Verwaltungsrecht

Kein Rechtsschutzbedürfnis bei Verletzung der Mitwirkungspflicht nach § 10 AsylG

Aktenzeichen  21 B 21.30461

Datum:
12.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 18520
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 10

 

Leitsatz

Auch wenn der erstinstanzlich obsiegende Kläger als Gegner im Berufungsverfahren keinen Antrag stellt, besteht die prozessuale Mitwirkungspflicht nach § 10 Abs. 1 AsylG bis zur bestandskräftigen Entscheidung über sein Begehren.  (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 13 K 16.32100 2016-10-20 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 20. Oktober 2016 wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Beschluss ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger von der Beklagten über den ihm gewährten subsidiären Schutz hinaus die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beanspruchen kann.
Der staatenlose Kläger ist am … 1996 in D. in der arabischen Republik Syrien geboren und palästinensischer Volkszugehörigkeit. Nach eigenen Angaben hat er Syrien am 10. November 2015 verlassen und ist er über die Türkei, Griechenland und die Balkanroute am 20. bzw. 22. November 2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Am 18. Mai 2016 stellte er hier förmlich einen Asylantrag.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. Juli 2016 wurde dem Kläger der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt (Nr. 1) und sein auf internationalen Schutz beschränkter Asylantrag im Übrigen abgelehnt (Nr. 2).
Gegen den ihm am 28. Juli 2016 zugestellten Bescheid erhob der Kläger durch seine Verfahrensbevollmächtigten am 8. August 2016 Klage zum Verwaltungsgericht München und beantragte, die Beklagte unter Aufhebung von Nummer 2 des Bescheids zu verpflichten, die Flüchtlingseigenschaft festzustellen.
In der Klageschrift wurde folgende Anschrift des Klägers angegeben: S. Straße …, … A2..
Mit Schreiben vom 23. August 2016 teilte die damals für den Kläger zuständige Ausländerbehörde dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge u.a. mit, dass der Kläger schnellstmöglich (dauerhaft) nach Syrien zurückkehren wolle.
Das Verwaltungsgericht hat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden und der Klage mit Urteil vom 20. Oktober 2016 stattgegeben.
Das Urteil wurde der Beklagten am 7. November 2016 zugestellt. Mit am 28. November 2016 eingegangenem Schreiben beantragte sie die Zulassung der Berufung (Aktenzeichen des Zulassungsverfahrens: 21 ZB 17.30153).
Mit Beschluss vom 14. April 2021 wurde die Berufung zugelassen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 20. Oktober 2016 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Klägerseits wurde im Berufungsverfahren kein Antrag gestellt.
Mit Schriftsatz vom 10. Mai 2021 teilten die Klägerbevollmächtigten mit, dass sie den Kläger nicht erreichen könnten und mit gleicher Post eine Anfrage zur Anschrift des Klägers an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die Ausländerbehörde gestellt hätten.
Auf die gerichtliche Aufforderung, binnen eines Monats eine aktuelle ladungsfähige Adresse des Klägers mitzuteilen, erklärten die Klägerbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 27. Mai 2021, dass die aktuelle, ihnen bekannte Anschrift des Klägers wie folgt laute: S. Straße …, … A2..
Mit gerichtlichem Schreiben vom 11. Juni 2021 wurden die Beteiligten zu einer Entscheidung nach § 130a VwGO angehört und wurde den Klägerbevollmächtigen nochmals Gelegenheit gegeben, bis spätestens 2. Juli 2021 eine aktuelle ladungsfähige Anschrift des Klägers anzugeben. Hierauf erfolgte keine Reaktion.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge übermittelte Behördenakte verwiesen.
