Verwaltungsrecht

Kein Rechtsschutzinteresse für die Aufhebung einer Beurteilung nach Eintritt in den Ruhestand

Aktenzeichen  3 ZB 20.2670

Datum:
18.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 2831
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 43 Abs. 1, § 113 Abs. 1 S. 4, § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4 S. 4
ZPO § 287
GG Art. 33 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Die Zweckbestimmung der dienstlichen Beurteilung kann mit dem Eintritt des Beamten in den Ruhestand nicht mehr erreicht werden, weshalb sich die dienstliche Beurteilung damit erledigt. Die Klage ist mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Soweit es im Falle der – verschuldeten – Rechtswidrigkeit der angegriffenen dienstlichen Beurteilung in einem Schadensersatzprozess darauf ankäme, wie die Beurteilung bei rechtmäßigem Vorgehen des Beklagten im Rahmen seiner Beurteilungsermächtigung voraussichtlich ausgefallen wäre, wären diese Fragen von dem damit befassten Gericht nach Maßgabe des § 287 ZPO zu prüfen und zu entscheiden. (Rn. 7 – 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die bloße unsubstantiierte oder nur aus prozesstaktischen Gründen aufgestellte Behauptung, einen Schadensersatzprozess führen zu wollen, genügt nicht, um ein berechtigtes Interesse an der gerichtlichen Feststellung darzulegen. (Rn. 12 – 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 5 K 18.5741, M 5 K 19.6034 2020-09-29 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

Der auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Ernstliche Zweifel im Sinne dieser Vorschrift, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht ist in seinem Urteil vom 29. September 2020 davon ausgegangen, dass den Klagen das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, weil die von der Klägerin angegriffenen dienstlichen Beurteilungen ihre Zweckbestimmung, als Auswahlgrundlage für künftige Personalentscheidungen zu dienen, nicht mehr erfüllen können. Die Klägerin trete mit Ablauf des 31. Dezember 2020 in den Ruhestand. Damit sei die Relevanz der streitgegenständlichen Beurteilungen für eine Auswahlentscheidung um einen Beförderungsdienstposten auszuschließen. Im Übrigen erfülle die Klägerin nicht die zwingende Voraussetzung für die Beförderung in das Beförderungsamt einer Ministerialrätin im Amt B 3. Hierfür sei nach den einschlägigen Richtlinien Voraussetzung, dass sich die Beamtinnen und Beamten mindestens fünf Jahre als Referatsleiter an einer obersten Landes- oder Bundesbehörde bewährt hätten. Die Klägerin habe aber einen Referatsleiterposten nicht inne. Eine entsprechende Bewährungszeit sei bis zum Ruhestand nicht erreichbar. Es sei im Übrigen auch weder vorgetragen, noch ersichtlich, dass sich die Klägerin um ein Beförderungsamt beworben hätte.
Die Klägerin führt aus, ein Rechtsschutzbedürfnis ergebe sich daraus, dass die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beurteilungen Grundlage eines etwaigen Verfahrens auf Schadensersatz gegenüber dem Beklagten sein könne. Die Klägerin sei sachwidrig zu schlecht beurteilt worden und habe hierdurch erhebliche Nachteile in ihrem beruflichen Fortkommen erlitten. Soweit das Verwaltungsgericht ausführe, dass die Klägerin nicht die zwingende Voraussetzung für die Beförderung in ein Beförderungsamt einer Ministerialrätin im Amt B 3 erfülle, sei darauf hinzuweisen, dass die in den Richtlinien festgelegte Voraussetzung einer fünfjährigen Bewährung lediglich eine Soll-Vorschrift darstelle. Es sei daher keinesfalls ausgeschlossen, dass im Rahmen eines Schadensersatzprozesses das Gericht zu dem Schluss komme, dass die Klägerin aufgrund ihrer unrechtmäßig zu schlechten Beurteilung nicht befördert worden sei.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils legt die Klägerin damit nicht dar.
a. Für den ursprünglichen Antrag der Klägerin auf Aufhebung der Beurteilungen vom 2. Oktober 2018 und 10. Dezember 2019 sowie auf Erteilung einer jeweils neuen dienstlichen Beurteilung fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, da die Klägerin mit Wirkung vom 1. Januar 2021 in den Ruhestand eingetreten ist. Die dienstlichen Beurteilungen der Klägerin haben sich damit erledigt. Damit hat sich auch der genannte Antrag erledigt.
