Verwaltungsrecht

Kein Asylrecht für nigerianischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  W 10 K 18.32407

Datum:
13.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 35285
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3a, § 3b, § 3c, § 3e, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, 7 S. 1
GG Art. 16a Abs. 2

 

Leitsatz

1. Im falle der Rückkehr nach Nigeria kann ein junger Mann ohne gravierende gesundheitliche Einschränkungen in einer der zahlreichen Großstädte eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit aufnahmen, um seinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die im Norden Nigerias bestehenden Spannungen zwischen Christen und Muslimen mit gelegentlichen terroristischen Anschlägen reichen nicht aus, um einen regionalen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt anzunehmen, wenngleich die Schwelle hierfür eher niedrig anzusetzen ist. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage, über die das Gericht gemäß § 102 Abs. 2 VwGO auch in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandeln und entscheiden kann, hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrten Entscheidungen zu seinen Gunsten. Der Ablehnungsbescheid vom 7. November 2018 einschließlich der Abschiebungsandrohung nach Nigeria sowie der Befristung des gesetzlichen Wiedereinreiseverbotes ist deshalb rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Abs. 1 GG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 AsylG, da er, wie er selbst angibt und wie durch die Recherchen der Ausländerbehörde – der Regierung von Unterfranken – bestätigt wurde, über Spanien und damit über einen Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) in das Bundesgebiet eingereist ist. Da die Mitgliedstaaten der EU als sichere Drittstaaten im Sinne des Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG gelten, ist bei der Einreise über einen solchen Staat die Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. § 26a Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 AsylG ausgeschlossen. Dasselbe gilt gemäß § 26a Abs. 2 AsylG i.V.m. der Anlage I für die (Nicht-EU-Mitgliedstaaten) Norwegen und die Schweiz, weshalb eine Einreise in das Bundesgebiet auf dem Landweg stets über einen sicheren Drittstaat erfolgt und somit die Asylanerkennung ausschließt.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG.
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die (1.) aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) – EMRK – keine Abweichung zulässig ist, oder (2.) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Diese Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung, ABl. L 337 S. 9) – RL 2011/95/EU – umsetzende Legaldefinition der Verfolgungshandlung erfährt in § 3a Abs. 2 AsylG im Einklang mit Art. 9 Abs. 2 RL 2011/95/EU eine Ausgestaltung durch einen nicht abschließenden Katalog von Regelbeispielen. Die Annahme einer Verfolgungshandlung setzt einen gezielten Eingriff in ein nach Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU geschütztes Rechtsgut voraus (BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 11; U.v. 19.1.2009 – 10 C 52.07 – BVerwGE 133, 55 Rn. 22).
§ 3b Abs. 1 AsylG konkretisiert die in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe. Gemäß § 3b Abs. 2 AsylG ist es bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich, ob dieser tatsächlich die flüchtlingsschutzrelevanten Merkmale aufweist, sofern ihm diese von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Die Maßnahme muss darauf gerichtet sein, den von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an einen oder mehrere Verfolgungsgründe zu treffen. Ob die Verfolgung “wegen” eines Verfolgungsgrundes erfolgt, mithin entweder die Verfolgungshandlung oder das Fehlen von Schutz vor Verfolgung oder beide auf einen der in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründe zurückgehen, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme zu beurteilen, nicht hingegen nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerfG, B.v. 1.7.1987 – 2 BvR 478/86, 2 BvR 962/86 – BVerfGE 76, 143/157, 166 f.; BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 13). Diese Zielgerichtetheit muss nicht nur hinsichtlich der durch die Verfolgungshandlung bewirkten Rechtsgutverletzung, sondern auch in Bezug auf die Verfolgungsgründe im Sinne des § 3b AsylG, an welche die Handlung anknüpft, anzunehmen sein (BVerwG, U.v. 19.1.2009 – 10 C 52.07 – BVerwGE 133, 55 Rn. 22; B.v. 21.11.2017 – 1 B 148.17 – juris Rn. 17; U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 13). Für die “Verknüpfung” reicht ein Zusammenhang im Sinne einer Mitverursachung aus. Gerade mit Blick auf nicht selten komplexe und multikausale Sachverhalte ist nicht zu verlangen, dass ein bestimmter Verfolgungsgrund die zentrale Motivation oder die alleinige Ursache einer Verfolgungsmaßnahme ist. Indes genügt eine lediglich entfernte, hypothetische Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund den Anforderungen des § 3a Abs. 3 AsylG nicht (BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 13 m.Verw.a. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Januar 2018, § 3a AsylG Rn. 37 ff.).
Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (“real risk”) drohen (st. Rspr., vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – BVerwGE 146, 67 Rn. 19; B.v. 15.8.2017 – 1 B 120.17 – juris Rn. 8; U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 14). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab bedingt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Diese Würdigung ist auf der Grundlage einer “qualifizierenden” Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Hierbei sind gemäß Art. 4 Abs. 3 RL 2011/95/EU neben sämtlichen mit dem Herkunftsland verbundenen relevanten Tatsachen unter anderem das maßgebliche Vorbringen des Antragstellers und dessen individuelle Lage zu berücksichtigen. Entscheidend ist, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – BVerwGE 146, 67 Rn. 32 m.w.N.; U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 14). Damit kommt dem qualitativen Kriterium der Zumutbarkeit maßgebliche Bedeutung zu. Eine Verfolgung ist danach beachtlich wahrscheinlich, wenn einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 7.2.2008 – 10 C 33.07 – juris Rn. 37; U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 14).
Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat beziehungsweise von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist gemäß Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (BVerwG, U.v. 19.4.2019 – 1 C 29.17 – juris Rn. 15 m.w.N.). Liegen beim Ausländer frühere Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgung als Anhaltspunkt für die Begründetheit seiner Furcht vor erneuter Verfolgung im Falle der Rückkehr in sein Heimatland vor, so kommt ihm die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU zugute. Die den früheren Handlungen oder Bedrohungen zukommende Beweiskraft ist von den zuständigen Behörden unter der sich aus Art. 9 Abs. 3 RL 2011/95/EU ergebenden Voraussetzung zu berücksichtigen, dass diese Handlungen oder Bedrohungen eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen, den der Betreffende für seinen Antrag auf Schutz geltend macht (EuGH, U.v. 2.3.2010 – C-175/08 u.a., Abdullah u.a./Bundesrepublik Deutschland – NVwZ 2010, 505 Rn. 94). Fehlt es an einer entsprechenden Verknüpfung, so greift die Beweiserleichterung nicht ein. Die widerlegliche Vermutung entlastet den Vorverfolgten von der Notwendigkeit, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Sie ist widerlegt, wenn stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften. Diese Beurteilung unterliegt der freien Beweiswürdigung des Tatrichters (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – BVerwGE 136, 377 Rn. 23; U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 14). Des Weiteren setzt die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU einen inneren Zusammenhang zwischen der erlittenen Verfolgung und der bei Rückkehr erneut befürchteten Verfolgung voraus. Denn die der Vorschrift zugrundeliegende Wiederholungsvermutung beruht wesentlich auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung – bei gleichbleibender Ausgangssituation – aus tatsächlichen Gründen naheliegt (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris Rn. 31; U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 21; BayVGH, U.v. 26.4.2018 – 20 B 17.30947 – juris Rn. 18).
Dem Asylantragsteller obliegt es, seine Gründe für die Verfolgung schlüssig vorzutragen. Das bedeutet, dass ein in sich stimmiger Sachverhalt geschildert werden muss, aus dem sich bei Wahrunterstellung und verständiger Würdigung ergibt, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung droht. Dies beinhaltet auch, dass der Ausländer die in seine Sphäre fallenden Ereignisse und persönlichen Erlebnisse, die geeignet sind, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen, wiedergeben muss (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, U.v. 2.7.2013 – A 9 S 303/15 -, juris Rn. 59 f. mit Verweis auf BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239.89 – juris Rn. 3 f.; B.v. 26.10.1989 – 9 B 405.89 – juris Rn. 8; B.v. 3.8.1990 – 9 B 45.90 – juris Rn. 2).
b) Gemessen an diesen Grundsätzen steht dem Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu.
