Verwaltungsrecht

Keine Aussetzung der Abschiebung in das Kosovo aus gesundheitlichen Gründen

Aktenzeichen  W 6 S 16.30429

Datum:
28.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG §§ 60 VII, 60a II
AsylG AsylG §§ 36 III, IV, 43 III, 77 II
EMRK EMRK Art. 8
GG GG Art. 6
VwGO VwGO § 80 V

 

Leitsatz

1 Im Kosovo ist nach der gegenwärtigen Erkenntnislage die Gewährleistung des Existenzminimums und die notwendige medizinische Versorgung über die Großfamilie sowie durch die mögliche Gewähr von Sozialleistungen nach der Registrierung am Wohnort grundsätzlich gesichert. (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Mit der Neufassung von § 60 VII AufenthG hat der Gesetzgeber klargestellt, dass ein Abschiebungshindernis wegen einer erheblichen, konkreten Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur dann angenommen werden kann, wenn eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung vorliegt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Überdies ist es weder erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat derjenigen in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist, noch dass sie landesweit zur Verfügung steht.  (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Die Prüfung inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse im Hinblick auf die Wahrung der Familieneinheit nach § 60a II AufenthG obliegt ebenso wie die Aussetzung der Abschiebung zur Ermöglichung der gemeinsamen Ausreise nach § 43 III 1 AsylG der Ausländerbehörde, die dabei die Vorgaben aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK zu beachten hat. (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der rund sechs Monate alte Antragsteller ist kosovarischer Staatsangehöriger albanischer Volkszugehörigkeit. Er wurde am 21. Oktober 2015 in Deutschland geboren. Sein Asylantrag wurde von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 24. März 2016 als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Ihm wurde die Abschiebung in den Kosovo angedroht. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde befristet. Der Antragsteller ließ gegen den Bescheid im Verfahren W 6 K 16.30428 Klage erheben und gleichzeitig im vorliegenden Sofortverfahren beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage vom 12. April 2016 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 24. März 2016, Az.: 6551450-150, gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Eine Antragsbegründung wurde trotz Ankündigung nicht eingereicht.
Die Asylbegehren der Eltern sowie Geschwister des Antragstellers wurden in einem gesonderten Verfahren – mittlerweile unanfechtbar – ebenfalls als offensichtlich unbegründet abgelehnt (vgl. dazu VG Würzburg, B. v. 12.2.2016 – W 6 S 16.30137 und G. v. 7.3.2016 – W 6 K 16.30135).
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte in der Hauptsache W 6 K 16.30428) und die beigezogene Behördenakte sowie die Gerichts- und Behördenakten der Eltern und Geschwister (W 6 K 16.30135 und W 6 S 16.30137) Bezug genommen.
II.
Schon die Zulässigkeit des Antrags ist fraglich, weil der Bescheid laut den Behördenakten am 1. April 2016 als Einschreiben zur Post aufgegeben wurde, so dass die Antragstellung am 12. April 2016 wegen Versäumung der Wochenfrist nach § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG verfristet wäre. Allerdings enthält der dem Antragstellerbevollmächtigten zugegangene Bescheid das dortige Eingangsdatum vom 5. April 2016, ohne dass dies aber weiter thematisiert worden ist. Die Frage kann letztlich dahingestellt bleiben, weil der Antrag jedenfalls unbegründet ist.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung gegen die im streitgegenständlichen Bescheid enthaltene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung anzuordnen, hat keinen Erfolg. Der Antrag ist unbegründet, da insoweit keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
Das Gericht folgt den Feststellungen und der Begründung im angefochtenen Bescheid und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer nochmaligen Darstellung ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Ausführungen im Bescheid decken sich mit der bestehenden Erkenntnislage, insbesondere mit dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kosovo vom 9.12.2015, Stand: September 2015). Des Weiteren kann ergänzend auf die Gerichtsentscheidungen betreffend die Eltern und Geschwister des Antragstellers verwiesen werden (siehe VG Würzburg, B. v. 12.2.2016 – W 6 S 16.30137 und G. v. 7.3.2016 – W 6 K 16.30135).
Der vorliegende Sofortantrag des Antragstellers, zu dem keine Begründung eingereicht wurde, rechtfertigt keine andere Beurteilung.
