Verwaltungsrecht

Kein internationaler Schutz und kein Abschiebungsverbot für Oromo aus Äthiopien – exilpolitische Betätigung

Aktenzeichen  B 7 K 17.32128

Datum:
31.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 30705
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1, § 3a Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 5, § 28
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1.  Die für die Annahme einer Gruppenverfolgung oromischer Volkszugehöriger erforderliche landesweite Verfolgungsdichte wird in Äthiopien nicht erreicht. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es wird nicht davon ausgegangen, dass äthiopische Asylbewerber, die sich zu einer Exilorganisation bekennen, für den Fall der Rückkehr nach Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung iSd § 3 Abs. 1 AsylG erwartet, selbst wenn sie mehr als ein Mindestmaß an exilpolitischer Aktivität entfaltet haben. (Rn. 37 – 38) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der angegriffene Bescheid vom 22.05.2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Dieser hat keinen Anspruch auf Zuerkennung internationalen Schutzes. Rechtlich nicht zu beanstanden ist ferner die Verneinung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Auch die weiteren Entscheidungen im angefochtenen Bescheid erweisen sich als rechtmäßig.
In der Sache selbst schließt sich das Gericht zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen zunächst den Gründen des angefochtenen Bescheides an und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist zur Sache sowie zur Klage das Folgende auszuführen:
1. Das Gericht konnte sich nicht die erforderliche Überzeugung verschaffen, dass der Kläger sein Heimatland aus asyl- bzw. flüchtlingsrechtlich relevanten Gründen verlassen hätte.
a) Dem Kläger droht wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Oromo in Äthiopien keine Gruppenverfolgung im Rechtssinne, wobei nach § 77 Abs. 1 AsylG auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist. Grundsätzlich kann sich die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer zwar nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmales verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden Gruppen gerichteten Verfolgung setzt dabei voraus, dass eine bestimmte Verfolgungsdichte vorliegt, die die Vermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr einer Betroffenheit besteht. Zudem gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, wenn also auch keine in zumutbarer Weise erreichbare innerstaatliche Fluchtalternative besteht (vgl. VG Augsburg, U.v. 7.11.2016 – Au 5 K 16.31853 – juris m.w.N.).
Dies zugrunde gelegt, droht dem Kläger wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Oromo nicht die Gefahr einer landesweiten Verfolgung. Dabei wird nicht verkannt, dass es durchaus immer wieder zu unterdrückenden und diskriminierenden Handlungen wie auch zur Verletzung von Menschenrechten von Volkszugehörigen der Oromo kommt. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Bevölkerungsgruppe der Oromo einen ganz wesentlichen Anteil der Gesamtbevölkerung Äthiopiens ausmacht. Bezieht man dies mit ein, so wird die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische landesweite Verfolgungsdichte von oromischen Volkszugehörigen klar nicht erreicht (vgl. VG Regensburg, U.v. 24.1.2018 – RO 2 K 16.32411 – juris; s.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 22.03.2018 – Gz. 508-516.80/3 – ETH).
b) Aus dem individuellen Vortrag des Klägers ergibt sich nicht, dass ihm ein Anspruch auf Zuerkennung einer der geltend gemachten Rechtspositionen zustehen würde.
Das Bundesamt hat im streitgegenständlichen Bescheid ausführlich und im Ergebnis rechtlich tragfähig begründet, aus welchen Gründen die Zuerkennung einer der begehrten Ansprüche nicht in Betracht komme.
Auch auf der Grundlage der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung besteht kein Anlass für eine davon abweichende rechtliche Würdigung. Soweit der Kläger wiederholt hat, dass er im Heimatland einmalig (kurzzeitig) inhaftiert gewesen sei, handelt es sich dabei, zumal es sich um ein nicht abgeschlossenes Ermittlungsverfahren gehandelt habe, auch wenn es zu Befragungen und Einschüchterungen gekommen sein soll, noch nicht um eine Verfolgungshandlung, in ihrer Intensität den von § 3 Abs. 1 AsylG erforderlichen Schweregrad erreicht. Das Bundesamt hat hier zu Recht darauf abgestellt, dass eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte im Falle des Klägers nicht glaubhaft gemacht wurde.
