Verwaltungsrecht

Keine Gewähr einstweiligen Rechtsschutzes für einen afghanischen Asylbewerber im Asylfolgeverfahren

Aktenzeichen  M 24 E 18.33442

Datum:
11.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 23825
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 123
VwVfG § 51
AsylG § 3e, § 4, § 71
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Auch wenn bei der Ablehnung eines Asylfolgeantrags als unzulässig in der Hauptsache Anfechtungsklage zu erheben ist (BVerwG BeckRS 2016, 111567), ist dem Interesse des Betroffenen, vorläufig den Vollzug der Abschiebung zu verhindern, mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Folgebescheid nicht gedient. Erfolgt die Abschiebung auf der Grundlage der bereits bestandskräftigen Abschiebungsandrohung aus dem Asylerstbescheid in Verbindung mit der Mitteilung des Bundesamts nach § 71 Abs. 5 S. 2 AsylG, die ein reines Verwaltungsinternum darstellt, ist vorläufiger Rechtsschutz daher durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu gewähren. (Rn. 12) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Eine Änderung auch der höchstrichterlichen Rechtsprechung führt grundsätzlich nicht zu einer Änderung der Rechtslage (vgl. BVerwG BeckRS 2013, 58563). Denn ungeachtet ihrer Auswirkungen stellen gerichtliche Entscheidungen eine rechtliche Würdigung eines bestimmten Sachverhalts am Maßstab der vorgegebenen Rechtsordnung dar und sind demnach weder geeignet noch darauf angelegt, die Rechtslage konstitutiv zu verändern. (Rn. 22) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Unter Berücksichtigung der von UNAMA ermittelten Zahlen ist weiterhin davon auszugehen, dass in ganz Afghanistan die Voraussetzungen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nicht vorliegen (wie BayVGH BeckRS 2018, 6952). (Rn. 26 – 28) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Allgemeine schlechte humanitäre Bedingungen können nach der Rechtsprechung des EGMR nur in außergewöhnlichen Ausnahmefällen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG iVm Art. 3 EMRK begründen, und zwar dann, wenn die humanitären Gründe “zwingend” sind und überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgehen (vgl. BVerwG BeckRS 2013, 49252). Fehlen verantwortliche Akteure, setzt die Annahme einer unmenschlichen Behandlung aufgrund der humanitären Lage und der allgemeinen Lebensbedingungen ein sehr hohes allgemeines Gefährdungsniveau voraus (vgl. BVerwG BeckRS 2013, 54130). (Rn. 34) (red. LS Clemens Kurzidem)
5 Es ist nach wie vor davon auszugehen, dass für einen leistungsfähigen, erwachsenen afghanischen Mann ohne Unterhaltsverpflichtungen im Allgemeinen – wenn nicht individuell erschwerende Umstände hinzutreten – in Afghanistan, insbesondere in Kabul, trotz der schlechten humanitären Bedingungen kein dergestalt hohes Gefährdungsniveau besteht, dass vom Vorliegen einer unmenschlichen Behandlung auszugehen wäre. Dies gilt auch dann, wenn der Betroffene keine familiären oder sozialen Stützungsnetzwerke besitzt (wie VGH BW BeckRS 2018, 7711). (Rn. 35) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger paschtunischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens. Er stammt aus der Südostregion Afghanistans (Provinzen Ghazni und Paktia) und reiste am 20. Juli 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Hier stellte er am 6. August 2014 einen Asylantrag beim Bundesamt für … (…).
Am 19. Oktober 2016 wurde der Antragsteller zu seinem Asylantrag angehört (Bundesamtsakte des Erstverfahrens Blatt 232 ff.)
Mit Bescheid vom 30. März 2017 lehnte das … den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung und auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes ab (Ziffer 1 bis 3) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4). Der Kläger wurde zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland binnen 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. bei Klageerhebung nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens aufgefordert. Ihm wurde bei Nichteinhaltung der Ausreisefrist die Abschiebung nach Afghanistan oder in einen anderen Staat angedroht, in den der Kläger einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist (Ziffer 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Der Bescheid ist bestandskräftig, Klage wurde nicht erhoben.
