Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Zuerkennung internationalen Schutzes mangels ausreichender Gefahrenlage in Afghanistan

Aktenzeichen  M 2 K 16.31622

Datum:
16.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, Nr. 3
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK EMRK Art. 3
GG GG Art. 16a

 

Leitsatz

1. In der Rechtsprechung des BVerwG und des BayVGH ist geklärt, dass und unter welchen Voraussetzungen eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG) besteht und dass es für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte unter anderem einer quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletztenrisikos bedarf (dazu statt vieler: BayVGH BeckRS 2017, 100999 mwN v.a. aus der Rspr. des BVerwG). (Rn. 20 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der BayVGH hat in ständiger Rechtsprechung bis in die jüngste Vergangenheit hinein die Einschätzung bestätigt, dass gemessen an den aktuellen Erkenntnismitteln weiterhin davon auszugehen ist, dass das Risiko, durch willkürliche Gewalt infolge eines bewaffneten Konflikts Schaden zu erleiden, in der Zentralregion, welche auch die Heimatprovinz des Klägers Kabul umfasst, weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit liegt. (Rn. 22 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Alleinstehende, leistungsfähige, gesunde Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter sind in der Lage, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semiurbanen Umgebungen zu leben. (Rn. 25 – 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte weder Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG (sogleich 1.) noch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (sogleich 2.). Die Ablehnung der Anträge auf Asylanerkennung (Art. 16 a GG) sowie auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§§ 3 ff. AsylG) in Ziffern 1. und 2. des Bescheids vom 31. Mai 2016 sind mit vorliegender Klage nicht angegriffen worden, der Bescheid ist insoweit in Bestandskraft erwachsen. Der Kläger hat gegen die Beklagte auch weder Anspruch auf Verpflichtung zur Verkürzung der Sperrfrist für das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG von 30 Monaten auf null noch auf Verpflichtung zur Neubescheidung des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (sogleich 3.). Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5. des Bescheids vom 31. Mai 2016 ist rechtmäßig.
Hinsichtlich der allgemeinen Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes, die Feststellung von Abschiebungsverboten sowie die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots, ferner hinsichtlich der Abschiebungsandrohung wird zunächst auf den Bescheid des Bundesamts vom 31. Mai 2016 verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist wie folgt auszuführen:
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG, weil er keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 2 AsylG (dazu sogleich a)) als auch hinsichtlich des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (dazu sogleich b)). Da es mithin schon an einem drohenden ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG fehlt, kommt es auf die vom Kläger intensiv erörterte Frage, ob ihm in Afghanistan interner Schutz im Sinne des § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3 e AsylG zur Verfügung steht, nicht entscheidungserheblich an.
a) Dem Kläger droht in Afghanistan weder die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe noch Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 2 AsylG).
Insbesondere ist in Übereinstimmung mit der aktuellen und ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs davon auszugehen, dass die Lage in Afghanistan nicht derart ist, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG anzunehmen wäre (BayVGH, B. v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris Rdnr. 5 m.w.N.; BayVGH, B. v. 10.4.2017 – 13a ZB 17.30266 – juris Rdnr. 5 m.w.N.).
