Verwaltungsrecht

Kein Verstoß gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs mangels Willkür im Rahmen richterlicher Beweiswürdigung

Aktenzeichen  20 ZB 17.30930

Datum:
28.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 124583
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3, Abs. 4 Nr. 4

 

Leitsatz

1. Der bloße pauschale Hinweis auf eine etwaige grundsätzliche Bedeutung im Rahmen eines Berufungszulassungsantrags nach § 78 Abs. 4 AsylG kann eine fehlende formulierte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage nicht kompensieren. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts insgesamt nicht willkürlich und verstößt sie auch nicht gegen Denkgesetze, liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht vor, sodass die richterliche Beweiswürdigung damit nicht das formelle, sondern das materielle Recht betrifft und der Zulassungsantrag damit in der Sache ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils geltend macht, welche aber nach § 78 Abs. 3 AsylG kein Grund für die Zulassung der Berufung sind. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 4 K 167.33565 2017-05-16 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 16. Mai 2017 wird abgelehnt, da die geltend gemachten Zulassungsgründe entweder einer nicht in § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügenden Art und Weise dargelegt wurden oder nicht vorliegen.
1. Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG erfordert, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufzeigt, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist. Ferner muss dargelegt werden, weshalb der Frage eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). „Darlegen“ bedeutet schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis. Etwas „darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (BVerwG, B.v. 2.10.1961 – 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90/91; B.v. 9.3.1993 – 3 B 105.92 – NJW 1993, 2825). Der Orientierungspunkt dieser Erfordernisse ist die Begründung der angefochtenen Entscheidung, mit der sich die Begründung des Zulassungsantrags substantiiert auseinandersetzen muss (BVerfG, B.v. 2.3.2006 – 2 BvR 767/02 – NVwZ 2006, 683).
Diesen Anforderungen wird der Zulassungsantrag nicht gerecht. Er unterlässt es bereits, eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage zu formulieren. Da diese bereits fehlt, kann eine Prüfung, ob eine für grundsätzlich bedeutsam erachtete Rechts- oder Tatsachenfrage entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist, nicht erfolgen. Der bloße pauschale Hinweis auf eine etwaige grundsätzliche Bedeutung, wie er hier gebracht wird, kann diesen Mangel nicht kompensieren.
Soweit auf das Fehlen einer inländischen Fluchtalternative für die Kläger verwiesen wird ist anzumerken, dass es den Klägern möglich war, zu dem Freund des Klägers zu 1 in einen anderen Stadtteil von Bagdad zu ziehen, wenn auch nur für einige Tage, ohne die im Zulassungsantrag beklagten Kontrollen und Diskriminierungen. Angesichts der in den letzten Jahren erfolgten Trennung der Stadtviertel der irakischen Hauptstadt in rein sunnitische und rein schiitische Viertel (vgl. Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Irak, Stand 8.4.2016, S. 23) ist nicht dargelegt, dass es den Klägern nicht möglich gewesen wäre, in einen überwiegend sunnitischen Stadtteil Bagdads umzuziehen.
2. Der geltend gemachte Verfahrensfehler einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) liegt nicht vor. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, entscheidungserhebliche Anträge und Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen. Eine Versagung des rechtlichen Gehörs im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO kann auch in der Verletzung von Verfahrensvorschriften liegen, die der Wahrung des rechtlichen Gehörs dienen. Hierzu gehören allerdings regelmäßig nicht Verstöße gegen die Sachaufklärungspflicht des Gerichts (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) oder gegen das Gebot der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Anspruch auf rechtliches Gehör kann bei solchen Mängeln im Einzelfall allenfalls bei gravierenden Verstößen verletzt sein (BVerfG, B.v. 8.4.2004 – 2 BvR 743/03 – NJW-RR 2004, 1150), oder wenn es sich um gewichtige Verstöße gegen Beweiswürdigungsgrundsätze handelt, weil etwa die Würdigung willkürlich erscheint oder gegen die Denkgesetze verstößt (vgl. BVerwG, B.v. 2.11.1995 -9 B 710.94 – NVwZ-RR 1996, 359). Derartige gravierende Mängel sind aber hier nicht dargelegt. Die Begründung des Zulassungsantrags wendet hier ein, dass das Verwaltungsgericht den Vortrag der Kläger als widersprüchlich angesehen habe, da der Kläger zu 1 in der mündlichen Verhandlung eine andere Wohnadresse angegeben habe als vor dem Bundesamt und als seine Ehefrau und dass die Klägerin zu 2 in ihrer Anhörung von mehreren Bedrohungen, in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht aber nur noch von einem Drohbrief gesprochen habe. Damit greift er zwei Aspekte aus der Begründung des Verwaltungsgerichts zur Unglaubwürdigkeit des Vortrags der Kläger heraus und wendet sich in der Sache gegen die richterliche Beweiswürdigung. Die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts ist aber insgesamt nicht willkürlich und verstößt auch nicht gegen Denkgesetze, so dass ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht vorliegt. Die richterliche Beweiswürdigung betrifft damit nicht das formelle, sondern das materielle Recht (Happ in Eyermann a.a.O., § 124a Rn. 48), der Zulassungsantrag macht also in der Sache ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils geltend. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind aber nach § 78 Abs. 3 AsylG kein Grund für die Zulassung der Berufung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Antrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig, § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG.


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