aa) Hinsichtlich des Todes seiner Angehörigen (Vater, Mutter, Schwester) durch Bombenattentate bzw. – möglicherweise politisch oder religiös motivierte – Mordanschläge fehlt es bei Wahrunterstellung dieses Vortrags an dem nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU vorausgesetzten inneren Zusammenhang zwischen der erlittenen Verfolgung und der bei Rückkehr erneut befürchteten Verfolgung, weshalb stichhaltige Gründe gegen eine Verfolgungswiederholung sprechen. Daran fehlt es hier schon in Anbetracht der vergangenen Zeiträume, da der zeitlich letzte Mordanschlag an einem seiner Angehörigen, nämlich seiner Mutter, bereits im Jahr 2012 geschehen ist. Des Weiteren war mit diesen Morden keine eigene Rechtsgutsverletzung des Klägers im Sinne einer Verfolgungshandlung nach § 3a AsylG verbunden, weil die Attentate nicht gegen ihn persönlich gerichtet waren. Im Übrigen hat der Kläger angegeben, nach dem Tod seiner Mutter von Kano City nach Imo State in das Haus seines verstorbenen Vaters gegangen zu sein. Dort hat er nach eigenen Angaben keine Verfolgungsmaßnahmen durch Boko Haram oder andere kriminelle Organisationen erlitten.
bb) Ebenso droht dem Kläger auch keine Verfolgung wegen des Todes seines Cousins infolge einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit dem Kläger. Hierzu hat der Kläger vorgetragen, im Rahmen einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit einem Sohn seines Onkels, welcher ihm das Erbe des Vaters habe streitig machen wollen, diesen mit einem Messer tödlich verletzt zu haben. Aus diesem Vortrag, seine Richtigkeit unterstellt, folgt jedoch keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer landesweiten Verfolgung im Sinne des § 3a AsylG. Zum einen ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Kläger wegen des Vorfalls in unverhältnismäßiger oder diskriminierender Weise von staatlicher Strafverfolgung oder Bestrafung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG betroffen wäre. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage, was er im Falle der Rückkehr nach Nigeria befürchte, auf ein Gesetz der Ibo verwiesen, wonach derjenige, der einen anderen töte, selbst mit dem Tode bestraft werde. Er hat auch nicht bestätigt, dass es eine Verurteilung gegen ihn gebe. Daraus folgt, dass der Kläger jedenfalls in erster Linie die Rache der Angehörigen seines getöteten Cousins fürchtet. Dabei handelt es sich jedoch nicht um Maßnahmen der staatlichen Strafverfolgung, sondern um private Rache durch einen nichtstaatlichen Verfolgungsakteur im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG. Dagegen kann der Kläger zum einen Schutz durch staatliche Organe nach § 3d AsylG suchen. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der nigerianische Staat im Falle des Klägers nicht schutzfähig oder schutzwillig wäre und nicht versuchen würde, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Eine nicht diskriminierende oder unverhältnismäßige gerichtliche Verurteilung würde, wie ausgeführt, keine Verfolgung darstellen.
Zum anderen besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer landesweiten Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure, weshalb der Kläger der Verfolgung durch Ausweichen in einen anderen Landesteil Nigerias entgehen kann. Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor, denn es ist dem Kläger möglich und zumutbar, sich in einem anderen Teil Nigerias aufzuhalten, in welchem er nicht von den Angehörigen seines getöteten Cousins verfolgt würde, und sich dort niederzulassen. Der Kläger stammt aus dem Bundesstaat Kano und ist christlichen Glaubens. Er kann sich daher beispielsweise in eine der zahlreichen Großstädte, insbesondere in die Hauptstadt Abuja oder in den christlich geprägten Südwesten des Landes, beispielsweise nach Benin City, Lagos oder Ibadan, begeben. Der Kläger genießt Freizügigkeit in ganz Nigeria, so dass er seinen Wohn- und Aufenthaltsort grundsätzlich frei bestimmen kann. Wenn er nicht von sich aus zu den Angehörigen des Todesopfers oder deren Umfeld Kontakt aufnimmt, ist es unwahrscheinlich, dass er in einer anonymen Großstadt nach mehrjähriger Abwesenheit außerhalb seiner Heimatregion aufgefunden wird, zumal Nigeria etwa 190 Millionen Einwohner hat, eine Fläche von 925.000 Quadratkilometer aufweist und dabei nicht über ein funktionsfähiges Meldesystem verfügt (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Nigeria, Stand: 7.8.2017, S. 49, 61).
