Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Schutz bei Herkunft aus dem Irak

Aktenzeichen  B 3 K 16.31740

Datum:
27.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 77 Abs. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Liegt ohne Darlegung nachvollziehbarer Gründe in wesentlichen Punkten eine Steigerung des Sachvortrags in der mündlichen Verhandlung im Vergleich zu den Angaben in der Anhörung vor dem Bundesamt vor, ist der Vortrag unglaubhaft. (Rn. 25 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Verfolgungshandlungen, denen der sunnitische Bevölkerungsteil ausgesetzt ist, weisen im Irak nicht die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte auf (vgl. u.a. BayVGH BeckRS 2017, 102474; BeckRS 2017, 100394). (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG reicht auch unter Berücksichtigung einer gewissen Dunkelziffer von nicht erfassten zivilen Todesopfern sowie einem Vielfachen von verletzten Zivilpersonen in insgesamt fünffacher Zahl (16.350*5) die abstrakte Gefahr, angesichts von Kampfeshandlungen in einigen Bereichen im Irak Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen zu werden, nicht aus. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg.
1. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG sowie des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG. Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Der angefochtene Bescheid ist somit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1.1 Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
1.1.1 Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nicht staatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Für die richterliche Überzeugungsbildung im Sinne von § 108 Abs. 1 VwGO gilt folgendes: Das Gericht muss sich die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten Verfolgungsschicksals und der Wahrscheinlichkeit der Verfolgungsgefahr bilden. Eine bloße Glaubhaftmachung in der Gestalt, dass der Vortrag lediglich wahrscheinlich sein muss, ist nicht ausreichend (vgl. grundlegend BVerwG, U. v. 16.04.1985, Az.: 9 C 109.84). Es ist vielmehr der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Hierbei darf das Gericht jedoch hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerland, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder der Feststellung eines Abschiebungsverbotes führen sollen, keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fragen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind (BVerwG, U. v. 16.04.1985 a.a.O.). Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U. v. 20.02.2013, Az.: 10 C-23/12; VG Augsburg, U. v. 11.07.2016, Az.: Au 5 K 16.30604).
Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 ist hierbei die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweise darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von einer solchen Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden. Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden.
Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-) Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus. Es obliegt aber dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es -unter Angabe genauer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder auf Grund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (VGH BW, U. v. 27.08.2013, Az.: A 12 S 2023/11; Hess. VGH, U. v. 04.09.2014, Az.: 8 A 2434/11.A).
Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung des Flüchtlingsschutzes. Das Gericht verweist zunächst auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Vorliegend ist der seitens des Klägers in der mündlichen Verhandlung berichtete Sachverhalt unglaubhaft, da er diesen im Vergleich zu seinen Angaben in der Anhörung bei der Beklagten in wesentlichen Punkten gesteigert hat, ohne hierfür nachvollziehbare Gründe angeben zu können:
So hat der Kläger erstmalig im Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 22.12.2016 im Verfahren B 3 K 16.31753 von einer Folterung mit Stromschlägen und Schlägen mit Elektrokabeln auf Rücken und Fußsohlen berichtet. Hierdurch sollten die Hintermänner für seine Äußerung auf der Facebook-Seite ermittelt werden. Bei seiner Anhörung hatte er hingegen noch angegeben, neun Tage festgehalten und zwei- oder dreimal ins Gesicht geschlagen worden zu sein. Man habe ihn dazu befragt, wie sein Post zu verstehen sei. Auch sei der Kläger entgegen der Niederschrift nicht bloß Sympathisant der Partei Goran gewesen, sondern Mitglied.
Daneben habe er bei seiner Anhörung entgegen der Niederschrift nicht geäußert, dass er darauf baue, dass die ganze Geschichte nach ein paar Monaten vergessen gewesen sei.
In der mündlichen Verhandlung gab er darüber hinaus erstmalig an, dass gegen ihn ein Haftbefehl ergangen sei. Er legte ein diesbezügliches Dokument vor.
