen, das sei ihr ganzer Lebensinhalt gewesen. Auf Frage nach der Genitalbeschneidung gab die Antragstellerin an, sie selbst sei nicht beschnitten. Auch ihre Mutter sei nicht beschnitten gewesen und habe es nicht gutgeheißen. Eine Beschneidung komme für sie selbst nicht infrage.
2. Mit Bescheid vom 15. September 2020 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1 des Bescheides), auf Asylanerkennung (Ziffer 2) sowie auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes (Ziffer 3) als offensichtlich unbegründet ab. Des Weiteren wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4) und die Antragstellerin aufgefordert, das Bundesgebiet innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides zu verlassen, anderenfalls die Abschiebung nach Nigeria angedroht werde (Ziffer 5). Unter derselben Ziffer wurde des Weiteren verfügt, dass die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist sowie für den Fall einer fristgerechten Antragstellung auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt werde. Unter der Ziffer 6 wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 30 Abs. 1, 2 AsylG offensichtlich unbegründet. Aus dem Sachvortrag der Antragstellerin sei weder eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung, noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal ersichtlich. Auf Nachfrage habe die Antragstellerin erklärt, dass für sie die weibliche Genitalbeschneidung nicht infrage komme. Auch ihre Mutter sei nicht beschnitten gewesen. Deshalb drohe der nunmehr 38-jährigen Antragstellerin in Nigeria, wo die Genitalverstümmelung gesetzlich verboten sei, kein solcher Eingriff. Nach eigenen Angaben gehe es der Antragstellerin darum, ihre Zukunftsperspektive, insbesondere ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern und eine bessere Gesundheitsversorgung als im Heimatland zu haben. Der Antragstellerin drohe auch kein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG. Zwar könne im Bundesstaat Borno, in den östlichen LGA des Bundesstaates Yobe sowie den nördlichen LGA des Bundesstaates Adamawa in Nigeria ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht ausgeschlossen werden. Es drohten ihr jedoch bei einer Rückkehr nach Lagos aufgrund der dortigen Situation keine erheblichen individuellen Gefahren infolge willkürlicher Gewalt. Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Die Antragstellerin habe in Nigeria ihr Abitur abgelegt und gleichzeitig gearbeitet. Auch im Ausland habe sie sich durchgesetzt, ihr Studium abgeschlossen und gearbeitet. Sie sei sehr gebildet, erwerbsfähig und habe keine Unterhaltslasten. Mit den zahlreichen möglichen Unterstützungsleistungen durch staatliche Hilfen, Nichtregierungsorganisationen, kirchliche Organisationen und gegebenenfalls ihre Verwandtschaft bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass sie nicht imstande sein werde, sich bei einer Rückkehr nach Nigeria eine existenzsichernde Grundlage zum Beispiel durch Gelegenheitsarbeiten zu beschaffen. Die behaupteten gelegentlichen Herzschmerzen in Stresssituationen sei nicht geeignet, ein Abschiebungsverbot zu begründen. Darüber hinaus seien keine Atteste, Befunde oder sonstige geeignete Nachweise eingereicht worden. Damit sei ohnehin nicht feststellbar, dass alsbald nach einem Wegfall der in Deutschland möglichen medizinischen Behandlung eine derartige Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu erwarten sei, dass eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben drohe. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin im Falle einer Rückkehr durch das Coronavirus mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahr ausgesetzt wäre. Dieser Gefahr sei sie derzeit in gleicher Weise in Deutschland ausgesetzt. Es sei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Antragstellerin zum gefährdeten Personenkreis zähle, welcher durch ein hohes Alter und Vorerkrankungen gekennzeichnet sei. Die festgesetzte Frist von 30 Monaten für das Einreise- und Aufenthaltsverbot sei im vorliegenden Fall angemessen. Schutzwürdige Belange, welche für eine kürzere Fristsetzung sprächen, seien weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Die Antragstellerin verfüge im Bundesgebiet über keine wesentlichen persönlichen Bindungen. Der Onkel mütterlicherseits, der sich angeblich in Deutschland aufhalte, gehöre nicht zur Kernfamilie der Antragstellerin.
Der Bescheid ging am 16. September 2020 in der Ankereinrichtung ein und wurde der Antragstellerin am selben Tag ausgehändigt.
