Verwaltungsrecht

Kein Widerruf bei neuer Erkenntnislage oder abweichender Würdigung früherer Entscheidungsgrundlagen

Aktenzeichen  RO 13 K 19.32385

Datum:
11.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 40743
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4, § 73b Abs. 1
RL 2011/95/EU Art. 16, Art. 17

 

Leitsatz

1. Ein Widerruf der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 73 b Abs. 1 AsylG wegen geänderter Sachlage ist nicht möglich, da bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nicht vorlagen.
2. Die freiwillige Rückreise ins Heimatland stellt keine neue Sachlage dar, da bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Zuerkennungsbescheides kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt bestanden hat.
3. Der Widerrufsbescheid nach § 73b Abs. 1 AsylG kann nicht auf § 48 VwVfG gestützt oder entsprechend umgedeutet werden, weil die Rücknahme nach § 48 VwVfG eine behördliche Ermessensausübung voraussetzt.
1. Für einen auf § 73b Abs. 1 AsylG gestützten Widerruf müssen sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich tatsächlich geändert haben; ändert sich im Nachhinein lediglich die Beurteilung der Verfolgungslage, so rechtfertigt dies den Widerruf nicht, selbst wenn die andere Beurteilung auf erst nachträglich bekannt gewordenen oder neu erstellten Erkenntnismitteln beruht. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Grundsätzlich kann die Rückreise ins Heimatland ein nachträgliches Ereignis darstellen, das je nach den konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls Rückschlüsse auf eine dortige Verfolgungsgefahr oder jedenfalls die Verfolgungsfrucht des Betroffenen zulassen kann. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundeamtes für Migration und Flüchtlinge vom 05.11.2019 (Az. 7498496-438) wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten konnte das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die zulässige Klage ist begründet. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamts ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.) Der Widerruf des subsidiären Schutzes kann insoweit nicht auf § 73b Abs. 1 AsylG gestützt werden. Nach § 73b Abs. 1 AsylG ist die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus zu widerrufen, wenn die Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, nicht mehr bestehen oder sich in einem Maß verändert haben, dass ein solcher Schutz nicht mehr erforderlich ist. Der Widerruf der Gewährung des subsidiären Schutzes bedingt gem. § 73b Abs. 1 S. 1 Alt. 1, dass diejenigen Umstände, die für die Zuerkennung subsidiären Schutzes in einer Weise kausal waren, dass dieser ohne ihr Vorliegen nicht gewährt worden wäre, nach der Zuerkennung weggefallen sind.
Mit § 73b AsylG setzt der Gesetzgeber Artikel 16 und 17 der RL 2011/95/EU (Anerkennungsrichtlinie) um. Widerruf und Rücknahme des subsidiären Schutzes erfolgen in Anlehnung an die Bestimmungen über den Widerruf und die Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Subsidiärer Schutz muss demnach bei nicht nur vorübergehenden und grundlegenden Änderungen der Umstände widerrufen werden. Dies bedeutet, es müssen neue Tatsachen im Sinne eines umfassenden politischen Wandels eine andere Grundlage für die Gefahrenprognose ergeben haben, wie dies in Art. 16 II AnerkennungsRL angelegt ist (vgl. Bergmann/Dienelt/Bergmann, AsylG, § 73b Rn. 3). Testfrage ist immer im Sinne einer Spiegelbildlichkeit, ob heute noch die beachtliche Wahrscheinlichkeit eines ernsthaften Schadens besteht.
Notwendig ist eine – erhebliche und nicht nur vorübergehende – Änderung der Verhältnisse in dem Verfolgerstaat mit der Folge, dass die Anerkennung nunmehr ausgeschlossen ist. Eine „erhebliche“ Veränderung der verfolgungsbegründenden Umstände liegt vor, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland deutlich und wesentlich geändert haben. Durch neue Tatsachen muss sich eine signifikant und entscheidungserheblich veränderte Grundlage für die Verfolgungsprognose ergeben, so dass keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung mehr besteht. Nicht ausreichend ist dagegen eine neue Erkenntnislage oder eine abweichende Würdigung der früheren Entscheidungsgrundlagen (BVerwG‚ U. v. 19.9.2000 – 9 C 12/00 – juris).
1. Werden diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall angewendet, so kommt es maßgeblich darauf an, ob und ggf. wann von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in der Region S. in N., in welcher sich der Kläger vor seiner Ausreise mehrere Jahre niedergelassen hatte, auszugehen ist.