Sein Vortrag zu den angeblichen Folterungen blieb hingegen oberflächlich. Auf gerichtliche Nachfragen antwortet der Kläger nur rudimentär und kurz.
Dafür führte der Kläger detailliert zu seinem angeblich getätigten Facebook-Post aus. Der Inhalt weicht jedoch von dem, den er in seiner Anhörung wiedergegeben hat („Du bist arm, weil wir keine richtige Regierung haben, sondern eine Diktatur“), wesentlich (Kommentar zu einer Frau, die gestohlen habe; hierfür sei die Regierung verantwortlich und Gott möge sie vernichten) ab.
Auf die Divergenzen hingewiesen beruft er sich ausschließlich darauf, dass das seitens der Beklagten Aufgenommene falsch sei, man ihm gesagt habe, dass er sich kurz fassen solle, bzw. er nicht wisse, warum er das neu Vorgetragene dort nicht berichtet habe. Diese Begründungen vermögen es nicht, die Divergenzen zu rechtfertigbar. Der Kläger wurde bei seiner Anhörung mehrfach gefragt, ob es Verständigungsschwierigkeiten mit dem Dolmetscher gebe, was er verneinte. Auch wurde er gefragt, ob er ausreichend Gelegenheit gehabt habe, seine Gründe zu schildern, was er bejahte. Die Niederschrift wurde ihm rückübersetzt und er unterschrieb diese. Damit ist davon auszugehen, dass der Inhalt der Niederschrift die Anhörung zutreffend widerspiegelt. Der Kläger kann daneben nicht schlüssig darlegen, warum er auf die Aufforderung, sich kurz zu fassen, nur die geringeren körperlichen Übergriffe geschildert hat und die gerichtliche Ladung vollständig wegließ, obwohl diese laut klägerischen Angaben in der Verhandlung den Hauptauslöser für seine Ausreise darstellte.
Das später Vorgetragene stellt damit eine Steigerung des Sachvortrages dar. Diese wiegt bei der Glaubhaftigkeitsprüfung umso schwerer, als der Kläger den neuen Sachvortrag erst brachte, als sein Antrag durch die Beklagte mit der Begründung abgelehnt worden war, dass der vorgetragene Sachverhalt keine flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlung habe erkennen lassen und sich sein neuer Vortrag ausschließlich damit auseinandersetzt.
An dieser Einschätzung ändert auch der angebliche Haftbefehl nichts. Der diesbezügliche Vortrag und die Vorlage des arabischsprachigen Dokumentes können hieran nichts ändern, da diese einerseits bereits präkludiert sind und damit nach § 74 Abs. 2 Satz 2 AsylG i.V.m. § 87b Abs. 3 VwGO nicht berücksichtigt werden. Der angegriffene Bescheid wurde dem Kläger am 22.11.2016 zugestellt, sodass die Monatsfrist gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 AsylG am 23.11.2016 zu laufen begann und am 22.12.2016 endete, § 31 VwVfG i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB. Der Kläger trug in der mündlichen Verhandlung vor, dass er von dem Haftbefehl im Dezember 2016, also noch innerhalb der Monatsfrist, erfahren habe. Einen genauen Zeitpunkt hierfür konnte oder wollte der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht angeben; deshalb ist davon auszugehen, dass er hiervon innerhalb der Monatsfrist erfuhr. Er habe ihn nicht früher vorgelegt, da sein Anwalt das arabische Schreiben nicht für relevant erachtet habe. Damit hat der Kläger ohne genügende Entschuldigung (§ 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO) trotz Hinweis des Gerichtes im Schreiben vom 07.12.2016 (§ 87 b Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 VwGO) die Frist nicht eingehalten und auch keine neuen Tatsachen und Beweismittel vorgelegt, die erst nach Ablauf der Frist aufgetaucht wären (s.o.). Darüber hinaus würde die Zulassung des Vortrages und des Dokumentes den Rechtsstreit verzögern (§ 87 b Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). An der Echtheit des Haftbefehls besteht auf Grund der Aussagen des Klägers und des Zeitpunktes der Einführung in das Verfahren erhebliche Zweifel, sodass eine weitere Beweisaufnahme notwendig würde, soweit der Haftbefehl für entscheidungsrelevant gehalten würde. Eine solche verzögerte das Verfahren. Andererseits ist darauf hinzuweisen, dass es die Möglichkeit der Inhaftierung beim Entzug einer Strafverhandlung auch in Deutschland gibt. Weshalb hierin eine besondere Verfolgungshandlung gesehen werden können soll, ist nicht ersichtlich.