Am 5. September 2018 stellte der Bevollmächtigte des Antragstellers einen Folgeantrag. Zur Begründung wurde im Wesentlichen geltend gemacht, die Sachlage habe sich nachträglich zugunsten des Antragstellers geändert, da die aktuellen Erkenntnisse davon ausgingen, dass für die Schaffung einer Existenzgrundlage die Unterstützung durch soziale und familiäre Strukturen entscheidend sei, sodass erneut zu prüfen sei, inwieweit dem Antragsteller ein Überleben bzw. eine Existenzsicherung ohne familiäre und soziale Strukturen gelingen würde. Der Antragsteller habe einen Anspruch auf Durchführung eines neuen Asylverfahrens, da bei ihm in Afghanistan mutmaßlich keine familiären und sozialen Strukturen vorhanden seien und außerdem gefahrerhöhende Merkmale vorhanden seien, was die Möglichkeit zur Schaffung einer Existenzgrundlage in Frage stelle. Gefahrerhöhende Merkmale wurden im Einzelnen nicht benannt. Darüber hinaus sei es in letzter Zeit zu einer erheblichen Verschlechterung der Sicherheitslage gekommen, die eine Prüfung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 des Asylgesetzes (AsylG) erforderlich mache. Ebenso sei zu prüfen, inwiefern die vom Bundesverfassungsgericht getroffene Grundsatzentscheidung zu Afghanistan als veränderte Rechtslage eine günstigere Entscheidung für den Antragsteller herbeiführen könne (BVerfG, B.v. 25 April 2018 – 2 BvR 2435/17). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 5. September 2018 Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 7. September 2018 lehnte das … den Antrag als unzulässig ab (Ziffer 1) und lehnte den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 30. März 2017 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) ab (Ziffer 2).
Mit Schriftsatz vom 10. September 2018, bei Gericht per Telefax eingegangen am 10. September 2018, 20:07 Uhr, erhob der Bevollmächtigte des Antragstellers Klage zum Verwaltungsgericht München gegen den Bescheid vom 7. September 2018 und stellte gleichzeitig folgenden Antrag:
„Es wird beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der zuständigen Ausländerbehörde, hier: Regierung von Oberbayern, mitzuteilen, dass der Antragsteller für die Dauer des Asylverfahrens nicht abgeschoben werden darf.“
Zur Begründung wurde vorgetragen, im vorliegenden Fall sei einstweiliger Rechtsschutz im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO statthaft, da Grundlage für den Vollzug der Abschiebung die frühere bestandskräftigen Abschiebungsandrohung in Verbindung mit der an die Ausländerbehörde gerichteten Mitteilung des Bundesamts, ein Asylfolgeverfahren nicht durchzuführen, sei. Diese könne in der Hauptsache nicht mit einer Anfechtungsklage angefochten werden. Zur Begründung nahm der Bevollmächtigte auf den Folgeantrag vom 5. September 2018 Bezug. Ergänzend berief er sich auf die Richtlinie des UNHCR vom 30. August 2018. Der Abschiebungsgrund folge aus der Tatsache, dass der Antragsteller für die am 11. September 2018 stattfindende Sammelabschiebung nach Afghanistan vorgesehen sei und sich bereits in Abschiebehaft befinde.
Das … legte auf elektronischem Wege bereits vorab die Akten des Asylerstverfahrens und des Folgeverfahrens vor, stellte aber keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten dieses Verfahrens sowie des parallelen Klageverfahrens (M 24 K 18. 33443) und die vorgelegten Behördenakten das … Bezug genommen.
II.
Der Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig.
Gegenstand des Verfahrens ist das Begehren des Antragstellers, vorläufig den Vollzug seiner Abschiebung zu verhindern. Im vorliegenden Fall ist einstweiliger Rechtsschutz gemäß § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft. Der streitgegenständliche Bescheid des … vom 7. September 2018 beinhaltet keine Abschiebungsandrohung. Auch wenn hinsichtlich der Ablehnung des Folgeantrags als unzulässig in der Hauptsache die Anfechtungsklage zu erheben ist (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Leitsatz 1), so dass grundsätzlich insoweit einstweiliger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO in Betracht kommt, ist dem Rechtsschutzinteresse des Antragstellers, vorläufig den Vollzug seiner Abschiebung zu verhindern, mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Folgebescheid, allein nicht gedient. Denn die Abschiebung erfolgt auf Grundlage der bereits bestandskräftigen Abschiebungsandrohung aus dem Asylerstbescheid in Verbindung mit der Mitteilung des … an die Ausländerbehörde gemäß § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG. Diese Mitteilung ist jedoch als reines Verwaltungsinternum, kein Verwaltungsakt und kann daher nicht Gegenstand einer Anfechtungsklage sein. Für einen effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) ist daher eine einstweilige Anordnung gem. § 123 VwGO geboten, um das Ziel, bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht abgeschoben zu werden, zu erreichen (§ 123 Abs. 5 VwGO).