Bei einem regional begrenzten Konflikt besteht ein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nur dann, wenn der Schutzsuchende von ihm ernsthaft individuell bedroht ist und keine innerstaatliche Schutzalternative besteht. Das Vorliegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung kann als gegeben angesehen werden, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt nach der Beurteilung der zuständigen nationalen Behörden ein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei Rückkehr in die betroffene Region allein durch die Anwesenheit tatsächlich Gefahr läuft, einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt zu sein. Liegen bei dem Betroffenen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 4/09, juris, Rn. 33). Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Kläger von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa, weil er von Berufs wegen – z.B. als Arzt oder Journalist – gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Kläger als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte – etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit – ausgesetzt ist.
a) Nach Auswertung der aktuellen Erkenntnismittel besteht in der Region S. in der Provinz N. kein internationaler oder innerstaatlicher Konflikt. Dies folgt bereits daraus, dass der IS durch die irakischen Streitkräfte landesweit fast vollständig zurückgedrängt wurde. Soweit der IS noch Selbstmordattentate und andere Anschläge verübt hat, bei denen Zivilpersonen verletzt oder getötet wurden (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, letzte Kurzinformation eingefügt am 09.04.2019) und soweit die Sicherheitslage in den vom IS zurückeroberten Gebieten noch prekär ist, da diese durch so genannte IEDs (improvisierte Sprengsätze) und Minen sowie durch Konflikte zwischen Milizen geprägt sind (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O.), handelt es sich dabei um Einzelfälle, die jedenfalls kein solches Ausmaß erreichen, dass die Lage als innerstaatlicher Konflikt zu qualifizieren wäre (vgl. VG Hamburg, U.v. 29.10.2018, 8 A 3336/18 – juris; OVG Lüneburg, v. 30.07.2019, 9 LB 133/09 -juris).
b) Allerdings müssen sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich tatsächlich geändert haben. Ändert sich hingegen im Nachhinein lediglich die Beurteilung der Verfolgungslage, so rechtfertigt dies den Widerruf nicht, selbst wenn die andere Beurteilung auf erst nachträglich bekannt gewordenen oder neu erstellten Erkenntnismitteln beruht. Ob eine solche Änderung eingetreten ist, beurteilt sich also einerseits nach dem im Anerkennungsbescheid vom Bundesamt zu Grunde gelegten Sachverhalt und anderseits nach den damals im Verfolgerstaat tatsächlich herrschenden Verhältnissen. (vgl. BVerwG Urt. 19.09.2000, Az. 9 C 12/00).
Insoweit hat der Kläger allerdings im Ausgangsverfahren selbst angegeben, dass er persönlich und auch seine Familie in der Zeit vor der Ausreise in E. bei S. nicht bedroht worden ist und dort auch kein innerstaatlicher Konflikt bestand. Auch den Ausführungen des VG Augsburg kann entnommen werden (U.v. 04.06.2019 – Au 5 K 18.32006 – juris), dass bereits 2017 eine zielgerichtete Verfolgung der Jesiden in N. nicht mehr bestand. Das VG Augsburg führt wie folgt aus:
Die Verfolgungssituation für yezidische Glaubenszugehörige besteht seit Mitte/Ende des Jahres 2017 jedoch nicht mehr unverändert fort und führt im vorbezeichneten Verfahren dazu, dass die Voraussetzungen für die Gruppenverfolgung von Yeziden in der Provinz N. nicht mehr angenommen werden können. Eine systematische Verfolgung oder Diskriminierung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 12.01.2019 – im Folgenden: Lagebericht, S. 12). Im August 2017 erklärte der irakische Ministerpräsident H. al-A., dass mit der Stadt Tal Afar eine der letzten IS-Bastionen im Land befreit worden sei. Die USgeführte Anti-IS-Koalition teilte ebenfalls mit, dass der Irak 90% des ehemals von der Terrormiliz kontrollierten Gebietes zurückerobert habe. Der IS hat nach seinem Vormarsch vor mehr als drei Jahren (2014) auf dem Höhepunkt seiner Macht riesige Gebiete im Norden und Westen des Irak beherrscht, darunter große Städte. Hierzu gehörte auch die Millionenstadt Mossul östlich von Tal Afar. Auch die Provinz N., die an der Grenze zu Syrien liegt, wurde im Sommer 2014 vom IS