Verwaltungsrecht

Kein nationales Abschiebungsverbot für Kleinkind

Aktenzeichen  M 25 K 17.47578

Datum:
5.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 2957
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5

 

Leitsatz

Für eine Familie mit Kindern, in der beide Elternteile über eine gute Ausbildung und damit über gute Arbeitsperspektiven verfügen, sind die strengen Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG nicht erfüllt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am … Februar 2017 entschieden werden, obwohl für die Beklagte niemand erschienen ist, da in der Ladung zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen worden war, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Beteiligten sind form- und fristgerecht geladen worden.
Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, war das Verfahren mit der sich aus dem Gesetz ergebenden Kostenfolge einzustellen (§ 92 Abs. 3 VwGO).
Im Übrigen ist die Klage unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten. Insoweit wird auf den Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und lediglich ergänzend ausgeführt:
1. Eine Abschiebung ist gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG unzulässig, wenn sich dies aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen werden. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu fallen. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 35 f.). Es müssen konkrete Anhaltspunkte oder stichhaltige Gründe dafür glaubhaft gemacht werden, dass der Ausländer im Fall seiner Abschiebung einem echten Risiko oder einer ernsthaften Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre. Dabei sind lediglich zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse zu prüfen. Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 13.6.2013 – 10 C 13/12, juris, Rn. 24) auch dann in Frage, wenn die umschriebenen Gefahren nicht durch den Staat oder eine staatsähnliche Organisation drohen oder dem Staat zuzurechnen sind (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13/12, juris, Rn. 24).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die in Deutschland geborene Klägerin war in der Demokratischen Republik Kongo keiner Verfolgung ausgesetzt.
Eine unmenschliche Behandlung droht der Klägerin auch nicht aufgrund der schwierigen Lebensbedingungen im Kongo. Unzureichende wirtschaftliche Verhältnisse im Herkunftsland können in Ausnahmefällen, in denen die schlechten humanitären Verhältnisse eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Asylbewerbers darstellen, ein Abschiebungsverbot in diesem Sinn begründen. In ganz außergewöhnlichen Fällen können auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend sind“. Dies gilt in den Fällen, in denen die schlechten Bedingungen überwiegend auf die Armut oder die fehlenden staatlichen Mittel, um mit Naturereignissen umzugehen, zurückzuführen sind. Wenn jedoch die Aktionen von Konfliktparteien zum Zusammenbruch der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Infrastruktur führen, ist zu berücksichtigen, ob es den Betroffenen gelingt, die elementaren Bedürfnisse, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft zu befriedigen (EGMR U.v. 28.6.2011 – 8319/07 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich – NVwZ 2012, 681 ff.; EGMR U.v. 27.5.2008 – 26565/05 – N/Vereinigtes Königreich; BVerwG U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris). Unter Berücksichtigung sämtlicher Gegebenheiten des Einzelfalls ist von einem sehr hohen Niveau der Gefährdung auszugehen (BayVGH, U.v. 21.10.2014 – 13a B 14.30285 – juris).
Die Eltern der Klägerin verfügen über vergleichsweise gute berufliche Perspektiven im Kongo. Der Vater der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, zunächst Jura und dann Handel studiert und dann in einer Druckerei gearbeitet zu haben. Die Mutter der Klägerin hat angegeben, bis zu ihrer Ausreise im Jahr 2008 als Grundschullehrerin gearbeitet zu haben. Das Gericht verkennt nicht, dass sich die Lebensverhältnisse für die mittlerweile fünfköpfige Familie bei einer Rückkehr in ihr Heimatland erheblich verschlechtern werden. Die bloße – auch erhebliche – Verschlechterung der Lebensumstände begründet indes noch keinen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten, da wie ausgeführt von einem sehr hohen Niveau auszugehen ist, das vorliegend nicht erfüllt ist. Der von der Klägerseite vorgelegte Bericht der Konrad-Adenauer-Stiftung belegt grundsätzlich die problematische Situation im Kongo, an der auch das Gericht nicht zweifelt. Die Eltern der Klägerin stammen aber weder aus der in dem Bericht als besonders gefährlich beschriebenen Region Kasai, noch aus den umkämpften Gebieten im Ost-Kongo. Dass die Lage in Kinshasa im Vergleich dazu besser ist, lässt sich allerdings auch diesem Bericht entnehmen, wenn auch natürlich nicht davon die Rede sein kann, dass die Lage in Kinshasa gut ist. Für eine Familie mit Kindern, aber jedenfalls ohne Säuglinge, deren Eltern über gute Ausbildungen und/oder vergleichsweise gute Arbeitsperspektiven verfügen, sind die sehr hohen Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegend nicht erfüllt.
2. Der Abschiebung der Klägerin steht kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegen.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
Individuelle nur der Klägerin drohende Gefahren liegen nicht vor. Die Klägerin hat insbesondere weder Erkrankungen geltend gemacht, noch sind solche aus den Unterlagen ersichtlich.
3. Die nach Maßgabe der § 34 Abs. 1, § 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung in die Demokratische Republik Kongo ist in rechtlicher Hinsicht gleichfalls nicht zu beanstanden. Die Klägerin besitzt keinen Aufenthaltstitel und ist auch nicht als Asylberechtigte anerkannt. Nach § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu bezeichnende Staaten, in die eine Abschiebung nicht erfolgen darf, sind nicht ersichtlich. Die Ausreisefrist von dreißig Tagen ergibt sich unmittelbar aus § 38 Abs. 1 AsylG.
4. Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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