Dem Kläger ist ein Umzug in einen anderen Landesteil Nigerias auch zumutbar. Zwar geht aus den vorliegenden Erkenntnismitteln hervor, dass ein Umzug in einen anderen Landesteil unter Umständen mit wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein kann, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, an dem sie kein soziales Umfeld haben (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 10.12.2018, Stand: Oktober 2018, S. 16). Insbesondere familiären Bindungen kommt in der nigerianischen Gesellschaft eine gesteigerte Bedeutung zu. Der Kläger könnte jedoch im Falle der Rückkehr nach Nigeria auch ohne solche Bindungen als relativ junger Mann ohne gravierende gesundheitliche Einschränkungen in einer der zahlreichen Großstädte eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit aufnehmen, um seinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Dies gilt umso mehr, als der Kläger als Nigerianer im Falle einer freiwilligen Rückkehr nach Nigeria sowohl Start- als auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen kann (vgl. dazu unter 4.). Zudem hat der Kläger angegeben, in Nigeria vier Jahre lang die Grundschule besucht und als Maler gearbeitet zu haben. Auf der Basis dieser Vorbildung und beruflichen Erfahrungen wird es dem Kläger in Nigeria möglich und zumutbar sein, ein kleines Einkommen im handwerklichen Bereich zu erzielen, um sich ernähren zu können.
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG.
a) Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG gilt als ernsthafter Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). § 4 Abs. 1 AsylG setzt die Bestimmungen der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (ABl. L 304 v. 30.9.2004, S. 2, ABl. L 304 v. 30.9.2004, S. 12 – 23) – Qualifikationsrichtlinie a.F. (QRL), jetzt Richtlinie 2011/95/EU (ABl. L 337 S. 9, ber. ABl. 2017 L 167 S. 58) -, insbesondere deren Art. 15 ff. im deutschen Recht um. Diese bilden nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – zu den Vorläuferregelungen des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG – einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – DVBl. 2011, 1565 f.; BayVGH, U.v. 20.1.2012 – 13a B 11.30427 – juris).
b) Gemessen an diesen Grundsätzen droht dem Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit die Gefahr eines ernsthaften Schadens.
aa) Zum einen droht dem Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG. Maßgeblich ist insoweit allein die individuell drohende Todesstrafe aufgrund eines Gerichtsurteils, nicht aufgrund sog. extralegaler Hinrichtungen oder Fememorde. Dabei folgt aus Art. 15 Buchst. a der Richtlinie 2011/95/EU, dass es nicht auf die drohende Vollstreckung der Todesstrafe ankommt, sondern dass auch deren Verhängung für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes ausreicht (vgl. Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, AsylG, § 4 Rn. 4). Dem Kläger droht jedoch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Verhängung der Todesstrafe. Dafür, dass dies bereits durch ein Gerichtsurteil gegenüber dem Kläger geschehen wäre, ergeben sich weder aus seinem Vortrag noch aus den Umständen irgendwelche Anhaltspunkte. Der Kläger hat auch nicht vorgetragen, dass er wegen des Todes seines Cousins in Nigeria polizeilich gesucht werde und dort die Gefahr der Todesstrafe bestehe (vgl. Bergmann a.a.O., Rn. 5). Vielmehr folgt aus seinem Vortrag, wie bereits ausgeführt (siehe oben 2.), dass er die private Rache der Angehörigen des Todesopfers fürchtet. Dagegen ist es nach der Überzeugung des Gerichts nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger landesweit polizeilich gesucht wird und ihm daher im Falle der Rückkehr nach Nigeria die Festnahme und Verurteilung bevorsteht. Zwar besteht die Todesstrafe in Nigeria noch, es erscheint aber schon nach dem geschilderten Geschehen nicht beachtlich wahrscheinlich, dass diese gegen den Kläger verhängt würde, da er in Notwehr gehandelt haben dürfte oder zumindest nicht wegen Mordes angeklagt werden dürfte. Des Weiteren ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus den Erkenntnismitteln, dass zum einen Fahndungsausschreibungen und kriminalpolizeiliche Erkenntnisse zur Überprüfung einer angeblich in Nigeria verübten Straftat nicht zentral überprüft werden können. Zum anderen stehen bei einer Abschiebung eines abgelehnten Asylbewerbers den nigerianischen Behörden relevante Informationen auch nicht zur Verfügung, sodass eine weitere Strafverfolgung der betreffenden Person in Nigeria unwahrscheinlich ist (Auswärtiges Amt, Auskunft an das BAMF v. 28.1.2019 – 508-516.80/51965; v. 17.4.2018 – 508-516.80/49738). Im Falle der freiwilligen Rückkehr oder Abschiebung über die Flughäfen Abuja oder Lagos bestünde somit keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger wegen eines angeblich in Imo State verübten Verbrechens verfolgt würde.
