Verwaltungsrecht

Keine Anerkennung eines Sierra-leonischen Staatsangehörigen als Asylberechtigter

Aktenzeichen  Au 4 K 15.30736

Datum:
11.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Die Anerkennung als Asylberechtigter scheidet aus, wenn die Einreise auf dem Landweg – also aus einem sicheren Drittstaat – in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt. (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Abschiebungsverbot wegen einer erheblichen konkreten Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nach § 60 Abs. 7 AufenthG liegt bei einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Die Ebola-Epedemie stellte selbst zu dem Zeitpunkt, als sie noch grassierte, kein solches Abschiebungsverbot dar (vgl. VGH München BeckRS 2015, 49700). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Anerkennung als Asylberechtigter, hilfsweise Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise des subsidiären Schutzstatus sowie auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht zu. Der Bescheid des Bundesamts vom 18. November 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a Abs. 1 GG) scheidet schon deshalb aus, weil er nach seinem eigenen Vortrag aus Belgien und damit einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften (nunmehr Europäische Union) in das Bundesgebiet eingereist ist (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 2 AsylG).
Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzstatus (§ 3 ff. AsylG, § 4 AsylG) zu. Auszugehen ist dabei davon, dass Herkunftsland des Klägers im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 2, § 4 Abs. 1 AsylG Sierra Leone ist. Der Kläger hat zwar die Frage aufgeworfen, ob er die sierraleonische Staatsangehörigkeit noch besitzt, bzw. die Möglichkeit in den Raum gestellt, dass er staatenlos sei; er hat damit die Abgrenzung zwischen § 3 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) und b) AsylG angesprochen. Das entsprechende Vorbringen des Klägers bleibt jedoch höchst vage („überhaupt fraglich“, „möglicherweise“). Der Kläger spricht die Frage der Staatenlosigkeit selbst auch nur bei der Frage eines Abschiebungshindernisses, nicht aber mit substantiiertem Vortrag bei den Voraussetzungen der §§ 3 ff., § 4 AsylG an. Näherer Vortrag erfolgt allenfalls zu Sierra Leone (letzter Absatz der Klagebegründung), so dass der Kläger wohl selbst davon ausgeht, dass §§ 3 ff. und § 4 AsylG nicht in Bezug auf Guinea als Herkunftsland zu prüfen sind, weil der Kläger dort als „möglicherweise“ Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) AsylG), sondern in Bezug auf das Herkunftsland Sierra Leone, dessen Staatsangehörigkeit der Kläger besitzt (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) AsylG). Wie sich aus § 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylG ergibt, zählen Angaben des Ausländers zu seiner Staatsangehörigkeit zu den zentralen Angaben im Asylverfahren, weil danach ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich abzulehnen ist, wenn der Ausländer im Asylverfahren über seine Staatsangehörigkeit täuscht oder diese Angabe verweigert. Vor diesem Hintergrund reicht es nicht aus, wenn der Kläger seine Staatsangehörigkeit im gerichtlichen Verfahren mit höchst vagen Formulierungen in Zweifel zieht.
Vielmehr muss sich der Kläger daran festhalten lassen, dass er bei seiner Anhörung durch das Bundesamt gemäß der darüber gefertigten Niederschrift erklärt hat, dass die Angaben im „Teil 1 der Niederschrift zum Asylantrag“ mit Ausnahme seiner Volkszugehörigkeit richtig seien. Diese vom Kläger als richtig zugestandenen Angaben umfassen damit auch die Staatsangehörigkeit Sierra Leones (Bl. 3 Rückseite der Bundesamtsakte). Zwar hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgebracht, die Niederschrift sei insofern unzutreffend; er habe angegeben, seine Staatsangehörigkeit nicht zu wissen. Das Gericht wertet dies jedoch als nicht durchgreifende Schutzbehauptung. Der Kläger hat die Unrichtigkeit der Niederschrift erst in der mündlichen Verhandlung behauptet. Ausweislich der Niederschrift über die Anhörung vor dem Bundesamt hat der Kläger abschließend bestätigt, dass es keine Verständigungsschwierigkeiten gab (Bundesamtsakte, Bl. 70). In seiner Reaktion auf das Anhörungsschreiben des Bundesamts zu § 11 AufenthG (Bl. 77 Rückseite der Bundesamtsakte) hat der Kläger auf seine Angaben verwiesen, die er bei seiner Anhörung im Mai 2014, d. h. vor dem Bundesamt, gemacht habe. Auch wenn dieses Schreiben lediglich die anstehende Entscheidung des Bundesamts nach § 11 AufenthG betraf, hätte es sich aufgedrängt, dies zum Anlass zu nehmen, eine etwaige Unrichtigkeit der Niederschrift der Anhörung – zumal in einem solch zentralen Punkt wie der Staatsangehörigkeit – zu berichtigen. Auch der Klägerbevollmächtigte hat in einem Schreiben an das Bundesamt vom 21. September 2015 (Bl. 78 der Bundesamtsakte) keine solche Unrichtigkeit der Niederschrift gerügt und auch sonst keine Angaben gemacht, dass die vom Kläger gegenüber dem Bundesamt bestätigte Staatsangehörigkeit Sierra Leones unzutreffend sein könnte. Vielmehr ist in diesem Schreiben mehrfach vom „Heimatland“ bzw. „Heimat“ die Rede; hätte der Kläger insoweit also richtig stellen wollen, dass „Heimatland“ in diesem Sinne nicht Sierra Leone, sondern insbesondere Guinea sei, hätte sich auch aus diesem Anlass eine Korrektur aufgedrängt. Spätestens in der Klagebegründung hätte – um der Aussage Überzeugungskraft zukommen zu lassen – Anlass bestanden, eine Fehlerhaftigkeit der Niederschrift in diesem zentralen Punkt zu rügen. Dies ist, insbesondere durch die vagen Verweise auf die Staatsangehörigkeitsfrage, nicht erfolgt.