Auch das Vorbringen beim Bundesamt und gegenüber dem Gericht hinsichtlich einer angeblichen Bedrohung durch unbekannte Personen in Afghanistan rechtfertigt es nicht, von einer dem Kläger drohenden Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG auszugehen: Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, dass sich die angeblichen Bedrohungen der unbekannten Dritten selbst bei Wahrunterstellung des klägerischen Vorbringens in erster Linie gegen seine Eltern gerichtet haben: Die angeblichen Geldforderungen und telefonischen Drohungen wurden gegenüber seinen Eltern ausgesprochen. Der angebliche Anschlag mit einer Bombe bzw. Handgranate, bei dem niemand verletzt worden ist, betraf das elterliche Haus. Der Kläger selbst will persönlich nur das eine Mal bedroht worden sein, als er angeblich auf der Straße zwei Personen begegnet ist, er weggelaufen ist und die Personen dann geflohen sind, als sie auf der Straße seine Nachbarn gesehen haben. Dieses Vorkommnis ist nach Art und Schwere nicht geeignet, die Annahme zu rechtfertigen, dem Kläger selbst drohe im Falle einer Rückkehr nach Kabul eine asylerhebliche unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch die unbekannten Personen. Letztlich kommt es hierauf nicht an, denn zur Überzeugung des Gerichts ist das klägerische Vorbringen hinsichtlich der angeblichen Vorverfolgung in Afghanistan bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände insgesamt unglaubwürdig: Auffällig ist schon, dass der Kläger den Zeitpunkt der angeblichen Vorkommisse nicht genau angeben kann: So hat er etwa hinsichtlich des angeblichen Vorfalls mit der Bombe bzw. Handgranate nur angeben können, dieser habe sich – so beim Bundesamt – ca. vier, fünf Monate vor seiner Ausreise Ende 2012 bzw. – so anders in der mündlichen Verhandlung – Ende des Jahres 2011 zugetragen, der angebliche Vorfall, als man ihn habe mitnehmen wollen, habe sich etwa einen Monat danach – so beim Bundesamt – bzw. einige Tage danach – so gegenüber dem Gericht – abgespielt. Hätte der Kläger diese Vorkommnisse tatsächlich erlebt und als ernsthafte Bedrohung seiner Person verstanden, so wäre zu erwarten gewesen, dass er sich weitaus genauer an den Zeitpunkt dieser für sein Leben bedeutsamen Ereignisse erinnert. Unplausibel ist auch, dass die Unbekannten angeblich schon seit 2010 Geld verlangt und die Familie bedroht haben sollen, wobei sogar gedroht worden sein soll, die Familie zu töten, dennoch gemessen an den klägerischen Angaben niemand aus der Familie jemals ernsthaft zu Schaden gekommen sein soll, obwohl nie etwas an die Unbekannten gezahlt worden sein soll. Auch dies spricht gegen die Annahme einer ersthaften und asylerheblichen Bedrohung. Hinzu kommt, dass sich die vom Kläger vorgebrachten Vorkommnisse gemessen an seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung bereits Ende 2011 abgespielt haben sollen, er Afghanistan aber erst ca. ein Jahr später Ende des Jahres 2012 verlassen haben will. Hätte es sich bei den angeblichen Vorkommnissen um eine ernsthafte Bedrohung von Leib, Leben oder Freiheit des Klägers gehandelt, so wäre zu erwarten gewesen, dass der Kläger nicht erst viele Monate später aus Afghanistan ausreist. Es sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, warum der Kläger Afghanistan nicht unverzüglich nach den angeblichen Vorkommnissen hätte verlassen können, zumal die Familie gemessen an den Angaben des Klägers wirtschaftlich vergleichsweise gut gestellt war (der Vater des Klägers war Inhaber einer mittelgroßen Firma, einer Kfz-Werkstätte und eines Autohandels). Darüber hinaus ist gänzlich unplausibel, warum die Eltern des Klägers, obwohl sich die angeblichen Geldforderungen und Bedrohungen in erster Linie gegen diese gerichtet und schon im Jahr 2010 begonnen haben sollen, gemessen an den klägerischen Angaben in der mündlichen Verhandlung Afghanistan erst im Jahr 2016 verlassen haben sollen. Auch dies spricht dagegen, dass die klägerische Familie tatsächlich ernsthaft und asylerheblich bedroht worden ist. Selbst wenn es nicht möglich gewesen sein sollte, dass die übrige Familie zusammen mit dem Kläger ausreist – so der Kläger, allerdings ohne nachvollziehbare Begründung –, dann wäre im Falle einer tatsächlich bestehenden Bedrohung durch die Unbekannten zu erwarten gewesen, dass die übrige Familie nicht bis zum Jahr 2016 mit der Ausreise in den Iran wartet. An finanziellen Gründen kann eine frühere Ausreise angesichts der vergleichsweise guten wirtschaftlichen Verhältnissen der Familie (siehe oben) jedenfalls nicht gescheitert sein. Gegen die Glaubwürdigkeit des klägerischen Vorbringens spricht schließlich auch, dass er die angeblichen Vorkommnisse trotz zahlreicher Anstoßfragen nur oberflächlich, unsubstantiiert und detailarm schildern konnte.
