Verwaltungsrecht

Kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt in Äthiopien

Aktenzeichen  B 7 K 17.32608

Datum:
23.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 24056
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3

 

Leitsatz

An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt. (Rn. 24 – 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG noch einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter. Die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG scheidet ebenfalls aus. Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Die Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes sind nicht zu beanstanden. Der angefochtene Bescheid ist somit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nicht staatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschl. internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage sind oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Für die richterliche Überzeugungsbildung im Sinne von § 108 Abs. 1 VwGO gilt Folgendes:
Das Gericht muss sich die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten Verfolgungsschicksals und der Wahrscheinlichkeit der Verfolgungsgefahr bilden. Eine bloße Glaubhaftmachung in der Gestalt, dass der Vortrag lediglich wahrscheinlich sein muss ist nicht ausreichend (vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109.84 – juris). Es ist vielmehr der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Hierbei darf das Gericht jedoch hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerland, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder der Feststellung eines Abschiebungsverbotes führen sollen, keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fragen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind (BVerwG, U.v. 16.4.1985 a.a.O.). Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris; VG Augsburg, U.v. 11.7.2016 – Au 5 K 16.30604 – juris).
Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 ist hierbei die Tatsache, dass ein Kläger bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweise darauf, dass die Furcht des Klägers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Kläger erneut von solcher Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Kläger eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden. Dadurch wird der Kläger, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden.
Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-) Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus. Es obliegt aber dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es – unter Angabe genauer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder auf Grund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (VGH BW, U.v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11 – juris; HessVGH, U.v. 4.9.2014 – 8 A 2434/11.A – juris).
Gemessen an diesen Maßstäben hat der Kläger eine an den Merkmalen des § 3 Abs. 1 AsylG ausgerichtete Verfolgung nicht glaubhaft gemacht. Das Gericht folgt diesbezüglich zunächst vollumfänglich den Ausführungen im angefochtenen Bescheid (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Selbst unter Berücksichtigung der Schilderungen des Klägers im Klageverfahren besteht kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Die Ausführungen des Klägers sind in den entscheidenden Punkten vage, detailarm und darüber hinaus von teils massiven Widersprüchlichkeiten und Steigerungen geprägt. Das Gericht schenkt daher der Fluchtgeschichte des Klägers keinen Glauben.
a) Der Kläger hat seinen Sachvortrag in der mündlichen Verhandlung am 20.08.2018 – völlig unglaubwürdig – gesteigert, in dem er dem Gericht erklärte, er sei von der ONLF inhaftiert worden, damit er sich dieser anschließe. Während des Aufenthalts im Lager sei ihm die Hand gebrochen worden. Aus der Gefangenschaft habe er nur entkommen können, weil die ONLF-Leute getürmt seien und Regierungstruppen die Gefangenen befreit hätten. Von einer derartigen Inhaftierung bzw. beabsichtigten Zwangsrekrutierung durch die ONLF sowie einer Gefangenenbefreiung durch die Regierungstruppen war jedoch im bisherigen Verfahren nicht einmal im Ansatz die Rede. Der Kläger erklärte bei der persönlichen Anhörung beim Bundesamt lediglich, es habe Probleme mit der ONLF und der Liyu-Police gegeben. Die ONLF sei abends in die Dörfer gekommen und habe die Bewohner misshandelt. Die Ortsbewohner seien dabei mit den Händen nach hinten gefesselt worden. Dabei sei sein Arm gebrochen.