Die dienstliche Beurteilung dient dazu, die den Umständen nach optimale Verwendung des Beamten zu gewährleisten und so die im öffentlichen Interesse liegende Erfüllung hoheitlicher Aufgaben durch Beamte bestmöglich zu sichern. Zugleich dient die dienstliche Beurteilung auch dem berechtigten Anliegen des Beamten, in seiner Laufbahn entsprechend seiner Eignung, Befähigung und Leistung voranzukommen. Ihr kommt die entscheidende Bedeutung bei der Auswahlentscheidung des Dienstherrn und der dabei erforderlichen „Klärung einer Wettbewerbssituation“ zu (vgl. BVerwG, U.v. 11.12.2008 – 2 A 7.08 – juris Rn. 16). Diese Zweckbestimmung der dienstlichen Beurteilung kann mit dem Eintritt des Beamten in den Ruhestand nicht mehr erreicht werden, weshalb sich die dienstliche Beurteilung damit erledigt (BVerwG, U.v. 11.2.1982 – 2 C 33.79 – juris Rn. 19). Die Klage ist mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig.
Daran ändert die Absicht der Klägerin, Schadensersatzansprüche geltend zu machen, nichts. Soweit es im Falle der – verschuldeten – Rechtswidrigkeit der angegriffenen dienstlichen Beurteilung in einem Schadensersatzprozess darauf ankäme, wie die Beurteilung bei rechtmäßigem Vorgehen des Beklagten im Rahmen seiner Beurteilungsermächtigung voraussichtlich ausgefallen wäre und ob die Klägerin dann voraussichtlich befördert worden wäre, wären diese Fragen von dem damit befassten Gericht nach Maßgabe des § 287 ZPO zu prüfen und zu entscheiden (BVerwG, U.v. 11.2.1982 – 2 C 33.79 – juris Rn. 19).
b. Da sich das ursprüngliche Klagebegehren wie dargelegt erledigt hat, kann die Zulassung der Berufung lediglich noch zu dem Zweck beantragt werden, im Berufungsverfahren die Feststellung der Rechtswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme zu erreichen. Eine entsprechende Absicht hat die Klägerin jedenfalls in den Raum gestellt (ein etwaiges Verfahren auf Schadensersatz). Dabei kann dahinstehen, ob dieser Antrag als Fortsetzungsfeststellungsantrag in direkter oder entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO oder als Feststellungsantrag nach § 43 Abs. 1 VwGO zu behandeln ist. Sowohl § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO als auch § 43 Abs. 1 VwGO verlangen ein „berechtigtes Interesse“ an der Feststellung. In diesem Zusammenhang kann offenbleiben, ob das berechtigte Interesse in den genannten Vorschriften identischen Voraussetzungen unterliegt oder ob die an das Vorliegen des berechtigten Interesses zu stellenden Anforderungen des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO geringer sind als die des § 43 Abs. 1 VwGO (dazu BVerwG, U.v. 20.1.1989 – 8 C 30.87 – juris Rn. 9). Selbst wenn letzteres der Fall wäre, ist ein berechtigtes Interesse der Klägerin an der von ihr begehrten Feststellung weder auf der Grundlage ihres Vorbringens hierzu im Berufungszulassungsverfahren noch sonst erkennbar.
Ein Feststellungsinteresse ist zu bejahen, wenn die begehrte Feststellung geeignet ist, die Verfolgung eines Amtshaftungsanspruches vor den Zivilgerichten zu fördern. Auch kann dieses Feststellungsinteresse nicht schon deshalb verneint werden, weil die Klägerin ihren Anspruch auch als beamtenrechtlichen Schadensersatzanspruch vor den Verwaltungsgerichten verfolgen könnte, weil insoweit ein gesonderter Verwaltungsprozess zur Klärung einer Vorfrage des Schadensersatzanspruches unnütz wäre. Denn der Klägerin steht es frei, ihren Anspruch nach ihrem Belieben als Amtshaftungsanspruch vor den Zivilgerichten oder als beamtenrechtlichen Schadensersatzanspruch vor den Verwaltungsgerichten geltend zu machen.
