Verwaltungsrecht

Keine Gewähr internationalen Schutzes durch italienischen humanitären Aufenthaltstitel für nigerianischen Aylbewerber

Aktenzeichen  Au 7 K 17.30260

Datum:
25.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29 Abs. 1, § 76 Abs. 1, § 71a, § 77 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Wird einem Asylbewerber in Italien lediglich eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erteilt, besitzt er keinen internationalen Schutz iSv § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Sein in der Bundesrepublik gestellter Asylantrag kann daher nicht nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt werden. (Rn. 28 – 31) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG kann nicht in eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG umgedeutet werden, da es sich prozessual um einen anderen Streitgegenstand mit für den betroffenen ungünstigeren Rechtsfolgen handelt (vgl. BVerwG BeckRS 2015, 55772). (Rn. 33) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Führt eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zur Überstellung des Ausländers in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union, hat eine einen Asylantrag als Zweitantrag ablehnende Entscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG iVm § 71a AsylG zur Folge, dass der Asylantrag des Betroffenen von keinem anderen Staat weiter geprüft und er ggf. in seinen Heimatstaat abgeschoben werden könnte. (Rn. 34) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 9. Januar 2017 (Gesch.Z.: …) wird aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Parteien tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens je zur Hälfte.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Gemäß § 101 Abs. 2 VwGO konnte über die Klage ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da alle Beteiligten – der Kläger durch Erklärung seines Bevollmächtigten vom 13. April 2017, die Beklagte durch allgemeine Prozesserklärung – auf eine mündliche Verhandlung verzichtet haben.
1. Die Klage ist nur zum Teil zulässig.
Das Bundesamt hat im angefochtenen Bescheid unter Ziffer 1 („Der Asylantrag ist unzulässig“) eine rechtsgestaltende Regelung über die Unzulässigkeit des Asylantrags gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) getroffen; hiergegen ist die Anfechtungsklage die allein statthafte Klageart (BVerwG, U.v. 9.8.2016 – 1 C 6/16 – NVwZ 2016, 1492-​1495, juris; U.v. 27.10.2015 – 1 C 32.14 – BVerwGE 153, 234-246, juris). Damit erweist sich die Verpflichtungsklage (Klageantrag Nr. 1 der Klageschrift vom 20.1.2017) als unzulässig.
2. Soweit die Klage als Anfechtungsklage zulässig ist, hat sie auch in der Sache Erfolg.
Der Bescheid des Bundesamts vom 9. Januar 2017 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Voraussetzungen, unter denen ein Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG wegen der Gewährung internationalen Schutzes durch einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union unzulässig ist, liegen nicht vor (nachfolgend unter a)). Die (Unzulässigkeits-​) Entscheidung kann nicht auf anderer Rechtsgrundlage aufrechterhalten bleiben (nachfolgend unter b)). Damit fehlt es auch an den Voraussetzungen für den Erlass der streitgegenständlichen Abschiebungsandrohung (nachfolgend unter c)).
Da es sich vorliegend um eine asylrechtliche Streitigkeit handelt, ist nach § 77 Abs. 1 AsylG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt dieser Entscheidung abzustellen. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens ist damit das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert mit Wirkung vom 10. November 2016 durch das Fünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung vom 4. November 2016 (BGBl. I S. 2460).
a) Die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG liegen nicht vor. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedsstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, gewährt hat.
Die Kläger haben in Italien entgegen der Behauptung des Bundesamtes keinen internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (Flüchtlingsschutz oder subsidiären Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011[EU-Qualifikationsrichtlinie, ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9]), erhalten. Vielmehr ergibt sich aus den in der Bundesamtsakte befindlichen „permesso di soggiorno“ (Bl. 52 der Bundesamtsakte) ganz eindeutig, dass den Klägern (nur) ein Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen (motivi umanitari) zugebilligt worden war. Dasselbe ergibt sich aus den von den Antragstellern zu 1 und 2 vorgelegten beiden Entscheidungen der italienischen Behörde („La Commissione Territoriale per il Riconoscimento della Protezione Internazionale – Siracusa“) vom 12. September 2011 über deren Asylanträge. Diese Entscheidungen enthalten jeweils den eindeutigen Ausspruch, dass internationaler Schutz nicht gewährt wird („DECIDE: di non riconoscere la protezione internazionale“), jedoch (unter Berücksichtigung der bestehenden Schwangerschaft der Klägerin zu 2) humanitärer Schutz („protezione umanitaria“) zugebilligt wird.