b) Dem Kläger droht auch kein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist geklärt, dass und unter welchen Voraussetzungen eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) besteht und dass es für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte unter anderem einer quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletztenrisikos bedarf (dazu statt vieler: BayVGH, U. v. 17.1.2017 – 13a ZB 16.30182 – juris Rdnr. 4 ff. m.w.N. v.a. aus der Rspr. d. BVerwG). Eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände in der Person des Betroffenen fehlen, nur ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist somit ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich (BayVGH, a.a.O., juris Rdnr. 5 m.w.N.). Zur Ermittlung der für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr ausreichenden Gefahrendichte ist dabei aufgrund aktueller Quellen die Gesamtzahl der in der Herkunftsprovinz lebenden Zivilpersonen annäherungsweise zu ermitteln und dazu die Häufigkeit von Akten willkürlicher Gewalt sowie der Zahl der dabei Verletzten und Getöteten in Beziehung zu setzen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist dabei ein Risiko von ca. 1:800 oder 0,125%, in der Herkunftsprovinz verletzt oder getötet zu werden, so weit von der Schwelle der für den subsidiären Schutz beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass sich das Fehlen einer wertenden Gesamtbetrachtung neben der rein quantitativen Ermittlung nicht auszuwirken vermag (BVerwG, U. v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rdnr. 22 f.; dazu auch BayVGH, a.a.O., juris Rdnr. 6 f. m.w.N.).
Der Kläger lässt zwar unter Hinweis auf eine Vielzahl von Aussagen verschiedenster Organisationen und Personen detailreich vorbringen, dass die Lage in Afghanistan schlecht sei bzw. sich zuletzt verschlechtert habe. Aus diesem Vorbringen ergibt sich aber nicht, dass die nach der gefestigten höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung für die Feststellung einer individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts erforderliche Gefahrdichte auch nur möglicherweise annähernd erreicht worden sein könnte.
Dies ist ganz offensichtlich auch nicht der Fall: Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung bis in die jüngste Vergangenheit hinein die Einschätzung bestätigt, dass gemessen an den aktuellen Erkenntnismitteln weiterhin davon auszugehen ist, dass das Risiko, durch willkürliche Gewalt infolge eines bewaffneten Konflikts Schaden zu erleiden, in der Zentralregion, welche auch die Heimatprovinz des Klägers, Kabul, umfasst, weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit liegt (BayVGH, B. v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris Rdnr. 4 ff.; BayVGH, B. v. 4.4.2017 – 13a ZB 17.30231 – juris Rdnr. 9 ff.; BayVGH, B. v. 30.1.2017 – 13a ZB 16.30824 – juris Rdnr. 5, B. v. 25.1.2017 – 13a ZB 16.30374 – juris Rdnr. 9, B. v. 20.12.2016 – 13a ZB 16.30129 – juris Rdnr. 7, B. v. 17.8.2016 – 13a ZB 16.30090 – juris Rdnr. 10, U. v. 1.2.2013 – 13a B 12.30045 – juris Rdnr. 15 jew. m.w.N.). Nichts anderes ergibt sich aus den zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG) vorliegenden aktuellen Erkenntnismitteln wie insbesondere dem UNAMA – Bericht vom Februar 2017 (UNAMA, Protection of Civilians in Armed Conflict, Annual Report 2016, Februar 2017, im Internet abrufbar unter: https://unama.unmissions.org) und dem EASO-Bericht vom November 2016: EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan, Security Situation, November 2016, im Internet abrufbar unter https://www.easo.europa.eu): Der Kläger stammte ursprünglich aus Kabul, so dass hinsichtlich der Gefahrensituation primär auf diese Region abzustellen ist. Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) und das European Asylum Support Office (EASO) ordnen die Provinz Kabul (mit der Stadt Kabul) und die Provinzen Kapisa, Panjshir, Parwan, Wardak, Logar der Zentralregion Afghanistans zu. Aus dem EASO-Bericht (a.a.O.) vom November 2016 ergibt sich, dass in der Provinz Kabul 4.372.977 Menschen leben, davon mindestens 3.678.034 in der Stadt Kabul, sowie in allen Provinzen der Zentralregion zusammen 6.620.308 Menschen. Aus dem UNAMA-Bericht vom Februar 2017 (a.a.O., S. 4) geht wiederum hervor, dass in der Zentralregion insgesamt 2.348 zivile Opfer (534 Tote und 1.814 Verletzte) des bewaffneten Konflikts zu beklagen waren. Mithin ergibt sich auf der Grundlage der Zahlen für 2016 für die Zentralregion ein Risiko von 0,0355%, als Zivilperson Opfer des bewaffneten Konflikts zu werden. Vergleicht man die Bevölkerungszahl allein