II.
1. Die zulässige Berufung ist auch begründet.
Der Senat entscheidet über die Berufung nach vorheriger Anhörung der Beteiligten (§ 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO) gemäß § 130a Satz 1 VwGO durch Beschluss, weil er sie einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Das Verwaltungsgericht München hat der Klage mit Urteil vom 20. Oktober 2016 gemessen an der für die vorliegende Entscheidung maßgebenden Sach- und Rechtslage zu Unrecht stattgegeben. Die vom Kläger am 8. August 2016 erhobene Klage ist nach aktueller Sach- und Rechtslage bereits unzulässig. Es ist nicht ersichtlich, dass für sie noch ein Rechtsschutzbedürfnis besteht.
Nach dem Eintrag im Ausländerzentralregister, der auf einer Grenzübertrittsbescheinigung der Bundespolizei beruht, ist der Kläger bereits vor mehr als vier Jahren ins Ausland verzogen, ohne seither seiner Pflicht aus § 10 Abs. 1 AsylG, über die er am 18. Mai 2016 belehrt worden ist und die auch bei anwaltlicher Vertretung fortbesteht, zu entsprechen, d.h. dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof den Wechsel seiner Anschrift und insbesondere seinen Aufenthaltsort, an dem er tatsächlich erreichbar ist, mitzuteilen. An der von den Klägerbevollmächtigten mit Schreiben vom 27. Mai 2021 mitgeteilten, ihnen „aktuell bekannten“ Anschrift in Aresing ist der Kläger nach deren eigenen Angaben im Schreiben vom 10. Mai 2021 tatsächlich nicht erreichbar. Auch wenn der erstinstanzlich obsiegende Kläger als Gegner im Berufungsverfahren keinen Antrag stellt, besteht die prozessuale Mitwirkungspflicht nach § 10 Abs. 1 AsylG bis zur bestandskräftigen Entscheidung über sein Begehren (vgl. SächsOVG, B.v. 24.6.1999 – A 4 S 184.98 – juris Rn. 5) bzw. bis zur endgültigen Abwicklung des Asylverfahrens fort (vgl. BVerwG, U.v. 6.8.1996 – 9 C 169.95 – juris Rn. 12; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 10 AsylG Rn. 5). Die Verletzung dieser prozessualen Pflicht spricht jedenfalls in Kombination mit der vorliegend gegebenen Unerreichbarkeit des Klägers auch für seine Verfahrensbevollmächtigten dafür, dass der „untergetauchte“ Kläger an seiner auf Gewährung von Flüchtlingsschutz gerichteten Klage zwischenzeitlich kein schutzwürdiges Interesse mehr hat (vgl. BVerwG, U.v. 6.8.1996 – 9 C 169.95 – juris Rn. 12; OVG NW, B.v. 29.3.2004 – 11 A 1223/03.A – juris Rn. 24; SächsOVG, B.v. 24.6.1999 – A 4 S 184.98 – juris Rn. 5; VGH BW, U.v. 11.12.1997 – A 12 S 3426/95 – juris Rn. 17). Hinzukommt, dass der Kläger, dessen Klage darauf abzielt, in Deutschland einen besseren Schutzstatus zu erlangen, – soweit ersichtlich – Deutschland verlassen hat. Dies legt ebenfalls den Schluss nahe, dass er an der Weiterverfolgung des von ihm eingeleiteten gerichtlichen Verfahrens kein Interesse mehr hat (vgl. BayVGH, B.v. 6.3.2014 – 10 ZB 13.1862 – juris Rn. 4). Vor diesem Hintergrund und mangels jeglicher Nachricht des Klägers auch nur an seine Verfahrensbevollmächtigten über die Beweggründe für sein Verhalten gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass an einer Entscheidung über seine Klage noch ein schutzwürdiges Interesse besteht (vgl. hierzu VGH BW, B.v. 11.12.1997 – A 12 S 3426.95 – juris Rn. 17). Insofern kann für seine Klage kein Rechtsschutzbedürfnis mehr festgestellt werden.
2. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen hat gemäß § 154 Abs. 1 VwGO der Kläger zu tragen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
4. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.


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