3. Am 23. September 2020 ließ die Antragstellerin Klage zum Verwaltungsgericht Würzburg erheben, über die noch nicht entschieden ist (Az.: W 10 K 20.31081).
Zugleich beantragt sie im vorliegenden Verfahren,
die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
Zur Begründung wurde zunächst auf die Anhörung vom 30. Juli 2020 Bezug genommen. Ergänzend wurde ausgeführt, die Klägerin habe sich nach eigenen Angaben von Kindheit an in Nigeria sozusagen durchschlagen müssen. Neben der Schule habe sie arbeiten müssen. Sie habe nur für ein Semester eine Förderung erhalten. Ihr Vater sei unbekannt, der Stiefvater habe sie nicht unterstützt. Bei einer Rückkehr nach Nigeria wäre sie somit völlig auf sich alleine gestellt. Ihre Mutter sei 2016 verstorben. Als alleinstehende Frau in Nigeria sei sie durch Terrorismus, die politische Lage und Kriminalität sowie die Corona-Pandemie Gefahren ausgesetzt. Sie hätte keine Chance, sich der Corona-Pandemie zu entziehen. Besonders gefährdet seien auch Personen, die auf der Straße leben müssten. Wie die medizinischen Erkenntnisse ergeben hätten, seien auch Personen gefährdet, welche im Alter der Klägerin seien. Des Weiteren seien in Nigeria Ausgangssperren verhängt worden und die Wirtschaft sozusagen heruntergefahren worden. Nur etwa 10-15% der Bevölkerung in Nigeria könnten sich ausreichend durch Medikamente, ärztliche Behandlung etc. vor dem Coronavirus schützen. Des Weiteren sei die Kriminalitätsrate in Nigeria, namentlich in Lagos, besonders hoch. Die wirtschaftliche Entwicklung sei gering und könne nicht mit der rasanten demographischen Entwicklung Schritt halten. Auch seien infolge der Corona-Pandemie die Nichtregierungsorganisationen geschlossen und die Hilfsprogramme liefen derzeit nicht.
Für die Antragsgegnerin beantragt das Bundesamt, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde auf den angefochtenen Bescheid verwiesen.
4. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtssowie der beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag, mit welchem die Antragstellerin bei sachgerechter Auslegung (§ 88 VwGO) die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage insoweit begehrt, als die Abschiebungsandrohung und das Wiedereinreiseverbot betroffen sind, ist nicht begründet.
1. Der Antrag ist zulässig.
Der Antrag ist als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung sowie gegen das befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 3 AsylG statthaft, weil die Anfechtungsklage insoweit keine aufschiebende Wirkung hat (§ 75 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 36 Abs. 3 AsylG, § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG). Des Weiteren wurde der Antrag innerhalb der Wochenfrist gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG bei Gericht gestellt.
2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet.
Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens nach § 36 Abs. 3 und 4 AsylG in Verbindung mit § 80 Abs. 5 VwGO ist die von der Antragsgegnerin ausgesprochene Abschiebungsandrohung, beschränkt auf die sofortige Vollziehbarkeit. Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Nach diesem Maßstab darf die Vollziehung der aufenthaltsbeenden Maßnahme nur dann ausgesetzt werden, wenn erhebliche Gründe dafürsprechen, dass die Maßnahme im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – DVBl. 1996, 729, juris). Dabei darf sich das Gericht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht auf eine summarische Prüfung beschränken, wenn dem Antragsteller im Falle der Versagung einstweiligen Rechtsschutzes bereits eine endgültige Verletzung seiner Rechte droht und insoweit auch Grundrechtspositionen von Gewicht in Rede stehen (BVerfG, B.v. 23.7.2020 – 2 BvR 939/20 – juris m.w.N.). Insoweit fordert der effektive Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG, dass sich das Verwaltungsgericht nicht mit einer bloßen Prognose zur voraussichtlichen Richtigkeit des Offensichtlichkeitsurteils begnügen darf, sondern die Frage der Offensichtlichkeit – wenn es sie bejahen will – erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren klären und insoweit über eine summarische Prüfung hinausgehen muss (BVerfG, B.v. 23.7.2020 – 2 BvR 939/20 – juris; B.v. 25.2.2019 – 2 BvR 1193/18 – juris Rn. 21). Das Verwaltungsgericht muss dabei überprüfen, ob das Bundesamt aufgrund einer umfassenden Würdigung der ihm vorgetragenen oder sonst erkennbaren maßgeblichen Umstände unter Ausschöpfung aller ihm vorliegenden oder zugänglichen Erkenntnismittel entschieden und in der Entscheidung klar zu erkennen gegeben hat, weshalb der Antrag nicht als schlicht unbegründet, sondern als offensichtlichen unbegründet abgelehnt worden ist, ferner, ob die Ablehnung als offensichtlich unbegründet auch weiterhin Bestand haben kann (BVerfG, B.v. 25.2.2019 – 2 BvR 1193/18 – juris Rn. 21 m.w.N.). Bei dieser Prüfung bleiben von den Beteiligten nicht angegebene und nicht gerichtsbekannte Tatsachen und Beweismittel gemäß § 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG unberücksichtigt (BVerfG, B.v. 23.7.2020 a.a.O.). Vorbringen, welches nach § 25 Abs. 3 AsylG im Verwaltungsverfahren unberücksichtigt geblieben ist, sowie dort nicht angegebene Tatsachen und Umstände im Sinne des § 25 Abs. 2 AsylG kann das Gericht gemäß § 36 Abs. 4 Satz 3 AsylG unberücksichtigt lassen, wenn anderenfalls die Entscheidung verzögert würde.