Soweit in der mündlichen Verhandlung erneut die Enteignung von Landbesitz des Vaters des Klägers thematisiert wurde, waren die diesbezüglichen Ereignisse schon nach dem eigenen Vortrag des Klägers nicht ursächlich für seine Ausreise. Der Kläger habe sein Heimatland am 13.12.2014 verlassen, wohingegen die Enteignung des Vaters bereits im Jahr 2013 gewesen sein soll und der Kläger selbst in dem Jahr nach der Enteignung (mit seiner Mutter) verschiedene Behörden aufgesucht haben möchte, um gegen die Enteignung vorzugehen (vgl. S. 5 der Anhörungsniederschrift).
In rechtlicher Hinsicht ist damit davon auszugehen, dass der Kläger sein Heimatland verlassen hat, ohne dass eine Vorverfolgung im Sinne des Asyl- und Flüchtlingsrechts vorgelegen hat.
2. Auch auf den Nachfluchtgrund der exilpolitischen Betätigung kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen. Zwar ermöglicht § 28 AsylG die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch dann, wenn die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG auf Ereignissen beruht, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer sein Herkunftsland verlassen hat. Nach Überzeugung des Gerichts ist es aber auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger bei seiner Rückkehr nach Äthiopien eine Verfolgung wegen seiner exilpolitischen Betätigung (vgl. näher unten, S. 16) in der Bundesrepublik Deutschland droht.
In der äthiopischen exilpolitischen Szene gibt es zahlreiche Gruppierungen. Den verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen ist zweifelsohne zu entnehmen, dass die äthiopische Regierung die Aktivitäten der äthiopischen Exilorganisationen in der Vergangenheit genau beobachtet hat bzw. durch die Auslandsvertretungen hat beobachten lassen. Ob diese Beobachtungen auch unter dem Regime des seit Anfang April 2018 amtierenden Premierminister Abiy Ahmed (in der gleichen Intensität) fortgeführt werden, ist gegenwärtig nicht ersichtlich. Als Folge des im Frühjahr 2018 eingeleiteten Umbruchs wurde jedoch am 05.07.2018 die Einstufung der OLF, ONLF und Ginbot 7 als terroristische Organisationen durch das Parlament aufgehoben (vgl. https://www.aljazeera.com/news/2018/06/ethiopia-olf-onlf-ginbot-7-terror-list-180630110501697.html). Zwischenzeitlich hat sich die äthiopische Regierung mit der OLF zudem offiziell versöhnt und diese als politische Kraft anerkannt (vgl. https://www.aljazeera.com/news/africa/2018/08/ethiopia-signs-deal-oromo-rebels-hostilities-180807184317117.html). Mit Gesetz vom 20.07.2018 wurde allen Äthiopiern, die wegen Verrats, Verbrechen gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder bewaffneten Widerstands verurteilt wurden oder Objekt von Ermittlungen sind, Straffreiheit zugesichert. Durch die Amnestie für diese politischen Vergehen soll auch den Oppositionellen im Exil ermöglicht werden, nach Hause zurückzukehren und eine friedliche politische Karriere in Äthiopien zu verfolgen (vgl. https://www.aljazeera.com/news/2018/07/ethiopian-grants-amnesty-political-prisoners-180720191811460.html). Das Gericht verkennt nicht, dass die Arbeit des neuen Premierministers mit Rückschlägen und Gegenwind verbunden ist. Die weiterhin vereinzelten Anschläge und Gewaltakte in Äthiopien vermögen an der Einschätzung zur politischen Verfolgung jedoch im Ergebnis nichts zu ändern. Die Gewaltakte sind örtlich begrenzt und finden derzeit hauptsächlich in der Somali-Region und unmittelbar angrenzenden Gebieten statt. Zum anderen wird vorwiegend von andauernden ethnischen Konflikten zwischen den Bevölkerungsgruppen berichtet, aber nicht maßgeblich von konkret-individuellen Verfolgungshandlungen i.S.d. § 3a AsylG wegen politischer Aktivitäten einzelner oder bestimmter Gruppen.