1.1.2 Ohne dass es noch entscheidungserheblich wäre, steht dem Kläger zudem interner Schutz im Sinne von § 3e AsylG offen.
Einem Ausländer wird gemäß § 3e Abs. 1 AsylG die Flüchtlingseigenschaft aufgrund internen Schutzes nicht zuerkannt, wenn in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 AsylG besteht (Nr. 1) und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2).
Es ist nicht von einer Gruppenverfolgung der Sunniten im Irak auszugehen. Belastbare Anhaltspunkte für eine Gruppenverfolgung durch schiitische Milizen oder andere nicht staatliche Akteure wegen des sunnitischen Glaubens liegen nicht vor. Die Verfolgungshandlungen, denen der sunnitische Bevölkerungsteil ausgesetzt ist, weisen weder im Staat Irak in seiner Gesamtheit noch im Zentralirak die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische Verfolgungsdichte auf (vgl. BayVGH, B. v. 01.02.2017, Az.: 13a ZB 16.30990; U. v. 09.01.207, Az.: 13a ZB 16.30740; U. v. 09.01.2012, Az.: 13a B 11.30277; VG Aachen, U. v. 14.11.2016, Az.: 4 K 265/16.A; VG Augsburg, U. v. 11.07.2016, Az.: Au 5 K 16.30604). Angesichts der Größe der Bevölkerungsgruppe der Sunniten am Anteil der Gesamtbevölkerung im Irak, kann nicht die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte angenommen werden. Die Sunniten gehören zu den wichtigsten ethnisch-religiösen Gruppierungen im Irak. Dies sind die Schiiten, die 60 bis 65% der Bevölkerung ausmachen und vor allem den Südosten bzw. Süden des Landes bewohnen, die Sunniten, die 17 bis 22% der Bevölkerung ausmachen mit ihrem Schwerpunkt im Zentral- und Westirak leben sowie die vor allem im Norden des Landes lebenden Kurden, die ca. 15 bis 20% der Bevölkerung ausmachen und überwiegend sunnitisch, aber auch yezidisch und in kleinen Teilen schiitisch geprägt sind (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 28. Februar 2016, S. 5, und vom 07.02.2017, S. 7).
Vor diesem Hintergrund ist jedenfalls davon auszugehen, dass der Kläger als Sunnit bei einer Rückkehr in den Irak im Bedarfsfall an einem anderen Ort Schutz suchen könnte. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass diese Möglichkeit aufgrund der Vielzahl von Binnenvertriebenen zunehmend geringer wird.
Für den Kläger besteht jedenfalls derzeit noch im Zentralirak bzw. im Westirak eine inländische Fluchtalternative, die auch zumutbar erscheint (vgl. VG Augsburg, U. v. 11.07.2016, Az.: Au 5 K 16.30604).