Auf Vorhalt des Gerichts erklärte der Kläger lediglich pauschal und gerichtsbekannt, er habe die Inhaftierung in einem Lager und die Freilassung durch die Regierungstruppen beim Bundesamt nicht geschildert, da man ihn nicht danach gefragt habe. Deswegen habe er nur von einem gebrochenen Arm durch die OLNF berichtet. Näheres habe das Bundesamt nicht wissen wollen. Im Rahmen weiterer Vorhalte durch das Gericht führte der Kläger letztlich den unterbliebenen Sachvortrag auf ein Verschulden seines Bevollmächtigten zurück. Er erklärte dem Gericht, er habe kaum Kontakt zu seinem Anwalt gehabt und deswegen habe keine Möglichkeit bestanden, dies seinem Anwalt zu erzählen bzw. vorzutragen. Dieses Vorbringen in der mündlichen Verhandlung stellt auch nicht nur ansatzweise einen Rechtfertigungsgrund für den unterbliebenen Sachvortrag beim Bundesamt dar. Der Kläger hat insbesondere gegenüber dem Bundesamt bestätigt, dass es keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben hat und er ausreichend Gelegenheit hatte, sämtliche relevanten Aspekte vorzutragen. Die Einlassungen in der mündlichen Verhandlung hinsichtlich des unterbliebenen Sachvortrags stuft das Gericht daher als reine Schutzbehauptung – verbunden mit dem völlig unglaubwürdigen Versuch, sein gesteigertes Vorbringen zu rechtfertigen – ein. Die Unglaubwürdigkeit der (versuchten) Zwangsrekrutierung wird ferner durch die aktuelle Auskunftslage untermauert. Der Auskunftslage eindeutig zu entnehmen, dass – zumindest in den letzten Jahren – keine Fälle von Zwangsrekrutierungen seitens der ONLF bekannt sind. Das Gericht verweist insoweit auf die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt vom 18.05.2018 (Gz.: 508-516.80/50028), welche zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurde. Aufgrund der Auskunftslage und des unglaubwürdigen Vorbringens des Klägers ist schon im Ansatz nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger in Äthiopien von einer Zwangsrekrutierung durch die ONLF betroffen war bzw. dass er bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer solchen Maßnahme ausgesetzt sein würde.
b) Auch der Vortrag des Klägers hinsichtlich seines Kontaktes mit der Liyu-Police führt nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Gegenüber dem Bundesamt berichtete der Kläger lediglich allgemein von Problemen mit der Liyu-Police in seiner Heimatregion bzw. von der Vergewaltigung seiner Schwester und der Misshandlung seiner Mutter durch die LiyuPolice. Eine konkret individuelle Verfolgungshandlung durch die Liyu-Police hat der Kläger beim Bundesamt – trotz ausdrücklicher Frage des Entscheiders – gerade nicht vorgetragen. Er erklärte lediglich pauschal und nichtssagend, die Liyu-Police habe die Macht von der Regierung bekommen aufzupassen. Diese mache aber trotzdem was sie wolle. Die Liyu-Police könne der eigenen Mutter etwas antun. Sie würden von der Regierung gezwungen, so etwas zu machen.
Dem Gericht erklärte er dagegen in der mündlichen Verhandlung, auch die Liyu-Police habe im Alter von 13 Jahren von ihm gefordert, dass er sich dieser anschließe. Als das Gericht insoweit nachhakte, „ruderte“ der Kläger zurück und erklärte dem Gericht, die Liyu-Police sei noch nicht konkret auf ihn zugekommen, da er erst 13 Jahre alt gewesen sei. Er befürchte aber, dass er später irgendwann einmal gezwungen werde, der Liyu-Police beizutreten. Konkret sei ihm aber bislang durch die Liyu-Police nichts passiert. Damit ist auch der neuerliche Versuch des Klägers in der mündlichen Verhandlung, eine (weitere) konkret individuelle Verfolgungshandlung zu konstruieren, aufgeflogen und entkräftet. Der Kläger hat letztlich selbst zugegeben, dass er keiner Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a AsylG durch die Liyu-Police ausgesetzt gewesen war. Bloße Befürchtungen zu zukünftigen Ereignissen rechtfertigen schon nicht im Ansatz die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, da die Liyu-Police in der Somali-Region nach der aktuellen Auskunft der Schweizer Flüchtlingshilfe (Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 15.10.2017 zu Äthiopien: Zwangsrekrutierung durch die Liyu Police und lokale Milizen in der Somali-Region) derzeit – wegen einer Dezimierung der ONLF – nicht auf Rekrutierungen im großen Rahmen angewiesen ist. In Anbetracht der aktuellen politischen Entwicklungen im Frühjahr und Sommer 2018 sind nach Auffassung des Gerichts Zwangsrekrutierungen durch die Liyu-Police noch unwahrscheinlicher geworden, da das äthiopische Parlament am 05.07.2018 die Einstufung der ONLF als terroristische Organisation aufgehoben hat und daher ein verstärkter Einsatz bzw. ein erhöhter Personalbedarf der – von der Regierung als Sonderpolizei in der Somali-Region gestellten – Liyu-Police mit dem Ziel, die ONLF zu bekämpfen, nicht mehr ersichtlich ist (vgl. https://www.aljazeera.com/news/2018/06/ethiopia-olf-onlf-ginbot-7-terror-list-180630110501697.html).