Für die Entscheidung über einen solchen Antrag ist das Verwaltungsgericht München als Gericht der Hauptsache sachlich und örtlich nach § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO zuständig. Zur Entscheidung über den Antrag nach § 123 VwGO ist der Berichterstatter als Einzelrichter berufen (§ 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1. Halbs. 2 AsylG).
2. Der Antrag ist unbegründet.
Nach § 123 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragspartei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dabei hat die Antragspartei sowohl die Dringlichkeit einer Regelung (Anordnungsgrund) als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) zu bezeichnen und glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 1 und 2, 294 Zivilprozessordnung – ZPO).
2.1. Wegen der drohenden Abschiebung ist ein Anordnungsgrund im Sinne einer Dringlichkeit gegeben.
2.2. Es fehlt jedoch an einem Anordnungsanspruch.
Das Verwaltungsgericht darf einstweiligen Rechtsschutz nur gewähren, wenn es ernstliche Zweifel daran hat, dass die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen (vgl. BVerfG, B. v. 16.3.1999 – 2 BvR 2131/95 – juris Rn. 1 und 22 mit Verweis auf Art. 16a Abs. 4 GG; Kluth/Heusch in BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.5.2018, § 71 AsylG Rn. 38). Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris).
Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Folgeantrags als unzulässig (Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides) bzw. an der Ablehnung des Antrags auf Abänderung des Erstbescheids hinsichtlich der Feststellungen zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG (Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides). Auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid des … wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend wird ausgeführt:
2.2.1. Auf eine Änderung der Rechtslage kann sich der Antragsteller nicht mit Erfolg berufen.
Die Änderung der Rechtsprechung – auch der höchstrichterlichen – führt grundsätzlich nicht zu einer Änderung der Rechtslage (st. Rspr. vgl. BVerwG, U.v. 11..9.2013 – 8 C 4.12 – juris Rn. 21 m.w.N.; Falkenbach in BeckOK VwVfG, Stand 1.1.2018, § 51 Rn. 37 ff.). Denn ungeachtet ihrer Auswirkungen bleiben gerichtliche Entscheidungen eine rechtliche Würdigung des zugrundeliegenden Sachverhalts am Maßstab der vorgegebenen Rechtsordnung und sind demnach weder geeignet noch darauf angelegt, die Rechtslage konstitutiv zu verändern.
Im Übrigen stellt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Kammerbeschluss vom 25.4.2018 – 2 BvR 2435/17) keine für das Verfahren des Antragstellers relevante „Änderung“ der Rechtsprechung dar. Die Entscheidung setzt sich im Kern mit der Frage auseinander, unter welchen Voraussetzungen im Hinblick auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 AsylG (unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK sowie ernsthafte Bedrohung für Leib und Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts) eine Klage als offensichtlich unbegründet abgewiesen werden darf. Im vorliegenden Fall des Antragstellers ist jedoch gerade keine Offensichtlichkeitsentscheidung ergangen.
2.2.2. Soweit sich der Antragsteller auf eine nachträgliche Änderung der Sachlage zu seinen Gunsten gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG beruft, hat er eine solche nicht glaubhaft machen können. Ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des streitgegenständlichen Bescheids hat das Gericht nicht.
2.2.2.1. Im Hinblick auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (subsidiärer Schutz wegen ernsthafter Bedrohung im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts) ist eine Änderung der Sachlage zugunsten des Antragstellers nicht glaubhaft gemacht.
