Aktenzeichen M 6 K 16.652
Leitsatz
1. Verzichtet ein Rundfunkbeitragsschuldner darauf, eine staatliche Sozialleistung im Sinne des § 4 Abs. 1 RBStV im dafür vorgesehenen ordentlichen Verwaltungsverfahren überhaupt zu beantragen, kann er keine Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht nach § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV wegen eines besonderen Härtefalls beanspruchen mit der Begründung, er stehe einem Empfänger jener Sozialleistung, die er nicht beantragt, im Falle der Antragstellung aber erhalten müsse, hinsichtlich seiner Bedürftigkeit gleich (amtlicher Leitsatz)
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Berufung wird zugelassen.
Gründe
Mit Einverständnis der Beteiligten konnte das Gericht gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat weder einen Anspruch, auf seine Anträge vom … Juni 2014 und … Januar 2015 hin vom Beklagten von der Rundfunkbeitragspflicht befreit zu werden, noch auf Neubescheidung dieser Anträge durch den Beklagten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
1. Entgegen der Auffassung des Klägers begegnet der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag als solcher keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Das hat nach der zunächst für Bayern grundlegenden Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 15. Mai 2014 (Vf. 8-VII-12 und Vf. 24-VII-12) sowie unzähligen Urteilen von Verwaltungsgerichten (z. B. VG München, U.v. 26.2.2015 – M 6a K 14.877) und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (st. Rspr. seit U.v. 19.6.2015 – 7 BV 14.1707) nunmehr mit mehreren Urteilen vom 18. März 2016 auch das Bundesverwaltungsgericht bestätigt (BVerwG 6 C 6.15 u. a.; vgl. Pressemitteilung Nr. 21/2016). Insbesondere geht aus allen diesen Entscheidungen hervor, dass es auf die tatsächliche Inanspruchnahme des Programmangebots der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und /oder das Bereithalten von Rundfunkempfangsgeräten nicht ankommt.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch, vom Beklagten auf seine o.g. Anträge hin von der Rundfunkbeitragspflicht befreit zu werden, und zwar weder nach § 4 Abs. 1 RBStV noch nach der Härtefallregelung des § 4 Abs. 6 Sätze 1 und 2 RBStV.
2.1 Unstreitig liegt keiner der in § 4 Abs. 1 RBStV normierten Befreiungstatbestände beim Kläger vor. Aus seinem gesamten Vorbringen geht vielmehr eindeutig hervor, dass er insbesondere einen Antrag auf Leistungen im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 RBStV (Arbeitslosengeld II) wegen der damit verbundenen Umstände schon gar nicht stellen möchte.
2.2. Die Tatbestandsvoraussetzungen des gesetzlich normierten besonderen Härtefalls nach § 4 Abs. 6 Sätze 1 und 2 RBStV liegen beim Kläger auch nicht vor.
Nach § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV hat die Landesrundfunkanstalt unbeschadet der Beitragsbefreiung nach Absatz 1 in besonderen Härtefälle auf gesonderten Antrag von der Beitragspflicht zu befreien. Ein Härtefall liegt nach § 4 Abs. 6 Satz 2 RBStV insbesondere vor, wenn eine Sozialleistung nach Absatz 1 Nr. 1 bis 10 in einem durch die zuständige Behörde erlassenen Bescheid mit der Begründung versagt wurde, dass die Einkünfte die jeweilige Bedarfsgrenze um weniger als die Höhe des Rundfunkbeitrags überschreiten.
Mit dieser Regelung eines gesetzlich normierten besonderen Härtefalls wurde für das Rundfunkbeitragsrecht den Vorgaben der früheren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherung des Existenzminimums im Hinblick auf Rundfunkgebühren Rechnung getragen (B.v. 30.11.2011 – 1 BvR 3269/08, 1 BvR 656/10).
Diese Fallkonstellation wird vom Kläger jedoch offensichtlich nicht geltend gemacht. Er selbst wies darauf hin, dass es bei ihm nicht um eine entsprechende Überschreitung einer Bedarfsgrenze, sondern um deren Unterschreitung gehe.