der Stadt Kabul mit der Anzahl der Opfer in der gesamten Zentralregion (unterstellte man also, alle Opfer der Zentralregion entfielen auf die Stadt Kabul), errechnet sich ein Risiko von 0,0638%. Wenngleich die von UNAMA und EASO ermittelten Zahlen nicht exakt sein können, weil die Listen der Vorfälle nicht unbedingt erschöpfend sind und in Einzelfällen nur schwer zwischen Opfern eines bewaffneten Konflikts und von Kriminalität unterschieden werden kann, so vermitteln sie jedenfalls eine realistische Basis, die eine verlässliche Risikobewertung ermöglichen. Daran vermögen insbesondere auch die klägerischen Einwände gegen die Ermittlung der Opferzahlen (u.a. S. 4 ff. des Schriftsatzes vom 31. März 2017) nichts zu ändern. Danach ist unverändert davon auszugehen, dass die Situation u.a. in den Zentralprovinzen nicht durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Die festgestellten Risiken von 0,0355% bzw. 0,0638% liegen weiterhin sehr deutlich unter der Gefahrendichte von 1:800 oder 0,125%, die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts so weit von der Schwelle den subsidiären Schutz beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt ist, dass sich das Fehlen einer wertenden Gesamtbetrachtung neben der rein quantitativen Ermittlung nicht auszuwirken vermag. Dem gefundenen Ergebnis steht deshalb auch nicht die im Rahmen der wertenden Gesamtbetrachtung zu berücksichtigende unzureichende medizinische Versorgungslage in Afghanistan entgegen, die eine Notfallbehandlung Schwerverletzter nur eingeschränkt ermöglichen dürfte. Hinsichtlich individueller gefahrerhöhender Umstände in der Person des Klägers, die das allgemeine Risiko, als Zivilperson Opfer eines bewaffneten Konflikts zu werden, erhöhen könnten, ist nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich. Die vom Kläger im Schriftsatz vom 31. März 2017 genannten „gefahrerhöhenden persönlichen Umstände“ sind schon im Ansatz nicht geeignet, die von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG umfasste Gefahr, als Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts getötet oder verletzt zu werden – nur hierum geht es an dieser Stelle –, zu erhöhen (zur „Gefahrerhöhung“ im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG siehe sogleich).
2. Der Kläger hat gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Hinsichtlich der bereits im Rahmen des subsidiären Schutzes erörterten Gefahren und Bedrohungen, insbesondere auch bezüglich der angeblichen Bedrohung durch unbekannte Personen, gilt das zum subsidiären Schutz Gesagte entsprechend auch für die Abschiebungsverbote. Vor allem aber liegen auch unter Berücksichtigung der zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG) bestehenden wirtschaftlichen und humanitären Lage in Afghanistan und Kabul, auf die sich der Kläger in seinen Schriftsätzen vom 7. September 2016 und 31. März 2017 bezieht, nicht die Voraussetzungen dafür vor, dass ausnahmsweise im außergewöhnlichen Einzelfall des Klägers aufgrund schlechter humanitärer Bedingungen bzw. einer mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehenden extremen Gefahrenlage ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG bzw. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Betracht zu ziehen wäre (dazu BVerwG, U. v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rdnr. 23 – 26 sowie Rdnr. 38).
Insbesondere ist in Übereinstimmung mit der aktuellen und ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs auch unter Berücksichtigung der aktuellen Auskunftslage davon auszugehen, dass die Lage in Afghanistan nicht derart ist, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzunehmen wäre (BayVGH, B. v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris Rdnr. 5 m.w.N.; BayVGH, B. v. 10.4.2017 – 13a ZB 17.30266 – juris Rdnr. 5 m.w.N.). Ferner ist ebenso in Übereinstimmung mit der aktuellen und ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs auch unter Berücksichtigung der aktuellen Auskunftslage unverändert daran festzuhalten, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Insbesondere gilt nach wie vor, dass ein arbeitsfähiger, gesunder Mann regelmäßig auch ohne nennenswertes Vermögen im Fall einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland Afghanistan in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten in seiner Heimatregion Kabul ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten (BayVGH, B. v. 25.1.2017 – 13a ZB 16.30374 – juris Rdnr. 12 m.w.N.; B. v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris Rdnr. 4 m.w.N.; B. v. 20.12.2016 – 13a ZB 16.30129 – juris Rdnr. 10).