überrannt. In der Provinzhauptstadt Mossul haben die Dschihadisten damals ihr sogenanntes „Kalifat“ ausgerufen. Im Juli 2017 wurde Mossul nach monatelanger Belagerung von den irakischen Truppen mit internationaler Hilfe zurückerobert. Bereits zuvor hatten die Extremisten die größten Teile der ehemals kontrollierten Gebiete im Irak verloren. Die Rückeroberung von Tal Afar habe nur zehn Tage gedauert. Tal Afar war eine der letzten irakischen Städte in der Hand der IS-Miliz. Diese kontrolliert nach aktuellen, dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen, nur noch zwei Gebiete im Irak, von denen Großteile unbewohnt sind. Es handelt sich hierbei um Hawidscha im Zentralirak und die Städte Al-Kaim, Rawa und Anna in der Wüste an der Grenze zu Syrien. In den übrigen Gebieten ist die Terrormiliz IS auch in der Provinz N. vollständig besiegt (vgl. hierzu auch Lagebericht, S. 4). Mit der geschilderten Zurückdrängung des IS aus der Provinz N. sowie insgesamt aus der Fläche ist es nach Auffassung des Gerichtes ausgeschlossen, dass die Terrormiliz noch über Strukturen verfügt, die es ihr ermöglicht, yezidische Glaubenszugehörige in der Provinz N. systematisch im Rahmen eines eingeleiteten und durchgeführten Verfolgungsprogramms (vgl. noch Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2017, Seite 12, 18) zu verfolgen, wie es Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung wäre. Es ist für das gesamte Gebiet eine gewisse Befriedung eingetreten und festzustellen. Dies schließt die Annahme einer Gruppenverfolgung für den Kläger bei fehlender anlassgeprägter Einzelverfolgung im vorliegenden Fall aus.
Auch dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 12.02.2018 (Seite 4 und 18) kann entnommen werden, dass das „Kalifat“ des Islamischen Staats 2017 in Irak weitestgehend besiegt wurde. Die von IS kontrollierten Gebiete wurden nach und nach durch irakische Sicherheitskräfte (inkl. kurdischer Peschmerga) befreit. Nachdem die seit Oktober 2016 andauernde Operation zur Befreiung Mosuls im Juli 2017 abgeschlossen wurde, folgten die vergleichsweise schnelle Befreiung von Tal Afar, Hawija und der Grenzregion zu Syrien um al-Qaim. Die Mehrzahl der Jesiden siedelte im Norden Iraks, v. a. im Gebiet um die Städte Sindschar (zwischen Tigris und syrischer Grenze), Schekhan (Provinz Ninawa) und in der Provinz Dohuk. Für die Extremisten des IS sind Jesiden „Ungläubige“ (sog. „Teufelsanbeter“), die mit dem Tod bestraft werden können. Viele Jesiden leben derzeit in Flüchtlingslagern, besonders in der Region Kurdistan-Irak, ein großer Teil trägt sich mit Auswanderungsplänen. Außerdem gibt es in der Stadt Dohuk, nahe des jesidischen Heiligtums Lalesh, sehr viele Jesiden, die dort weitgehend ohne Unterdrückung oder Verfolgung leben.
Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids am 07.08.2017 bereits kein innerstaatlicher bewaffnetet Konflikt in der Grenzregion N. / Dohuk, in welcher sich der Kläger vor seiner Ausreise niedergelassen hatte, mehr bestanden hat. Selbst wenn man aber einen solchen zu dieser Zeit hätte annehmen wollen, hätte insoweit eine innerstaatliche Fluchtalternative in der Nähe des jesidischen Heiligtums Lalesh bzw. in der autonomen Region Kurdistan bestanden. Denn den oben genannten Berichten ist insoweit zu entnehmen, dass die Minderheiten in der autonomen Region Kurdistan insoweit vor Verfolgung weitestgehend geschützt sind (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 12.02.2018, S. 11). Da sich diese Erkenntnismittellage mit den Ausführungen des Klägers decken, der ebenfalls vorgetragen hat, in E. bei S. nicht konkret bedroht oder verfolgt worden zu sei, ist zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides nicht von einem innerstaatlichen Konflikt in der Herkunftsregion des Klägers auszugehen, jedenfalls hätte eine innerstaatliche Fluchtalternative in der kurdischen Autonomieregion bestanden.
c) In Folge dessen ist daher gerade keine nachträgliche Änderung der Verhältnisse eingetreten, da bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides am 07.08.2017 die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nicht vorlagen.
Ein Widerruf gem. § 73b Abs. 1 AsylG scheidet demnach vor dem Hintergrund, dass keine geänderte Sachlage angenommen werden kann, aus.
2. Auch soweit das Bundesamt auf die freiwilligen Rückreisen des Klägers abstellt, kann dies nicht mit Erfolg zum Widerruf des subsidiären Schutzstatus gem. § 73b Abs. 1 AsylG herangezogen werden.
