Verwaltungsrecht

Keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache

Aktenzeichen  11 ZB 17.31238

Datum:
5.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 136928
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4, § 80, § 83b
VwGO § 154 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Die grundsätzliche Bedeutung der Fragen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG), ob es einen Asylgrund darstellt, wenn man in der Gefahr steht, auf eigene Angehörige schießen zu müssen, und ob diese Gefahr ausreicht, um sich ihr legitimerweise durch Flucht zu entziehen, oder ob noch weitere tiefgreifende Gewissensgründe hinzutreten müssen, ist bei pauschaler Annahme, dass “die hinreichend große Gefahr, in einem sich im (Bürger-) Krieg befindlichen Land zum Militär eingezogen zu werden, … sicher nicht weiter erörterungsbedürftig“ sei, nicht hinreichend dargelegt iSd § 78 Abs. 4 S. 4 AsylG. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die daneben aufgeworfenene “Frage nach der inländischen Fluchtalternative“ wäre für eine hinreichende Darlegung iSd § 78 Abs. 4 S. 4 AsylG erforderlich gewesen, dass sich die ukrainischen Kläger substantiiert und unter Bezeichnung konkreter Erkenntnismittel mit den diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen und eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür aufzeigen, dass die gerichtlichen Annahmen unzutreffend sind. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 9 K 16.33032 2017-07-26 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nicht hinreichend dargelegt ist.
Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, ist; ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. Happ in Eyermann, a.a.O. § 124a Rn. 72; Meyer-Ladewig/Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Oktober 2016, § 124a Rn. 102 ff.; Berlit in GK-AsylG, Stand Oktober 2017, § 78 Rn. 88 m.w.N.). Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (vgl. BayVGH, B.v. 1.6.2017 – 11 ZB 17.30602 – juris Rn. 2; OVG NW, B.v. 9.10.2017 – 13 A 1807/ 17.A
– juris Rn. 5; B.v. 12.12.2016 – 4 A 2939/15.A – juris Rn. 7 m.w.N.; Berlit, a.a.O., § 78 Rn. 609 ff.). Ist die angegriffene Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, setzt die Zulassung der Berufung voraus, dass für jeden dieser Gründe die Zulassungsvoraussetzungen erfüllt sind (Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 124a Rn. 7).
Hieran gemessen ist die grundsätzliche Bedeutung der von den Klägern aufgeworfenen Fragen, ob es einen Asylgrund darstellt, wenn man in der Gefahr steht, auf eigene Angehörige schießen zu müssen, und ob diese Gefahr ausreicht, um sich ihr legitimerweise durch Flucht zu entziehen, oder ob noch weitere tiefgreifende Gewissensgründe hinzutreten müssen, nicht hinreichend dargelegt. Eine § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügende Darlegung von Berufungszulassungsgründen erfordert eine substantielle Erörterung des in Anspruch genommenen Zulassungsgrundes (vgl. Happ in Eyermann, a.a.O. § 124a Rn. 59), wobei „darlegen“ schon nach allgemeinem Sprachgebrauch mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis bedeutet; „etwas darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (BVerwG, B.v. 9.3.1993 – 3 B 105/92 – juris Rn. 3 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt die pauschale Annahme der Kläger, dass „die hinreichend große Gefahr, in einem sich im (Bürger-)Krieg befindlichen Land zum Militär eingezogen zu werden, … sicher nicht weiter erörterungsbedürftig“ sei, nicht. Die Furcht vor Verfolgung ist nur dann begründet, wenn die Verfolgungsgefahr aufgrund der im Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht der individuellen Lage des Betroffenen tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (vgl. BayVGH, U.v. 24.8.2017 – 11 B 17.30392 – juris Rn. 16 m.w.N.), was im konkreten Einzelfall zu prüfen und festzustellen und in einem Zulassungsantrag darzulegen ist. Eine Erörterung wäre insbesondere vor dem Hintergrund geboten gewesen, dass der Senat in der Entscheidung vom 24. August 2017 auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Einberufung eines Reservisten zur ukrainischen Armee verneint hat, was erst recht für Personen zu gelten hat, die wie der Kläger zu 1. nicht mehr im wehrpflichtigen Alter sind (vgl. dazu Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 7.2.2017, S. 9) und noch keinen Grundwehrdienst abgeleistet haben.
Die grundsätzliche Bedeutung der weiter aufgeworfenen „Frage nach der inländischen Fluchtalternative“ ist ebenfalls nicht ansatzweise hinreichend dargelegt. Mit dem Vortrag, die ukrainische Regierung habe keine Einflussmöglichkeiten in der Ostukraine, Geldtransfers aus der Ostukraine seien nicht möglich und die Kläger verstünden angeblich die ukrainische Sprache nicht (anders noch die eigenen Angaben der Kläger bei ihrer Asylantragstellung am 2.10.2014), ist die auf unterschiedliche Auskünfte gestützte gerichtliche Darlegung der Situation der Binnenvertriebenen in den unter staatlicher ukrainischer Kontrolle stehenden Landesteilen nicht in Zweifel gezogen. Insoweit wäre erforderlich gewesen, dass sich die Kläger substantiiert und unter Bezeichnung konkreter Erkenntnismittel mit den diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen und eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür aufzeigen, dass die gerichtlichen Annahmen unzutreffend sind.
Im Übrigen sind die Einwände, soweit sie sich gegen die gerichtliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) wenden, dem sachlichen Recht zuzurechnen (vgl. BVerwG, B.v. 1.2.2010 – 10 B 21/09 – juris Rn. 13). Sie richten sich in Wahrheit gegen die materielle Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, was nach der abschließenden Sonderregelung des § 78 Abs. 3 AsylG nicht zur Zulassung der Berufung führen kann
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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