Dem Kläger wäre darüber hinaus ein Niederlassen nach Bagdad (§ 3e AsylG) zumutbar. Die Gefahrendichte ist in Bagdad nicht so hoch, als dass der Kläger allein aufgrund seiner Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (vgl.: VG Aachen, U. v. 14.11.2016, Az.: 4 K 265/16.A). Bei etwa 7,6 Mio. Einwohner (im November 2016, vgl. dazu https://www…de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Laender/Irak.html) und 3.228 Zwischenfällen mit 835 getöteten und 2.393 verwundeten Zivilisten im ersten Vierteljahr 2016 (vgl. UNHCR, Relevant COI for Assessment on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA) in Baghdad for Sunni Arabs from ISIS-Held Areas, S. 23) wird diese erforderliche Gefahrendichte keineswegs erreicht, auch wenn dies hochgerechnet bedeutet, dass im Jahr 2016 mit etwa insgesamt 3.340 getöteten und etwa 9.572 verwundeten Zivilisten zu rechnen ist. Diese Hochrechnung deckt sich in etwa mit den Angaben von Iraqbodiecount, die von 3.697 Toten in Bagdad im Jahr 2016 ausgehen (vgl.: https://www…org/analysis/numbers/2016/). Diese Zahlen entsprechen bei einer Einwohnerzahl von 7,6 Mio. einer Wahrscheinlichkeit von etwa 0,049 von Hundert in Bagdad getötet (mit den Zahlen von Iraqbodiecount) oder von etwa 0,13 von Hundert verwundet (mit den hochgerechneten Zahlen) zu werden. Beides erreicht nicht die gebotene Gefahrendichte. Selbst wenn noch eine Anzahl von nicht registrierten Vorfällen und eine Gefahrerhöhung aufgrund seiner sunnitischen Glaubenszugehörigkeit einbezogen werden, kann noch keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Klägers allein aufgrund seiner Anwesenheit angenommen werden.
In Bagdad gibt es zudem Viertel, wo die Spannungen zwischen der sunnitischen und schiitischen Bevölkerung tragbar erscheinen. Es gibt den amtlichen Meldungen zufolge durchaus Viertel in Bagdad, die (noch) überwiegend von Irakern, die der sunnitischer Glaubensrichtung angehören, bewohnt werden und in denen der Kläger als Sunnit jedenfalls keiner asylerheblichen Verfolgung ausgesetzt wäre (vgl. Annex B: Letter from the British Embassy Baghdad, „Violence in Baghdad by area“, 29 March 2016, abgedruckt in United Kingdom, Home Office, Country Information an Guidance, Iraq: Security situation in Baghdad, the south and the Kurdistan Region of Iraq (KRI) von August 2016, S. 29 ff.).
1.2 Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG zur Seite. Er kann sich weder auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 AsylG berufen, noch auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
1.2.1 Es gibt keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass ihm bei einer Rückkehr in den Irak seitens eines Akteurs gemäß §§ 4 Abs. 3 Satz 1, 3c AsylG ein ernsthafter Schaden (Todesstrafe, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AsylG droht.
Ein solches ist weder auf Grund des Vortrages des Klägers bezüglich seiner Inhaftierung durch die DPK ersichtlich, da dieser Vortrag auf Grund der wesentlichen Steigerungen so schon unglaubhaft ist (s.o.), noch könnte dies – ungeachtet der Präklusionsproblematik -aus dem angeblichen Haftbefehl gefolgert werden (s.o.). Soweit sich dieser laut Klägervortrag auf den Entzug einer angeblichen Gerichtsverhandlung beziehen sollte, ist nicht glaubhaft vorgetragen, welchen Anlass es für diese Verhandlung geben sollte und welche Rolle der Kläger diesbezüglich einnimmt.
