Verwaltungsrecht

Kein vorläufiger Rechtsschutz gegen Ablehnung von Asylanträgen als offensichtlich unbegründet (Nigeria)

Aktenzeichen  Au 7 S 16.32934

Datum:
20.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 30 Abs. 1, Abs. 2, § 36 Abs. 1, Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 2, Abs. 5, Abs. 7 S. 1, 5, § 60a Abs. 1 S. 1
EMRK EMRK Art. 3
GG GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

Die schlechte wirtschaftliche Lage in Nigeria und die damit zusammenhängende Gefahr ist eine allgemeine Gefahr, der die Bevölkerung oder eine relevante Bevölkerungsgruppe allgemein ausgesetzt ist und vermag daher grundsätzlich nicht zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG zu führen. Anders ist dies dann, wenn der Schutzsuchende bei einer Rückkehr aufgrund dieser allgemein bestehenden Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragsteller zu 1 bis 3, nach eigenen Angaben nigerianische Staatsangehörige, wenden sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung wegen der Ablehnung ihrer Asylanträge als offensichtlich unbegründet.
1. Die 1989 geborene Antragstellerin zu 1 ist die Mutter der Antragstellerin zu 2 (geboren am … 2010 in …/Schweiz) und des Antragstellers zu 3 (geboren am … 2015 in …/Italien).
Die Antragsteller reisten am 19. Oktober 2015 illegal in die Bundesrepublik Deutschland ein, meldeten sich am 26. Oktober 2015 in … als Asylsuchende und stellten am 17. Mai 2016 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) Asylanträge.
In dem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates zur Durchführung des Asylverfahrens am 17. Mai 2016 gab die Antragstellerin zu 1 gegenüber dem Bundesamt u. a. an, sie habe ihr Herkunftsland Nigeria ca. 2008 verlassen und sei über Togo, Frankreich, Italien und die Schweiz nach Deutschland gereist.
Für die Antragstellerin zu 1 ergab sich am 17. Mai 2016 ein EURODAC-Treffer der Kategorie für die Schweiz (…).
Das Wiederaufnahmegesuch des Bundesamtes vom 14. Juli 2016 lehnte die Schweizerische Eidgenossenschaft mit Schreiben vom 21. Juli 2016 ab und teilte u. a. mit, dass die Antragstellerin zu 1 drei Mal in der Schweiz um Asyl nachgesucht habe. Jedes Mal sei ein Dublin-Verfahren mit Italien durchgeführt worden.
Der erste Asylantrag datiere vom 3. März 2010. Italien habe das Wiederaufnahmegesuch vom 24. März 2010 am 25. Mai 2010 akzeptiert („acception by default for Italy“). Am 2. Juli 2010 sei die Antragstellerin untergetaucht.
Der zweite Asylantrag datiere vom 3. Dezember 2010. Italien habe das Wiederaufnahmegesuch vom 11. Januar 2011 am 21. Januar 2011 akzeptiert. Am 9. März 2011 sei die Antragstellerin nach Italien überstellt worden.
Ihren dritten Asylantrag habe die Antragstellerin am 30. Januar 2012 in der Schweiz gestellt. Italien habe das Wiederaufnahmegesuch vom 20. Februar 2012 am 21. März 2012 akzeptiert („acception by default for Italy“). Am 31. Mai 2012 sei die Antragstellerin nach Italien überstellt worden.
Am 25. April 2014 sei der illegale Aufenthalt der Antragstellerin in der Schweiz festgestellt und am selben Tag ein Wiederaufnahmegesuch an Italien gerichtet worden. Am 2. Mai 2014 sei die Antragstellerin untergetaucht. Italien habe das Wiederaufnahmegesuch am 26. Mai 2014 akzeptiert („acception by default for Italy“). Am 6. Juni 2014 sei die Überstellungsfrist wegen des Untertauchens der Antragstellerin auf 18 Monate verlängert worden (vgl. Bl. 54 bis 59 der Bundesamtsakte). Seit dem Untertauchen der Antragstellerin am 2. Mai 2014 hätten die Schweizer Behörden keinen Kontakt mehr zur Antragstellerin gehabt. Wenn das Bundesamt keine Informationen geben könne, wo sich die Antragstellerin zwischen dem 2. Mai 2014 und ihrem Asylantrag in Deutschland aufgehalten habe, könne das Wiederaufnahmegesuch nicht akzeptiert werden. Es sei möglich, dass sich die Antragstellerin in der genannten Zeit nach Italien begeben habe.
Aus der Antwort der Schweizerischen Eidgenossenschaft ist auch ersichtlich, dass sich die Antragstellerin zu 1 sowohl als nigerianische als auch als ghanaische Staatsangehörige ausgegeben hat.
