Verwaltungsrecht

Keine drohende flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung in der Elfenbeinküste – Kein Abschiebungsverbot für einen gesunden, jungen und arbeitsfähigen Mann

Aktenzeichen  W 2 K 18.31777

Datum:
22.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 40722
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1, § 3a, § 3c, § 3d, § 3e, § 4, § 38 Abs. 1, § 77 Abs. 1, Abs. 2, § 83b
AufenthG § 11, § 59, § 60
EMRK Art. 2, Art. 3, Art. 4 Abs. 1, Art. 7
VwGO § 102 Abs. 2, § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1, § 154 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Weder aus dem bisherigen Engagement des Klägers noch aus seiner bloßen Mitgliedschaft bei RACI läßt sich eine Verfolgungsgefahr ableiten. Im Übrigen besteht eine zumutbare interne Schutzalternative, die bei einer Rückkehr in die Elfenbeinküste in Anspruch genommen werden kann. (Rn. 18 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG liegen nicht vor, da mit einer überdurchschnittlichen Studienbildung und einer bereits in der Elfenbeinküste erworbene Berufserfahrung davon ausgegangen werden kann, dass ein gesunder, junger, arbeitsfähiger Mann in der Lage sein wird, sich in einer der zahlreichen Großstädte der Elfenbeinküste eine den Anforderungen des Art. 3 EMRK entsprechende Existenz aufbauen kann. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage, über die gemäß § 102 Abs. 2 VwGO auch in Abwesenheit eines Beteiligten verhandelt werden konnte, ist unbegründet.
Der Bundesamtsbescheid vom 14. August 2018 ist im verfahrensgegenständlichen Umfang rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 1 AsylG, noch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG. Es liegen auch keine nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG in seiner Person vor. Die Ausreiseaufforderung unter Androhung der Abschiebung in die Elfenbeinküste und die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots sind ebenfalls rechtmäßig.
Auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffen Bundesamtsbescheid, die sich das erkennende Gericht gemäß § 77 Abs. 2 AsylG zu eigen macht, wird Bezug genommen.
1. Lediglich ergänzend wird ausgeführt:
1.1 Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
Gemäß § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Gemäß § 3a AsylG gelten dabei Handlungen als Verfolgung, die gem. Nr. 1 auf Grund ihrer Art oder Wiederholungsgefahr so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK) keine Abweichungen zulässig ist, oder die gem. Nr. 2 in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss das Gericht auch in Asylstreitigkeiten die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen. Aufgrund der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – InfAuslR 1989, 349). Maßgeblich sind die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und die Glaubwürdigkeit seiner Person. Seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung ist daher eine gesteigerte Bedeutung beizumessen. Auch unter Berücksichtigung des Herkommens, Bildungsstands und Alters muss der Asylbewerber im Wesentlichen gleichbleibende möglichst detaillierte und konkrete Angaben zu den Umständen machen.
Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen hat der Kläger eine flüchtlingsrechtlich relevante Vorverfolgung in der Elfenbeinküste nicht glaubhaft gemacht. Selbst bei Wahrunterstellung überschreiten die geschilderten Vorfälle, die ihn persönlich betroffen haben, weder für sich noch in ihrer Zusammenschau die für eine Vorverfolgung erforderliche Erheblichkeitsschwelle des § 3a AsylG. So gehören zu den sog. notstandsfesten Menschenrechten in § 3a Nr. 1 AsylG insbesondere das Recht auf Leben (Art. 2 EMRK), der Schutz vor Folter oder anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (Art. 3 EMRK), das Verbot der Sklaverei oder Leibeigenschaft (Art. 4 Abs. 1 EMRK) sowie der Schutz vor Bestrafung ohne gesetzliche Grundlage (Art. 7 EMRK). Für eine schwerwiegende Verletzung müssen die nach internationalem Recht zulässigen beschränkenden Maßnahmen berücksichtigt werden und die Wertigkeit des Schutzgutes muss zur Reichweite der Beschränkung in Bezug gesetzt werden. Die schwere Beeinträchtigung kann durch einmalige Verletzungshandlungen, die dann das entsprechende Gewicht aufweisen müssen, oder durch wiederholte Verletzungshandlungen (in Bezug auf das gleiche Menschenrecht) herbeigeführt werden. Im letzteren Fall ist die mit der (ständigen) Wiederholung verbundene zusätzliche Belastung zu beachten, die darin besteht, dass durch die Wiederholung zusätzlich eine andauernde Furcht begründet wird, die die Eingriffsintensität erhöht. Damit wird zugleich der „Taktik“ von autoritären und totalitären Regimen Rechnung getragen, die nicht selten auf eine Zermürbungsstrategie durch immer wiederkehrende mäßige Menschenrechtsbeeinträchtigungen abzielen. (vgl. Kluth, BeckOK AuslR [Stand: 1.11.2018], AsylG § 3a Rn. 7). So trug der Kläger sowohl beim Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung vor, er sei telefonisch und persönlich bedroht worden. Er sei jedoch nicht tatsächlich verletzt worden. Zu den näheren Umständen der geltend gemachten Bedrohungen macht er dabei keine genaueren Angaben, gab jedoch an, dass er in Abidjan sicher gewesen sei. Mithin verbleibt es bei den vom Kläger geltend gemachten telefonischen Drohungen im Zusammenhang mit der Wahlversammlung in Korhogo. Diese erfüllen – selbst bei Wahrunterstellung – jedoch auch im Hinblick auf Art und Dauer der geltend gemachten Beeinträchtigungen keinen flüchtlingsrechtlich erheblichen Grad. Dabei kann sich der Kläger für die eigene Bedrohungslage weder auf dem Tod eines einzelnen Studenten im Zuge einer Wahlversammlung, bei der der Kläger selbst nicht anwesend war, noch auf den gewaltsamen Tod seinen Cousins in den Unruhen 2010/2011 berufen. Beide Ereignisse stehen in keinem unmittelbaren Zusammenhang zu seiner Person oder seinem eigenen politischen Engagement.