Das erkennende Gericht ist bereits vor dem politischen Umbruch in Äthiopien im Frühjahr/Sommer 2018 davon ausgegangen, dass nicht jede, wie auch immer geartete, mehr als nur geringfügige Form der Betätigung für eine der zahlreichen exilpolitischen Gruppen in der äthiopischen exilpolitischen Szene im Ausland bei einer Rückkehr nach Äthiopien zu einer beachtlichen Verfolgungsgefahr führt. Vielmehr kam es für die Feststellung des relevanten Gefährdungsgrades grundsätzlich darauf an, ob eine Organisation von den äthiopischen Stellen etwa als terroristisch eingestuft wird und in welcher Art und in welchem Umfang der Betreffende sich im Einzelfall exilpolitisch tatsächlich und wahrnehmbar betätigt hat (vgl. VG Regensburg, U.v. 24.1.2018 – RO 2 K 16.32411; VG Ansbach, U.v. 14.2.2018 – AN 3 K 16.31836; VG Bayreuth, U.v. 20.11.2017 – B 2 K 16.31139; s. auch VG Kassel, U.v. 5.9.2017 – 1 K 2320/17.KS.A; VG Gießen, U.v. 11.7.2017 – 6 K 4787/15.GI.A; a.A. VG Würzburg, U.v. 15.9.2017 – W 3 K 17.31180; zum Maßstab vgl. VGH BW, U.v. 30.5.2017 – A 9 S 991/15 – alle juris). Bloßen „Mitläufern“ drohte bei einer Rückkehr grundsätzlich keine beachtliche Verfolgungsgefahr. Der aktuellen Auskunftslage – unter Berücksichtigung der bereits vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Stellungnahmen aufgrund des Beweisbeschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 26.03.2018 (Az. 8 B 17.31645 u.a.) – ist nichts anderes zu entnehmen.
Dem Auswärtigen Amt lagen schon nach dem Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien vom 22.03.2018 keine Erkenntnisse darüber vor, dass allein die Betätigung für eine oppositionelle Partei im Ausland bei Rückkehr nach Äthiopien zu staatlichen Repressionen führt. Maßgeblich sei vielmehr der konkrete Einzelfall, also beispielsweise, ob eine Organisation von der äthiopischen Regierung als Terrororganisation angesehen werde oder um welche politische Tätigkeit es sich handle (z.B. nachweisliche Mitgliedschaft, führende Position, Organisation gewaltsamer Aktionen). Von Bedeutung sei auch, ob und wie sich die zurückgeführte Person anschließend in Äthiopien politisch betätige. Die bloße Asylantragstellung im Ausland bleibe – soweit bekannt – ohne Konsequenzen (Lagebericht Äthiopien vom 22.03.2018, S. 18; VG Gießen, U.v. 11.7.2017 – 6 K 4787/15.GI.A – juris; VG Regensburg, U.v. 24.1.2018 – RO 2 K 16.32411 – juris; VG Regensburg U.v. 8.3.2018 – RO 2 K 16.30643 – juris). Der Lagebericht vom 22.03.2018 geht insbesondere auch auf die innenpolitischen Entwicklungen im Frühjahr 2018 und auf den am 16.02.2018 ausgerufen (neuerlichen) Ausnahmezustand ein (a.a.O., S. 6). Unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklungen hält das Auswärtige Amt hinsichtlich der Gefährdungseinschätzung bei Rückkehr von im Ausland exilpolitisch tätigen Äthiopiern an den Ausführungen im Lagebericht vom 06.03.2017 fest (vgl. S. 18 des Lageberichts vom 22.03.2018; S. 16 des Lageberichts vom 06.03.2017).
