Verwaltungsrecht

Kein subsidiärer Schutz wegen befürchteter Beeinträchtigung des Rechtes auf ein faires Strafverfahren in der Ukraine

Aktenzeichen  11 ZB 18.30212

Datum:
12.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 2220
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 78 Abs. 3 Nr. 3
VwGO § 108 Abs. 2, § 138
AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 3, Art. 6
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Eine Beeinträchtigung des Rechtes auf ein faires Verfahren stellt nur dann eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung dar und löst nur dann ein Abschiebungsverbot aus, wenn die in Art. 3 EMRK verbürgten Menschenrechtsgarantien in ihrem Kern bedroht sind. Das ist nur in krassen Fällen anzunehmen, wenn die drohenden Beeinträchtigungen von ihrer Schwere her dem vergleichbar sind, was einer menschenunwürdigen Behandlung gleichkommt. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei einer Abschiebung in einen Vertragsstaat der EMRK kann ein Abschiebungsverbot nur dann angenommen werden, wenn schwere und irreparable Misshandlungen drohen und effektiver Rechtsschutz nicht rechtzeitig zu erreichen ist. Bei Verstößen gegen die Verfahrensgarantien, die in aller Regel korrigierbar sind, ist allenfalls in atypischen Ausnahmefällen vorstellbar, dass dem Betroffenen schwere und insbesondere irreparable Beeinträchtigungen drohen (ebenso BVerwG BeckRS 2005, 25340). (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Ukraine gewährleistet das Recht, sich nach der Ausschöpfung aller nationalen Rechtsschutzmittel an die Organe internationaler Gerichtsinstanzen und Organisationen, deren Mitglied oder Teilnehmer die Ukraine ist, zu wenden. Der Kläger muss sich daher darauf verweisen lassen, seine Rechte gegenüber etwaigen Verletzungen der EMRK von der Ukraine aus wahrzunehmen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 4 K 16.31169 2017-12-12 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist abzulehnen. Aus der Antragsbegründung ergibt sich nicht, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) hätte oder dass die Berufung wegen eines Verfahrensmangels (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO) zuzulassen wäre.
1. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Rechtssache nicht wegen der in der Antragsbegründung formulierten Frage zu, „ob einem wegen Separatismus Beschuldigten im Strafverfahren zumutbar ist, internen Schutz in dem nicht von Separatisten besetzten Teil der Ukraine in Anspruch zu nehmen, wenn in diesem Teil des Landes Korruption herrscht, die Justiz nicht unabhängig ist und somit ein faires Verfahren nicht sichergestellt ist.“
Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, der Kläger zu 1 sei erklärtermaßen kein Separatist und werde daher nicht wegen seiner politischen Überzeugung angeklagt. Dem ist der Kläger zu 1 in seinem Antrag auf Zulassung der Berufung nicht entgegengetreten. Die Klägerbevollmächtigten gehen allerdings davon aus, dem Kläger zu 1 drohe im Falle einer Rückkehr in den nicht von Separatisten besetzten Teil der Ukraine ein Strafverfahren, bei dem sein Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK) wegen politischer Einflussnahme auf die Justiz nicht gewährleistet wäre. Unabhängig davon, ob diese Annahme zutreffend ist, wäre dem Kläger zu 1 allein aus diesem Grund weder subsidiärer Schutz nach § 4 AsylG zu gewähren noch gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2, § 24 Abs. 2, § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 6 EMRK vorliegt.
Subsidiärer Schutz ist nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG zu gewähren, wenn der Ausländer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung. Das Verwaltungsgericht hat dies unter Bezugnahme auf den Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 7. Februar 2017 und die Auskunft des Human Rights Reports des US State Departments aus dem Jahre 2014 für die Ukraine verneint.