Am 8. November 2016 fand die persönliche Anhörung der Antragstellerin zu 1 durch das Bundesamt statt. Dabei gab sie u. a. an, sie habe in ihrem Heimatland Nigeria nie einen Pass besessen. Bis zu ihrer Ausreise aus Nigeria habe sie sich in …, Stadtteil … aufgehalten. Auf die Frage, wann sie Nigeria verlassen habe, gab die Antragstellerin zunächst an „keine Ahnung“ und erwidert auf erneute Frage, dass es ungefähr 2007 gewesen sein könnte. Im Bundesamtsprotokoll ist daraufhin vermerkt, dass die Antragstellerin aufgefordert werde, lauter und deutlicher zu sprechen und ihr Handy auszuschalten. Sie wirke äußerst gelangweilt und desinteressiert.
Auf weitere Fragen zu ihrem Aufenthalt gab die Antragstellerin zu 1 an, in den acht Jahren, seit sie Nigeria verlassen habe, sei sie einige Monate in Frankreich, danach zwei Jahre in Italien, drei Jahre in der Schweiz und dann nochmal mehr als ein Jahr in Italien gewesen. In Italien sei sie von einer nichtstaatlichen Organisation unterstützt worden. Ihre Eltern lebten in Nigeria, … Sie habe in Nigeria drei Brüder, zwei Schwestern und die Großfamilie. Sie habe in ihrem Heimatland sechs Jahre die Schule besucht, aber keinen Beruf ausgeübt.
Auf die Frage zu ihrem Verfolgungsschicksal gab die Antragstellerin zu 1 an, ihr sei in Nigeria nichts passiert. Jemand habe ihr angeboten, sie nach Europa zu bringen, da es hier besser sei als in Afrika.
Im Rahmen des Gehörs zum Einreise- und Aufenthaltsverbot gab die Antragstellerin an, sie habe in Deutschland keine Verwandte.
2. Mit Bescheid vom 15. Dezember 2016 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), den Asylantrag (Nr. 2) und den Antrag auf subsidiären Schutz (Nr. 3.) jeweils als offensichtlich unbegründet ab. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 4). Weiter wurde die Abschiebung nach Nigeria angedroht, falls sie die Ausreisefrist von einer Woche nicht einhalte (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
3. Am 20. Dezember 2016 erhoben die Antragsteller zu 1 bis 3 Klage und beantragten, die Antragsgegnerin unter Aufhebung des Bescheids vom 15. Dezember 2016 zu verpflichten, den Antragstellern die Flüchtlingseigenschaft oder hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Die Klage wird unter dem Aktenzeichen Au 7 K 16.32933 geführt.
Zugleich wurde der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gestellt,
die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der Abschiebungsandrohung anzuordnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, dass die Antragstellerin zu 1 alleinerziehende Mutter von zwei Kindern sei. In Nigeria sei es ihr nicht möglich, den Lebensunterhalt und das Existenzminimum für ihre Kinder zu gewährleisten. Sie habe in Nigeria niemanden, der sie unterstützen könne. Mit ihrer Familie sei sie so verstritten, dass sie keine Hilfe erwarten könne. Sie wäre in Nigeria mit ihren Kindern völlig auf sich allein gestellt. Das Bundesamt habe in gleichgelagerten Fällen eine positive Entscheidung getroffen.
Das Bundesamt legte unter dem 22. Dezember 2016 die Bundesamtsakte vor, äußerte sich aber in der Sache nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die Akte des Bundesamts Bezug genommen.
II.
Der zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte (§ 36 Abs. 3 Satz 1 des Asylgesetzes – AsylG) Antrag nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), die kraft Gesetzes ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung im angefochtenen Bescheid anzuordnen, bleibt in der Sache ohne Erfolg, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen (vgl. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
1. Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens ist gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG die unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche (§ 36 Abs. 1 AsylG) ausgesprochene Abschiebungsandrohung. Die mit dieser Verwaltungsentscheidung intendierte umgehende Beendigung des Aufenthalts des Asylbewerbers im Bundesgebiet stützt sich auf die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet und ist deren Folge. Anknüpfungspunkte der fachgerichtlichen Prüfung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes muss daher die Frage sein, ob das Bundesamt den Asylantrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 – juris Rn. 93). Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes daher die Einschätzung des Bundesamts, dass der geltend gemachte Anspruch auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft bzw. auf Zuerkennung subsidiären Schutzes offensichtlich nicht, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht besteht, zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 – a. a. O.; BVerfG [Kammer], B. v. 10.7.1997 – 2 BvR 1291/96 – juris).