Dabei ist für die Ermittlung der ernsthaften Bedrohung im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts von den Grundsätzen auszugehen, die das Bundesverwaltungsgericht aufgestellt hat und die nach wie vor Gültigkeit haben (U.v. 24. Juni 2008 – 10 C 43.07 – BVerwGE 131, 198 = NVwZ 2008, 1241). Danach ist zu prüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende Gefahr in der Person des Ausländers so verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Gefahr im Sinne dieses Abschiebungsverbots darstellt. Hinsichtlich der Gefahrendichte ist auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen (BverwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9.08 – BVerwGE 134, 188 = NVwZ 2010, 196 Rn. 17). Zur Feststellung der Gefahrendichte ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung erforderlich (BVerwG, U. v. 27.4.2010 – 10 C 4/09 – Rn. 33, BVerwGE 136, 360; juris). Insoweit hat das Bundesverwaltungsgericht eine Gefahrendichte von 1 : 800 als immer noch weit entfernt von der Schwelle zur im Sinne des subsidiären Schutzes beachtlichen Wahrscheinlichkeit eingestuft (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – NVwZ 2012, 454, juris Rn. 22-23). Es ist dann ohne Hinzutreten individueller Umstände, im Normalfall nicht davon auszugehen, dass ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt eine solche Gefahrendichte hat, dass alle Bewohner des betroffenen Gebiets ernsthaft persönlich betroffen sein werden (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2012 – 13a B 11.30391 – juris Rn. 14). Eine Individualisierung kann sich allerdings bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben. Dazu gehören einerseits persönliche Umstände, die den Ausländer von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen – zum Beispiel als Arzt oder Journalist – gezwungen ist, sich in der Nähe von Gefahrenquellen aufzuhalten (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2012 – 13a B 11.30391 – juris Rn. 14). Möglich sind aber andererseits auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Ausländer als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte – etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit – ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht bereits die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2012 – 13a B 11.30391 – juris Rn. 14).
Für die Südostregion Afghanistans, aus der der Antragsteller stammt, ergibt sich aus den aktuellen Erkenntnismitteln eine Gesamtbevölkerung von 2.823.063 (Ghazni: 1.228.831; Paktya: 570.534; Khost: 574.582; Paktika: 449.116) Menschen (vgl. EASO Country of Origin Information Report, Afghanistan, Security Situation, Dezember 2017, S. 118,217,169,211). Dabei wurden im Jahr 2017 in der Südostregion insgesamt 1183 Tote und Verletzte gezählt (vgl. UNAMA, Annual Report 2017, Protection of Civilians in Armed Conflict, Februar 2018, S. 7). Das sich aus diesen Zählungen für die Westregion ergebende Verhältnis der Zahl ziviler Opfer zur Anzahl der dort lebenden Personen ist mit 0,041% deutlich kleiner als 1:800 (0,125%). Eine signifikante Erhöhung der Opferzahlen im aktuellen Berichtszeitraum Januar bis Juni 2018 lässt sich dem Midyear Report 2018 der UNAMA (dort S.1) nicht entnehmen, vielmehr ist die Zahl im Vergleich zum ersten Halbjahr 2017 leicht gesunken.
Soweit Zweifel an der Belastbarkeit der von der UNAMA gemeldeten und der Berechnung der Gefahrendichte zugrunde gelegten Opferzahlen geäußert werden, ist schon nicht substantiiert dargetan, auf welcher Grundlage bzw. mit welcher Methode eine aussagekräftigere Datengrundlage erlangt werden könnte, um die vom Bundesverwaltungsgericht geforderte quantitative Bewertung vorzunehmen. Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof legt in ständiger Rechtsprechung die von UNAMA ermittelten Zahlen zugrunde (vgl. BayVGH B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris Rn. 7; B.v. 4.8.2017 – 13a ZB 17.30791 – juris Rn. 7; B.v. 25.7.2017 – 13a ZB 17.30727 – juris Rn. 17) und geht in seiner aktuellen Rechtsprechung weiterhin davon aus, dass ganz Afghanistan die Voraussetzungen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nicht vorliegen (vgl. BayVGH, B.v. 29.11.2017 – 13a ZB 17.31251 – juris Rn. 6; B.v. 4.8.2017 – 13a ZB 17.30791 – juris Rn. 6 ff. m.w.N.; B.v. 12.4.2018 – 13a ZB 18.30135 – juris Rn. 5 ff. mit Verweis auf VGH BW, U.v. 5.12.2017 – A 11 S 1144/17 – juris) .
Auch die UNHCR-Richtlinie vom 30. August 2018 enthält – unter Berücksichtigung der Anschläge des sog. „Islamischen Staates“ und der Taliban vom 5. und 6. September 2018 – keine neuen maßgeblichen Erkenntnisse, die dazu führen würden, dass sich die Gefahr des Antragstellers so verdichtet hätte, dass sie eine erhebliche individuelle Gefahr für ihn darstellen würde. Hinsichtlich der Opferzahlen wird auch in der UNHCR-Richtlinie vom 30. August 2018 auf die aktuellen UNAMA-Berichte Bezug genommen.
