Verwaltungsrecht

Kein subsidiärer Schutz und kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 für minderjährigen afghanischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  M 25 K 17.40284

Datum:
4.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 38665
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4
AufenthG § 58 Abs. 1a, § 60 Abs. 5, 7, § 60a Abs. 2 S. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Die allgemeine Gefährdungslage in der afghanischen Provinz Baghlan erreicht keine Intensität, aufgrund derer bereits ohne das Vorliegen individueller gefahrerhöhender Umstände von der Erfüllung des Tatbestandes des § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG auszugehen wäre. Eine Gefahrerhöhung ergibt sich nicht aus der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara und aufgrund des schiitischen Glaubens (Rn. 27 – 29). (redaktioneller Leitsatz)
2. § 58 Abs. 1a AufenthG vermittelt einem unbegleiteten minderjährigen afghanischen Staatsangehörigen gleichwertigen Schutz vor Abschiebung, sodass er keinen Abschiebungsschutz vor allgemeinen Gefahren in Afghanistan im Wege der verfassungskonformen Anwendung des § 60 Abs. 7 AufenthG beanspruchen kann (Rn. 36). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Der Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Er hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG noch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Auch an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung sowie der Befristungsentscheidung bestehen keine Zweifel.
Zur Begründung wird auf die zutreffende Begründung in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG); lediglich ergänzend wird ausgeführt.
1. Der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG. Dem Kläger droht weder die Verhängung noch die Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG).
a.) Dem Kläger droht zudem weder Folter noch eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Der Kläger bringt nicht mit Erfolg vor, individuell und unmittelbar von dem Eintritt eines ernsthaften Schadens bedroht zu sein, denn dem Kläger droht bei seiner Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden.
Denn sein Vorbringen ist nicht glaubhaft. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und Glaubwürdigkeit des Klägers kommt es jedoch entscheidend an. Seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung ist gesteigerte Bedeutung beizumessen. Der Asylbewerber muss die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen; er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen (vgl. nunmehr auch Art. 4 Richtlinie 2011/95 EU sowie bislang bereits BVerfG (Kammer), B. v. 07.04.1998 – 2 BvR 253/96 – juris). Auch unter Berücksichtigung seines Herkommens, Bildungsstands und Alters muss der Asylbewerber im Wesentlichen gleichbleibende möglichst detaillierte konkrete Angaben zu seinem behaupteten Verfolgungsschicksal machen.
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Das Vorbringen des Klägers zu seinem Verfolgungsschicksal ist detailarm. Der Kläger hat weder in der Anhörung vor dem Bundesamt noch in der mündlichen Verhandlung eine konkrete, seine Person betreffende Bedrohung vorgetragen. Der Kläger hat nur allgemein angegeben, dass die Taliban jeden Tag in sein Dorf gekommen seien und Unruhe verursacht hätten. Er selbst sei aber persönlich nie angesprochen, angeworben und von den Taliban angegriffen worden.
Soweit sich der Kläger als Verfolgungsgrund auf die Zwangsrekrutierung durch die Taliban beruft, so ergibt sich aus der aktuellen Erkenntnismittellage keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine ernsthafte Gefahr für Leib und Leben. Die Erkenntnismittellage bezüglich Zwangsrekrutierungen durch die Taliban lässt sich zusammenfassend entnehmen, dass derartige Vorkommnisse zwar nicht auszuschließen sind, dass es sich jedoch um seltene Fälle handelt, da sich die Menschen in der Regel freiwillig den Taliban anschließen, wobei insbesondere finanzielle Aspekte eine wichtige Rolle spielen (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Rekrutierungsmaßnahmen der Taliban, 13.8.2018, VG Würzburg, U.v. 4.9.2019 – W 1 K 19.30257 – beckonline BeckRS 2019, 20315). Dies erscheint aufgrund der schlechten Wirtschaftslage in Afghanistan und der hohen Arbeitslosigkeit auch zwanglos nachvollziehbar. Die Taliban sind also in der Lage, auf einen sehr großen Pool an freiwilligen Kämpfern und Unterstützern zurückzugreifen.