Zwar ermächtigt und verpflichtet § 73b Abs. 1 AsylG zum Widerruf auch einer ursprünglich rechtswidrigen Anerkennung unter denselben Voraussetzungen wie beim Widerruf einer zu Recht erfolgten Anerkennung, d.h. bei einer nachträglichen Änderung der Verhältnisse. Grundsätzlich kann die Rückreise ins Heimatland ein nachträgliches Ereignis darstellen, das je nach den konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls Rückschlüsse auf eine dortige Verfolgungsgefahr oder jedenfalls die Verfolgungsfurcht des Betroffenen zulassen kann. Denn der Ausländer, der in seinen Heimatstaat zurückreist, geht offenbar selbst davon aus, dass ihm dort keine beachtliche Verfolgung mehr droht (vgl. BT-Dr. 13/4948, S. 11 zu § 33 Abs. 3 AsylVfG).
Allerdings kann entgegen den Ausführungen des Bundesamts aus der freiwilligen Rückreise des Klägers in den Irak im vorliegenden Fall nicht geschlossen werden, dass sich aufgrund der fehlenden Furcht des Klägers vor einer Verfolgung eine neue Sachlage ergeben habe. Wie oben ausgeführt, bestand für den Kläger bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Zuerkennungsbescheides am 07.08.2017 kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt gem. § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG in der Region S., in welcher sich der Kläger niedergelassen hatte. Demnach kann aber auch aus der Rückreise des Klägers in den Nordirak nicht auf eine erhebliche nachträgliche Änderung der dortigen Verhältnisse geschlossen werden (vgl. auch: BVerwG Urt.v. 19.09.2000, Az. 9 C 12/00).
Eine abweichende Beurteilung ist auch nicht im Hinblick darauf geboten, dass die Beklagte die Aufrechterhaltung der dem Kläger gewährten Rechtsstellung angesichts seiner Rückreise in den Nordirak als „schlechthin unerträglich“ ansieht. Die rechtlichen Voraussetzungen eines Widerrufs ergeben sich vorliegend allein aus § 73b Abs. 1 AsylG. Scheidet hiernach eine Aufhebung der Rechtsgewährung aus, kann nicht unter Berufung auf allgemeine Erwägungen zur Durchbrechung der Bestandskraft von Verwaltungsakten ein nach dem Gesetz nicht vorgesehenes Widerrufsrecht begründet werden.
II.
Der angefochtene Widerrufsbescheid des Bundesamtes kann auch nicht auf § 48 VwVfG gestützt oder entsprechend umgedeutet werden.
Zwar regeln die §§ 73 ff AsylG die Rücknahme von Anerkennungsbescheiden nicht abschließend, vielmehr gelten die Bestimmungen des allgemeinen Verwaltungsrechts über Rücknahme und Widerruf (§§ 48, 49 VwVfG) neben den spezialgesetzlichen Regelungen in den §§ 73 ff AsylG, soweit diese Raum dafür lassen. § 73b Abs. 3 AsylG verschärft die allgemeine Regelung des § 48 VwVfG, welche die Rücknahme in das Ermessen der Behörde stellt, zu einer Rücknahmepflicht für die Fallgruppe unrichtiger Angaben oder verschwiegener Tatsachen. Andere in § 48 VwVfG geregelte Fallgruppen – etwa die der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis des Asylsuchenden von der Rechtswidrigkeit seiner Anerkennung – sind dagegen von § 73b Abs. 3 AsylG nicht erfasst (vgl. BVerwG‚ U. v. 19.9.2000 – 9 C 12/00 – juris). Der streitgegenständliche Bescheid kann jedoch deshalb nicht auf § 48 VwVfG gestützt oder entsprechend umgedeutet werden, weil die Rücknahme nach § 48 VwVfG eine behördliche Ermessensausübung voraussetzt (vgl. zur Möglichkeit der Umdeutung: BVerwG‚ U. v. 19.9.2000 – 9 C 12/00 – juris). Eine solche wurde vom Bundesamt in dem als gebundene Entscheidung ergangenen Bescheid vom 05.11.2019 aber nicht vorgenommen, vgl. S. 2 unten: „Die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gem. § 4 Abs. 1 AsylG ist gem. § 73b Abs. 1 AsylG zu widerrufen, (…)“.
Nach alle dem ist der Widerruf des subsidiären Schutzstatus rechtswidrig, sodass die Ziffern 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids aufzuheben sind. In Folge dessen wird die Zuerkennung des subsidiären Schutzes aus dem Bescheid vom 07.08.2017 wieder wirksam, sodass sich hieraus auch die Rechtswidrigkeit der in Ziffern 2 und 3 geregelten Ablehnung des subsidiären Schutzes bzw. der Abschiebungsverbote ergibt. Denn diese Entscheidungen dürfen nur für den Fall getroffen werden, dass eine Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nicht erfolgt (vgl. VG Düsseldorf, U. v. 14.3.2017 – 22 K 7905/15.A -, Rn. 91, juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff der Zivilprozessordnung (ZPO).
Der Gegenstandswert ist § 30 Abs. 1 RVG zu entnehmen.


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