Die Fallgruppen eines ernsthaften Schadens sind in § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG abschließend definiert (Marx, AsylG, 9. Auflage 2017, § 4 Rn. 8). Dabei orientiert sich die hier allein in Betracht kommende Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG, die den Wortlaut des Art. 3 EMRK und des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) wiedergibt, an diesen Bestimmungen (Marx, a.a.O., § 4 Rn. 22 f.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand August 2017, § 4 AsylG Rn. 13). Allein ein Verstoß gegen Art. 6 EMRK ist hierfür nicht ohne Weiteres ausreichend. Vielmehr muss eine Maßnahme über das notwendigerweise mit jeder legitimen Behandlung oder Bestrafung verbundene Maß des Leidens oder der Erniedrigung hinausgehen, um sie als unmenschlich oder erniedrigend ansehen zu können. Unmenschlich ist eine Behandlung dann, wenn dem Betreffenden vorsätzlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden. Demütigend oder herabsetzend und damit erniedrigend ist eine Behandlung nur, wenn sie einen bestimmten Schweregrad erreicht (Hailbronner, a.a.O., § 4 AsylG Rn. 21-23). Insoweit trifft den Betroffenen die Darlegungslast. Er muss Umstände und Tatsachen angeben, die für die von ihm befürchtete Gefahr maßgebend sind und die ernsthafte Annahme rechtfertigen, dass seine Befürchtung zutrifft (Marx, a.a.O., § 4 Rn. 40).
Derartiges hat der Kläger zu 1 nicht vorgebracht. Soweit er unter Bezugnahme auf Presseberichte die Befürchtung äußert, ihm drohe in der Ukraine ein Strafverfahren, das sein Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK missachten würde, ergibt sich daraus weder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG noch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG. Zwar ist die Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch die Verweisung in § 60 Abs. 5 AufenthG grundsätzlich in innerstaatliches Recht inkorporiert. Allerdings ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine Beeinträchtigung anderer als der in Art. 3 EMRK verbürgten Menschenrechtsgarantien nur dann ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG auslöst, wenn diese Menschenrechtsgarantien in ihrem Kern bedroht sind. Das ist nur in krassen Fällen anzunehmen, wenn die drohenden Beeinträchtigungen von ihrer Schwere her dem vergleichbar sind, was einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden menschenunwürdigen Behandlung gleichkommt. Außerdem ist bei einer Abschiebung in einen Vertragsstaat der EMRK zu beachten, dass ein Abschiebungsverbot nur dann angenommen werden kann, wenn dem Ausländer in seinem Zielstaat schwere und irreparable Misshandlungen drohen und effektiver Rechtsschutz – auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen ist. Bei Verstößen gegen die Verfahrensgarantien des Art. 6 EMRK, die in aller Regel korrigierbar sind, ist allenfalls in atypischen Ausnahmefällen vorstellbar, dass dem Betroffenen schwere und insbesondere irreparable Beeinträchtigungen drohen (vgl. BVerwG, U.v. 7.12.2004 – 1 C 14.04 – BVerwGE 122, 271 = juris Rn. 16-18, 24 f.).
Die Ukraine hat die Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten am 11. September 1997 ratifiziert. Art. 55 Abs. 4 der Verfassung der Ukraine vom 28. Juni 1996 gewährleistet das Recht, sich nach der Ausschöpfung aller nationalen Rechtsschutzmittel zum Schutz seiner Rechte und Freiheiten an die entsprechenden Organe internationaler Gerichtsinstanzen und an die entsprechenden Organe internationaler Organisationen, deren Mitglied oder Teilnehmer die Ukraine ist, zu wenden. Aus dem Vorbringen des Klägers zu 1 ergibt sich weder, dass ihm im Falle eines Strafverfahrens in der Ukraine Verletzungen seiner Rechte aus Art. 6 EMRK drohen, die von ihrer Schwere her mit einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden menschenunwürdigen Behandlung vergleichbar sind, noch dass er im Falle solcher Verstöße effektiven Rechtsschutz – auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – nicht oder nicht rechtzeitig erlangen könnte. Somit muss er sich darauf verweisen lassen, seine Rechte gegenüber etwaigen Konventionsverletzungen von der Ukraine aus wahrzunehmen.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) wegen rechtswidriger Ablehnung eines Beweisantrags (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Aus den bereits dargelegten Gründen führt allein der vom Kläger zu 1 befürchtete Verstoß gegen Art. 6 EMRK weder zu einem Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG noch zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG. Deshalb ist die Ablehnung des Beweisantrags auf Einholung einer weiteren Auskunft zur Frage, ob den Kläger zu 1 in der Ukraine wegen Korruption und Einflussnahmen der Politik kein rechtsstaatliches Verfahren erwarte, nicht als fehlerhaft anzusehen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
4. Mit der unanfechtbaren (§ 80 AsylG) Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 84 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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