c) Völlig unglaubwürdig sind darüber hinaus die Angaben des Klägers zum Kontakt mit seinem Vater bzw. zum Aufenthaltsort des Vaters. Der Kläger erklärte zunächst, sein Vater sei für drei Jahre ins Gefängnis gesteckt worden, da diesem durch die Regierung eine Zusammenarbeit mit der ONLF unterstellt worden sei. Obwohl der Vater fünf Jahre in Haft hätte bleiben sollen, sei es diesem gelungen, nach drei Jahren sein Gefängnis – eine Art Brunnen – zu verlassen. Befragt zu den näheren Umständen der Verhaftung erklärte der Kläger in der mündlichen Verhandlung zunächst, er sei ungefähr 12 Jahre alt gewesen, als sein Vater verhaftet worden sei. Im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung änderte der Kläger sodann seine Angaben und führte aus, er sei neun Jahre alt gewesen, als sein Vater verhaftet worden sei. Im Alter von 12 Jahren habe er mitbekommen, dass sein Vater aus dem Gefängnis geflohen sei. Danach habe er seinen Vater nochmal gesehen, nämlich ca. zwei bis drei Jahre vor der Ausreise des Klägers. Im Anschluss korrigierte sich der Kläger erneut und führte gegenüber dem Gericht aus, er habe ca. zwei Jahre vor seiner Ausreise seinen Vater noch einmal gesehen. Der Vater sei nach der Freilassung in eines der Nachbarländer Äthiopiens geflohen, er wisse aber nicht, wohin. Im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung führte der Kläger dann beiläufig aus, dass in der Zeit, als er bei seinem Onkel gewesen sei, nämlich für einen Zeitraum von ca. einem Jahr vor seiner Ausreise, der Vater zum Onkel nach Jijija gekommen sei und er den Vater dort getroffen habe. Auf Vorhalt des Gerichts zu den widersprüchlichen Angaben hinsichtlich des letzten Treffens mit seinem Vater, flüchtete sich der Kläger wiederum nur in Ausflüchte und erklärte, er habe mit seinen vorherigen Angaben lediglich gemeint, dass er seinen Vater zwei Jahre lang nicht mehr gesehen habe, bis der Vater zum Onkel gekommen sei. Dies sei etwa zwei Monate vor der Ausreise gewesen. Im Gesamtkontext mit den völlig widersprüchlichen Angaben zu den Aufenthaltsorten seines Vaters stuft das Gericht auch diesen Vortrag bzw. den Versuch einer Rechtfertigung als unglaubwürdig ein. Der Kläger erklärte nämlich dem Gericht trotz mehrmaliger Nachfragen, er wisse nicht genau, wo sein Vater nach der Flucht aus dem Gefängnis gewesen sei und ob der Vater nach dem Besuch beim Onkel in Jijija wieder ins Ausland zurückgekehrt sei. Dies ist mehr als verwunderlich, da der Kläger mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 09.02.2018 noch vortragen ließ, sein Vater sei vor fast drei Jahren nach Dschibuti geflohen und erst im Frühjahr 2017 von dort aus wieder nach Äthiopien zurückgekehrt. In der mündlichen Verhandlung wollte der Kläger hingegen weder wissen, wohin genau sein Vater geflohen ist, noch, ob sein Vater nach dem Besuch bei seinem Onkel in Jijija im Frühjahr 2015 in Äthiopien verblieben oder nochmals ins Ausland zurückgekehrt ist.
d) Für schlicht gelogen hält das Gericht den klägerischen Vortrag zum Tod seine Vaters. Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 09.02.2018 ließ der Kläger vortragen, er habe zum letzten Mal im November 2017 mit seinem Vater telefoniert, der von zunehmenden Spannungen zwischen den Volksgruppen Oromo und Somali berichtet habe. Ferner habe sein Vater ihm erzählt, dass sein Onkel ermordet worden sei. Durch einen Facebook-Eintrag seines Cousin … vom 06.12.2017, der bei Facebook unter dem Namen … … angemeldet sei, und durch ein Telefonat mit seiner Stiefmutter am darauffolgenden Tag habe er erfahren, dass sein Vater am 06.12.2017 auf der Straße erschossen worden sei. Diese Einlassung erweist sich jedoch in der mündlichen Verhandlung unter mehreren Gesichtspunkten als grob widersprüchlich und unglaubwürdig. Zum einen erklärte er dem Gericht in der mündlichen Verhandlung, er habe zuletzt Anfang 2017 mit seinem Vater telefoniert und nicht, wie schriftsätzlich vorgetragen, im November 2017. Weiterhin konnte der Kläger zwar dem Gericht einen Facebook-Eintrag vom 06.12.2017 zeigen, in dem laut Ausführungen des Dolmetschers der Verfasser sein Beileid bekundet, dass sein Onkel in Äthiopien getötet worden sei. Dieser Facebook-Beitrag war aber weder von einer Person namens … noch von einer Person mit dem Namen … verfasst. Auf Vorhalt des Gerichts lieferte der Kläger für diese Widersprüchlichkeit keine plausible Erklärung. Er erklärte vielmehr nur, offensichtlich habe sein Cousin seinen Namen bei Facebook geändert.