Das Gericht hat auch sonst keine Anhaltspunkte, dass die Bestätigung des Klägers vor dem Bundesamt, dass seine Staatsangehörigkeit sierraleonisch sei, unzutreffend ist. Das Vorbringen des Klägers ist vielmehr durchweg von dem Bestreben gekennzeichnet, seine Staatsangehörigkeit und seine Herkunft zu verschleiern; es ist insbesondere in hohem Maße widersprüchlich. So hat der Kläger vor dem Bundesamt zu einem Aufenthalt in der Schweiz in den Jahren 2008 und 2009 angegeben, nicht er selbst, sondern die Begleitung der Reisegruppe, mit der er gereist sei, habe alle Reisepässe gehabt, anschließend sei die Gruppe ohne ihn mit seinem Reisepass zurückgeflogen, Ende 2009 sei er dann – scheinbar, ohne noch einen Reisepass zu besitzen – nach Guinea zurückgereist. Bereits dieser Sachverhalt erscheint lebensfremd und unglaubwürdig. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger zudem demgegenüber angegeben, in der Schweiz seine Papiere zerrissen zu haben. Abgesehen davon, dass der Kläger damit erneut seinem Vorbringen vor dem Bundesamt in einem nicht unwesentlichen Punkt – der Besitz eines Passes hätte nähere Auskünfte zu seiner Herkunft und Staatsangehörigkeit geben können – erst in der mündlichen Verhandlung widersprochen hat, erklärt dies noch immer nicht, wie der Kläger dann – scheinbar ohne Papiere – aus der Schweiz wieder nach Guinea gelangt ist.
Vage und widersprüchlich sind auch die Angaben des Klägers zu einer Reise nach Europa. Bereits vor dem Bundesamt konnte der Kläger keine näheren Angaben zu der Stadt im Senegal machen, von der aus er mit seinem Ziehvater per Schiff abgereist sei. Konnte der Kläger vor dem Bundesamt noch angeben, in Brüssel vom Schiff gegangen zu sein – was allerdings unzutreffend sein dürfte, da große Container-Schiffe (der Kläger hat nunmehr angegeben, mit einem solchen gereist zu sein) nicht über Kanäle zu dem im Binnenland gelegenen Brüssel gelangen können, wie dem Gericht bekannt ist; solche Schiffe steuern in Belgien vielmehr den größten Hafen in Antwerpen, ggfs. auch Zeebrügge an -, hat er in der mündlichen Verhandlung nunmehr vorgetragen, keine Angaben zu dem Ankunfts-Hafen machen zu können.
Bezeichnend ist schließlich auch die Aussage des Klägers in der mündlichen Verhandlung, sein Ziehvater habe ihm bei der Trennung in Belgien keine Papiere hinterlassen, weil dies im Falle von Kontrollen zu Komplikationen führen könnte.
Insgesamt ist das Vorbringen des Kläger somit dadurch gekennzeichnet, dass seine Angaben stets dann, wenn sich seine Herkunft mittels Papieren oder eines Reisewegs gegebenenfalls näher hätte bestimmen lassen, lebensfremd, vage oder widersprüchlich sind, bzw. er nachträglich versucht, Aussagen, mit denen er auf ein bestimmtes Herkunftsland festgelegt werden könnte, zu korrigieren.
Vor diesem Hintergrund kann der Kläger nur beanspruchen, dass die Voraussetzungen der §§ 3 ff., 4 AsylG unter Zugrundelegung von Sierra Leone als Herkunftsstaat geprüft werden. Diesbezüglich liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzes jedoch nicht vor. Der Kläger hat beim Bundesamt selbst angegeben, dass in Sierra Leone eigentlich keine Gefahr mehr für ihn bestehe. Auch die Kammer ist in vergleichbaren Fällen in jüngerer Zeit wiederholt davon ausgegangen, dass nach gegenwärtiger Auskunftslage keine stichhaltigen Gründe dafür bestehen, dass dem Kläger in Sierra Leone ein ernsthafter Schaden droht, zumal dort seit Ende des Bürgerkriegs im Jahre 2002 ein stabiler Frieden herrscht (etwa VG Augsburg. U.v. 5.2.2016 – Au 4 K 15.30721 – Rn. 19; VG Augsburg, B.v. 2.2.2016 – Au 4 S 16.30068 – juris Rn. 22; B.v. 26.1.2016 – Au 4 S 16.30009 – Rn. 14; vgl. auch VG Regensburg, U.v. 2.9.2014 – RN 5 K 14.30021 -juris Rn. 21 ff.). Die vom Kläger geltend gemachte Gefahr durch die (frühere) Ebola-Epidemie in Sierra Leone fällt ersichtlich nicht unter den Wortlaut des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG; auch eine analoge Anwendung der Norm – wie sie wohl der Kläger für richtig hält („vergleichbar mit Bürgerkriegsauseinandersetzungen“) – scheidet aus. Im Übrigen nimmt das Gericht auf die zutreffenden Ausführungen im dem streitgegenständlichen Bescheid (Nrn. 2. und 3.) Bezug, denen es folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vor. Auch insoweit wird zunächst auf die Ausführungen im Bescheid des Bundesamtes vom 18. November 2015 Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Das Gericht geht ebenfalls davon aus, dass der Kläger nicht Gefahr läuft, dass die Abschiebung eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde. Der Kläger ist im arbeitsfähigen Alter und absolviert derzeit nach seinem eigenen Vortrag erfolgreich eine qualifizierte Berufsausbildung in einer Schlosserei. Er hat sich in den letzten Jahren nach seinem eigenen Vortrag über ein Jahr in der Schweiz sowie jeweils mehrere Monate in Belgien und Portugal aufgehalten und scheint dort zurechtgekommen zu sein. Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger auch in Sierra Leone trotz erschwerter Umstände aufgrund der allgemeinen schlechten wirtschaftlichen Lage in der Lage sein wird, sein Leben zu organisieren und ein Existenzminium zu erwirtschaften.
Ein Abschiebungsverbot, insbesondere gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, ergibt sich ferner nicht aus der vom Kläger angeführten Ebola-Epidemie bzw. -Gefahr. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (in verfassungskonformer Auslegung, solange und soweit eine politische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 [i. V. m. § 60 Abs. 7 Satz 2] AufenthG fehlt) wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof selbst zu dem Zeitpunkt verneint, in dem die Ebola-Epidemie noch grassierte (BayVGH, B.v. 24.7.2015 – 9 ZB 14.30457 – juris Rn. 10 ff.). In der derzeitigen Situation, in der – nachdem Sierra-Leone zwischenzeitlich von der WHO am 7. November 2015 für Ebolafrei erklärt wurde – (erst) wenige neue Fälle bekannt sind und sofortige Maßnahmen ergriffen wurden, gilt dies erst recht.
Nicht zu beanstanden ist auch die in Ziffer 5. des streitgegenständlichen Bescheids ausgesprochene, auf § 34 AsylG gestützte Abschiebungsandrohung. Der Kläger stellt diese Androhung wohl zwar erneut mit dem Argument in Zweifel, es liege bei ihm möglicherweise Staatenlosigkeit und damit ein unüberwindbares, dauerhaftes Abschiebungshindernis vor. Abgesehen davon, dass dem Vorbringen des Klägers insoweit, wie ausgeführt, nicht zu folgen ist, unterliegt eine Abschiebungsandrohung in Bezug auf die Bezeichnung des Zielstaates jedenfalls nicht bereits deshalb der Aufhebung, weil der Abschiebungserfolg nicht sicher vorhergesagt werden kann (BVerwG, B.v. 1.9.1998 – 1 B 41/98 – juris Rn. 9 f.).
Der streitgegenständliche Bescheid ist auch hinsichtlich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG in Ziffer 6. rechtmäßig. Eine fehlerhafte Ermessensausübung hinsichtlich der gesetzten Frist, die mit 30 Monaten in der Mitte des in § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG geregelten Rahmens von fünf Jahren angesiedelt ist, ist nicht ersichtlich. Auf die Ausführungen des Bescheides wird im Übrigen ebenfalls Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG)
Nach allem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG)
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO i. V. m. 708 ff. ZPO.


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