An dieser Einschätzung vermögen die umfangreichen Darlegungen der Klagepartei zur Sicherheits-, Versorgungs- und wirtschaftlichen Lage in der Klagebegründung vom 7. September 2016 und vom 31. März 2017 im Ergebnis nichts zu ändern. Dies gilt insbesondere etwa für den von der Klagepartei genannten UNHCR-Bericht vom Dezember 2016: In diesem wird ausdrücklich konstatiert, dass UNHCR seine in der Veröffentlichung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom April 2016 vorgenommene Bewertung der Risikoprofile aufrecht erhält (S. 3). In den UNHCR-Richtlinien vom 19. April 2016 (im Internet abrufbar unter: http://www.refworld.org) vertritt der UNHCR indes selbst die Auffassung, dass alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter in der Lage sind, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semiurbanen Umgebungen zu leben (S. 10; vgl. hierzu und auch im Übrigen zu den UNHCR-Richtlinien: BayVGH, B. v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris Rdnr. 7; BayVGH, B. v. 10.4.2017 – 13a ZB 17.30266 – juris Rdnr. 7; BayVGH, B. v. 25.1.2017 – 13a ZB 16.30374 – juris Rdnr. 11; B. v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris Rdnr. 5). Soweit Stahlmann in dem von der Klagepartei vorgelegten Aufsatz (Überleben in Afghanis…, Asylmagazin 2017, 73) die schwierige humanitäre Lage von Rückkehrern beschreibt, hängt auch nach ihren Ausführungen die Überlebenssicherung in Afghanistan von verschiedenen Faktoren ab, die sich nicht allgemein festlegen lassen. Auch die weiteren Ausführungen in den o.g. Schriftsätzen geben keinen hinreichenden Anlass zu einer grundlegend anderen Bewertung der Frage, ob im Hinblick auf die bestehende wirtschaftliche und humanitäre Lage in Afghanistan und Kabul nationaler Abschiebeschutz zu gewähren ist. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass die wirtschaftliche und humanitäre Lage in Afghanistan für Rückkehrer zweifelsohne schwierig ist. Schlechte wirtschaftliche Verhältnisse im Herkunftsstaat können indes nur ausnahmsweise im außergewöhnlichen Einzelfall aufgrund schlechter humanitärer Bedingungen bzw. in einer mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehenden extremen Gefahrenlage zu einem nationalen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bzw. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen (dazu BVerwG, U. v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rdnr. 23 – 26 sowie Rdnr. 38). Dieser hohe Maßstab für ein asylrechtliches Abschiebungsverbot wegen schlechter wirtschaftlicher und humanitärer Verhältnisse im Herkunftsstaat ist jedenfalls in Bezug auf arbeitsfähige und gesunde Männer wie den Kläger im Allgemeinen auch dann nicht erreicht, wenn man das Vorbringen der Klagepartei zur derzeitigen Sicherheits-, Versorgungs- und Wirtschaftslage mit in den Blick nimmt. Dies kann das Gericht bereits anhand der von ihm und den Beteiligten ins Verfahren eingeführten vielfältigen Erkenntnismittel – darunter auch Bewertungen von Frau Stahlmann und des UNHCR – aufgrund seiner Sachkunde, die auf einer intensiven Befassung mit diesen Erkenntnismitteln beruht, selbst beurteilen, so dass es einer weiteren Beweiserhebung nicht bedurfte. U.a. deshalb konnte der in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag auf Einholung von Sachverständigengutachten durch Frau Stahlmann und den UNHCR abgelehnt werden.