1.2.2 Ihm steht der subsidiäre Schutz auch nicht aus § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu. Nach dieser Vorschrift gilt als ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Dabei muss der den bestehenden Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht haben, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei ihrer Rückkehr in den Irak oder in die von dem bewaffneten Konflikt betroffene Region allein durch ihre dortige Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. dazu auch BVerwG, U. v. 14.07.2009, Az.: 10 C 9.08; U. v. 24.06.2008, Az.: 10 C 43.07). Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen (vgl. BVerwG, U. v. 24.6.2008, Az.: 10 C-43/07). Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie unter anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konfliktes im Sinne des Art. 15 c QualRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt kann landesweit oder regional bestehen und muss sich nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken (vgl. BVerwG, U. v. 24.06.2008 a.a.O.). Dass nicht gleichsam jede Zivilperson im Irak allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist, folgt im Übrigen bereits daraus, dass bei einer Gesamtbevölkerung mit etwa 32 bis 34 Millionen Einwohnern (vgl. www…de/irak/, www.auswaertigesamt.de/DE/ Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Laender/Irak.html) die Zahl der zivilen Todesopfer im Jahr 2016 mit 16.350 zivile Todesfälle (vgl. https://www…org/database/) (2015: insgesamt 17.502, 2014: 20.169) angegeben ist. Die Wahrscheinlichkeit unter diesen Voraussetzungen um Leben zu kommen liegt bei 0,051%. Auch wenn eine gewisse Dunkelziffer von nicht erfassten zivilen Todesopfern sowie ein Vielfaches von verletzten Zivilpersonen in insgesamt fünffacher Menge (16.350*5) berücksichtigt wird, reicht die abstrakte Gefahr, angesichts von Kampfeshandlungen in einigen Bereichen im Irak Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen zu werden, für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nicht aus. Sie läge nach diesen Maßgaben bei 0,26%. Damit wird die erforderliche abstrakte Gefahr im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht erreicht.
Danach rechtfertigt die derzeitige Situation in der Heimatregion des Klägers nicht die Annahme eines Bürgerkrieges im oben genannten Sinne und damit eines landesweit oder auch nur regional bestehenden bewaffneten Konfliktes im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Die angespannte Sicherheitslage resultiert vielmehr aus inneren Unruhen und Spannungen, die aber nicht die Intensität und Dauerhaftigkeit eines Bürgerkrieges aufweisen (vgl. auch VG Augsburg, U. v. 11.07.2016, Az.: Au 5 K 16.30604).
Letztlich weist das Gericht noch daraufhin, dass nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG die Vorschrift des § 3e AsylG (interne Fluchtalternative) entsprechend anzuwenden ist, so dass vollumfänglich auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden kann.
1.3 Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben. Insoweit wird zunächst auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen. Hervorzuheben ist insbesondere, dass eine Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bewertet werden kann und die Voraussetzung des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt. Aufgrund des klägerischen Vortrags ist die Schwelle für eine Verletzung der Werte des Art. 3 EMRK bei weitem nicht erreicht. Allein der Wunsch nach besseren Lebensverhältnissen kann kein Abschiebungsverbot begründen.
Dem Kläger droht auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei sind nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Beruft sich der Ausländer demzufolge auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten. Allgemeine Gefahren in diesem Sinne sind alle Gefahren, die der Bevölkerung des Irak als solcher auf Grund der derzeit dort bestehenden Sicherheitsund Versorgungslage drohen. Dazu zählen neben der Gefahr, Opfer terroristischer Übergriffe zu werden und Gefahren durch die desolate Versorgungslage auch Gefahren krimineller Aktivitäten und Rachebestrebungen von Privatpersonen. Das Bayerische Staatsministerium des Inneren hat im Erlasswege mit Rundschreiben vom 3. Juli 2008 (Az. IA-2086.10-439), welches nach wie vor Gültigkeit beansprucht, verfügt, dass irakische Staatsangehörige, die nicht Straftäter sind oder unter Sicherheitsaspekten vordringlich abzuschieben sind, nicht abgeschoben werden und Duldungen bis auf Weiteres auf der Grundlage des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bis zur Dauer von sechs Monaten erteilt bzw. verlängert werden. Es ist daher davon auszugehen, dass die Erlasslage hinsichtlich allgemeiner Gefahren derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt, so dass es keines zusätzlichen Schutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedarf (vgl. BVerwG, U. v. 12.7.2001, Az.: 1 C-2/01; VG Augsburg, U. v. 11.07.2016, Az.: Au 5 K 16.30604).
1.4 Es bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatbestimmung im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken.
1.5 Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit des von der Beklagten festgesetzten Einreise-und Aufenthaltsverbots sprechen, wurden nicht vorgebracht und sind auch nach den Erkenntnissen in der mündlichen Verhandlung nicht ersichtlich.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO.


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