2.3 Der Kläger hat jedoch auch keinen Anspruch, wegen des Vorliegens eines besonderen Härtefalls nach § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV befreit zu werden.
Verzichtet ein Rundfunkbeitragsschuldner darauf, eine staatliche Sozialleistung im Sinne des § 4 Abs. 1 RBStV im dafür vorgesehenen ordentlichen Verwaltungsverfahren überhaupt zu beantragen, kann er keine Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht nach § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV wegen eines besonderen Härtefalls beanspruchen mit der Begründung, er stehe einem Empfänger jener Sozialleistung, die er nicht beantragt, im Falle der Antragstellung aber erhalten müsse, hinsichtlich seiner Bedürftigkeit gleich. § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV ist insoweit kein Auffangtatbestand mit einem doch wieder gesonderten Überprüfungsverfahren durch die Rundfunkanstalten nach eigenen Regeln (wie es der Kläger anscheinend für sich fordert). Vielmehr entfalten die in § 4 Abs. 1 RBStV abschließend normierten Tatbestände insoweit eine Sperrwirkung.
Es stellt sich ohnehin schon die Frage, ob überhaupt ein besonderer Härtefall vorliegen kann, wenn ein Betroffener auf ihm an sich zustehende staatliche Sozialleistungen im Sinne des § 4 Abs. 1 RBStV – die dann auch zu einer Befreiung führen würden – verzichtet, weil er seinen Lebensunterhalt offensichtlich aus den ihm ansonsten zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln (Einkommen und /oder Vermögen) bestreiten kann und will.
Jedenfalls stellt es sich – wie schon im Urteil vom 26. Februar 2015 im Verfahren M 6a K 14.877 ausgeführt (Seite 14/15) – bei genauer Betrachtung zumindest als in sich inkonsequent dar, auf beanspruchbare Sozialleistungen im Sinne des § 4 Abs. 1 RBStV zu verzichten, dennoch aber die Sozialleistung der Rundfunkbeitragsbefreiung – auf Kosten der übrigen Beitragszahler – in Anspruch nehmen zu wollen. Denn auch die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht ist letztlich nichts anderes als eine Sozialleistung, lediglich dergestalt, dass ein Betroffener nicht Geld erhält, sondern eben keines zahlen muss.
2.4 Der Kläger ist daher von Rechts wegen darauf zu verweisen, beim Jobcenter A… einen regulären Antrag auf Bewilligung von Arbeitslosengeld II im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 RBStV, alternativ einen Antrag auf Bewilligung einer der anderen in § 4 Abs. 1 RBStV genannten Leistungen bei der dafür zuständigen Sozialbehörde, zu stellen. Wird ihm solches dann nach vollständiger Durchführung des hierfür vorgesehenen Verfahrens bewilligt, ist er „Empfänger“ im Sinne des § 4 Abs. 1 RBStV und als solcher von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien.
Allein diese Vorgehensweise stellt sicher, dass dem Willen des Gesetzgebers Rechnung getragen wird, dass ausschließlich die zuständigen Sozialleistungsbehörden – und nicht doch wieder die Rundfunkanstalten – insoweit entscheidungsbefugt sein sollen. Denn nur diesen stehen die rechtlichen Grundlagen zur Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens, ggf. inklusive entsprechender Sanktionsmöglichkeiten etwa bei unzutreffenden Angaben, zur Verfügung.
Eine bloße Ausstellung von Bescheinigungen solcher Behörden aufgrund nur summarischer und vor allem nicht rechtsförmlicher Prüfung der Einkommens- und /oder Vermögenslage der Betreffenden, u.U. noch lediglich anhand von diesen selektiv vorgelegten Unterlagen, trägt dem nicht ausreichend Rechnung, zumal es keinerlei rechtlich normierte Vorgaben über den Inhalt solcher Bescheinigungen und ein hierfür durchzuführendes Prüfverfahren gibt. So würde erneut Rechtsunsicherheit und Rechtsstreit anstelle von Rechtssicherheit und -klarheit entstehen.
