Verwaltungsrecht

Keine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung in Äthiopien nach Teilnahme und erlittener Verletzung bei früherer Demonstration

Aktenzeichen  RN 2 K 17.32492

Datum:
21.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 24519
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3
AsylG § 4
GG Art. 16a Abs. 1, Art. 16a Abs. 2 Satz 1

 

Leitsatz

Trotz lokaler Unruhen besteht derzeit keine beachtliche wahrscheinliche Verfolgungsgefahr für den Einzelnen, der 2014 bei einer Demonstration verhaftet worden sein will. Trotz der lokal auftretenden Unruhen ist auch nicht von einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Einzelnen auszugehen. (Rn. 42 und 43)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet und bleibt ohne Erfolg.
Die Entscheidung des Bundesamts, dem Kläger die Anerkennung als Asylberechtigter, die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus nicht zuzuerkennen sowie das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zu verneinen und den Kläger unter Androhung seiner Abschiebung nach Äthiopien zur Ausreise aufzufordern, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger damit auch nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Entscheidung des Bundesamts in Ziffer 2 des gegenständlichen Bescheids ist rechtmäßig. Der Kläger kann sich, da er nach eigenen Angaben auf dem Landweg, über Italien als einem EU Mitgliedstaat in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, nicht auf Asyl nach Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz (GG) berufen, wie sich schon aus Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG ergibt.
Auch die Ziffer 1 des angegriffenen Bescheids verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
1) Die getroffene Entscheidung ist rechtmäßig, da er keinen Anspruch nach § 3 Abs. 4 Asylgesetz (AsylG) auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hat. Er ist kein Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG.
a) Ein Ausländer ist – unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben – Flüchtling, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a AsylG ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris). Von einer Verfolgung kann nur dann ausgegangen werden, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an die genannten Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die wegen ihrer Intensität den Betroffenen dazu zwingen, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen.
An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es aber regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen (vgl. OVG NRW, U.v. 28.3.2014 – 13 A 1305/13.A – juris).
Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist es nach § 3b Abs. 2 AsylG auch unerheblich, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet ist, weil er tatsächlich die Merkmale besitzt, die zu seiner Verfolgung führen, sofern der Verfolger dem Betroffenen diese Merkmale tatsächlich zuschreibt.
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt unabhängig davon, ob bereits eine Vorverfolgung stattgefunden hat, der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – BVerwGE 140, 22). Eine Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt aber durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011). Eine bereits erlittene Vorverfolgung, ein erlittener bzw. drohender sonstiger ernsthafter Schaden, sind danach ernsthafte Hinweise darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. dass ein Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden. Dies gilt nur dann nicht, wenn stichhaltige Gründe dagegensprechen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. In der Vergangenheit liegenden Umständen ist damit Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beizumessen (vgl. auch OVG NRW, U.v. 21.2.2017 – 14 A 2316/16.A – juris).
Bezüglich der vom Ausländer im Asylverfahren geltend gemachten Umstände, die zu seiner Ausreise aus dem Heimatland geführt haben, genügt aufgrund der regelmäßig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Flüchtlings die Glaubhaftmachung. Die üblichen Beweismittel stehen ihm häufig nicht zur Verfügung. In der Regel können unmittelbare Beweise im Verfolgerland nicht erhoben werden. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Ausländers und dessen Würdigung eine gesteigerte Bedeutung zu. Dies bedeutet anderseits jedoch nicht, dass der entscheidende Richter einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109.84 – juris; BVerwG, U.v. 11.11.1986 – 9 C 316.85 – juris). Eine Glaubhaftmachung in diesem Sinne setzt voraus, dass die Geschehnisse im Heimatland schlüssig, substantiiert und widerspruchsfrei geschildert werden. Erforderlich ist somit eine anschauliche, konkrete und detailreiche Schilderung des Erlebten. An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. VG Ansbach, U.v. 24.10.2016 – AN 3 K 16.30452 – juris mit weiteren Nachweisen).
b) Der Kläger vermochte die beachtlich wahrscheinliche Gefahr einer ihm drohenden, flüchtlingsrelevanten Verfolgung nicht glaubhaft zu machen.