Im Übrigen rekrutieren die Taliban ausweislich der Erkenntnismittel nicht wahllos irgendwelche jungen Männer. Vielmehr wenden die Taliban oft eine Mischung aus Zwang und Kooperation an, um Unterstützung zu erlangen. Sie nutzen dazu religiöse Netzwerke von Familien, Stämmen und ethnischen Gruppen vor Ort. Der Kontakt besteht zu den jeweiligen Dorfältesten oder den Mullah des Ortes. Oft wird Schutz durch die Taliban vor anderen marodierenden Gruppen als Gegenleistung für die Unterstützung der Taliban gewährt. Ob lokale Autoritäten sich aus Überzeugung, Zwang oder Pragmatismus anschließen, ist oft nicht abschließend zu klären – muss jedoch auch nicht unbedingt ein Widerspruch sein, angesichts der Gefahr, die in einer Verweigerung begründet wäre und dem Einfluss, den sie durch eine Assoziation mit den Taliban bekommen können – sei es Hilfe gegen lokale Konkurrenten, Schutz vor kriminellen Banden, Schutz der Schmugglerrouten und des lokalen Handels oder einen individuellen Machtgewinn in der eigenen Gemeinschaft (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Rekrutierungsmaßnahmen der Taliban, 13. August 2018, S. 2f; Dr. A. G., Landinfo – Afghanistan, Taliban’s organization and structure, 23. August 2017, S. 18f.).
Auch auf Grund seiner Zugehörigkeit zu den Hazara muss der Kläger bei einer Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einem ernsthaften Schaden rechnen. Die Volksgruppe der Hazara stellt im Vielvölkerstaat Afghanistan mit einem Anteil von etwa 10% der Bevölkerung eine Minderheit dar (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. September 2019, S. 10). Bei den Hazara handelt es sich um ein Volk mongolischer Abstammung. Aufgrund dieser Herkunft sind sie optisch für ihre tendenziell eher zentralasiatischen Gesichtszüge meist als ihre Volksgruppe zugehörig zu erkennen (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender, 31.8.2018, S. 106). Der überwiegende Teil der Hazara ist schiitischen Glaubens und stellt somit auch in religiöser Hinsicht – im Vergleich zu den mehrheitlich sunnitischen Muslimen des Landes – eine Minderheit dar (UNHCR, a.a.O. S. 66). Für eine staatliche Verfolgung oder Diskriminierung der Hazara gibt es jedoch keine Anhaltspunkte. In der afghanischen Verfassung ist der Gleichheitsgrundsatz verankert. Sie schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Auch ist eine systematische, etwa auch nach dem Merkmal der Volkszugehörigkeit diskriminierende Strafverfolgung- oder Strafzumessungspraxis für Afghanistan nicht erkennbar (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. September 2019, S. 12). Nachdem die Hazara zuvor unter dem Regime der sunnitischen Taliban schwerwiegenden Misshandlungen ausgesetzt gewesen waren, konnten sie neben ihrer allgemeinen sozio-ökonomischen Position insbesondere ihre gesellschaftliche Stellung auch in der Politik erheblich verbessern. Inzwischen bekleiden Hazara auch prominente Stellen in der Regierung (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, 2. September 2019, S. 10). Auch wenn es im alltäglichen, gesellschaftlichen Leben durchaus noch zu Diskriminierungen von Hazara kommt, so erreichen die Vorfälle keine derartige Verfolgungsdichte, dass eine Gruppenverfolgung anzunehmen wäre (BayVGH, B. v. 20.12.2018,13 AZ B 17. 31203 – juris).
Aufgrund Grund des gewonnenen Gesamteindrucks des Klägers in der mündlichen Verhandlung sowie der aktuellen Erkenntismittellage hat der Kläger bei einer Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit dem Eintritt eines ernsthaften Schadens zu rechnen.
Im Übrigen besteht für den Kläger eine innerstaatliche Fluchtalternative, § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e AsylG. Unter Berücksichtigung des beruflichen Werdegangs des Klägers in Deutschland und dem Umstand dass der Kläger auch noch über Familie in Afghanistan verfügt, kann er seinen Lebensunterhalt auch in anderen großen Städten, insbesondere Herat, Kabul und Masar-e-Sharif sichern, in denen die Sicherheitslage besser ist (VGH BW, U.v. 29.10.2019 – A 11 S 1203/19 – beckonline BeckRS 2019, 28916; VG Würzburg U.v. 4.9.2019 – W 1 K 19.30257 – beckonline BeckRS 2019, 20315 Rn. 30ff.). Diese Städte kann er auch auf dem Landweg oder auch auf dem Luftweg erreichen, da mehrmals täglich verkehrende Flugverbindungen von Kabul aus in diese Städte zur Verfügung stehen (EASO, Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 130).