Ob sich ein Betroffener dann nach Bewilligung eine Leistung im Sinne des § 4 Abs. 1 RBStV tatsächlich auch auszahlen lässt oder aber darauf verzichtet, ist allein seine Angelegenheit. Insbesondere wäre er über seine Motive hierfür gegenüber einer Rundfunkanstalt wiederum keine Rechenschaft schuldig.
Die Motivation des Klägers hingegen, sich um seiner freiheitlichen Lebensführung willen nicht den rechtlichen Anforderungen eines Antragsverfahrens zur Bewilligung von Sozialleistungen unterwerfen zu wollen, ist rechtlich nicht schützenswert. Er kann insbesondere keine rechtliche Gleichstellung mit denjenigen verlangen, die dies zu tun bereit sind und entsprechend danach handeln.
3. Weiter ist ergänzend Folgendes anzumerken:
3.1 Die Informationen des Beklagten zum Rundfunkbeitrag für Menschen mit Anspruch auf staatliche Sozialleistungen, auf die der Kläger immer wieder hinweist, haben auch bisher bereits ausdrücklich klargestellt, dass im Falle eines Verzichts auf Sozialleistungen eine Bescheinigung der Sozialbehörde erforderlich sei, aus der hervorgehen müsse, dass umfassend geprüft worden sei, dass ein Anspruch auf Leistung bestehe. Ohnehin kann der Kläger aus bloßen Informationen für die Öffentlichkeit keine Rechtsansprüche für sich herleiten.
3.2 Im dem vom Kläger zitierten Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg (U.v. 7.3.2013 – 3 K 2817/12) ist aus dem Tatbestand und den Gründen ersichtlich, dass es nach einer zunächst nur überschlägigen Bescheinigung (Seite 3 des Urteils; „… nach den vorgelegten Unterlagen …“) zwar zu einer konkreten, umfassenden Bedarfsberechnung gekommen ist (Seite 6 des Urteils; „… wurde auf eine formelle Leistungsbescheidung verzichtet und Ihnen stattdessen die nachfolgende Berechnungsübersicht Ihrer Bedarfe erstellt.“), auf die das Verwaltungsgericht dann maßgeblich abstellt (Seite 9 des Urteils). Unklar bleibt dabei, ob überhaupt und in welchem Umfang die Vermögensverhältnisse des dortigen Klägers von der Sozialbehörde ermittelt wurden.
Dies kann jedoch aus Sicht der erkennenden Kammer dahinstehen. Denn nach ihrer oben dargelegten Auffassung genügen Bescheinigungen über einen angeblich bestehenden Anspruch auf Sozialleistungen, die im Gegensatz zu Leistungsbescheiden nicht als Ergebnis eines förmlichen Prüfverfahrens erteilt werden, nicht, um das Vorliegen der Voraussetzungen für die Befreiung vom Rundfunkbeitrag als gegeben nachzuweisen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 188 Satz 2 VwGO analog nicht erhoben.
5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung hat ihre Rechtsgrundlage in § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
6. Die Berufung war nach § 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Es ist von grundsätzlicher Bedeutung, ob jemand wie der Kläger ein vollständiges Bewilligungsverfahren für Sozialleistungen nach § 4 Abs. 1 RBStV durchlaufen muss, obwohl er diese Leistung letztlich nicht beziehen möchte. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 3. Dezember 2013 (7 ZB 13.1817) sieht möglicherweise auch eine „Bestätigung“ an Stelle eines Bescheids für ausreichend an, ohne allerdings die Anforderungen an diese und das zugrunde liegende Verfahren näher zu konkretisieren.
Der Kläger möge sich rechtzeitig rechtlich informieren, welche Möglichkeiten der Bewilligung von Prozesskostenhilfe es im Hinblick auf eine Einlegung der Berufung mit dem damit verbundenen Anwaltszwang gibt.