e) Auch bei Fragen zur angeblichen Stiefmutter des Klägers verstrickte sich dieser in unauflösbare Widersprüche. Auf Frage der Beklagtenvertreterin, wann sein Vater erneut geheiratet habe, erklärte der Kläger zunächst, dies wisse er nicht. Die Hochzeit sei geheim gewesen. Nachdem das Gericht vom Kläger wissen wollte, woher er die Kontaktdaten seiner Stiefmutter habe, erklärte der Kläger zunächst, sein Onkel habe ihm bei einem Telefonat im Jahr 2017 von der Hochzeit seines Vaters berichtet. Völlig unplausibel hat der Kläger dann die Frage aufgeworfen, von wem überhaupt die Behauptung stamme, dass sein Vater nochmals geheiratet habe. Im weiteren Verlauf der Befragung stellte sich dann heraus, dass ein Vater offensichtlich gar nicht erneut geheiratet hat. Der Kläger konnte nicht einmal im Ansatz plausible Gründe liefern, warum mit Schriftsatz vom 09.02.2018 vorgetragen worden sei, er habe vom Tod seines Vaters von seiner Stiefmutter erfahren. Gleiches gilt für den Vorhalt des Gerichts, warum er zunächst offensichtlich – in stümperhafter Weise – versucht hat, dem Gericht eine erneute Heirat seines Vaters vorzuspiegeln und gleichzeitig seine Lüge selbst aufdeckt. Der Einlassung des Klägers dahingehend, mit der Stiefmutter sei die Frau seines Onkels gemeint, entbehrt angesichts der geschilderten Umstände jeglicher nachvollziehbaren Grundlage.
f) Auch die Ausführungen zum Verbleib der Brüder des Klägers sind mehr als widersprüchlich. Der Kläger erklärte beim Bundesamt, nach dem Tod seiner Mutter habe er zusammen mit seinem Bruder den Heimatort verlassen und sei mit seinem Bruder zum Onkel nach Jijija geflohen. In der mündlichen Verhandlung war plötzlich die Rede davon, dass der Kläger mit zwei älteren Brüdern seinen Heimatort verlassen hat.
g) Von massiven Widersprüchlichkeiten und Unstimmigkeiten sind ferner die klägerischen Ausführungen zu seinem weiteren Fluchtgrund, nämlich einer Inhaftierung wegen Zollbetruges geprägt. Der Kläger führte gegenüber dem Bundesamt aus, in der Zeit bei seinem Onkel habe er Fahrern beim Transport von Waren geholfen. Da er illegal Waren transportiert habe, sei eine Strafe von 5.000,00 Dollar gegen ihn verhängt worden. Weil er die Summe nicht aufbringen konnte, habe man ihn dafür zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Nach einer Woche im Gefängnis habe man ihn frei gelassen, da er minderjährig gewesen sei. Zwei Monate nach seiner Freilassung habe er von einem Bekannten eines Jungen, der ebenfalls im Gefängnis gewesen sei, erfahren, dass nach ihm wegen des Schmuggels gesucht werde.
In der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger dem Gericht hingegen, er und der Fahrer des Fahrzeugs seien zu drei Jahren Gefängnis und zu 5.000,00 US-Dollar Strafe verurteilt worden. Die 5.000,00 Dollar seien Schmiergeld gewesen, da die Soldaten zu ihm gesagt hätten, er werde für 25 Jahre wegen des Zollbetrugs eingesperrt, wenn er nicht 5.000,00 Dollar Schmiergeld zahle. Deswegen sei er dann nur zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Diese Einlassungen sind schon deshalb höchst widersprüchlich, da der Kläger beim Bundesamt noch angegeben hat, die drei Jahre Gefängnis sind verhängt worden, weil er die 5.000,00 Dollar nicht bezahlen konnte. Nach Angaben in der mündlichen Verhandlung will er nun offensichtlich doch die 5.000,00 Dollar gezahlt haben, um die Haftstrafe von 25 Jahre auf drei Jahre zu reduzieren. Daneben blieben auch die weiteren Umstände des angeblichen Zollbetrugs in der mündlichen Verhandlung vage und unsubstantiiert.
Lediglich ergänzend sei noch darauf hingewiesen, dass Geld- oder Freiheitsstrafen infolge von Steuervergehen schon im Ansatz keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a AsylG in Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund des § 3b AsylG darstellen. Insbesondere ist völlig unglaubwürdig, dass dem Kläger wegen Schmuggels von drei großen Beuteln mit Kleidung eine Freiheitsstrafe von 25 Jahren – und damit eine unmenschliche Strafe – droht.
h) Im Ergebnis bleibt festzustellen, dass dem Kläger unter keinem Gesichtspunkt ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zusteht.
2. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG zu, da nicht einmal die weitergefassten Voraussetzungen für die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes nach § 3 AsylG vorliegen.
3. Dem Kläger steht kein Anspruch auf subsidiären Schutz gem. § 4 AsylG zu. Er kann sich weder auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 AsylG noch auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG berufen.
a) Es gibt – insbesondere im Hinblick auf die obigen Ausführungen zum Flüchtlingsschutz – keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland ein ernsthafter Schaden (Todesstrafe, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 AsylG droht.
b) Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3. Nach dieser Vorschrift gilt als ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43/07 – juris). Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie unter anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind und über innere Unruhen und Spannungen, wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen, hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konfliktes im Sinne des Art. 15 c QualRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt kann landesweit oder regional bestehen und muss sich nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 a.a.O.). Der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, kann aber umso geringer sein, je mehr der Schutzsuchende möglicherweise belegen kann, dass er aufgrund von in seiner persönlichen Situation liegenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH, U.v. 17.2.2009 – C-465.7 – juris).
Ein innerstaatlicher Konflikt im obigen Sinne ist im Herkunftsland des Klägers nicht ersichtlich (vgl. nur VG Ansbach, U.v. 19.9.2017 – AN 3 K 16.30505 – juris; VG Ansbach, U.v. 14.2.2018 – AN 3 K 16.31836 – juris; VG Bayreuth, U.v. 6.3.2018 – B 7 K 17.32889 – juris). Das Gericht verkennt dabei nicht, dass es insbesondere in der Somali-Region zu vereinzelten Unruhen kommt. Diese Gewaltakte erreichen aber schon im Ansatz nicht das für eine Schutzgewährung hohe Niveau, demzufolge jedem Kläger allein wegen seiner Anwesenheit in dieser Region Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu gewähren ist. Es sind auch keine besonderen, in der Person des Klägers liegenden, Umstände ersichtlich, die auf eine erhöhte Gefährdung im Verhältnis zu sonstigen Angehörigen der Zivilbevölkerung schließen lassen.
4. Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben. Insoweit wird zunächst auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 VwGO).
a) Hervorzuheben ist insbesondere, dass eine Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bewertet werden kann und die Voraussetzung des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Äthiopien führen nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliegt. Der Kläger ist jung, gesund und erwerbsfähig. Er hat in Äthiopien zumindest für drei Jahre die Schule besucht. Später hat er zusammen mit seinem Onkel Autos repariert und den Fahrern geholfen. Der Kläger hat offensichtlich insoweit ein handwerkliches Geschick. Es ist im zumutbar in Äthiopien sämtlichen Tätigkeiten, auch schlichten Hilfstätigkeiten, nachzugehen. Warum der Kläger seine solche Beschäftigung bei Rückkehr nach Äthiopien nicht erlangen könnte, ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Daneben lebt nach Angaben des Klägers sein Onkel, der ihn bereits vor der Ausreise unterstützt hat und bei dem Kläger zuletzt gelebt hat, weiterhin in Äthiopien. Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger in Notsituationen eine existenzsichernde Unterstützung im Rahmen des Familienverbundes erfährt. Die hohen Voraussetzungen für die Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind somit schon im Ansatz nicht erfüllt.
b) Dem Kläger droht auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Anhaltspunkte hierfür sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
5. Es bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschl. der Zielstaatbestimmung im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, auf den gemäß § 77 Abs. 1 AsylG abzustellen ist, sind Gründe, die dem Erlass der Abschiebungsandrohung gegenüber dem Kläger entgegenstünden, nicht ersichtlich. Denn er ist, wie oben ausgeführt, nicht als Flüchtling oder Asylberechtigter anzuerkennen. Ihm steht auch kein subsidiärer Schutz oder ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu. Er besitzt zudem keine asylunabhängige Aufenthaltsgenehmigung (§ 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG).
6. Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit der von der Beklagten festgesetzten Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sprechen, liegen nicht vor.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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