Die Gewährung subsidiären Schutzes auf Grundlage von § 4 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG kommt auch nicht unter dem allgemeinen Gesichtspunkt der schlechten humanitären Situation in Afghanistan in Betracht. Es fehlt am erforderlichen Akteur, § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3c AsylG (vgl. st. Rspr BayVGH B.v. 23.1.2019 – 13a ZB 17.31785 – nicht veröffentlicht; VGH BW U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – beckonline BeckRS 2018, 27989 Rn. 45).
b.) Die allgemeine Gefährdungslage in Afghanistan kann ebenfalls nicht zur Zuerkennung subsidiären Schutzes führen. Eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG hat der Kläger nach Überzeugung des Gerichts ebenfalls nicht zu befürchten.
Dabei kann offen bleiben, ob die in Afghanistan oder Teilen von Afghanistan stattfindenden gewalttätigen Auseinandersetzungen nach Intensität und Größenordnung als innerstaatlicher Konflikt zu qualifizieren sind, weil nach Überzeugung des Gerichts der Kläger keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt wäre (§ 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG). Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nummer 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. zum örtlichen Bezugspunkt der Gefahrenprognose BVerwG, B.v. 14.11.2012 – 10 B 22/12 – juris).
Der Kläger stammt aus der Provinz Baghlan. Die allgemeine Gefährdungslage in der Provinz Baghlan erreicht keine Intensität aufgrund derer bereits ohne das Vorliegen individueller gefahrerhöhende Umstände von der Erfüllung des Tatbestandes des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG auszugehen wäre. Bei einer Bevölkerungszahl von rund 943.000 Einwohnern (vgl. Islamic Republic of Afghanistan Central Statistics Organization, Afghanistan Statistical Yearbook 2017-18, August 2018, S. 5) und einer Zahl von 261 im Jahr 2018 getöteten und verletzten Zivilpersonen (vgl. UNAMA, Afghanistan Annual Report on Protection of Civilians in Armed Conflicts: 2018, Annex III, Februar 2019, S. 67) liegt ein Risiko von 1 zu 3.614 bzw. eine Gefahrendichte von 0,03% vor, die deutlich unter der Schwelle der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit liegt (vgl. dazu BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 23 und U.v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – juris Rn. 13).
Aus den aktuell vorliegenden Zahlen ergibt nichts anderes. Nach einem Absinken der Opferzahlen im ersten Halbjahr 2019 um knapp 27% ergab sich in den Monaten Juli, August und September zwar ein starker Anstieg der Opferzahlen in Afghanistan insgesamt, so dass am Ende des 3. Quartals die Opferzahlen das Vorjahresniveau erreicht haben (vgl. UNAMA, Quarterly Report on the Protection of Civilians in Armed Conflicts: 1 January to 30 September 2019, S. 1). Insgesamt wurden für den Zeitraum 1. Januar 2019 bis zum 30. September 2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote und 5.676 Verletzte) registriert (vgl. UNAMA, Quarterly Report on the Protection of Civilians in Armed Conflicts: 1 January to 30 September 2019, S. 1). Dabei gehört die Provinz Baghlan nicht zu den am meisten betroffenen Provinzen (vgl. UNAMA, Quarterly Report on the Protection of Civilians in Armed Conflicts: 1 January to 30 September 2019, S. 2). Auch bei Zugrundelegung und Hochrechnung dieser Zahlen bleibt das Schädigungsrisiko unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BayVGH B.v.15.11.2019 – 13a ZB19.31894 – Rn. 15; VG München U.v. 4.11.2019 – M 15 K 17.48721 – Rn. 38).
Das Bestehen individueller, gefahrerhöhender Umstände, die eine Gefährdung im obigen Sinne dennoch begründen könnten, ergibt sich für den Kläger nicht in einem rechtlich relevanten Maß. Der Kläger ging keiner gefahrgeneigten Tätigkeit (zum Beispiel als Arzt, Journalist) im Krisengebiet nach und weist auch sonst keine gefahrerhöhenden Merkmale auf. Eine Gefahrerhöhung ergibt sich auch nicht aus seiner Zugehörigkeit zur Volkgruppe der Hazara und aufgrund seines schiitischen Glaubens. Ergänzend zu obigen Ausführungen wird darauf hingewiesen, dass Volkszugehörige der Hazara zwar wiederholt Opfer des Konflikts in Afghanistan werden, es sich jedoch nicht erkennen lässt, dass nur oder vor allem Hazara Opfer wären oder dass Hazara im besonderen Maß Gefahr laufen, als unbeteiligte Zivilpersonen Opfer des Konflikts zu werden (BayVGH, B. v. 20.1.2017 – 13a ZB 16.30996; U. v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064, Lagebericht des Auswärtigen Amtes, 2. September 2019, S. 10).