Die Aussetzung der Abschiebung darf nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG). Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 – a. a. O. – Rn. 98).
2. Es bestehen hier keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der mit Bescheid des Bundesamts vom 15. Dezember 2016 erfolgten Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet (§ 30 Abs. 1, 2 AsylG). Im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) bestehen an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Bundesamts vernünftigerweise keine Zweifel, so dass sich die Ablehnung des Asylantrags nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG [Kammer], B. v. 20.9.2001 – 2 BvR 1392/00; BVerfG [Kammer], B. v. 3.9.1996 – 2 BvR 2353/95 – beide juris). Der Asylantrag war als offensichtlich unbegründet abzulehnen, weil das Vorbringen der Antragstellerin zu 1 offensichtlich keine asylrelevanten Gründe enthält, die Antragsteller zu 1 bis 3 sich vielmehr offensichtlich nur aus wirtschaftlichen Gründen in Deutschland aufhalten (§ 30 Abs. 1, 2 AsylG). Abschiebungshindernisse liegen nicht vor.
Wegen der Begründung im Einzelnen folgt das Gericht dabei den Ausführungen im angefochtenen Bescheid und sieht deshalb von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Lediglich ergänzend wird Folgendes ausgeführt:
a) Nicht nur hat die Antragstellerin zu 1 keine Gründe geltend gemacht, die zur Zuerkennung internationalen Schutzes nach § 3 ff AsylG (Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft) oder hilfsweise nach § 4 AsylG (subsidiärer Schutz) führen könnten. Die Ablehnung der Anträge auf internationalen Schutz drängt sich geradezu auf, weil die Antragstellerin zu 1 keine relevanten Bedrohungen geltend macht, sondern vielmehr vorgetragen hat, sie habe in Nigeria keine Probleme gehabt und das Angebot, sie nach Europa zu bringen, deswegen angenommen, weil man ihr gesagt habe, dass es hier besser sei als in Afrika. Damit ist es offensichtlich, dass sich die Antragstellerin zu 1 mit ihren Kindern (Antragsteller zu 2 und 3) ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen in Deutschland aufhält.
b) Es sind jedoch auch keine (zielstaatsbezogenen) Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erkennbar.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die schlechte wirtschaftliche Situation in Nigeria – hier leben immer noch ca. 70% der Bevölkerung am Existenzminimum und sind von informellem Handel und Subsistenzwirtschaft abhängig (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria – Lagebericht – vom 21. November 2016, Stand September 2016, Nr. I.2.) – und die damit zusammenhängenden Gefahren grundsätzlich nicht zu einer individuellen, gerade den Antragstellern drohenden Gefahr führt, sondern unter die allgemeinen Gefahren zu subsumieren ist, denen die Bevölkerung oder relevante Bevölkerungsgruppe allgemein ausgesetzt ist und die gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG durch Anordnungen gemäß § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen sind.
aa) Der Umstand, dass im Falle einer Aufenthaltsbeendigung die Lage eines Betroffenen erheblich beeinträchtigt würde, reicht allein nicht aus, um einen Verstoß gegen § 60 Abs. 5 AufenthG, Art 3 EMRK anzunehmen; anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen, wie zum Beispiel im Falle einer tödlichen Erkrankung in fortgeschrittenen Stadium, wenn im Zielstaat keine Unterstützung besteht (BVerwG, U. v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – BVerwGE 146, 12-31, juris, Rn. 23 ff. m. w. N.). Im Hinblick auf die Bewertung eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK gelten dabei bei der Beurteilung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG die gleichen Voraussetzungen wie bei der Frage der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 2 AufenthG i. V. m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (BVerwG, U. v. 31.1.2013 – a. a. O. – Rn. 22, 36).
bb) Auch eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben (§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) für einen Betroffenen aufgrund allgemein für die Bevölkerung bestehender Gefahren, die über diese allgemein bestehenden Gefahren hinausgeht, ist nur im Ausnahmefall im Sinne eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (BVerwG, U. v. 31.1.2013 – a. a. O. Rn. 38). Ein Ausländer kann im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser allgemein bestehenden Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für die Betroffenen die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen den Betroffenen daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (zum Ganzen BVerwG, U. v. 31.1.2013 a. a. O. Rn. 38).