Gemessen daran bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der von der Antragstellerin angegriffenen Maßnahmen.
a) Die Antragstellerin hat offensichtlich keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte, weil sie nach eigenen Angaben auf dem Landweg aus Polen kommend in das Bundesgebiet eingereist ist. Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag gemäß § 30 Abs. 1 AsylG, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist hier der Fall, weil sich ein Ausländer, der aus einem sicheren Drittstaat eingereist ist, gemäß Art. 16a Abs. 2 GG in Verbindung mit § 26a Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG nicht auf Art. 16a Abs. 1 GG berufen kann und nicht als Asylberechtigter anerkannt wird. Sichere Drittstaaten im Sinne des Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit § 26a Abs. 2 AsylG sind die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie die in der Anlage I zum AsylG bezeichneten Drittstaaten. Aufgrund des Aufenthaltes der Antragstellerin in Polen und der Weiterreise von dort unmittelbar in das Bundesgebiet kann diese sich somit offensichtlich nicht auf Art. 16a Abs. 1 GG berufen. Unionsrechtlich begegnet die qualifizierte Ablehnung als offensichtlich unbegründet wegen der Einreise aus einem sicheren Drittstaat gemäß Art. 16a Abs. 2 GG in Verbindung mit § 26a Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG keinen Bedenken, weil der Status der Asylberechtigung nach Art. 16a Abs. 1 GG – anders als der internationale Schutzstatus nach §§ 3 ff. und 4 AsylG – nicht durch europäisches Unionsrecht oder für die Bundesrepublik Deutschland verbindliche völkerrechtliche Vorgaben geregelt ist, sondern als nationales Grundrecht über den unionsrechtlich geforderten Mindeststandard hinausgeht.
b) Die Antragstellerin hat auch offensichtlich keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 in Verbindung mit §§ 3a ff. AsylG. Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag gemäß § 30 Abs. 2 AsylG insbesondere dann, wenn nach den Umständen des Einzelfalles offensichtlich ist, dass sich der Ausländer nur aus wirtschaftlichen Gründen, oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, im Bundesgebiet aufhält. Dies ist bei der Antragstellerin der Fall, da sie ihr Herkunftsland Nigeria nach eigenen Angaben verlassen hat, um zunächst in Nordzypern zu arbeiten und sich so bessere wirtschaftliche Lebensbedingungen zu verschaffen. Des Weiteren liegt auch offensichtlich kein substantiiertes Vorbringen einer Verfolgungsgefahr oder Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG vor, weshalb der Asylantrag auch gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG als offensichtlich unbegründet abzulehnen ist. Die Antragstellerin hat für sich auch keine Gefahr der Genitalbeschneidung geltend gemacht. Vielmehr hat sie ausgeführt, dass schon ihre Mutter nicht beschnitten gewesen sei und dass es für sie selbst ebenso wenig in Frage komme. Insgesamt fehlt es damit schon an dem schlüssigen Vortrag einer Verfolgung, welche an ein flüchtlingsrechtlich relevantes Merkmal im Sinne der §§ 3 Abs. 1, 3b AsylG anknüpft. Auch aus den sonstigen erkennbaren Umständen bzw. der allge-meinen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lage in Nigeria ergeben sich für die Antragstellerin keine Anhaltspunkte für eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung oder eine Gefahr eines ernsthaften Schadens. Aus denselben Gründen ist auch die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG offensichtlich ausgeschlossen, weil offensichtlich keine Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne dieser Vorschrift mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit für die Antragstellerin in ihrem Herkunftsland besteht. Insbesondere besteht in Nigeria weder landesweit noch in der