Ebenso wenig ergibt sich bei der erforderlichen wertenden Gesamtbetrachtung des statistischen Materials mit Blick auf die Anzahl der Opfer und der Schwere der Schädigungen – Todesfälle und Verletzungen – bei der Zivilbevölkerung ein anderes Ergebnis. Angesichts des bei quantitativer Betrachtung niedrigen Risikos kann die gebotene qualitative Betrachtung hier auch im Übrigen nicht zu einem Anspruch des Klägers auf Gewährung subsidiären Schutzes führen.
3. Schließlich besteht kein nationales Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 oder 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Ein Abschiebungsverbot gemäß auf § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nicht in Betracht, da dem Kläger keine Art. 3 EMRK oder ein anderes Grundrecht nach der EMRK verstoßende Behandlung droht.
Insbesondere stellt die allgemeine (Versorgung-) Lage in Afghanistan keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK dar. Zwar können schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat in besonderen Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen. Es ist aber hierbei in Bezug auf den Gefährdungsgrad das Vorliegen eines sehr hohen Niveaus erforderlich, denn nur dann liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem humanitäre Gründe „zwingend“ sind.
In Afghanistan ist die Lage für alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige jedoch nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne Weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde (vgl. jüngst BayVGH, B.v. 6.12.2019 – 13a ZB 19.34056 – Rn. 14; BayVGH, B.v. 23.10.2019 – 13a ZB 19.32670 – beckonline BeckRS 2019, 27543; BayVGH U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960, BayVGH U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632; VGH BW U.v. 29.10.2019 – A 11 S 1203/19 – Beckonline, BeckRS 2019, 28916 Rn 99 ff.). Der Kläger geht zur Schule und hat in Deutschland ein berufsbezogenes Praktikum gemacht. Er ist inzwischen 17 Jahre alt, gesund und arbeitsfähig. Zudem verfügt der Kläger über Familie in Afghanistan. Seine Mutter und Geschwister leben noch im Heimatort des Klägers. Die wirtschaftliche Grundlage der Familie ist ein landwirtschaftlicher Betrieb. Zudem verfügt der Kläger über die übliche Großfamilie in Afghanistan.
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor. Sind die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht erfüllt, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante extreme Gefahrenlage aus (vgl. BayVGH U.v. 8.11.18 – 13a B 17.31960 – juris; BayVGH U.v. 21.11.18 – 13a B 30632 – juris unter Bezugnahme auf VGH BW U.v. 12.10.18 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 453, VGH BW U.v. 29.10.2019 – A 11 S 1203/19 – beckonline BeckRS 2019, 28916 Rn 102). Individuelle Umstände in der Person des Klägers, insbesondere gesundheitlicher Art, die eine andere Beurteilung rechtfertigen, gibt es nicht. Danach hat der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG in verfassungskonformer Auslegung ergibt sich auch nicht aus dem Umstand der Minderjährigkeit des Klägers. Auf Grund seiner Minderjährigkeit ist der Kläger nach § 58 Abs. 1a AufenthG hinreichend vor einer Abschiebung geschützt. Nach der Rechtsprechung des BVerwG vermittelt § 58 Abs. 1a AufenthG dem Kläger als unbegleiteten Minderjährigen gleichwertigen Schutz vor Abschiebung, sodass er keinen Abschiebungsschutz vor allgemeinen Gefahren in Afghanistan im Wege der verfassungskonformen Anwendung des § 60 Abs. 7 AufenthG beanspruchen kann. § 58 Abs. 1a AufenthG wirkt, solange sich die Ausländerbehörde nicht von der konkreten Möglichkeit der Übergabe des Ausländers an eine in der Vorschrift genannten Person oder Einrichtung vergewissert hat, systematisch als rechtliches Vollstreckungshindernis i.S.d. § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG mit dilatorischer Wirkung (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13/12 – beckonline Rn. 16f.).
4. Die Abschiebungsandrohung begegnet ebenso wie die Befristung der Wiedereinreisesperre keinerlei Bedenken; insoweit wird auf den Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Insbesondere wirkt sich das Vollstreckungshindernis nach § 58 Abs. 1a AufenthG auf die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nicht aus (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13/12 – beckonline Rn. 17)
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO und mit dem Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


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