Aufgrund des o.g. Beweisbeschlusses vom 26.03.2018 teilte das Auswärtige Amt mit Stellungnahme vom 14.06.2018 mit, es sei zwar davon auszugehen, dass äthiopische Stellen exilpolitische Organisationen in Deutschland beobachteten und die Mitgliedschaft bzw. die Unterstützungshandlungen für eine solche Organisation bekannt würden. Allerdings müsse auch davon ausgegangen werden, dass das Interesse an der Beobachtung von Personen/Aktionen und die Weitergabe der Informationen vom Grad der Involvierung bzw. der konkreten Aktivität der betreffenden Person abhänge. Zudem geht auch das Auswärtige Amt von einem Wandel der innenpolitischen Lage seit dem Amtsantritt des neuen Premierministers aus. Der im Februar 2018 für sechs Monate verhängte Ausnahmezustand sei Anfang Juni 2018 vorzeitig beendet worden. Seit Januar 2018 sei eine größere Anzahl von politisch Gefangenen, darunter auch Mitglieder der bislang als terroristisch eingestuften Ginbot 7, entlassen worden. Ob eine Unterstützung einer Exilorganisation oder eine einfache Mitgliedschaft in einer in Deutschland exilpolitisch tätigen, von der äthiopischen Regierung als Terrororganisation eingestuften oder einer ihr nahestehenden Organisation (ohne in dieser Organisation eine herausgehobene Stellung innezuhaben) bei einer Rückkehr negative Auswirkung nach sich zieht, könne vor dem innenpolitischen Hintergrund vom Auswärtigen Amt nicht beurteilt werden. Sollte es Auswirkungen geben, sei jedoch davon auszugehen, dass die Art der Auswirkung vom Grad der Involvierung bzw. der konkreten Aktivitäten der betreffenden Person abhänge. Es seien laut Auswärtigem Amt auch keine Fälle bekannt, in denen zurückgekehrte Äthiopier, die in Deutschland exilpolitisch tätig waren, wegen der exilpolitischen Tätigkeit durch äthiopische Behörden inhaftiert oder misshandelt worden seien.
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr wegen der einfachen Mitgliedschaft und einem durchschnittlichen Engagement in einer exilpolitischen Organisation (Versammlungs- und Demonstrationsteilnahmen in einem auf der Grundlage einer Vielzahl von Verfahren gerichtsbekannt üblichen Rahmen), wie es für die Masse der exilpolitisch tätigen Äthiopier in Deutschland kennzeichnend ist, kann der neuesten Auskunft des Auswärtigen Amtes damit schon im Ansatz nicht entnommen werden.
In einer Auskunft vom 30.01.2017 an das VG Gießen geht das Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien zum Fall einer exilpolitischen Tätigkeit für die EPPFG davon aus, dass eine Verhaftung für den Fall der Rückkehr keinesfalls ausgeschlossen werden könne. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass im Rechtssinne von einer beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit insbesondere auch von nur einfachen Mitgliedern (sog. „Mitläufer“, ohne dass damit ein Werturteil verbunden wäre) im Falle ihrer Rückkehr nach Äthiopien auszugehen wäre (vgl. VG Regensburg, U.v. 8.3.2018 – RO 2 K 16.30643 – juris).