Eine solche Aufenthaltsgestattung aus humanitären Gründen beruht auf (nationalem) italienischem Recht und wird gerade dann erteilt, wenn die italienischen Behörden davon ausgehen, dass die Voraussetzungen für die Gewährung internationalen Schutzes nicht erfüllt werden (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Leitfaden Italien, Aktualisierte Fassung Oktober 2014, S. 22, abrufbar unter http: …www.b…de).
Damit liegen die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht vor.
b) Ziffer 1 des Bescheids kann auch nicht auf anderer Rechtsgrundlage aufrechterhalten bleiben. Hierzu wird Bezug genommen auf die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 9. August 2016 (Az.: 1 C 6/16, NVwZ 2016, 1492-​1495, juris Rn. 21):
abei kann dahinstehen, ob der Asylantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG unzulässig ist, weil es sich um einen Zweitantrag handelt und die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71a AsylG nicht vorliegen. Denn bei einer auf § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG in Verbindung mit § 71a AsylG gestützten (Unzulässigkeits-​) Entscheidung würde es sich prozessual um einen anderen Streitgegenstand mit für den Kläger ungünstigeren Rechtsfolgen handeln, weil sie zur Folge hätte, dass der (Zweit-​)Antrag des Klägers auch von keinem anderen Staat geprüft würde und er grundsätzlich in jeden zu seiner Aufnahme bereiten Staat einschließlich seines Herkunftslands abgeschoben werden könnte (BVerwG, Urteil vom 16. November 2015 – 1 C 4.15 – Buchholz 451.902 Europ Ausländeru Asylrecht Nr. 78 Rn. 26 ff.). Die Regelung in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids kann auch nicht in eine andere (rechtmäßige) Entscheidung umgedeutet werden.“
Zwar erging das o.g. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu einer (rechtswidrigen) Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamts, die auf § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG (anderweitige internationaler Zuständigkeit zur Prüfung des Asylantrags) gestützt wurde. Die obigen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts können aber auch auf den hier vorliegenden Fall einer auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützten Unzulässigkeitsentscheidung übertragen werden. Denn eine Umdeutung scheitert auch im vorliegenden Fall daran, dass die Rechtsfolgen einer Entscheidung nach § 71a AsylG für die Kläger ungünstiger wären. Dabei sind nicht nur die unmittelbaren, sondern auch die mittelbaren Rechtsfolgen der Entscheidung in den Blick zu nehmen. Folglich ist zu berücksichtigen, dass eine Entscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nur zur Überstellung des Ausländers in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union führt, in dem der Ausländer bereits internationalen Schutz erhalten und damit bereits ein Aufenthaltsrecht erworben hat. Eine die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ablehnende Entscheidung nach § 71a AsylG hätte hingegen zur Folge, dass der Asylantrag auch von keinem anderen Staat weiter geprüft würde und der Betroffene – nach Erlass einer entsprechenden Abschiebungsandrohung und vorbehaltlich des Bestehens eines nationalen Abschiebungsverbotes – in jeden zu seiner Aufnahme bereiten Staat einschließlich seines Herkunftslands abgeschoben werden könnte. Die Regelung in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids kann schließlich auch nicht in eine andere (rechtmäßige) Entscheidung umgedeutet werden.
c) Hat das Bundesamt den Asylantrag zu Unrecht nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt und ist der Bescheid insoweit aufzuheben, liegen auch die Voraussetzungen für eine Abschiebungsandrohung nach § 35 AsylG (hier: Abschiebezielstaat Italien) nicht vor.
3. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO; Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 AsylG).
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.


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