Herkunftsregion der Antragstellerin, in welche diese typischerweise zurückkehren werden – der Stadt bzw. dem Bundesstaat Lagos -, ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Auf die Gründe des angefochtenen Bescheides, denen sich das Gericht anschließt, darf ergänzend verwiesen werden (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Unionsrechtliche Bedenken gegen die qualifizierten Ablehnungsgründe des § 30 Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 1 AsylG bestehen nicht. Die quasi als Generalklausel für die Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet zu verstehende Vorschrift des § 30 Abs. 1 AsylG ist – im Bereich des internationalen Schutzes – im Einklang mit Art. 32 Abs. 2 i.V.m. Art. 31 Abs. 8 der Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU auszulegen, worin unter anderem die Gründe aufgezählt sind, welche die qualifizierte Asylablehnung als offensichtlich unbegründet rechtfertigen. Diese Aufzählung ist als abschließend zu qualifizieren, weil die Öffnungsklausel in Art. 5 der Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU nur die Einführung oder das Beibehalten schutzverstärkender Maßnahmen der Mitgliedstaaten zulässt (vgl. z.B. VG Augsburg, U.v. 16.1.2020 – Au 9 K 19.30382 – juris Rn. 25; VG Düsseldorf, B.v. 15.12.2015 – 5 L 3947/15.A – juris Rn. 20 ff.; VG Minden, B.v. 4.7.2019 – 6 L 715/19.A – juris Rn. 12). Art. 31 Abs. 8 Buchstabe a der Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU sieht vor, dass die Mitgliedstaaten ein solches Verfahren unter anderem dann festlegen können, wenn der Antragsteller bei der Einreichung seines Antrags und der Darlegung der Tatsachen nur Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung der Frage, ob er als Flüchtling oder Person mit Anspruch auf internationalen Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU anzuerkennen ist, nicht von Belang sind. Die genannten Gründe für die Ablehnung des Asylantrags der Antragstellerin als offensichtlich unbegründet sind hiervon gedeckt (vgl. VG Cottbus, U.v. 29.5.2020 – 9 L 226/20.A. – juris Rn. 8; VG Würzburg, B.v. 17.1.2019 – W 8 S 19.30111 – juris Rn. 17; VG Berlin, B.v. 30.11.2018 – 31 L 682.18 A – juris Rn. 15).
c) Schließlich hat die Antragstellerin auch offensichtlich keinen Anspruch auf Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots hinsichtlich Nigerias. Hierzu verweist das Gericht zunächst auf die Gründe des angefochtenen Bescheides, denen der erkennende Einzelrichter aus eigener Überzeugung folgt. Ergänzend ist hierzu noch folgendes auszuführen:
aa) Zwar hat die Antragstellerin (sinngemäß) vorgetragen, ihr Herkunftsland Nigeria wegen der schlechten Lebensverhältnisse verlassen zu haben. Sie macht darüber hinaus geltend, sie würde sich mit dem System in Nigeria nicht auskennen, da sie dort nicht aufgewachsen sei. Aus diesem Vorbringen sowie den sonstigen, im Verwaltungsverfahren zu Tage getretenen Umständen sowie der allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Lage in Nigeria ergibt sich jedoch nicht, dass den Antragstellerinn im Falle der Rückkehr dorthin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK in Verbindung mit § 60 Abs. 5 AufenthG oder konkrete, individuelle und erhebliche Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG drohen.
bb) Des Weiteren hat die Antragstellerin auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes aufgrund allgemeiner, der Bevölkerung als Ganzes oder einzelnen Bevölkerungsgruppen drohender Gefahren in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 6 i.V.m. § 60a Abs. 1 AufenthG. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG sind jedoch Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, welcher der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein und in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird.
