Verwaltungsrecht

Keine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs ohne Durchführung eines Visumverfahrens

Aktenzeichen  M 9 S 20.794

Datum:
20.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 10673
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2, S. 2, § 27, § 29

 

Leitsatz

Der Versuch, sich mit einem Besuchsvisum unter Berufung auf die Familieneinheit unter Umgehung der gesetzlichen Voraussetzungen im Bundesgebiet aufzuhalten, führt weder zur Unzumutbarkeit des Visumverfahrens noch zu einer unzumutbaren Härte (Rn. 17). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
II. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.
III. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
IV. Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin ist albanische Staatsangehörige und begehrt den Familiennachzug ohne Visumsverfahren.
Die Antragstellerin reiste mit ihren beiden Kindern im Juli 2018 zu ihrem Mann in das Bundesgebiet ein. Der Ehemann der Antragstellerin arbeitet seit dem 13. März 2017 als Hausmeister. Die beiden Kinder des Ehepaars sind mit einem Visum zum Familiennachzug zum Vater eingereist; bei der Beantragung hat die Antragstellerin für sich kein Visum beantragt und eine notarielle Bestätigung darüber vorgelegt, dass der Vater während des Aufenthalts der Kinder in Deutschland die volle Vormundschaft ausübt und sie selber damit einverstanden ist, dass die Kinder zu ihrem Vater ziehen.
Mit Schreiben vom 10. Dezember 2018 forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin auf, sich bei der Gemeinde abzumelden und die Bundesrepublik zu verlassen, da der visumsfreie Aufenthalt von 90 Tagen seit dem 7. Dezember 2018 beendet sei. Für einen längerfristigen Aufenthalt benötige sie ein nationales Visum.
Der Bevollmächtigte der Antragstellerin beantragte mit Schreiben vom 3. September 2019 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Seine Mandantschaft habe sich im August 2019 in Albanien befunden und bei der Deutschen Botschaft keinen Termin erhalten. Die Wartezeit für einen Termin bei der Botschaft betrage angeblich bis zu sechs Monaten. Ein Auseinanderreißen der Familie sei nicht zumutbar. Die Kinder seien zwischenzeitlich in Deutschland integriert und besuchten die Grundschule bzw. den Kindergarten. Die Antragstellerin habe einen Deutschkurs in Vollzeitunterricht besucht und einen Termin bei der Botschaft beantragt. Mittlerweile habe die Botschaft in Tirana ihr einen Termin am 28. Februar 2020 gegeben (Blatt 41 Behördenakte). Mit weiterem Schreiben vom 13. Januar 2020 teilte der Bevollmächtigte mit, dass die Antragstellerin am 16. Februar 2020 nach Albanien gereist sei und den Termin am 28. Februar 2020 bei der Deutschen Botschaft wahrnehmen werde. Sie besuche aktuell einen Sprachkurs in Weilheim, Level A2. Da bereits in Kürze der Termin an der Botschaft bestehe, sei eine Ablehnung des Antrags auf Aufenthalt vom 3. September 2019 unverhältnismäßig.
Mit Bescheid vom 22. Januar 2020 lehnte das Landratsamt den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 3. September 2019 ab (Nr. 1) und forderte die Antragstellerin zur Ausreise binnen einer Frist von 14 Tagen ab Zustellung des Bescheids auf (Nr. 2). Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot bei einer schuldhaften und erheblichen Überschreitung der Ausreisefrist wurde angedroht (Nr. 3) und für den Fall der nichtfristgerechten Ausreise die Abschiebung nach Albanien oder einen anderen Rücknahmestaat angedroht (Nr. 4). Die Antragstellerin habe sich zuletzt illegal im Bundesgebiet aufgehalten. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug nach § 27 Abs. 1 AufenthG setze die Einreise mit dem erforderlichen Visum gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG voraus. Es sei der Antragstellerin zuzumuten, das Visumverfahren nachzuholen und sie habe bereits in Kürze einen Termin dafür. Gründe, die eine Unzumutbarkeit der Nachholung des Visums belegen würden, seien keine ersichtlich. Die Antragstellerin habe gewusst, dass sie mehrere Monate auf einen Termin bei der Botschaft warten müsse, da sie bereits für ihre Kinder ein Visum beantragt habe. Außerdem habe die Antragstellerin dem alleinigen Zuzug der Kinder zu ihrem Vater zugestimmt und gewusst, dass ihre Kinder zumindest zeitweise allein mit ihrem Vater im Bundesgebiet leben müssten. Wegen der Einzelheiten wird auf die ausführliche Begründung des Bescheids Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 24. Februar 2020 erhob der Bevollmächtigte der Antragstellerin Klage (M 9 K 20.793) und beantragte gemäß § 80 Abs. 5 VwGO:
Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 22. Januar 2020, zugestellt am 27. Januar 2020.
Mit weiterem Schriftsatz vom 30. März 2020 beantragte der Bevollmächtigte:
Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Unterfertigten.
Der Ehemann der Antragstellerin habe für diese die notwendigen Formblätter zur Beantragung der Prozesskostenhilfe ausgefüllt. Aktuell sei die Antragstellerin noch in Albanien. Eine Begründung der Klage setze eine Rücksprache mit dieser voraus, die aktuell nicht möglich sei.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte sowie auf die Akte im Verfahren M 9 K 20.793 Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
Nach der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO durch das Gericht vorzunehmenden summarischen Prüfung hat die Klage gegen den Bescheid vom 22. Januar 2020 mit sehr großer Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg. Bei der durch das Gericht vorzunehmende Ermessensentscheidung haben die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens bei der zu treffenden Abwägung der öffentlichen und der privaten Belange ein erhebliches Gewicht. Die privaten Belange der Antragstellerin an einem Verbleib im Bundesgebiet im Rahmen des Familiennachzugs treten hinter dem öffentlichen Interesse an einer ordnungsgemäßen Einreise im dafür vorgesehenen Visumverfahren zurück.
Im vorliegenden Fall ist bereits fraglich, worin das Rechtschutzbedürfnis der Antragstellerin zu sehen ist, da sie bereits Ende Februar 2020 einen Termin bei der Botschaft hatte und es sich deshalb nicht ohne weiteres erschließt, dass vier Tage vor dem Termin ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung erforderlich wurde. Die Antragstellerin war zu diesem Zeitpunkt bereits ausgereist und hielt sich zur Durchführung des Visumverfahrens bereits damals in Albanien auf. Unter Berücksichtigung der aktuellen Situation und der Schwierigkeiten zeitnah Kontakt aufzunehmen, geht das Gericht zugunsten der Antragstellerin vom Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses für das hier vorliegende Antragverfahren aus.
Gegen den Ablehnungsbescheid des Landratsamts vom 22. Januar 2020 bestehen keine rechtlichen Bedenken. Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ohne Durchführung eines Visumsverfahrens wurde zu Recht abgelehnt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die Ausführungen im Bescheid vom 22. Januar 2020 verwiesen. Ergänzend dazu gilt Folgendes:
Die Durchführung des Visumverfahrens ist nach ständiger Rechtsprechung wesentliche Voraussetzung für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu einem bestimmten Zweck, hier des Familienzuzugs, §§ 27, 29 AufenthG. Der Antragstellerin und ihrem Ehemann war dies bekannt, da sie bereits den Familiennachzug der beiden Kinder zum Vater mit einem entsprechenden Visum organisiert hatten. Die Antragstellerin hat auch ausdrücklich zugestimmt, dass die Kinder alleine bei ihrem Vater in Deutschland leben und dieser allein die Vormundschaft ausübt. Es ist bereits deshalb nicht ersichtlich, worin die besonderen Umstände bestehen sollten, aufgrund derer es der Antragstellerin unzumutbar ist, das Verfahren von Albanien aus zu betreiben, § 5 Abs. 2 S. 2 AufenthG.
Soweit vorgetragen wird, die Antragstellerin müsse sich um ihre Kinder kümmern und diese versorgen, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Der Versuch, sich mit einem Besuchsvisum unter Berufung auf die Familieneinheit unter Umgehung der gesetzlichen Voraussetzungen im Bundesgebiet aufzuhalten, führt weder zur Unzumutbarkeit des Visumsverfahrens noch zu einer unzumutbaren Härte.
Anhaltspunkte dafür, dass ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unmittelbar kraft Gesetz, besteht bestehen keine. Die Antragstellerin hat wegen fehlender finanzieller Mittel Prozesskostenhilfe beantragt, so dass davon auszugehen ist, dass der Lebensunterhalt nicht gesichert ist, § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Aktuell scheidet deshalb bereits tatbestandlich ein Anspruch nach §§ 27, 29 oder 30 AufenthG aus.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 VwGO abzulehnen.
Auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Unterfertigten war wegen fehlender Erfolgsaussichten dieses und des Hauptsacheverfahrens abzulehnen.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Streitwertkatalog.


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