cc) Für derartige besondere Gefahren aufgrund schlechter humanitärer oder wirtschaftlicher Verhältnisse ist hier nichts ersichtlich. Insbesondere kann im Falle der Antragsteller zu 1 bis 3 nicht davon ausgegangen werden, dass die schlechte wirtschaftliche Situation in Nigeria zu einem Abschiebungsverbot aufgrund schlechter humanitärer Verhältnisse führt, die im Ausnahmefall als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK qualifiziert werden könnten. Weiter kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin zu 1 mit ihren beiden Kindern auf sich allein gestellt sein wird und aufgrund der in Nigeria besonders schwierigen Situation für alleinstehende Frauen (vgl. Lagebericht a. a. O. Nr. II.1.8, 3) im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG konkret gefährdet ist. Nach der Erkenntnislage ist zwar davon auszugehen, dass alleinstehende Frauen in Nigeria besonderen Schwierigkeiten begegnen und vielen Arten von Diskriminierung ausgesetzt sind. Sie finden meist nur schwer eine Unterkunft und eine berufliche Tätigkeit in Nigeria, dies umso weniger, je geringer die Schul- bzw. Berufsausbildung ist. Da es in Nigeria keine staatliche finanzielle oder soziale Unterstützung gibt, sind alleinstehende Frauen meist von finanziellen Zuwendungen durch die Familien, Nachbarn oder Freunde abhängig. Zwar ist es auch für den Personenkreis der alleinstehenden Frauen nicht gänzlich unmöglich bzw. ausgeschlossen, sich eine wirtschaftliche Grundexistenz zu schaffen, so etwa im Südwesten des Landes und in den Städten, in denen alleinstehende Frauen eher akzeptiert werden. Mancherorts existieren auch Hilfseinrichtungen bei verschiedenen Kirchengemeinden oder Nicht-Regierungs-Organisationen, die verschiedene Hilfestellungen anbieten, deren Inanspruchnahme jedoch von dem persönlichen Wissen und Engagement der betroffenen Frau bzw. ihrer Zugehörigkeit zur dortigen Gemeinschaft abhängig ist. Ansonsten droht dieser Personengruppe nicht selten Prostitution und Menschenhandel (zum Ganzen Lagebericht a. a. O. Nr. II 1.8 und 3.; SFH, Nigeria Update vom März 2010, S. 22; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Nigeria: Informationen zur Lage von (unverheirateten oder verwitweten) Frauen, vom 27. März 2015; ACCORD, Nigeria – Frauen, Kinder, sexuelle Orientierung, Gesundheitsvorsorge, vom 21.06.2011, S. 11; vgl. auch VG Augsburg, U. v. 18.11.2013 – Au 7 K 13.30129 – juris).
Es kann hier jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin zu 1 als alleinerziehende Mutter von zwei Kindern in Nigeria völlig auf sich allein gestellt und nicht in der Lage sein wird, ein Existenzminimum zu sichern.
Zum einen hat die Antragstellerin zu 1 nach ihren eigenen Angaben zuletzt in … (Stadtteil …), einer Großstadt im liberaleren südwestlichen Teil Nigerias, gelebt. In diesem südwestlichen Teil Nigerias, nämlich in …, leben nach ihren Angaben auch ihre Eltern. Zudem leben auch ihre drei Brüder und zwei Schwestern und die Großfamilie in Nigeria. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin zu 1 und ihre Kinder, die Antragstellerin zu 2 und der Antragsteller zu 3, von der Familie unterstützt werden können. Die erstmals nach Erlass des ablehnenden Bescheids im gerichtlichen Verfahren vorgetragene Behauptung der Antragstellerin zu 1, sie sei mit ihrer Familie so zerstritten, dass sie von dieser keine Hilfe erwarten könne, ist nicht glaubhaft und beruht offensichtlich auf ihrem Bestreben, nach Erlass des ablehnenden Bescheids ihre Chancen auf einen vermeintlich positiven Verfahrensausgang zu erhöhen. Es bestehen damit keine Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsteller zu 1 bis 3 nach ihrer Rückkehr von solcher familiärer Hilfe ausgeschlossen sein sollten.
Hinzu kommt zum anderen, dass die gesunde, arbeitsfähige Antragstellerin zu 1, die vor ca. neun Jahren ihr Heimatland verlassen hat, es augenscheinlich geschafft hat, sich sogar in für sie fremden Ländern, insbesondere in Italien und der Schweiz, „durchzuschlagen“, und auch für ihre Kinder zu sorgen. So hat sie gegenüber dem Bundesamt z. B. angegeben, dass sie in Italien in der Lage war, sich an nichtstaatliche Organisationen zu wenden und sich von diesen Hilfe zu holen. Damit ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin zu 1 auch in ihrem Heimatland in der Lage sein wird, den notwendigen Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder sicherzustellen. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsteller zu 1 bis 3 nach ihrer Rückkehr unmittelbar und konkret gefährdet sind, bestehen nach allem nicht.
3. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO war daher mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, ergebenden Kostenfolge abzulehnen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83 b AsylG).
Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG unanfechtbar.


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