Nichts anderes folgt aus der aktuellen Auskunft dieses Instituts vom 19.05.2018. Darin wird lediglich ausgeführt, dass die äthiopische Regierung über ihre Auslandsvertretungen und ein Netz von Informanten die Aktivitäten der exilpolitischen Organisationen verfolge sowie dass davon auszugehen sei, dass sowohl die Mitgliedschaft in einer solchen Vereinigung als auch Unterstützungshandlungen einzelner Personen der äthiopischen Regierung bekannt werden würden. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person als einer Exilorganisation zugehörig eingestuft wird, dürfe nach dieser Stellungnahme mit der Häufigkeit der entsprechenden Aktivitäten wachsen. Auch das Leibnitz-Institut konnte keine Angaben zu Vernehmungen, Inhaftierungen und Misshandlungen zurückgekehrter Äthiopier, die keine herausgehobene Funktion in der Exilpolitik hatten, machen. Die Stellungnahme verweist auf Seite 8/9 nur auf zwei prominente und hochrangige Exilpolitiker, die nach Auffassung des Gerichts kein Beispiel und Maßstab für die Behandlung der breiten Masse von exilpolitisch tätigen Äthiopiern sind. Im Übrigen wird lediglich davon ausgegangen, dass es vor dem volatilen Hintergrund der politischen Veränderungen „keinesfalls auszuschließen ist“, dass einfachen Mitgliedern oder Unterstützern von politischen Exilorganisationen, die von der Regierung als Terrororganisation eingestuft werden, die Verfolgung und Verhaftung drohe (S. 2 und 3 der Stellungnahme).
Amnesty International (AI) führte mit Stellungnahme vom 11.07.2018 an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof aus, dass sich die politische Lage in Äthiopien seit Anfang 2018 deutlich verändert habe. Trotz begrüßenswerter Veränderungen in Äthiopien bleibe abzuwarten, wie sich die menschenrechtliche Situation vor Ort entwickeln werde. Vor dem Hintergrund der neuen und sich ständig ändernden Situation sei es AI nach eigenen Angaben nicht möglich, eine Aussage über die aktuelle Situation bzw. über zukünftige Entwicklungen zu treffen. Daher lege AI dem Gutachten die politische Situation in Äthiopien der letzten Jahrzehnte bis Anfang 2018 zugrunde. Die Ausführungen von AI zur politischen Situation in Äthiopien und zur Behandlung von exilpolitisch tätigen Personen bis Anfang 2018 sind jedoch nicht geeignet, eine belastbare Auskunft über die gegenwärtige Situation, die nach § 77 Abs. 1 AsylG im Asylverfahren maßgeblich ist, zu liefern. Aufgefallen ist zudem, dass die Auskunft vom 11.07.2018 sich nicht zu dem Beschluss des äthiopischen Parlamentes vom 05.07.2018 verhält, mit dem die Einstufung der OLF, ONLF und Ginbot 7 als terroristische Organisationen aufgehoben wurde.
Günter S. geht in seiner Stellungnahme vom 15.02.2017 an das VG Gießen in der dortigen Streitsache Az. 6 K 4787/15.GI.A davon aus, dass eine Verfolgungsprognose anhand bestimmter Merkmale nicht abgegeben werden könne, weil das Handeln der äthiopischen Sicherheits- und Justizbehörden gegenüber allen wirklichen und putativen Gegnern von einem hohen Maß an Willkürlichkeit geprägt sei. Unter diesem Gesichtspunkt sei generell die Unterscheidung zwischen unbedeutender und exponierter Stellung in einer Oppositionsorganisation als nicht relevant für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr anzusehen. Dies gelte in besonderem Maß seit dem Erlass der Anti-Terrorismusgesetze und gerade auch unter dem Ausnahmezustand. Weiter führt er aus, dass mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ eine längere Inhaftierung – verbunden mit intensiver Befragung – auch unter dem jetzigen Ausnahmezustand als Minimum anzunehmen sei. Es bleibt jedoch offen, wie S. trotz der Prognoseunsicherheit zu dieser Annahme kommt. So belegt er diese Annahme nicht mit konkreten Beispielen für ein Einschreiten äthiopischer Stellen gegen Rückkehrer, obwohl er angibt, dass diese häufig verhaftet würden (Rn. 214 der Stellungnahme vom 15.02.2017). Dies dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass kaum Abschiebungen nach Äthiopien stattfinden, was die Grundlage dieser Aussage allerdings fraglich erscheinen lässt. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass es seit Mitte 2015 im Zusammenhang mit dem „Masterplan“ der Regierung vor allem in der Provinz Oromia zu Massenprotesten kam und es im Zusammenhang mit diesen Protesten und dem Einschreiten der Sicherheitskräfte zu Todesfällen und Verhaftungen gekommen ist. So sollen nach dem Gutachten von Günter S. im Rahmen der Unruhen 2016 unter Geltung des Ausnahmezustandes über 11.000 Menschen verhaftet worden sein. Diese Verhaftungen fanden jedoch im Zusammenhang mit – zumindest teilweise – gewaltsamen Protesten in Äthiopien statt. Sie sind kein Beleg dafür, dass auch Rückkehrer alleine wegen ihrer exilpolitischen Betätigung nun einem beachtlichen Verfolgungsrisiko ausgesetzt sind. Dies belegen auch die Ausführungen in der Stellungnahme S.s nicht hinreichend. Dieser führt zwar nachvollziehbar aus, dass im Zusammenhang mit den Unruhen in Äthiopien selbst die äthiopische Diaspora – auch im Hinblick auf eine Strafbarkeit nach dem äthiopischen Anti-Terrorismusgesetz von 2009 – verstärkt überwacht wird (Rn. 134 der Stellungnahme vom 15.02.2017). Ein konkretes Beispiel für eine Verfolgung allein auf Grund einer exilpolitischen Tätigkeit unterbleibt jedoch. Auffällig ist hierbei auch, dass S. zum einen zwar deutliche Aussagen trifft (Bestrafung jedes Mitglieds/Unterstützers einer exilpolitischen Gruppe, die mit einer als terroristisch eingestuften Gruppe zusammenarbeitet [Rn. 232 der Stellungnahme vom 15.02.2017]; häufige Verhaftungen [Rn. 214 der Stellungnahme vom 15.02.2017]; längere Inhaftierung verbunden mit intensiver Befragung und mit hoher Wahrscheinlichkeit inhumaner Haftbedingungen [Rn. 237 der Stellungnahme vom 15.02.2017]), gleichzeitig aber äußert, dass sich angesichts der Willkürlichkeit die konkreten Verfolgungshandlungen im Einzelnen schwer vorhersagen ließen und er an anderer Stelle (Rn. 226 der Stellungnahme vom 15.02.2017) angibt, dass im heutigen Äthiopien die eine staatliche Verfolgung auslösenden Momente in der Regel vielschichtig seien und sich nur selten auf ein bestimmtes Merkmal reduzieren ließen (vgl. ausführlich VG Regensburg, U.v. 24.1.2018 – RO 2 K 16.32411; VG Gießen, U.v. 11.7.2017 – 6 K 4787/15.GI.A – beide juris).
Auch unter Einbeziehung der Stellungnahme Günter S.s vom 18.02.2018 an das VG Würzburg ergibt sich kein hiervon abweichendes Ergebnis. Zwar kommt Günter S. zu dem Ergebnis, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass unter dem wieder eingeführten Ausnahmezustand exilpolitisch tätige Äthiopier bei einer Rückführung einem sehr hohen Risiko ausgesetzt seien, als Unterstützer einer „terroristischen Organisation“ verfolgt und äußerst bestraft zu werden (Rn. 83 der Stellungnahme vom 18.02.2018), während in der Stellungnahme vom 15.02.2017 an das VG Gießen noch ausgeführt wurde, angesichts der Willkürlichkeit im Handeln der Sicherheitsorgane und der mangelnden Rechtsstaatlichkeit in Äthiopien lasse sich im Einzelnen nicht vorhersagen, was Rückkehrer zu befürchten hätten. Eine längere Inhaftierung verbunden mit intensiver Befragung und mit hoher Wahrscheinlichkeit inhumanen Haftbedingungen sei jedoch als Minimum anzunehmen (Rn. 237 der Stellungnahme vom 15.02.2017; dieser Passus befindet sich im Übrigen auch noch unter Rn. 82 der Stellungnahme vom 18.02.2018). Anderseits führt S. in Rn. 17 der Stellungnahme vom 18.02.2018 aus, aufgrund des neuerlichen Ausnahmezustandes vom 16.02.2018 schienen die gleichen Bestimmungen wie beim Ausnahmezustand 2016 zu gelten. Damit ist aber weder nachvollziehbar noch plausibel dargelegt, warum nunmehr (allein) aufgrund des Ausnahmezustands 2018 exilpolitisch tätige Äthiopier bei einer Rückführung einem sehr hohen Risiko ausgesetzt sein sollen, als Unterstützer einer „terroristischen Organisation“ verfolgt und äußerst bestraft zu werden, wenn andererseits keine anderen Bestimmungen wie beim Ausnahmezustand 2016 gelten sollen.