Dieses Ergebnis hat auch dann Bestand, wenn man die von der Klagepartei vorgebrachten individuellen Umstände mit in den Blick nimmt: Keine Rolle spielt insbesondere die Frage, ob der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan dort tatsächlich keinerlei Familienangehörige mehr vorfinden würde, wovon die Klagepartei das Gericht in der mündlichen Verhandlung erkennbar dringlich zu überzeugen versuchte. Denn die o.g. Bewertung hinsichtlich der arbeitsfähigen, gesunden Männer gilt auch dann, wenn diese über keinen familiären Rückhalt in Afghanistan verfügen (so insbesondere ausdrücklich auch die UNHCR-Richtlinien vom 19. April 2016, a.a.O., S. 10: „ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft“). Zu keiner hinreichenden Gefahrenverdichtung führt auch der vom Kläger schriftsätzlich vorgebrachte Umstand, dass er seit vier Jahren in Deutschland lebe, gut integriert sei und sehr gut Deutsch spreche und – so jedenfalls seine Behauptung – nicht mehr bereit und nicht mehr in der Lage sei, sich den rigiden religiösen Verhaltensweisen zu unterwerfen. Die o.g. Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs hinsichtlich der arbeitsfähigen, gesunden Männer gilt selbst bei Afghanen, die im Ausland geboren sind und die sich niemals oder nur kurz in Afghanistan aufgehalten haben. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sie – wie der Kläger – eine der Landessprachen beherrschen. Ein spezielles „Vertraut sein mit den afghanischen Verhältnissen“ ist nicht erforderlich (BayVGH, B. v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris Rdnr. 7; B. v. 20.12.2016 – 13a ZB 16.30129 – juris Rdnr. 10 m.w.N; B. v. 19.12.2014 – 13a ZB 14.30065 – juris Rdnr. 7 m.w.N.). Im Gegenteil führen die Kenntnisse, die der Kläger durch seinen Aufenthalt in Deutschland, insbesondere durch den Schulbesuch erworben hat, zu Vorteilen auf dem afghanischen Arbeitsmarkt.
3. Schließlich hat der Kläger gegen die Beklagte auch weder Anspruch auf Verpflichtung zur Verkürzung der Sperrfrist für das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG von 30 Monaten auf null noch auf Verpflichtung zur Neubescheidung des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (§ 113 Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO; vgl. zur Statthaftigkeit der Verpflichtungsklage: BayVGH, U. v. 28.6.2016 – 10 B 15.1854 – juris Rdnr. 47).
Nach § 11 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot). Nach § 11 Abs. 2 AufenthG ist das mit der Ausweisung verbundene Einreise- und Aufenthaltsverbot von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise und ist gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung festzusetzen. Über die Länge der Frist wird nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden. Sie darf gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Diese Frist soll zehn Jahre nicht überschreiten (§ 11 Abs. 3 Satz 3 AufenthG).
Der Kläger hat vorbringen lassen, die Beklagte habe kein Ermessen ausgeübt bzw. bei der Bemessung der Frist seien seine (näher dargelegten) Integrationsleistungen sowie die Tatsache, dass der Kläger einen Bruder habe, der in München lebe und über ein Niederlassungserlaubnis verfügte, zu berücksichtigten. Mit diesem Vorbringen lässt sich indes schon im Ansatz nicht begründen, der Kläger habe einen Anspruch auf Verkürzung der Sperrfrist auf null. Hierzu müssten die Voraussetzungen einer entsprechenden Ermessensreduzierung auf null vorliegen (vgl. BayVGH, U. v. 28.6.2016 – 10 B 15.1854 – juris Rdnr. 47). Dies ist indes nicht der Fall, vielmehr ist auch – dazu sogleich – die vorgenommene Befristung auf 30 Monate ermessensgerecht. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Neuverbescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts: Entgegen der Darstellung des Klägers hat das Bundesamt ausweislich des Bescheids erkannt, dass eine Ermessensentscheidung vorliegt und dieses Ermessen auch rechtsfehlerfrei ausgeübt. Insbesondere hat es zwar knapp aber noch hinreichend gewürdigt, inwiefern verwandtschaftliche Bindungen bestehen. Nicht ermessensfehlerhaft ist es, dass es der Wohngemeinschaft mit dem Bruder im Ergebnis keine (wesentliche) Bedeutung zugemessen hat. Der bisherige Aufenthalt des Klägers in Deutschland ist auch bei weitem noch nicht lang genug, als dass dies rechtlich zwingend zu einer kürzeren Befristung führen müsste. Der Umstand, dass der Kläger derzeit die Schule besucht und nach Erwerb des Hauptschulabschlusses entweder die Schule weiter besuchen oder eine Ausbildung machen möchte, ist kein im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigender Belang (BayVGH, B. v. 6.4.2017 – 11 ZB 17.30317 – juris Rdnr. 13).
Nach alldem war die gemäß § 83 b AsylG gerichtskostenfreie Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.


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