Aus den in das Verfahren einbezogenen aktuellen Erkenntnismitteln ergibt sich zudem, dass die RACI am 19. November 2018 unter landesweiter Berichterstattung einen Kongress in Abidjan abgehalten und ohne weitere staatliche oder nicht-staatliche Übergriffe am politischen Leben der Elfenbeinküste teilnimmt. Die Anhänger artikulieren ihre politischen Positionen sowohl gegenüber den Medien als auch im Internet, ohne dass daran regelmäßig Verfolgungsmaßnahmen geknüpft wären. Insgesamt lässt sich deshalb, weder aus dem bisherigen Engagement des Klägers noch aus seiner bloßen Mitgliedschaft bei RACI eine Verfolgungsgefahr ableiten lässt.
Im Übrigen wird auf die bereits im Bundesamtsbescheid angesprochene Möglichkeit des internen Schutzes verwiesen, den der Kläger hätte in Anspruch nehmen können und auch bei einer Rückkehr in die Elfenbeinküste in Anspruch nehmen kann.
1.2 Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG. Danach ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als solcher gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG). Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG gelten dabei die §§ 3c bis 3e AsylG entsprechend. Damit werden die dortigen Bestimmungen über den Vorverfolgungsmaßstab, Nachfluchtgründe, Verfolgungs- und Schutzakteure und internen Schutz als anwendbar auch für die Zuerkennung subsidiären Schutzes erklärt.
Weder für die Vollstreckung noch Verhängung der Todesstrafe noch die Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts kommen in Betracht.
Auch droht dem Kläger zur Überzeugung des Gerichts bei einer Rückkehr in die Elfenbeinküste keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, die zu einer Schutzgewährung gemäß § 4 AsylG führen könnten. Es wird auf die Ausführungen unter 1.1 Bezug genommen.
Der Kläger hat mithin keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes gem. § 4 Abs. 1 AsylG.
1.3 Es liegen auch keine Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vor.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Die Abschiebung eines Ausländers ist danach unzulässig, wenn ihm im Zielstaat unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK droht oder wenn im Einzelfall andere in der Europäischen Menschenrechtskonvention verbürgte, von allen Vertragsstaaten als grundlegend anerkannte Menschenrechtsgarantien in ihrem Kern bedroht sind (vgl. BVerwG, U.v. 24. Mai 2000 – 9 C 34/99 -, juris Rn. 11). Dabei können unter bestimmten Umständen auch schlechte humanitäre Bedingungen eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen. Ist die schlechte humanitäre Lage weder dem Staat noch den Konfliktparteien zuzurechnen, sondern bedingt durch die allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, kommt eine Verletzung von Art. 3 EMRK nur dann in Betracht, wenn ganz außergewöhnliche Umstände in der Person des Antragstellers vorliegen, die über die allgemeine Beeinträchtigung der Lebenserwartung des Antragstellers im Herkunftsland hinausgehen (vgl. EGMR, U.v. 27. Mai 2008 – 26565/05, U.v. 28. Juni 2011 – 8319/07). Solche Umstände sind vom Kläger weder vorgetragen, noch ersichtlich. Mit seiner überdurchschnittlichen Studienbildung und seiner bereits in der Elfenbeinküste erworbene Berufserfahrung kann davon ausgegangen werden, dass der gesunde, junge, arbeitsfähige Kläger in der Lage sein wird, sich in einer der zahlreichen Großstädte der Elfenbeinküste eine den Anforderungen des Art. 3 EMRK entsprechende Existenz aufbauen kann. Für die aktuellen wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen in der Elfenbeinküste sowie die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rückkehrer- und Starthilfen wird nochmals ausdrücklich auf die zutreffenden Ausführungen im verfahrensgegenständlichen Bescheid Bezug genommen.
Gesundheitsbedingte Einschränkungen wurden nicht vorgetragen. Auftreten und Erscheinungsbild des Klägers in der mündlichen Verhandlung gaben zudem keinen Anlass an seiner Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu zweifeln, so dass auch ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht in Betracht kommt.
1.4 Die vom Bundesamt verfügte Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sind nicht zu beanstanden. Die betreffende Entscheidung beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG, § 59 Abs. 1 bis 3 AufenthG, § 38 Abs. 1 AsylG, deren Voraussetzungen hier gegeben sind.
1.5 Schließlich sind auch gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots des § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6 des Bescheids) keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken vorgetragen worden oder sonst ersichtlich. Insbesondere sind keine Ermessensfehler des Bundesamts bei der Bemessung der Frist nach § 11 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 AufenthG zu erkennen.
Somit hatte die Klage insgesamt keinen Erfolg.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.


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