Im Übrigen sind die Ausführungen S.s durch die aktuellen politischen Entwicklungen in den letzten Wochen und Monaten teilweise überholt. Der im Februar 2018 für sechs Monate anberaumte Ausnahmezustand wurde – wie bereits ausgeführt – zwischenzeitlich wegen der „relativen Stabilität und Ruhe im Land“ vorzeitig wiederaufgehoben. Daneben wurden vom Parlament im Juli 2018 grundlegende Änderungen bei den „Anti-Terrorgesetzen“ sowie eine Amnestie für politische Vergehen/Verbrechen beschlossen.
Bei einer Gesamtwürdigung der vorliegenden Auskunftslage nimmt das Gericht daher nicht an, dass äthiopische Asylbewerber, die sie sich zu einer Exilorganisation bekennen, für den Fall der Rückkehr nach Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG erwartet, selbst wenn sie mehr als ein Mindestmaß an exilpolitischer Aktivität entfaltet haben. Erforderlich für einen beachtlichen Nachfluchtgrund aufgrund exilpolitischer Betätigung ist nämlich eine „beachtliche Wahrscheinlichkeit“ der Verfolgung im Falle einer Rückkehr. Nicht ausreichend ist hingegen, dass eine solche möglich ist oder nicht ausgeschlossen werden kann.
Bei einer Rückkehr nach Äthiopien mussten bislang solche Personen in beachtlich wahrscheinlicher Weise mit politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen rechnen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland derart exponiert politisch betätigt haben, dass die äthiopischen Behörden sie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit als ernsthafte Oppositionsangehörige eingestuft haben (vgl. VG Regensburg, U.v. 24.1.2018 – RO 2 K 16.32411; VG Ansbach, U.v. 14.2.2018 – AN 3 K 16.31836; vgl. auch BayVGH, B.v. 14.7.2015 – 21 ZB 15.30119 m.w.N. – alle juris). Gerade wegen der intensiven Beobachtung exilpolitischer Auslandsaktivitäten durch äthiopische Stellen musste davon ausgegangen werden, dass auch diesen nicht verborgen geblieben sein kann, dass bei einer Vielzahl von äthiopischen Asylbewerbern weniger politische Interessen maßgeblich sind als vielmehr das Bemühen, sich im Asylverfahren eine günstigere Ausgangsposition zu verschaffen. Im Hinblick darauf war es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die äthiopischen Behörden „Mitläufer“ als für das Regime gefährlich erachten und gegen diese im Falle ihrer Rückkehr in einer Art und Weise vorgehen, dass die für eine Schutzgewährung anzulegende Schwelle (vgl. z.B. § 3a Abs. 1 AsylG, § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG) erreicht wird. Die aktuellen Entwicklungen in Äthiopien legen nahe, dass selbst solchen Äthiopiern nicht mehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Gefahr für den Fall ihrer Rückkehr droht, die sich in herausgehobener Art und Weise exilpolitisch in Deutschland engagieren, sondern dass dies allenfalls in besonders gelagerten Ausnahmefällen (noch) beachtlich wahrscheinlich erscheinen kann (ähnlich: VG Regensburg, B.v. 19.6.2018 – RO 2 E 18.31617 – juris).