Die Vorgeschichte des Klägers, wonach er bei Demonstrationen im Jahr 2014 verhaftet und am Arm / der Hand verletzt worden und anschließend auf Kaution freigekommen sei, kann so nicht geglaubt werden. Der Kläger vermochte die auftretenden Widersprüche nicht aufzulösen. So gab er in der mündlichen Verhandlung an, dass sein Onkel, der die Kaution für ihn geleistet habe, nach seiner Ausreise verhaftet worden sei. Die Behörden hätten aber bereits zum Zeitpunkt, als der Kläger bei seiner Oma auf dem Land zur Genesung war (6-7 Monate), geglaubt, dass der Kläger verschwunden sei. Während dieser Zeit sei der Onkel auch schon hierzu mehrmals befragt worden, da er jedoch mit den Behörden bekannt gewesen sei, habe er diese hinhalten können, so dass er zu diesem Zeitpunkt nicht weiter verfolgt worden wäre. Erst nach der Ausreise des Klägers, habe er die Behörde nicht mehr hinhalten können. Der Kläger vermochte nicht darzulegen, was sich aus Sicht der Behörden, die nach seiner Aussage schon zum Zeitpunkt des Aufenthalts bei der Großmutter von einem Verschwinden oder einer Ausreise des Klägers ausgegangen seien, nach der tatsächlichen Ausreise so geändert habe, dass der Onkel des Klägers nunmehr festgenommen und verurteilt worden wäre. Aus diesen Gründen können die Freilassung auf Kaution und die Umstände der Ausreise nicht nachvollzogen werden. Hinzu kommt die Aussage des Klägers in seiner Anhörung, dass seine Mutter im Gefängnis seine Wäsche abgeholt habe und dabei sein Ausweis in der Kleidung mit übergeben worden sei. Es bestehen erhebliche Zweifel daran, dass Gefangene in äthiopischen Gefängnissen ihre Personalpapiere bei sich tragen dürfen.
Unabhängig davon bestünden auch bei einer Wahrunterstellung der Aussage des Klägers Zweifel an einer beachtlich drohenden Verfolgungswahrscheinlichkeit. Denn wie der Kläger selbst angegeben hat, konnte er über ein halbes Jahr unbehelligt bei seiner Großmutter verbringen. Schon dies spricht nicht dafür, dass er gesucht worden wäre. Zudem hätten die Behörden, so sie denn tatsächlich ein Verfolgungsinteresse am Kläger gehabt hätten, diesen auch nicht gegen Kaution freigelassen. Denn auch die äthiopischen Behörden dürften wissen, dass regelmäßig die auf Kaution freigelassenen Inhaftierten verschwinden.
Hinzu kommt die aktuelle Entwicklung in Äthiopien, auf die der Kläger in der mündlichen Verhandlung hingewiesen worden war. Diese neue Entwicklung steht der Annahme einer beachtlich wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr im entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) aufgrund der Teilnahme an einer Demonstration im Jahr 2014 und einer behaupteten Verhaftung entgegen.
Dies ergibt sich aus mehreren Entwicklungen dieses Jahres. Diese aktuellen Ereignisse führen auch dazu, dass der Beweisbeschluss des BayVGH vom 26. März 2018, der ohnehin zur Frage der Verfolgung exilpolitisch tätiger Asylbewerber ergangen war – hierzu zählt der Kläger (bisher) nicht -, und die hierzu bisher vorliegenden Auskünfte insoweit als überholt anzusehen sind, da der Beweisbeschluss den entscheidenden Ereignissen zeitlich vorgelagert war und diese damit nicht hat berücksichtigen können und einige der vorgelegten Auskünfte die jüngsten Ereignisse auch nicht berücksichtigen. Als wesentliche Änderung und Zäsur kann hierbei die Eröffnung eine Büros des oromischen Medienportals Oromia Media Network in Addis Abeba angesehen werden (s.u.), da hierdurch erkennbar wird, dass oppositionelle Meinungen nicht mehr verbannt sind.
So wurde der Ausnahmezustand aufgehoben (Meldung der BBC vom 2. Juni 2018, 20:53 Uhr und vom 5. Juni 11:23 Uhr, https://www.bbc.com/news/world-africa-44344025?intlink_from_url=https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia& link_location=live-reporting-story).
Der neue Premierminister, Abiy Ahmed, ist oromischer Volkszugehörigkeit (vgl. Meldung der BBC vom 28. März 2018 10:29 Uhr, https://www.bbc.com/news/world-africa-42716864). Dieser hat bei seiner Vereidigung ausdrücklich betont, dass politischer Pluralismus ein Muss sei, denn das sei ein Grundstein dafür, dass Demokratie funktioniere. Ferner führte ihn seine erste Amtsreise in einen der Unruheherde des Landes, die Grenzregion zwischen den Siedlungsgebieten der Oromo und der Somali und er hat in Addis Abeba Oppositionspolitiker, Vertreter der Zivilgesellschaft und religiöse Führer empfangen. Dass er die Politik der Regierungskoalition nicht einfach fortsetzen will, hat er vor allem auch dadurch gezeigt, dass unter seiner Führung Hunderte von Oppositionsanhängern freigelassen worden sind, die nach einer Amnestie im Januar 2018 zwar aus der Haft entlassen, anschließend jedoch teils gleich wieder festgenommen worden waren. Außerdem wurde inzwischen das berüchtigte Makelawi-Gefängnis in Addis Abeba geschlossen (vgl. zum Vorstehenden die Presseartikel „Halber Machtwechsel“, taz vom 3.4.2018; „Man nennt ihn Äthiopiens Barack Obama“, FR vom 10.4.2018 und „Äthiopiens neuer Premier wirbt für Zusammenarbeit und Versöhnung“, DW vom 13.4.2018).
Der neue Premierminister bezeichnete Folter als Akt des Terrors durch den Staat, warf den eigenen Sicherheitsbehörden Folter und illegale Inhaftierungen vor und entließ Chefs der Nachrichtendienste und des Militärs (vgl. Meldung der BBC vom 18. Juni 2018, 18:05 Uhr, https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia). Die oppositionelle Organisation Ginbot 7 stellte ihren bewaffneten Widerstand gegen die Regierung ein und bezeichnete die vom neuen Premierminister angestoßenen Reformen als wirkliche Hoffnung auf Demokratie (Meldung der BBC vom 22. Juni 2018, https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia).
So wurde auch der zum Tode verurteilte Generalsekretär der Organisation Ginbot 7, Andargachew Tsege, der 2009 in Abwesenheit zum Tode verurteilt und 2014 auf einem jemenitischen Flughafen auf seinem Weg nach Eritrea festgenommen und den äthiopischen Behörden ausgehändigt worden war, freigelassen (vgl. Meldung der BBC vom 1. Juni 2018 17:05 Uhr, https://www.bbc.com/news/world-africa-42716864).
Es finden Gespräche zwischen Äthiopien und Eritrea statt. Äthiopien kündigte an, die Soldaten an der Grenze zu Eritrea abzuziehen. Telefonleitungen und Flugverbindungen zwischen beiden Ländern wurden wiedereröffnet (vgl. Meldung der Süddeutschen Zeitung vom 20. Juli 2018, 11:00 Uhr, https://www.sueddeutsche.de/politik/aethiopien-und-eritrea-zwei-laender-erwachen-aus-dem-tiefschlaf-1.4062868; Meldung der BBC vom 10. Juli 2018, 13:01 Uhr, https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia).
Der Premierminister ließ bisher gesperrte Internetseiten oppositioneller Organisationen freigeben. Das oromische Medienportal Oromo Media Network (OMN), dem bis vor kurzem noch Terrorvorwürfe gemacht worden sind, eröffnete in Addis Abeba eine Redaktion (vgl. Meldung der BBC vom 26. Juni 2018, 16:16 Uhr, https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia). Der Gründer dieses Medienportals, Jawar Mohammed, ist nach Äthiopien zurückgekehrt (vgl. Meldung von „jeune afrique“ vom 5. August 2018, 12:39 Uhr, http://www.jeuneafrique.com/depeches/611340/politique/retour-en-ethiopie-dun-celebre-activiste-de-lopposition/; Meldung des Guardian https://www.theguardian.com/global-development/2018/aug/20/jawar-mohammed-return-ethiopia-political-change-oromo). Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe der Aufwiegelung/Anstiftung zur Gewalt wurden fallen gelassen.
Die äthiopische Regierung und die vormals auf der Terrorliste geführte OLF haben eine Vereinbarung unterzeichnet, um die Feindseligkeiten, bewaffneten Auseinandersetzungen zu beenden (Meldung der BBC vom 7. August 2018, 16:59 Uhr, https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia).
Auf diese Entwicklungen angesprochen gab der Kläger an, dass man die neue Situation nicht verallgemeinern könne. Es seien vor ein paar Tagen mehrere Oromo umgebracht worden, die den OMN Gründer Jawar Mohammed sehen wollten. In der Stadt Shashamane (Shashememe) sei ein unschuldiger Oromo gehenkt worden und noch mehrere Leute ums Leben gekommen.
Die vom Kläger angesprochenen Todesfälle dürften auf folgende Ereignisse zurückzuführen sein. Ausweislich eines Berichts des Internetportals africanews geschahen sie anlässlich einer öffentlichen Versammlung zur Begrüßung des OMN Gründers in der Stadt Shashememe. Das Portal berichtet, dass 3 Leute in einer Massenpanik am Eingang des örtlichen Stadions, in dem die Veranstaltung stattfand, ums Leben gekommen seien. Eine weitere Person sei von einem Mob gelyncht worden, weil der Mob geglaubt habe, dass der Gelynchte in seinem Auto eine Bombe dabei hätte (Meldung des Portals africanews vom 14. August 2018, 5:00 Uhr http://www.africanews.com/2018/08/14/ethiopian-activists-condemn-mob-action-violence-during-rally-in-oromia/). Der Gründer des OMN sprach auf seinem facebook-Account am 12. August 2018 von einer grausamen (cruel), widerlichen (disgusting) und schädlichen (damaging) Handlung des Mobs. Er rufe alle, insbesondere die Jugend, dazu auf, keine Selbstjustiz zu üben, auch nicht aufgrund von eigenen Verdächtigungen (https://www.facebook.com/Jawarmd/posts/10104063136852973).
Diese Todesfälle, so tragisch und bedauerlich sie sind, sind jedoch nicht Folge von Verfolgungshandlungen eines Verfolgungsakteurs im Sinne des Asylgesetzes. Das Gericht sieht bei dieser Bewertung auch, dass es anlässlich der Entwicklungen in Äthiopien zu diversen regionalen und lokalen Unruhen, Übergriffen auf andere Ethnien und teils auch Kampfhandlungen kommt. Diese werden jedoch von Seiten der Bundesbehörden versucht zu unterbinden. So hat die äthiopische Bundesarmee den vormaligen Regierungschef der Somali Region nach dessen Rücktritt inhaftiert und ist in dieses Gebiet eingerückt (vgl. Meldungen der BBC vom 4. August 2018 https://www.bbc.com/news/world-africa-45070213?intlink_from_url=https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia& link_location=live-reporting-story und vom 7. August 2018, 15:24 Uhr, https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia). Damit kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der äthiopische Staat gemäß § 3c Nr. 3 AsylG nicht in der Lage sei oder nicht willens wäre, eventuell Bedrohten Schutz vor Verfolgung zu bieten. Zumal die Unruhen und Gewalttätigkeiten lokal begrenzt sind und meist anlässlich von größeren Versammlungen ausbrechen. Aus diesen Vorfällen ergeben sich auch weiterhin keine Anhaltspunkte, dass ein Oromo aufgrund seiner Ethnie in Gefahr wäre.
b) Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Ein derartiger Schaden droht dem Kläger nach den obigen Ausführungen auch unter Berücksichtigung der genannten lokalen Unruhen in Äthiopien nicht. Jedenfalls kann derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass es dem Kläger in ganz Äthiopien unmöglich wäre, sicher zu leben.
c) Schließlich sind auch Abschiebungshindernisse bzgl. Äthiopien im Sinne des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht ersichtlich. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK – (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Mangels Erkennbarkeit diesbezüglicher Anhaltspunkte ist festzustellen, dass diese Voraussetzungen vorliegend nicht erfüllt sind.
Ebenso wenig besteht ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gewährung von Abschiebeschutz nach dieser Bestimmung setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer dagegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, wird Abschiebeschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entfällt die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG in verfassungskonformer Auslegung aber jedenfalls dann, wenn die oberste Landebehörde trotz einer extremen allgemeinen Gefahrenlage keinen generellen Abschiebestopp erlassen bzw. diesen nicht verlängert hat und ein vergleichbarer wirksamer Schutz den betroffenen Ausländern nicht vermittelt wird. Die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 GG gebieten danach die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wenn einer extremen Lebensgefahr oder einer extremen Gefahr der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit entgegen gewirkt werden muss. Dies ist der Fall, wenn der Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod ausgeliefert oder erheblichen Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit ausgesetzt wäre (BVerwG, U.v. 17.10.1995 – BVerwGE 99, 324; BVerwG, U.v. 19.11.1996 – BVerwGE 102, 249, BVerwG, U.v. 12.7.2001 – BVerwGE 115, 1). Eine derartige Gefahrensituation könnte sich auch aus den harten Existenzbedingungen und der Versorgungslage in Äthiopien ergeben.
Ob die Annahme einer extremen Gefahrenlage im Wege der verfassungskonformen Auslegung nunmehr ausscheidet, weil das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 31.1.2013 (Az. 10 C 15/12 – juris) davon ausgeht, dass in begründeten Ausnahmefällen schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat (auch) ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründen können, kann letztlich dahinstehen, da die anzuwendenden Gefahrenmaßstäbe weitgehend übereinstimmen.
Nach den dem Gericht vorliegenden und ins Verfahren eingeführten Erkenntnissen ist die Versorgungssituation für den Kläger in Äthiopien jedoch nicht so schlecht, dass von einer Gefahr im beschriebenen Sinn auszugehen wäre. Obwohl Äthiopien zwischen den Jahren 2004 und 2014 ein konstantes wirtschaftliches Wachstum aufwies, zählt das Land immer noch zu den ärmsten Staaten der Welt. Auf dem Human Development Index des UNO-Entwicklungsprogramms belegt Äthiopien Platz 173 von 186. 77,6% der Bevölkerung leben von weniger als zwei US-Dollar pro Tag. Das durchschnittliche Jahreseinkommen liegt bei 170 US-Dollar. 82% Prozent der Bevölkerung leben von der Landwirtschaft (SFH, Äthiopien, Update: Aktuelle Entwicklungen bis Juni 2014, Rahel Zürrer, Bern 2014). Andererseits ist die Arbeitslosigkeit in den ländlichen Regionen niedrig. Statt auf Arbeitslosigkeit trifft man dort auf unterproduktive Landwirtschaft (IOM, Länderinformationsblatt Äthiopien, Juni 2014, VII. 8.2.1, S. 19). Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist nicht in allen Landesteilen und zu jeder Zeit gesichert, weshalb große Teile der Bevölkerung auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind. Im Jahr 2014 waren ca. 3,2 Millionen Äthiopier auf solche Hilfen angewiesen, wobei sich die Hilfen neben der reinen Nahrungsmittelhilfe auch auf Non Food Items (Hygiene und Gesundheit) bezogen. Zusätzlich wurden 7,8 Millionen Menschen über das Productive Safety Net Programme unterstützt, die sonst auch Nothilfe benötigt hätten (AA, Lagebericht vom 24.5.2016, Stand: März 2016, IV. 1. 1.1. S. 20).
Im jüngsten Lagebericht spricht das Auswärtige Amt davon, dass 7,9 Millionen Menschen auf das staatliche Sozialprogramm zur Ernährungssicherung angewiesen sind (AA, Lagebericht Äthiopien vom 22.3.2018, Stand: Februar 2018, IV 1.1, S. 23). Hier zeigt es sich, dass die Situation für große Teile der Bevölkerung schwierig ist. Gleichwohl bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass Rückkehrer keine Nahrungsmittelhilfe erhalten. Für Rückkehrer bieten sich im Übrigen schon mit geringem Startkapital Möglichkeiten zur bescheidenen Existenzgründung.
Die Entscheidung zur Kostentragung beruht auf § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).
Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).


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