Verwaltungsrecht

Keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache eines afghanischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  13a ZB 19.32217

Datum:
5.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 17636
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 78 Abs. 3 Nr. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. Wenn das Verwaltungsgericht Feststellungen zu einer Tatsachenfrage mit von ihm benannten Erkenntnisquellen begründet hat, muss zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit eine fallbezogene Auseinandersetzung mit diesen Erkenntnisquellen erfolgen (BayVGH, B.v. 4.4.2019 – 13a ZB 18.30490, BeckRS 2019, 7309). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung genügt nicht allein der Verweis auf Erkenntnismittel und sonstige Unterlagen, ohne dass der Kläger konkret darlegt, inwieweit welche darin enthaltenen Angaben zu einer Neubewertung der Gefahrendichte nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (u.a. auch zur quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos)führen sollen. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende volljährige, alleinstehende und arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige ist angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit weiterhin nicht von einer Gefahrenlage auszugehen, die zur Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG oder eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918, BeckRS 2018, 37517 in Fortführung der bisherigen Rechtsprechung) (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 6 K 17.32699 2019-02-12 VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 12. Februar 2019 hat keinen Erfolg. Zulassungsgründe nach § 78 Abs. 3 AsylG sind nicht gegeben.
Der Kläger hat seinen Zulassungsantrag damit begründet, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). So sei klärungsbedürftig, „ob aufgrund der veränderten Gefahrenlage in Afghanistan ein so hoher Gefahrengrad erreicht ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre,“ und „ob die Hauptstadt Kabul angesichts der sich häufenden Anschläge immer noch als ein Ort angesehen werden kann, der als interne Schutzmöglichkeit in Afghanistan geeignet ist.“ Die seitens des Verwaltungsgerichts herangezogenen Zahlen und Statistiken zum Grad der Gefahrenlage für Zivilisten seien veraltet. Unter Hinweis auf diverse Berichte (v.a. UNHCR-Richtlinien; Berichte der UN; UNAMA; Vilmar, Migazin v. 5.10.2017; Zeit v. 5.10.2017; Schweizerische Flüchtlingshilfe v. 14.9.2017; Auswärtiges Amt v. 31.5.2018; Spiegel-Online v. 8.5.2019) wird vorgetragen, dass sich die Sicherheitslage und die humanitäre Lage für die Zivilbevölkerung in Afghanistan in den letzten drei Jahren massiv verschlechtert habe. Aus diesem Grund sei eine einheitliche höhergerichtliche Rechtsprechung hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan insbesondere für die Hauptstadt Kabul dringend erforderlich.
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 36). Die Grundsatzfrage muss nach Maßgabe des Verwaltungsgerichtsurteils rechtlich aufgearbeitet sein. Dies erfordert regelmäßig eine Durchdringung der Materie und eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2019 – 13a ZB 19.30070 – juris Rn. 5; B.v. 21.12.2018 – 13a ZB 17.31203 – juris Rn. 4; B.v. 13.8.2013 – 13a ZB 12.30470 – juris Rn. 4 m.w.N.).
Hiervon ausgehend hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung.
Der Kläger verfehlt insoweit die Darlegungsanforderungen aus § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, als er sich im Zulassungsantrag nicht hinreichend mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts zur Sicherheitslage (UA S. 7 f.) auseinandersetzt. Er verweist vielmehr lediglich auf diverse Berichte, ohne konkret aufzuzeigen, welche in diesen enthaltenen Angaben im Einzelnen von welchen Annahmen im Urteil des Verwaltungsgerichts abweichen sollen. Insbesondere muss, wenn das Verwaltungsgericht Feststellungen zu einer Tatsachenfrage mit von ihm benannten Erkenntnisquellen begründet hat, zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit eine fallbezogene Auseinandersetzung mit diesen Erkenntnisquellen erfolgen (BayVGH, B.v. 4.4.2019 – 13a ZB 18.30490 – juris Rn. 6 m.w.N.). Ebenso wenig genügt der Verweis auf Erkenntnismittel und sonstige Unterlagen, ohne dass der Kläger konkret darlegt, inwieweit welche darin enthaltenen Angaben zu einer Neubewertung der Gefahrendichte nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts führen sollen (u.a. auch quantitative Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos, vgl. dazu BVerwG, U.v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – NVwZ-RR 2014, 487 – juris Rn. 24; B.v. 27.6.2013 – 10 B 11.13 – juris Rn. 7; U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – NVwZ 2012, 454 – juris Rn. 23; U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – BVerwGE 136, 360 – NVwZ 2011, 56 – juris Rn. 33).