bb) Des Weiteren droht dem Kläger auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG, weil er sich auch insoweit darauf verweisen lassen muss, dass er zumutbaren internen Schutz im Sinne des § 3e AsylG in Anspruch nehmen kann (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG).
cc) Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes infolge konkreter individueller Gefahren infolge eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Zwar ist bei dieser Betrachtung im Falle eines nicht landesweiten innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes zunächst auf die Herkunftsregion abzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 13 m.w.N.), im Falle des Klägers mithin auf die Region Kano im Norden Nigerias. Die dort bestehenden Spannungen zwischen Christen und Muslimen mit gelegentlichen terroristischen Anschlägen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Nigeria, Stand 12.4.2019, S. 9) dürften nicht ausreichen, um einen regionalen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt anzunehmen, wenngleich die Schwelle hierfür eher niedrig anzusetzen ist (vgl. dazu EuGH, U.v. 30.1.2014 – C-285/12, Diakité – juris Rn. 20 ff., insb. 28; BayVGH, B.v. 16.11.2017 – 20 ZB 17.31538 – juris Rn. 5; U.v. 28.3.2017 – 20 B 15.30204 – juris Rn. 21; U.v. 23.3.2017 – 20 B 15.30110 – juris Rn. 24). Jedenfalls kann der Kläger aber auf das Bestehen einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative im Sinne des § 3e i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 3 AsylG verwiesen werden (vgl. oben 2.).
4. Des Weiteren hat der Kläger auch keinen Anspruch auf die Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unzulässig ist. Aus der EMRK folgt kein Recht auf Verbleib in einem Konventionsstaat, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Falle einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe der Aufenthaltsbeendigung zwingend entgegenstehen, wobei solche humanitären Gründe auch in einer völlig unzureichenden Versorgungslage begründet sein können (vgl. BVerwG; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 23 ff. unter Verweis auf EGMR, U.v. 28.5.2008 – Nr. 26565/05, N./Vereinigtes Königreich – NVwZ 2008, 1334 Rn. 42; U.v. 28.6.2011 – Nr. 8319/07, Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich – NVwZ 2012, 681; ebenso BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – juris Rn. 17 f.).
Zwar ist dem Gericht bekannt, dass das Leben der Menschen in Nigeria von problematischen wirtschaftlichen Verhältnissen, einer schwierigen Versorgungslage und hoher Arbeitslosigkeit geprägt ist. Etwa zwei Drittel der nigerianischen Bevölkerung lebt in extremer Armut (vgl. EASO Country of Origin Information Report; Nigeria Country Focus, Juni 2017, S. 16). Der größte Teil der Bevölkerung ist von informellem Handel und Subsistenzwirtschaft abhängig. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist ungleichmäßig zwischen einer kleinen Elite, die von dem Ölreichtum des Landes profitiert, und der Masse der Bevölkerung verteilt. Viele Menschen haben keinen oder nur erschwerten Zugang zu Wasser und Strom. Ein staatlich organisiertes Hilfsnetz für Mittellose existiert ebenso wenig wie kostenlose medizinische Versorgung, die allen nigerianischen Staatsangehörigen zugänglich ist. Mittellose Personen sind regelmäßig auf die Unterstützung der Familie angewiesen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 10.12.2018, Stand: Oktober 2018, S. 8, 21 f.). Gleichwohl liegt keine derart unzureichende Versorgungslage vor, die einen besonderen Ausnahmefall im genannten Sinne begründet, zumal die allgemeine Versorgungslage zwar deutlich hinter europäischen Standards zurückbleibt, sich insbesondere in den Großstädten aber tendenziell verbessert.
b) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG (in verfassungskonformer Auslegung) ergibt sich für den Kläger nicht aus der Versorgungslage in Nigeria. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein und in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird.
Mangels einer derartigen Abschiebestopp-Anordnung stellt die nach den eingeführten Erkenntnisquellen bestehende unzureichende Versorgungslage in Nigeria eine allgemeine Gefahr dar, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht rechtfertigen kann. Diese Sperrwirkung kann nur dann im Wege einer verfassungskonformen Auslegung eingeschränkt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43.07 – juris Rn. 32 m.w.N.). Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die den Kläger in Nigeria erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann er Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab. Die drohenden Gefahren müssen nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Die Gefahren müssen dem Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Nach diesem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad muss eine Abschiebung dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten “gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde” (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – BVerwGE 115, 1 m.w.N. = juris). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage den baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24.10 – BVerwGE 137, 226 = juris).
Im Falle des Klägers kann eine derartige Ausnahmesituation, die die Annahme eines Abschiebungsverbotes rechtfertigen würde, jedoch nicht prognostiziert werden. Aus den vorliegenden Erkenntnismitteln ergibt sich zwar, dass insbesondere junge Menschen mangels finanzieller oder sozialer Unterstützung durch den Staat häufig von der Unterstützung durch Familienangehörige oder Freunde abhängig sind. Allerdings ist im Falle des Klägers individuell zu berücksichtigen, dass er relativ jung ist, keine gravierenden gesundheitlichen Einschränkungen hat und über Erfahrungen im Arbeitsleben verfügt. Es ist daher zu erwarten, dass der Kläger seine Lebensgrundlage jedenfalls auf einem geringen, aber dem Existenzminimum genügenden Niveau durch eigene Erwerbstätigkeit in einer der bereits genannten Großstädte sichern kann. Es ist daher in der Gesamtschau nicht ersichtlich, dass sich der Kläger in einer solch speziellen Lebenssituation befindet, dass er im Falle einer Rückkehr nach Nigeria sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würden. Dies gilt umso mehr, als dem Gericht Erkenntnisse über internationale Bemühungen vorliegen, in Nigeria Zentren für Rückkehrer und Migrationsberatungszentren weiter auszubauen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 10.12.2018, Stand: Oktober 2018, S. 24). Der Kläger kann zudem von seinen in Europa gesammelten Erfahrungen profitieren und befindet sich daher in einer vergleichsweise guten Position, auch wenn er seit mehreren Jahren nicht mehr in Nigeria war. Überdies steht es dem Kläger frei, Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen oder sich an karitative Einrichtungen vor Ort zu wenden, um Unterstützung und Starthilfe zu erhalten. So können ausreisewillige Personen aus Nigeria Leistungen aus dem REAG-Programm sowie aus dem GARP-Programm erhalten, die Reisebeihilfen im Wert von 200,00 EUR und eine Starthilfe im Umfang von 1.000,00 EUR beinhalten; eine zweite Starthilfe in Höhe von 1.000,00 EUR wird sechs bis acht Monate nach der Rückkehr im Heimatland persönlich ausgezahlt. Darüber hinaus besteht das Reintegrationsprogramm ERRIN. Die Hilfen aus diesem Programm umfassen Beratung nach der Ankunft, berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Hilfe bei der Arbeitsplatzsuche, Unterstützung bei einer Existenzgründung, Grundausstattung für die Wohnung sowie die Beratung und Begleitung zu behördlichen, medizinischen und caritativen Einrichtungen. Die Unterstützung wird als Sachleistung gewährt. Der Leistungsrahmen für rückgeführte Einzelpersonen beträgt dabei bis zu 2.000,00 EUR und im Familienverbund bis zu 3.300,00 EUR (https://www.returningfromgermany.de/de/programmes/erin). Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass sich der Kläger nicht darauf berufen kann, dass die genannten Start- und Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehrer gewährt werden, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbots verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – juris; VGH BW, U.v. 26.2.2014 – A 11 S 2519/12 – juris). Dementsprechend ist es dem Kläger möglich und zumutbar, gerade zur Überbrückung der ersten Zeit nach einer Rückkehr nach Nigeria freiwillig Zurückkehrenden gewährte Reisehilfen sowie Reintegrationsleistungen in Anspruch zu nehmen.
5. Gegen die Rechtmäßigkeit der auf §§ 34, 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG gestützten Abschiebungsandrohung einschließlich der gesetzten Ausreisefrist bestehen keine Bedenken.
6. Des Weiteren bestehen keine Bedenken gegen die Befristung des gesetzlichen Wiedereinreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 2 und 3 AufenthG. Es sind keine persönlichen Umstände des Klägers oder sonstigen Gesichtspunkte erkennbar, welche die konkret gesetzte Frist ermessensfehlerhaft erscheinen ließen.
7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylG, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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