Mangels einer derartigen Abschiebestopp-Anordnung stellen die allgemein vergleichsweise ungünstigen Lebensverhältnisse bzw. die derzeitige Corona-Pandemie in Nigeria allgemeine Gefahren dar, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht rechtfertigen können. Diese Sperrwirkung kann nur im Wege einer verfassungskonformen Auslegung eingeschränkt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43.07 – juris Rn. 32 m.w.N.). Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, einem Ausländer trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab. Die drohenden Gefahren müssen nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Die Gefahren müssen dem Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Nach diesem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad muss eine Abschiebung dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – BVerwGE 115, 1 m.w.N. – juris). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24.10 – BVerwGE 137, 226 – juris).
Von den in Nigeria herrschenden, allgemein ungünstigen Lebensverhältnissen bzw. der auch in Nigeria bestehenden Covid-19-Pandemie wäre die Antragstellerin als alleinstehende Frau jedoch nicht in einer Weise betroffen, welche zu einer solchen Verdichtung der allgemeinen Gefahren zu einer extremen Gefahrenlage in ihrer Person führen würde. Zum einen ist die Antragstellerin jung, gesund und arbeitsfähig und könnte damit in Nigeria zumindest auf dem sogenannten informellen Sektor ohne große Schwierigkeiten eine Arbeit finden. Zum anderen wäre sie in Nigeria auch nicht auf sich alleine gestellt. Sie hat selbst vorgetragen, dass ihr Onkel in Nigeria noch am Leben sei und ihr damals sogar angeboten habe, weiter bei ihm zu wohnen. Auch wenn sie seit dem Tod ihrer Mutter keinen Kontakt mehr zu dem Onkel hatte, ist es doch nicht wahrscheinlich, dass er die Antragstellerin abweisen würde, wenn sie sich im Falle einer Rückkehr nach Nigeria Hilfe suchend an ihn wenden würde. Somit wäre zumindest für die erste zeitliche Phase nach ihrer Rückkehr nach Nigeria gesichert, dass die Antragstellerin ihre wirtschaftlichen Grundbedürfnisse (Obdach, Nahrung, Gesundheitsversorgung) auf dem für das Existenzminimum notwendigen Niveau sichern könnte und eine Anlaufstelle hätte, um sich selbst eine Arbeit und gegebenenfalls eine eigene Wohnung zu suchen. Des Weiteren kann sie, wie im Bescheid ausgeführt, Rückkehrhilfen von staatlicher Seite bzw. von Nichtregierungsorganisationen oder kirchlichen Organisationen in Anspruch nehmen. Dass deren Arbeit derzeit eingeschränkt sein mag, ist der Pandemiesituation geschuldet. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass die Antragstellerin im Falle einer Rückkehr in ihr Herkunftsland mit hoher Wahrscheinlichkeit dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen bzw. Gesundheitsschäden ausgeliefert wäre, weil sie sich in einer völlig hilflosen Lage befände.
Auch die derzeitige Covid-19 (sog. Corona-)Pandemie, ausgelöst durch das SARS-COV-2-Virus, welche auch Nigeria erfasst hat, führt nicht zur Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG zugunsten der Antragstellerin. Im Hinblick auf die Gefahr, dass die Antragstellerin sich in Nigeria mit dem SARS-COV-2-Virus infizieren könnte bzw. im Hinblick auf die dort zur Bekämpfung der weiteren Ausbreitung des Virus bestehenden Einschränkungen des Wirtschaftslebens und der daraus resultierenden Versorgungslage kann sie Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1, 6 AufenthG, wie ausgeführt, nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn sie bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wären. Eine derartige Extremgefahr kann für die Antragstellerin im Falle ihrer Rückkehr nach Nigeria nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Es ist zum einen nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin ohne bekannte und relevante Vorerkrankungen in Nigeria gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Gesundheitsschäden ausgeliefert wären. Die Gesamtsituation bezüglich des Verlaufs der Covid-19-Pandemie in Afrika und insbesondere im Herkunftsland der Antragstellerin, Nigeria, stellt sich im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) nach den zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln bzw. allgemein zugänglichen Quellen wie folgt dar:
In Nigeria gibt es im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung insgesamt 58.460 bestätigte mit dem Coronavirus Infizierte, was einen Anstieg von 136 innerhalb von 24 Stunden bedeutet. Von den bestätigten Infektionsfällen sind immerhin 49.895 wieder genesen, und zwar 101 Personen innerhalb von 24 Stunden. Des Weiteren sind 1.111 Todesopfer zu beklagen, das bedeutet 3 innerhalb der letzten 24 Stunden vor der Erhebung und damit eine Todesrate von 1,9% (vgl. National Centre for Disease Control, NCDC, Covid-19 Situation Report Nr. 213 vom 28.9.2020, im Internet abrufbar unter: https://ncdc.gov.ng/diseases/sitreps/?cad=14+name=an%20update%20of%20COVID-19%20outbreak%20in%20nigeria, Abruf am 30.9.2020). Von den bestätigten Infektionsfällen entfallen 64% auf Männer und 36% auf Frauen. Die am stärksten von der Infektion betroffene Altersgruppe sind Personen im Alter von 31 bis 40 Jahren mit einem Anteil von 27% gegenüber 26% in der Vorwoche, was eine sehr leichte Steigung des Anteils der Personen dieser Altersgruppe an der Zahl der insgesamt infizierten Person bedeutet. Auch die am 1. März 1982 geborene Antragstellerin ist dieser Personengruppe zuzurechnen.