Zunächst ist davon auszugehen, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr in den Kosovo nicht auf sich alleingestellt ist bzw. allein und ohne Unterstützung bleibt. Die Gewährleistung des Existenzminimums und der notwendigen medizinischen Versorgung ist über die (Groß-)Familie sowie durch die Möglichkeit der Erlangung von Sozialleistungen grundsätzlich gesichert (vgl. VG Göttingen, B. v. 9.2.2016 – 4 B 53/16 – MILo; VG Oldenburg, B. v. 8.1.2016 – 5 B 4510/15 – juris; VG Bremen, B. v. 5.1.2016 – 5 V 2543/15 – juris sowie VG Würzburg, B. v. 20.1.2016 – W 6 S 16.30045 – juris m. w. N. zur Rechtsprechung).
Denn nach der vorliegenden Erkenntnislage ist unter der Voraussetzung der Registrierung am Wohnort sowohl der Zugang zu einer das Existenzminimum sichernden Sozialhilfe als auch zur nötigen medizinischen Versorgung gegeben. Bei der Registrierung gibt es verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten vor Ort (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kosovo vom 9.12.2015, Stand: September 2015, S. 11 f., 13 und 28; vgl. näher VG Würzburg, B. v. 4.2.2016 – W 6 S 16.30126; U. v. 3.2.2016 – W 6 K 15.30847 sowie VG Bremen, B. v. 5.1.2016 – 5 V 2543/15 – juris; VG Gelsenkirchen, B. v. 30.11.2015 – 13a L 2327/15.A – juris; VG Leipzig U. v. 16.10.2015 – 7 K 643/15.A – juris).
Das Gericht verkennt nicht die schwierigen Lebensverhältnisse im Kosovo. Diese betreffen jedoch jeden Kosovaren bzw. jede Kosovarin in vergleichbarer Lage in gleicher Weise.
Des Weiteren ist ergänzend anzumerken, dass Erkrankungen grundsätzlich nicht die Annahme einer Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG rechtfertigen. Der Gesetzgeber hat mittlerweile ausdrücklich klargestellt, dass eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vorliegt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG). Neben diesen materiellen Kriterien für Gesundheitsgefahren, die im Übrigen auf eine bestehende Rechtsprechungslinie aufbauen, hat der Gesetzgeber zudem in § 60a Abs. 2c AufenthG – ebenfalls angelehnt an entsprechende Rechtsprechung – ausdrücklich auch prozedurale Vorgaben für ärztliche Atteste zur hinreichenden Substanziierung des betreffenden Vorbringens aufgestellt (vgl. Thym, NVwZ 2016, 409 mit Nachweisen zur Rechtsprechung). Danach wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. In dieser Richtung hat der Antragsteller indes nicht substanziiert vorgebracht.
Zu den aktenkundigen Erkrankungen der am vorliegenden Verfahren nicht beteiligten Eltern bzw. Geschwister, ist anzumerken, dass derartige Gründe für den Antragsteller keine zielstaatsbezogenen, sondern – bezogen auf die Wahrung der Familieneinheit – inlandsbezogene Abschiebungshindernisse sind, die im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen sind. Vielmehr ist die Ausländerbehörde zuständig, eventuelle inlandsbezogene Abschiebungshindernisse zu prüfen (§ 60a Abs. 2 AufenthG). Gleichermaßen darf die Ausländerbehörde gemäß § 43 Abs. 3 Satz 1 AsylG die Abschiebung vorübergehend aussetzen, um die gemeinsame Ausreise mit anderen Familienangehörigen zu ermöglichen. Die Vermeidung der Trennung der Familie ist ausländerrechtlich gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde geltend zu machen und nicht im Asylverfahren gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Das Gericht geht davon aus, dass der Antragsteller nicht allein und ohne seine Eltern abgeschoben wird und dass die Vorgaben von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK seitens der Ausländerbehörde beachtet werden (vgl. VG München, U. v. 15.1.2016 – M 15 K 15.30647 – juris; B. v. 22.9.2015 – M 15 S 15.31117 – juris; B. v. 31.7.2015 – M 16 S 15.30983 – juris; siehe ferner BayVGH, B. v. 4.2.2016 – 10 CE 16.222 – juris).
Sofern sich der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auch gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG richten sollte, wäre er mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, weil sich die Rechtsstellung des Antragstellers bei einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht verbessern würde, da in diesem Fall das Einreise- und Aufenthaltsverbot unbefristet gelten würde (vgl. VG Oldenburg, B. v. 8.1.2016 – 5 B 4510/15 – juris; NdsOVG, B. v. 14.12.2015 – 8 PA 199/15 – NVwZ-RR 2016, 276). Abgesehen davon sind Anhaltspunkte, die dafür sprechen, dass die Befristung rechtswidrig sein und den Antragsteller in seinen Rechten verletzen könnte, weder vorgebracht noch sonst ersichtlich. Im Übrigen bliebe die Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung ohnehin unberührt (§ 36 Abs. 4 Satz 11 AsylG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.


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