Der Kläger hat nach der im Verwaltungsverfahren vorgelegten Bestätigung der TBOJ/UOSG vom 09.02.2017 als einfaches Mitglied dieser Vereinigung an fünf im Einzelnen bezeichneten Veranstaltungen im Laufe des Jahres 2016 teilgenommen. Nach seinen mündlichen Ausführungen hat der Kläger sein exilpolitisches Engagement auch danach noch fortgesetzt. Er habe an einer Versammlung für OMN (ein Mediennetzwerk) am 23.06.2018 in Nürnberg teilgenommen. Auf Frage des Gerichts, ob es zum exilpolitischen Engagement, sei es davor oder danach, sonst noch etwas zu berichten gebe, erklärte der Kläger, er habe sich die entsprechenden Tage aufgeschrieben, habe die Aufzeichnungen jedoch zu Hause. Auf Nachfrage des Gerichts, warum er diesen Zettel nicht mitgebracht habe, erklärte er, er habe nicht gewusst, dass er diesen heute mitbringen solle. Der Kläger ergänzte, er habe an zwei Demonstrationen in Frankfurt teilgenommen. Auf Nachfrage des Gerichts, wann diese Demonstrationen in Frankfurt ungefähr gewesen sein, erklärt der Kläger, beide seien im Jahr 2017 gewesen. Er ergänzte, er habe im Jahr 2016 auch an einer Demonstration in Berlin teilgenommen. Der Kläger ergänzte weiter, sein Gedächtnis sei schlecht wegen der Dinge, die er erlebt habe, er könne sich nicht genau an die Tage erinnern. Es sei aber so, dass er fast an allen Versammlungen und Demonstrationen von TBOJ teilgenommen habe. Der Kläger empfinde aktuell großen Stress, deswegen könne er sich nicht an die genauen Tage erinnern. Er zahle an die TBOJ weiterhin seinen monatlichen Mitgliedsbeitrag von 5,00 EUR. Er leiste diesen Betrag immer dann, wenn er an Versammlungen teilnehme.
Auf Frage des Gerichts, ob im Termin zur mündlichen Verhandlung eine aktuelle Bestätigung bezüglich seines exilpolitischen Engagements vorgelegt werden solle, erklärte der Kläger, er habe keine aktuelle Bestätigung dabei, niemand habe ihn danach gefragt, er habe auch viele Fotos, er habe nicht gewusst, dass er so etwas mitbringen solle (zum Ganzen: S. 3/4 der Niederschrift). Unabhängig davon, dass der Kläger sein über das Jahr 2016 hinausreichendes fortgesetztes exilpolitisches Engagement nur behauptet, nicht aber durch eine aussagekräftige Bestätigung glaubhaft gemacht hat, ist sein Engagement sowohl qualitativ als auch quantitativ nicht als herausgehoben, sondern allenfalls als durchschnittlich einzustufen. Es bewegt sich in dem typischen Rahmen, der – wie dem Gericht aufgrund einer Vielzahl von Verfahren bekannt ist – für die breite Masse der exilpolitisch tätigen Äthiopier in Deutschland kennzeichnend ist. Damit gehörte der Kläger schon bislang – und erst Recht im Hinblick auf die aktuelle politische Entwicklung – nicht zu dem Personenkreis, der im Falle der Rückkehr oder Abschiebung wegen exilpolitischer Tätigkeit im Ausland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, von den äthiopischen Behörden in flüchtlingsrechtlich relevanter Weise belangt zu werden.
3. Schließlich hat es das Bundesamt zu Recht abgelehnt, zugunsten des Klägers das Vorliegen eines Abschiebungsverbots festzustellen. Auf die zutreffenden Erwägungen des Bundesamts auf S. 5 ff. des streitgegenständlichen Bescheids wird verwiesen. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, aus welchen Gründen es dem jungen Kläger nicht gelingen sollte, sich durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit sein Existenzminimum selbst zu erwirtschaften. Er verfügt darüber hinaus nach seinen Angaben über umfangreichen familiären/verwandt-schaftlichen Rückhalt (vgl. S. 3 der Anhörungsniederschrift).
4. Nach allem ist die Klage insgesamt mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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