Verwaltungsrecht

Kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis einer kosovarischen Asylbewerberin infolge einer Erkrankung (PTBS)

Aktenzeichen  M 17 S 17.40784

Datum:
21.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
GG GG Art. 16a
AsylG AsylG § 36  Abs. 4

 

Leitsatz

1 Die Behandlung einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer schweren depressiven Episode durch entsprechende Medikamentengabe und psychiatrisch-psychotherapeutische Therapie ist nach der aktuellen Erkenntnislage im Kosovo grundsätzlich möglich. (Rn. 12) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann auch dann nicht angenommen werden, wenn sich eine bestimmte Trauma-Erfahrung mit dem Kosovo verbindet. In diesem Fall ist es Aufgabe der psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung, die Verbindung der traumaauslösenden Erlebnisse mit dem heutigen Kosovo zu lösen. (Rn. 13) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragsteller sind kosovarische Staatsangehörige albanischer Volkszugehörigkeit. Sie reisten nach eigenen Angaben auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten hier am 28. Januar 2014 Asylantrag, der zunächst mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 23. April 2014 unter Hinweis auf die Zuständigkeit von Ungarn für die Durchführung des Asylverfahrens als unzulässig abgelehnt wurde. Auf Klage der Antragsteller wurde der Bescheid vom 23. April 2014 wegen Ablaufs der Überstellungsfrist aufgehoben und das Asylverfahren fortgeführt.
Bei der Anhörung vor dem Bundesamt gab die Antragstellerin zu 1 im Wesentlichen an, durch die Kriegserlebnisse vor 15 Jahren sehr belastet zu sein. Es sei ihr im Kosovo nicht möglich gewesen, über die Belastungen ihrer Kriegserlebnisse zu sprechen. Darüber hinaus herrsche im Kosovo Arbeitslosigkeit, so dass sie und ihr Mann keine Arbeit gehabt hätten, ihr Mann nur Gelegenheitsjobs. Im Fall einer Rückkehr hätte sie im Kosovo gar nichts, kein eigenes Haus, keine kompetenten Ärzte und außerdem sei alles bei den Ärzten gebührenpflichtig.
Im Zug des weiteren Verfahrens wurden seitens der Antragspartei mehrere ärztliche Atteste und Befundberichte vorgelegt, z.B. das Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie E. vom … März 2017, dem zu entnehmen ist, dass die Antragstellerin zu 1 an einer posttraumatischen Belastungsstörung (F43.1 ICD-10) und an einer schweren depressiven Episode (F 32.2 ICD-10) leide und seit Juni 2014 in ambulanter psychotherapeutischer Behandlung sei. Darüber hinaus sei die Antragstellerin zu 1 nach wiederholten Suizidversuchen auch wiederholt stationär behandelt worden.
Mit Bescheid vom 10. Mai 2017, zugestellt am 12. Mai 2017, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) und auf Asylanerkennung (Nr. 2) sowie auf subsidiären Schutz (Nr. 3) als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 4). Es forderte die Antragstellerpartei auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, anderenfalls würde die Abschiebung nach Kosovo, oder eine anderen Staat, in den eingereist werden darf oder der zur Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 5). Darüber hinaus wurden Einreise- und Aufenthaltsverbote angeordnet und befristet (Nr. 6 und 7).
Zur Begründung führte das Bundesamt insbesondere aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigte offensichtlich nicht vorlägen, da die Antragstellerpartei keine Verfolgungsmaßnahmen durch den Staat oder zu berücksichtigende schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen seitens nichtstaatlicher Dritter zu befürchten habe. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes lägen nicht vor, insbesondere sei weder von der kosovarischen Regierung noch durch nichtstaatliche Dritte eine unmenschliche Behandlung zu erwarten. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Wohnraum, wenn auch mitunter auf niedrigem Stand, stehe ausreichend zur Verfügung. Rückkehrer könnten zudem die Unterstützungen der in jeder Gemeinde eingerichteten Büros für Gemeinschaften und Rückkehrer (MOCR) in Anspruch nehmen. Darüber hinaus bestünde ein Rückkehrerzentrum in der Innenstadt von … für Rückkehrer aus Deutschland. Hinsichtlich der bei der Antragstellerin zu 1 vorliegenden Erkrankungen werde auf die medizinische Versorgungslage in Kosovo entsprechend den Informationen des Auswärtigen Amtes hingewiesen. Ausgehend von der danach gegebenen Erkenntnislage könnten psychische Erkrankungen und posttraumatische Belastungsstörungen im Kosovo grundsätzlich behandelt werden. Dem Sachvortrag der Antragstellerin zu 1 sei nicht zu entnehmen, dass sich ihre psychischen Probleme nach einer Rückkehr nach Kosovo wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechterten.
Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerpartei am 19. Mai 2017 Klage (M 17 K 17.40768) und beantragte gleichzeitig,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausreiseaufforderung bzw. Abschiebungsandrohung anzuordnen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Antragsgegnerin zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass bei einer Rückkehr nach Kosovo sich die gesundheitliche Situation der Antragstellerin zu 1 nicht wesentlich oder lebensbedrohlich verschlechtern werde. Insoweit habe die Antragsgegnerin nicht die vorgelegten Gutachten, Atteste und sonstigen Unterlagen gewürdigt.
Die Antragsgegnerin legte die Akten vor und stellte keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Klageverfahren sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet, da hinsichtlich der im Klageverfahren nur in Streit stehenden Anerkennung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen. (Art. 16a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 AsylG).
Gemäß Art. 16a GG, § 36 Abs. 4 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel im Sinne von Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.), was nach ständiger Rechtsprechung aber nicht anzunehmen ist, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen, und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG B.v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – Inf-AusflR 1993, 196).
In Anwendung dieser Maßstäbe liegt im vorliegenden Fall ein zielstaatsbezogenens Abschiebungshindernis nicht vor. Auszugehen ist dabei von einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung und einer schweren depressiven Episode bei der Antragstellerin zu 1, wie im Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie E. vom … März 2017 diagnostiziert. Aus den weiter vorgelegten ärztlichen Attesten ergibt sich aufgrund der vorliegenden Diagnostik die Notwendigkeit der Fortführung der erforderlichen Medikamentengabe sowie eine psychiatrisch-psychotherapeutische Therapie. Beides ist nach der gegebenen Erkenntnislage, der auch die Antragspartei nicht substantiiert entgegengetreten ist, im Kosovo grundsätzlich möglich. Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse im engeren Sinne liegen daher im Fall der Antragstellerin zu 1 nicht vor.
Auch soweit im ärztlichen Gutachten vom … März 2017 ausgeführt wird, dass die Antragstellerin zu 1 ihre Trauma-Erfahrung mit dem Land Kosovo verbindet, stellt dies kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis dar. Es ist vielmehr Aufgabe der psychiatrischen-psychotherapeutischen Behandlung, diese Verbindung der Erlebnisse der Antragstellerin zu 1 aus dem Kosovokrieg (die über 17 Jahre zurückliegen) und dem heutigen Kosovo aufzulösen.
Dabei wird die befürchtete Krankheitsverschlimmerung in Anbetracht einer drohenden Abschiebung, so wie in dem ärztlichen Gutachten bzw. den Befundberichten angesprochen, nicht in Frage gestellt. Es ist jedoch Sache der Ausländerbehörde, festzustellen, zu welchem Zeitpunkt die Antragstellerin zu 1 soweit stabilisiert ist, dass eine Ausreise ohne Gefahrerhöhung für sie vollzogen werden kann.
Da auch zugunsten der Antragsteller zu 2 und 3 keine Abschiebungsverbote eingreifen war der Antrag insgesamt abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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