Individuelle gefahrerhöhende Umstände, die eine abweichende Bewertung der Gefahrendichte gebieten würden, wurden nicht vorgetragen.
Das Gericht hat nach alledem keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids im Hinblick auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
2.2.2.2. Auf eine nachträgliche Änderung der Sachlage im Hinblick auf subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG (ernsthafte Bedrohung durch Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung) hat der Antragsteller sich nicht ausdrücklich berufen, gleichwohl jedoch in seinem Folgeantrag eine Änderung der Bewertung von Kabul als Ort internen Schutzes im Sinne von § 3e AsylG erwähnt. Im Hinblick darauf sei vorsorglich darauf hingewiesen, dass das … im Erstbescheid die Ablehnung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG nicht allein auf die Möglichkeit internen Schutzes gestützt hat, sondern auch darauf, dass der Antragsteller staatliche Hilfe hätte in Anspruch nehmen können. Eine Änderung der Sachlage in Bezug auf die Zumutbarkeit von Kabul als Ort internen Schutzes würde schon deswegen nicht zu einer für den Antragsteller günstigeren Entscheidung führen, weil dies nicht der allein tragende Grund der Ablehnungsentscheidung war. Im Übrigen wäre dann weiter zu prüfen, ob dem Kläger andernorts ein interner Schutzort zur Verfügung stünde.
2.2.2.3. Auch in Bezug auf § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids. Eine relevante Verschlechterung der Verhältnisse im Heimatland gegenüber dem Asylerstverfahren wurde nicht glaubhaft gemacht und ist auch nicht ersichtlich.
Allgemein schlechte humanitäre Bedingungen können nach der Rechtsprechung des EGMR in außergewöhnlichen Ausnahmefällen ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründen, und zwar jedenfalls dann, wenn die humanitären Gründe „zwingend“ sind und überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgehen (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23 ff. mit Verweis u.a. auf EGMR, U.v. 21.1.2011 – Nr. 30696/09 – M.S.S./Belgien – NVwZ 2011, 413; v. 28.6.2011 – Nr. 8319/07 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, NVwZ 2012, 681). Aber auch dann, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, weil es an einem verantwortlichen Akteur fehlt, können schlechte humanitäre Bedingungen im Zielstaat dennoch als Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK zu qualifizieren sein, wenn ganz außerordentliche individuelle Umstände hinzutreten. Die Annahme einer unmenschlichen Behandlung allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen setzt allerdings ein sehr hohes Gefährdungsniveau voraus (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – juris Rn. 24 f.; BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris Rn. 19; B.v. 30.9.2015 – 13a ZB 15.30063 – juris Rn. 5; VGH Baden-Württemberg, U.v. 24.7.2013 – A 11 S 697/13 – juris Rn. 79ff.).
Diesen strengen Maßstab zugrunde gelegt, hat die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg nach wie vor Gültigkeit, wonach für einen leistungsfähigen, erwachsenen, afghanischen Mann ohne Unterhaltsverpflichtung im Allgemeinen – wenn nicht besondere individuell erschwerende Umstände hinzukommen – in Afghanistan, insbesondere auch in Kabul, trotz der schlechten humanitären Bedingungen kein solches hohes Gefährdungsniveau besteht und zwar auch dann nicht, wenn keine familiären oder sozialen Stützungsnetzwerke vorhanden sind (VGH BW, U.v. 11.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris Rn. 334 ff.; U.v. 9.11.2017 – A 11 S 789/17 – juris Rn. 235 ff; BayVGH, B.v. 12.4.2018 – 13a ZB 18.30135 – juris; B.v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris Rn. 5; B.v. 6.3.2017 – 13a ZB 17.30099 – juris Rn. 11; B.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn.12).