Die vorhandenen Behandlungskapazitäten in Nigeria sind bei Weitem nicht ausreichend. Nach Angaben des nigerianischen Gesundheitsministers vom 29. Mai 2020 soll es in 35 Bundesstaaten und in Abuja derzeit 112 Behandlungs- und Isolationszentren mit insgesamt über 5.000 Fällen geben. Nicht alle Bundesstaaten verfügen bisher jedoch über die ihnen vorgeschriebene Mindestzahl von jeweils 300 Betten. Bereits am 27. Mai 2020 warnte die Presidential Task Force, dass die Regierung weiter steigende Covid-19-Fälle nicht mehr bewältigen könne. Problematisch sind des Weiteren die geringen Testkapazitäten, so gab es bis Ende Februar 2020 für die nigerianische Bevölkerung mit über 200 Millionen Einwohnern lediglich vier Testlabore, welche zu einem Covid-19-Test in der Lage waren. Auch Ende Mai 2020 gab es erst 26 Testlabore, verteilt auf 16 Bundesstaaten und die Hauptstadt Abuja. Es werden lange Wartezeiten auf Testergebnisse beklagt (vgl. zum Ganzen: Bundesamt für …, Länderreport Covid-19, Stand: Juni 2020). Bis Ende Mai 2020 waren in Nigeria erst rund 61.000 Tests erfolgt, weshalb die tatsächliche Inzidenz des Virus im Land unbekannt ist (vgl. BAMF, a.a.O., S. 28). Das Verhältnis von durchgeführten Tests zur Einwohnerzahl weist Nigeria als eines der am wenigsten aktiven Länder Afrikas aus (auf 2.787 Einwohner kommt ein Test). Dementsprechend ist die Dunkelziffer für Nigeria hoch (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O., S. 7). Trotz entsprechender Ermahnungen durch das Gesundheitsministerium gab es am 28. Mai 2020 nach wie vor Fälle, in welchen Krankenhäuser die Aufnahme erkrankter Personen wegen einer befürchteten Corona-Infektion verweigerten. Es besteht daher die Befürchtung, dass aufgrund solcher Fälle der Nichtbehandlung von Krankheiten, welche nicht im Zusammenhang mit der Pandemie stehen, bisher mehr Menschen gestorben seien als an Covid-19 selbst (vgl. BAMF, a.a.O., S. 28).
Zusammenfassend besteht zwar für die Antragstellerin als Person im Alter von über 31, aber unter 40 Jahren, bezogen auf die Gefahr einer Coronainfektion im Falle der Rückkehr nach Nigeria, ein erhöhtes Risiko. Demgegenüber ist die Antragstellerin verhältnismäßig jung und leidet nicht an einer nachgewiesenen relevanten Vorerkrankung. Ihr persönliches Risiko, im Falle einer Infektion trotz der jederzeitigen Beachtung der Schutzmaßnahmen einen schweren oder gar tödlichen Verlauf der Krankheit zu erleiden, ist damit gering. Die Antragstellerin wäre damit in Nigeria nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit der Gefahr ausgesetzt, aufgrund einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus infolge eines schweren Verlaufs und mangelnder Behandlungskapazitäten zu sterben oder bleibende schwerwiegende Gesundheitsschäden davon zu tragen.
Des Weiteren ist die Antragstellerin auch nicht in einem Maße von den zur Bekämpfung der Ausbreitung des Virus getroffenen Maßnahmen bzw. deren politischen, sozialen und ökonomischen Auswirkungen betroffen, dass deshalb für sie von einer hohen Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage bei Rückkehr nach Nigeria auszugehen wäre. Seit Mitte März 2020 haben die Bundesregierung sowie die einzelnen Bundesstaaten eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, um eine weitere Ausbreitung von Covid-19 zu verhindern. Dazu zählen die Schließung der internationalen Flughäfen in Kano und Port Harcourt am 21. März 2020 sowie zwei Tage später auch in Lagos und Abuja. Die in Lagos, Abuja sowie einer Vielzahl weiterer Bundesstaaten verordneten Lockdowns sind inzwischen weitgehend gelockert worden; so gilt in Lagos, Ogun sowie in der Hauptstadt Abuja seit dem 4. Mai 2020 nur noch eine landesweite nächtliche Ausgangssperre von 20:00 Uhr bis 6:00 Uhr sowie die Pflicht, in der Öffentlichkeit Gesichtsmasken zu tragen und einen Abstand zu anderen Personen von 2 m einzuhalten. Die Menschen durften somit wieder ihre Arbeit aufnehmen und konnten damit wieder Geld zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes verdienen (BAMF, a.a.O., S. 28). Verboten blieben weiterhin größere Versammlungen und Passagierflüge wie auch das Reisen von einem Bundesstaat zum anderen. Banken dürfen von 8:00 Uhr bis 14:00 Uhr öffnen. Märkte und Regierungsbüros dürfen stundenweise an drei Tagen in der Woche öffnen. Seit der zweiten Phase der Lockerung ab dem 2. Juni 2020 ist die landesweite nächtliche Ausgangssperre auf 22:00 Uhr bis 4:00 Uhr verkürzt, der Transport von Gütern und Fahrten zum Zwecke der Erbringung von Dienstleistungen ist auch zwischen den Bundesstaaten nunmehr unbeschränkt erlaubt. Kirchen und Moscheen dürfen unter Beachtung strenger Auflagen wieder Gottesdienste abhalten. Genauere Regelungen obliegen den Regierungen der Bundesstaaten. Einschränkungen bestehen nach wie vor dahingehend, dass Ansammlungen von mehr als 20 Menschen außerhalb von Arbeitsplätzen oder Orten der Glaubensausübung streng verboten sind und Schulen, Bars, Fitnessstudios, Kinos, Nachtclubs und Parks weiterhin geschlossen bleiben (vgl. BAMF a.a.O., S. 28/29; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O., S. 8). Für den Bundesstaat Kano wurde mittlerweile eine erste Phase der Lockerung des strengen Lockdowns bekannt gegeben. Besonders betroffen durch die Einschränkungen ist ein Großteil der armen Bevölkerung, der im informellen Sektor arbeitet und auf die täglichen Einnahmen angewiesen ist. Diese Menschen konnten während der Ausgangssperren kein Einkommen generieren. Um die Not zu lindern wurden in einigen Regionen durch die Regierung durch Hilfsorganisationen Nahrungsmittel verteilt (vgl. Bundesamt, a.a.O., S. 29). Die Maßnahmen gegen die Pandemie wirken sich insbesondere auf den informellen Sektor aus, wo 80% der Menschen arbeiten und 65% des Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftet werden. Die Mehrheit der Menschen in diesem Sektor konnte in den vergangenen Wochen nicht arbeiten. Damit entfiel der gesamte Lebensunterhalt, denn Nigeria ist kein Sozialstaat. Hilfspakete wurden nach Informationen keine geschnürt. Angaben zu Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt oder auf die Wirtschaft können derzeit noch nicht gemacht werden. Angeblich hat die Zentralbank Hilfspakete eingeführt, mit welchen denen am härtesten getroffenen Haushalten und Betrieben geholfen werden sollte, allerdings mit Krediten anstelle von Zuwendungen. In Lagos wurden an 200.000 Haushalte Nahrungsmittelpakete ausgegeben (bei 14 Millionen Einwohnern). Insgesamt haben vulnerable Haushalte keine Hilfe von der Regierung erhalten. Hilfe wurde gegebenenfalls von der Zivilgesellschaft organisiert. Lebten bereits vor der Corona-Krise 80 Millionen Nigerianer in extremer Armut, d.h. mit einem Einkommen von weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag, wird diese Zahl laut Weltbank um mindestens 5 Millionen Menschen anwachsen. Es sind keine Berichte bekannt, wonach es bei der Nahrungsmittel- und Wasserversorgung zu einem Mangel gekommen ist, der über das übliche Ausmaß hinausgeht. Allerdings soll es in manchen Bereichen zu einem Preisanstieg von 100% bei Lebensmitteln gekommen sein (vgl. zum Ganzen Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O., S. 8/9).
Bei einer Gesamtbetrachtung dieser Berichte ergibt sich, dass die ohnehin schwierige wirtschaftliche Situation in Nigeria sich aufgrund der zur Einschränkung der Verbreitung des Corona-Virus seitens der Regierung ergriffenen Maßnahmen weiter verschlechtern wird. Andererseits bestehen aber im Arbeitsleben, bei der Lebensmittelversorgung sowie der Bewegungsfreiheit tagsüber infolge der Lockerungen der von den Bundesstaaten verhängten Lockdowns kaum noch relevante Einschränkungen. Es spricht daher keine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass Menschen – wie die Antragstellerin -, welche auf Einkommen im sog. informellen Sektor angewiesen sind, sich ihren Lebensunterhalt aufgrund der coronabedingten Einschränkungen nicht mehr erwirtschaften können. Zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt des Gerichts besteht somit keine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in Nigeria derart negativ entwickeln werden, dass die Antragstellerin nicht mehr in der Lage wäre, zumindest ihr Existenzminimum sicher zu stellen.
d) Des Weiteren bestehen auch gegen die Abschiebungsandrohung nach Nigeria sowie das befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot keine ernsthaften rechtlichen Bedenken.
aa) Keine ernstlichen Zweifel bestehen zunächst gegen die gesetzte Ausreisefrist von einer Woche. Zwar besteht hinsichtlich der Ausreisefrist von einer Woche gemäß § 36 Abs. 1 AsylG, sofern diese mit der Bekanntgabe beginnt, unionsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Effektivität des nach Art. 46 Abs. 6 der Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU i.V.m. Art. 47 der Charta der Grundrechte der EU (EU-GR-Charta) garantierten Rechtsschutzes (vgl. EuGH, U.v. 19.6.2018 – C-181/16, Gnandi – juris; BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 19.19 – juris). Das Bundesamt hat jedoch im vorliegenden Falle unter Ziffer 5 des angefochtenen Bescheides den Beginn der einwöchigen Ausreisefrist auf den Zeitpunkt des Ablaufs der Klagefrist gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG hinausgeschoben bzw. verfügt, dass diese Frist im Falle der fristgerechten Antragstellung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO erst mit der Bekanntgabe des ablehnenden Beschlusses des Verwaltungsgerichts beginnt. Damit hat das Bundesamt in unionrechtskonformer Weise den Zeitpunkt, in welchem die Ausreisefrist anläuft, auf einen Zeitpunkt festgesetzt, in welchem das Verwaltungsgericht den Sofortvollzug der Abschiebungsandrohung bestätigt hat oder fristgerechte Rechtsbehelfe nicht mehr eingelegt werden können (vgl. BVerwG, U.v. 6.2.2020 – 1 C 19.19 – juris Rn. 61), womit die unionsrechtlich geforderten Verfahrens-, Schutz- und Teilhaberechte der Antragstellerin während des Asylverfahrens in vollem Umfang gewährleistet sind.
bb) Das Verbot der Wiedereinreise nach einer eventuellen Abschiebung beruht auf § 11 Abs. 1 AufenthG. Gegen die Befristung gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ergeben sich vorliegend keine Bedenken, insbesondere hat die Antragsgegnerin das ihr zustehende Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt, insbesondere hat sie die (vorgetragenen bzw. erkennbaren) persönlichen Belange der Antragstellerin, welche für eine erneute Einreise in das und Aufenthalt im Bundesgebiet sprechen, ordnungsgemäß mit dem öffentlichen Interesse an einer wirksamen Verhinderung der Wiedereinreise abgelehnter Asylbewerber abgewogen (§ 40 VwVfG, § 114 Satz 1 VwGO).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylG.


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