Für das besondere Feststellungsinteresse genügt jedes nach Lage des Falles anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art. Es wird insbesondere dann bejaht, wenn die Rechtswidrigkeitsfeststellung der Vorbereitung einer konkret ins Auge gefassten Schadensersatz- oder Amtshaftungsklage in der Zukunft dient. Grundsätzlich sind die Umstände, die das berechtigte Interesse begründen sollen, im Berufungszulassungsverfahren innerhalb der Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO darzulegen. Ist – wie hier – das erledigende Ereignis nach Ablauf der Frist für die Begründung des Zulassungsantrags eingetreten, kann – und muss – das Fortsetzungsfeststellungsinteresse noch nach Fristablauf im Berufungszulassungsverfahren dargelegt werden (BayVGH, B.v. 24.10.2011 – 8 ZB 10.957- juris Rn. 12).
Dies zugrunde gelegt, lässt sich dem Vortrag der Klägerin im Berufungszulassungsverfahren ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der dienstlichen Beurteilungen wegen der beabsichtigten gerichtlichen Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs nicht entnehmen.
Beruft sich die Klägerin auf einen vor den Zivilgerichten geltend zu machenden Anspruch auf Schadensersatz oder Entschädigung, muss sie regelmäßig darlegen, was sie konkret anstrebt, welchen Schaden bzw. welche Schadens- oder Entschädigungsposition sie im Zivilrechtsweg geltend machen will und dass ein Schadensersatz- bzw. Entschädigungsprozess bereits anhängig oder mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist. Die bloße unsubstantiierte oder nur aus prozesstaktischen Gründen aufgestellte Behauptung, einen Schadensersatzprozess führen zu wollen, genügt hierfür nicht (BayVGH, B.v. 27.3.2014 -15 ZB 12.1562 – juris Rn. 12). Weitere Voraussetzung für das Vorliegen eines berechtigten Interesses im Fall der beabsichtigten gerichtlichen Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen ist, dass der beabsichtigte Prozess nicht offensichtlich aussichtslos sein darf. Offensichtlich aussichtslos ist der angestrebte Prozess, wenn ohne ins Einzelne gehende Prüfung erkennbar ist, dass der behauptete Schadensersatzanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt besteht.
Offenbleiben kann, ob die Absicht der Klägerin, einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte gerichtlich geltend zu machen, ernsthaft verfolgt oder aus prozesstaktischen Gründen lediglich vorgeschoben wird. Das berechtigte Interesse an der von der Klägerin nach Zulassung der Berufung begehrten Feststellung fehlt jedenfalls schon deshalb, weil der Schadensersatzanspruch wegen Nichtbeförderung einen Schaden voraussetzt, der auf der geltend gemachten Rechtsverletzung beruhen muss. Ein – gewissermaßen isolierter – auf finanziellen Ausgleich gerichteter Schadensersatzanspruch wegen fehlerhafter Beurteilung scheidet allerdings aus, weil eine fehlerhafte Beurteilung für sich gesehen noch keinen derartigen Schaden darstellt. Ein solcher manifestiert sich erst im Fall einer konkreten Auswahlentscheidung, die dann fehlerhaft ist, wenn der Dienstherr bei der Vergabe eines Beförderungsamtes den aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Anspruch des Beamten auf leistungsgerechte Einbeziehung in die Bewerberauswahl schuldhaft verletzt hat und dem Beamten das Amt ohne diesen Rechtsverstoß voraussichtlich übertragen worden wäre (BayVGH, B.v. 3.11.2016 – 6 ZB 15.2243 – juris Rn. 8). Die Zulassungsbegründung führt indes nicht aus, welche konkrete Auswahlentscheidung zum Gegenstand der Schadensersatzklage gemacht werden soll. Damit ist die Klägerin ihrer Darlegungslast nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht nachgekommen. Allein der Hinweis, im Falle der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beurteilungen habe das Gericht eine hypothetische Beförderungsentscheidung des Beklagten unter fiktiver Zugrundelegung einer rechtmäßig zustande gekommenen Beurteilung zu ermitteln, reicht nicht.
2. Die Entscheidung über die Kosten des Antragsverfahrens folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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