Besondere individuell erschwerende Umstände im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sind vom Antragsteller weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Soweit sich der Antragsteller zum Beleg einer veränderten Sachlage auf die in der Entscheidung des VGH Baden-Württemberg (U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris) zitierten Erkenntnismittel, insbesondere auch die Einschätzungen von Friderike Stahlmann, beruft, kann er daraus nichts zu seinen Gunsten herleiten, da sich daraus eine Veränderung der Sachlage nach Einschätzung des VGH Baden-Württemberg, der sich das erkennende Gericht anschließt (s.o.), gerade nicht ergibt. Vielmehr hat der VGH Baden-Württemberg unter Berücksichtigung der zugrunde gelegten Erkenntnisse an seiner bisherigen Auffassung festgehalten, wonach leistungsfähige erwachsene Männer ohne Unterhaltsverpflichtungen auch ohne stützendes familiäres oder soziales Netzwerk nicht dem erforderlichen Gefährdungsniveau ausgesetzt sind.
Die dem Gericht vorliegenden neueren Erkenntnismittel begründen keine ernstlichen Zweifel an dieser Einschätzung.
Auch wenn in diesen die Situation im Hinblick auf Sicherheit und humanitäre Bedingungen durchwegs als schlecht bzw. sich verschlechternd dargestellt wird (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 31. Mai 2018 S. 25; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan, 30. August 2018, S. 31 f.; EASO Report, Afghanistan Security Situation – Update, Mai 2018), ist nicht ersichtlich, dass die geschilderten Verhältnisse die o.g. hohe Schwelle erreichen, die erforderlich wäre, um ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu begründen. An der grundsätzlich bestehenden Existenzmöglichkeit für alleinstehende, leistungsfähige Männer – in Abhängigkeit des jeweils bestehenden Einzelfalls – hält auch der UNHCR weiterhin fest (UNHCR-Richtlinie vom 30. August 2018, S. 110), sieht jedoch Kabul als Ort internen Schutzes im Sinne von § 3e AsylG für nicht geeignet an (a.a.O., S. 112). Dabei ist zu sehen, dass daraus nicht ohne weiteres gefolgert werden kann, dass die Gefahrenschwelle eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG erreicht ist. Denn bei der Frage, ob einem Ausländer die Niederlassung an einem internen Schutzort im Sinne von § 3e AsylG (bzw. i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG) zumutbar ist, ist ein anderer – weniger strenger – Maßstab anzusetzen als bei den nationalen Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Denn wer sich „vernünftigerweise“ am Zufluchtsort niederlässt, darf mehr erwarten als ein „Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums“ (BVerwG, B.v. 31.7.2002 – 1 B 128/02 – juris Rn. 2). Im Hinblick auf die Einschätzungen des UNHCR hat im Übrigen der bayerische Verwaltungsgerichtshof bereits in früheren Entscheidungen darauf hingewiesen, dass die dortige Bewertung auf den vom UNHCR selbst angelegten Maßstäben beruhe (vgl. BayVGH B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris Rn. 8). Anders als der UNHCR sieht die EASO auch in ihrer jüngsten Einschätzung (EASO, Country Guidance: Afghanistan – Guidance note and common analysis, Juni 2018, S. 106 f.) Kabul zumindest für solche leistungsfähigen jungen Männer als geeignete Schutzalternative an, die – wie der Antragsteller – früher in Afghanistan gelebt haben, unabhängig davon, ob ihnen ein Unterstützungsnetzwerk zur Verfügung steht.
Soweit der Bevollmächtigte des Antragstellers weitere Einzelauskünfte mit Internetfundstellen benannt, aber nicht vorgelegt hat, ist dem Gericht ein Auffinden dieser Dokumente im Internet unter zumutbarem Zeitaufwand nicht möglich, insoweit fehlt es an der Glaubhaftmachung.
Soweit das Schweizer Bundesverwaltungsgericht in der vom Bevollmächtigten zitierten Entscheidung vom 13. Oktober 2017 zur Einschätzung gelangt, ein „Wegweisungsvollzug“ sei unzumutbar im Sinne von „Art. 83 Abs. 4 AuG“, ist diese Entscheidung für das erkennende Gericht nicht bindend. Es ist im Übrigen auch nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich, inwieweit der Zumutbarkeitsmaßstab, den das dortige Gericht angelegt hat, mit dem im vorliegenden Verfahren anzulegenden Maßstab vergleichbar ist.
Insgesamt wurde daher unter Berücksichtigung der verfügbaren aktuellen Erkenntnismittel eine relevante Verschlechterung der Sachlage im Hinblick auf Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht glaubhaft gemacht.
3. Der Antrag ist mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben