Verwaltungsrecht

Keine bedingungsgemäße Deckung für coronabedingte Gastronomieschließungen

Aktenzeichen  10 O 1781/20 Ver

Datum:
9.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 6922
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München II
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
AVB Betriebsschließungsversicherung § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, Abs. 3
BGB § 307

 

Leitsatz

1. Zählen AVB die einem Versicherungsfalls zugrunde liegenden meldepflichtigen Krankheiten namentlich auf ohne das Sars-Cov-2-Virus zu nennen, so besteht für corona-pandemiebedingte Betriebsschließungen keine Deckung. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bedingungen einer Betriebsschließungsversicherung, die keine Deckung für Versicherungsfälle auf der Grundlage der Corona-Pandemie bieten, sind nicht unwirksam. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Gründe

I.
Die Klage war abzuweisen, weil sie zwar zulässig, aber unbegründet ist.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 969.990,00 € (nebst Zinsen).
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 969.990,00 € aus der Betriebsschließungsversicherung.
Es liegt nämlich bereits deswegen kein Versicherungsfall vor, weil die o.g. Allgemeinverfügungen bzw. die o.g. Rechtsverordnungen jeweils ausschließlich wegen der gegenwärtigen Corona-Pandemie erlassen worden sind, während § 1 AVB dahingehend auszulegen ist, dass die dort enthaltenen Krankheiten- und Krankheitserreger-Kataloge, welche weder die Krankheit COVID-19 noch den Krankheitserreger SARS-CoV-2 enthalten, abschließend sind. Zudem bestehen auch keine Bedenken gegen die Wirksamkeit dieser Versicherungsbedingungen.
Das Gericht folgt dabei der nach dem gegenwärtigen Stand ganz vorherrschenden Meinung in der Rechtsprechung, wobei neben den bereits zahlreich veröffentlichten Landgerichtsentscheidungen insbesondere die beiden aktuellen Urteile des OLG Stuttgart jeweils vom 15.02.2021, Az.: 7 U 335/20, BeckRS 2021, 2001, und Az.: 7 U 351/20, BeckRS 2021, 2002, hervorzuheben sind.
a) Wie es das OLG Stuttgart in seinen beiden o.g. Urteilen jeweils überzeugend formuliert, ist von folgendem rechtlichen Ausgangspunkt auszugehen:
„Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind. Bei der hier in Rede stehenden Betriebsschließungsversicherung ist überdies zu berücksichtigen, dass der typische Adressaten- und Versichertenkreis nicht in Verbraucherkreisen zu suchen ist, sondern vielmehr geschäftserfahren und mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen vertraut ist, nachdem die Versicherung ihrem Zweck und Inhalt nach auf Gewerbebetriebe abzielt (vgl. dazu allgemein BGH, Urteile vom 18.11.2020 – IV ZR 217/19 Rn. 11 und vom 21.04.2010 – IV ZR 308/07 Rn. 12).“
b) Einem derartigen Versicherungsnehmer erschließen sich folgende Aspekte, wobei in der Folge kein Raum mehr bleibt für eine Anwendung der Mehrdeutigkeitsbestimmung des § 305c II BGB:
(1.) Betrachtet man den Wortlaut der AVB, so fällt auf, dass sowohl die Krankheit COVID-19 als auch der Krankheitserreger SARS-CoV-2 fehlen. Unter den Versicherungsschutz sollen aber nur, was in § 1 III AVB mit den Worten „die folgenden“ und „namentlich genannten“ verdeutlicht wird, die dort aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger fallen.
(2.) Bei einem Vertragsschluss bereits im November 2019 und Verwendung von AVB aus dem Jahre 2009, wie hier, konnten zwar die damals noch unbekannte Krankheit COVID-19 sowie der ebenso noch unbekannte Krankheitserreger SARS-CoV-2 gar nicht Eingang in die AVB finden. Erst seit der jeweiligen Fassung vom 19.05.2020 wird in § 6 IfSG (unter Abs. 1 Nr. 1 lit. t) die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) und in § 7 IfSG (unter Abs. 1 S. 1 Nr. 44a) das Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus-2 (SARS-CoV-2) aufgelistet. Hätte hier aber tatsächlich keine statische, sondern eine dynamische Klausel vereinbart werden sollen, so wäre es naheliegend gewesen, dies durch eine Bezugnahme auf die zum Zeitpunkt der Betriebsschließung jeweils gültige Fassung des IfSG auszudrücken. Darüber hinaus hätte ohne weiteres auch eine Bezugnahme auf das IfSG insofern erfolgen können, als dort unter § 6 I 1 Nr. 5 bzw. unter § 7 II 1 Auffangtatbestände für nicht aufgezählte, aber bedrohliche übertragbare Krankheiten und gefährliche Krankheitserreger vorliegen.
(3.) Weiterhin fällt auf, dass bei dem Krankheiten-Katalog in § 1 III Nr. 1 AVB nicht nur COVID-19 fehlt. Es fehlt vielmehr auch die bereits lange vor Vertragsschluss und darüber hinaus auch schon vor dem Zeitpunkt der Fassung der hiesigen AVB (April 2009) in § 6 I Nr. 1 IfSG enthaltene Krankheit humane spongiforme Enzephalopathie (= Creutzfeldt-Jakob-Krankheit). Im Übrigen fehlen auch noch die jeweils seit der Fassung vom 21.03.2013 in § 6 I 1 Nr. 1 IfSG enthaltenen Krankheiten Keuchhusten, Mumps und Röteln sowie die seit der Fassung vom 17.07.2017 in § 6 I 1 Nr. 1 IfSG enthaltene Krankheit Windpocken. Hier hätte ein geschäftserfahrener und um Verständnis bemühter Inhaber eines gastronomischen Betriebes bereits erkennen können, dass selbst bereits lange bekannte und zudem im IfSG ausdrücklich genannte Krankheiten im Katalog fehlen. Letztlich stellt sich aber die Frage, wozu überhaupt – recht umständlich – solche Aufzählungen von Krankheiten und Krankheitserregern in den AVB stehen, wenn dies nach dem Verständnis der Klägerin überflüssig wäre. Viel näher liegt der Schluss, dass die Beklagte hier ganz bewusst abschließend bestimmte Krankheiten und Krankheitserreger aufgelistet hat, um das für sie bestehende Versicherungsrisiko zu begrenzen. Angemerkt sei, dass sich ein solch begrenztes Risiko regelmäßig auch in entsprechend moderaten Versicherungsprämien (wie hier) widerspiegelt.
(4.) Gegen diese Auslegung ließe sich zwar einwenden, dass der unter § 4 Nr. 4 AVB geregelte Haftungsausschluss bei Prionenerkrankungen sinnlos wäre, wenn es sich hier tatsächlich um eine statische Klausel handeln würde. Tatsächlich findet sich nämlich in dem in § 1 III Nr. 1 AVB enthaltenen Krankheiten-Katalog keine Prionenerkrankung. So wurde, wie bereits ausgeführt, die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, eine Prionenerkrankung, in den Katalog gerade nicht aufgenommen. Es stellt sich mithin die Frage, weshalb die Versicherung eine Krankheit aus dem Versicherungsschutz herausnehmen möchte, wenn sie Betriebsschließungen aufgrund dieser Krankheit ohnehin bereits im Rahmen der Risikobegrenzung nicht versichert. Dies könnte als Argument für eine dynamische Klausel herangezogen werden.
Wie das OLG Stuttgart in seinem o.g. Urteil, Az.: 7 U 335/20, überzeugend ausführt, gilt diesbezüglich jedoch Folgendes:
„Damit wird nicht der Eindruck erweckt, der Versicherer verstehe den Katalog (…) nicht als abschließend. Es handelt sich lediglich um einen klarstellenden Hinweis. Ein Rückschluss von dieser Ausnahme auf den Umfang der Leistungspflicht liegt für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer gerade nicht nahe, schon gar nicht kann hieraus bei verständiger Betrachtung der Schluss gezogen werden, der in Ziff. 2 AVB erkennbar und eindeutig („nur“) abschließend formulierte und ohne ausdrücklichen Bezug zu den §§ 6 f. IfSG aufgestellte Katalog solle wieder geöffnet werden.“
Anzumerken ist, dass sich zwar die Klausel in dem vom OLG Stuttgart mit dem o.g. Urteil entschiedenen Fall insofern von der hiesigen unterscheidet, als dort das – besonders einengende – Wort „nur“ verwendet worden ist. Aber auch hier finden sich mit „die folgenden“ und „namentlich“ zumindest annähernd so restriktive Worte.
Entsprechend hat das OLG Stuttgart auch wiederum in seinem bereits zitierten Urteil mit dem Az.: 7 U 351/20, bzgl. einer Klausel ohne das Wort „nur“, überzeugend ausgeführt:
„Damit wird nicht der Eindruck erweckt, der Versicherer verstehe den Katalog in Ziff. 1.2 AVB nicht als abschließend. Es wird vielmehr lediglich darauf hingewiesen, dass eine Mitursächlichkeit einer anderen Erkrankung ebenso wie die Mitursächlichkeit anderer, äußerer Faktoren den Versicherungsschutz entfallen lässt. Ein Rückschluss von dieser Ausnahme auf den Umfang der Leistungspflicht liegt für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer gerade nicht nahe, schon gar nicht kann hieraus bei verständiger Betrachtung der Schluss gezogen werden, der in Ziff. 1.2 AVB erkennbar abschließend formulierte Katalog solle wieder geöffnet werden.“
(5.) Eine historische Auslegung führt hier – entgegen der Ansicht der Klägerin – auch zu keinem anderen Ergebnis: Denn soweit die Klägerin auf die Gesetzesbegründung zu § 6 IfSG Bezug nimmt, ist dies für die Auslegung der – der Privatautonomie unterliegenden – Vertragsbedingungen irrelevant. Ebenso wenig überzeugt die Ansicht der Klägerin, eine teleologische bzw. eine europarechtskonforme Auslegung müssten hier zu dem Ergebnis einer dynamischen Verweisung kommen. Der Versicherungsschutz wird auch ohne dynamische Verweisung nicht ausgehöhlt, er ist nur weniger weitreichend.
c) Es liegt auch kein Fall der Unwirksamkeit der Regelung zum Umfang des Versicherungsschutzes gem. § 307 BGB vor:
(1.) Wie bereits oben im Rahmen der Ausführungen zur Auslegung der Klausel dargelegt, ist die Regelung nicht intransparent i.S.d. § 307 I 2 BGB. Es erschließt sich dem verständigen Versicherungsnehmer – zumindest bei einer für ihn nicht unzumutbaren Heranziehung des Gesetzestextes von § 6 f. IfSG – vielmehr, dass er hier gerade keinen umfassenden, sondern nur einen lückenhaften Versicherungsschutz erhält.
(2.) Auch benachteiligt die Regelung den Versicherungsnehmer nicht etwa deswegen treuwidrig unangemessen i.S.d. § 307 I 1 BGB, weil er keinen umfassenden Versicherungsschutz erhält. Vielmehr stellt sich dies als Ausdruck der Privatautonomie dar, wonach die Parteien grundsätzlich frei in der Ausgestaltung ihrer vertraglichen Beziehungen sind. Würde man verlangen, dass Versicherungen stets nur einen umfassenden Versicherungsschutz zu gewähren haben, würde sich dies als Eingriff in die Privatautonomie darstellen. Wenn der Versicherungsnehmer an einem umfassenderen Schutz interessiert ist, liegt es an ihm, sich um eine entsprechende andere Vertragsgestaltung zu bemühen, und sei es auch, wie bereits erwähnt, ggf. zum Preis höherer Versicherungsprämien, bzw. sich eine andere Versicherung als Vertragspartner zu suchen.
(3.) Schließlich ergibt sich hier auch keine Unwirksamkeit der Regelung aus einer fehlenden Vereinbarkeit i.S.d. § 307 II Nr. 1 BGB mit wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung, von welcher abgewichen würde. Tatsächlich existiert eine solche gesetzliche Regelung im hiesigen Zusammenhang nämlich gar nicht. Gesetzlich geregelt ist im IfSG der Schutz der Bevölkerung vor ansteckenden Krankheiten, nicht aber der Schutz des Unternehmers vor Schäden aufgrund pandemiebedingter Betriebsschließungen (vgl. auch OLG Stuttgart, a.a.O.).
2. Mangels Bestehens eines Anspruchs in der Hauptsache hat die Klägerin gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I 1 ZPO.
III.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.


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