Unbeschadet dessen sind die klägerseitig aufgeworfenen Fragen auch nicht klärungsbedürftig. Es ist in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende volljährige, alleinstehende und arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit weiterhin nicht von einer Gefahrenlage auszugehen ist, die zur Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG oder eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris Rn. 14 ff. in Fortführung der bisherigen Rechtsprechung; vgl. auch BayVGH, B.v. 21.12.2018 – 13a ZB 17.31203 – juris Rn. 6 m.w.N.; B.v. 20.2.2018 – 13a ZB 17.31970 – juris Rn. 6 m.w.N.).
Der Zulassungsantrag gibt insoweit keinen Anlass zu einer erneuten Überprüfung. Soweit der Kläger auf einige Berichte Bezug nimmt, ist darauf hinzuweisen, dass sich der Verwaltungsgerichtshof im oben genannten Urteil vom 8. November 2018 (13a B 17.31918 – juris) explizit mit den neuesten Erkenntnismitteln wie etwa dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 31. Mai 2018, den UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018, dem UNAMA-Bericht vom 10. Oktober 2018 und dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 12. September 2018 auseinandergesetzt und diese bei seiner Bewertung u.a. der Sicherheitslage berücksichtigt hat.
Auch aus den UNAMA-Berichten vom 24. Februar 2019 (UNAMA, Afghanistan Annual Report on Protection of Civilians in Armed Conflict: 2018) und 30. Juli 2019 (UNAMA, Midyear Update on the Protection of Civilians in Armed Conflict: 1 January to 30 June 2019) ergibt sich kein erneuter Überprüfungsbedarf: Die im Bericht vom 24. Februar 2019 ausgewiesenen zivilen Opferzahlen für das Jahr 2018 bewegen sich auf einem mit den Vorjahren vergleichbaren Niveau, das auch dem genannten Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 8. November 2018 (13a B 17.31918 – juris Rn. 24) zugrunde lag (konfliktbedingtes Schädigungsrisiko für Afghanistan insgesamt von 1:2.456 bei 10.993 zivilen Opfern und einer Einwohnerzahl von 27 Mio. Menschen). Laut dem UNAMA-Bericht vom 30. Juli 2019 sind die zivilen Opferzahlen im ersten Halbjahr 2019 (3.812 Getötete und Verletzte) im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 27 v.H. zurückgegangen und haben den niedrigsten Stand für ein erstes Halbjahr seit 2012 erreicht. Zwar haben die UN in einer Pressemitteilung vom 3. August 2019 mitgeteilt, dass die zivilen Opferzahlen im Juli 2019 auf über 1.500 Getötete und Verletzte und damit die höchste Anzahl in einem Monat dieses Jahres sowie seit Mai 2017 angestiegen sind (https://unama.unmissions.org/un-reminds-parties-their-responsibility-protect-civilians-civilian-casualty-rates-spike-july). Aber auch bei Zugrundelegung und Hochrechnung dieser Zahlen bleibt das Schädigungsrisiko deutlich unterhalb von 1:800 (1:2.107 bei 3.812 Opfern im ersten Halbjahr und hochgerechneten 9.000 Opfern im zweiten Halbjahr 2019 und 27 Mio. Einwohnern) und damit weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – NVwZ 2012, 454 – juris Rn. 22 f.).
Soweit der Kläger mit seiner zweiten Frage auf das Nichtbestehen einer inländischen Fluchtalternative in Kabul nach (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m.) § 3e AsylG abzielt, kann dem bereits deshalb keine grundsätzliche Bedeutung zukommen, da sie einer allgemeinen Klärung nicht zugänglich ist. Ihre Beantwortung hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere den individuellen Verhältnissen des jeweiligen Klägers ab, vgl. § 3e Abs. 2 AsylG i.V.m. Art. 4 Richtlinie 2011/95/EU (vgl. BVerwG, B.v. 21.9.2016 – 6 B 14.16 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 24.1.2019 – 13 a ZB 19.30070 – juris Rn. 6; B.v. 5.7.2018 – 15 ZB 18.31513 – juris Rn. 8; B.v. 3.11.2017 – 13a ZB 17.31228 – juris Rn. 12; OVG NW, B.v. 29.9.2018 – 13 A 3333/18.A – juris Rn. 8-13; B.v. 20.6.2017 – 13 A 903/17.A – juris Rn. 16-19).
Sollte der Kläger vorliegend auch und gerade rügen, dass das Verwaltungsgericht in seinem Fall zu Unrecht die Voraussetzungen eines Schutzstatus verneint habe, ist darauf hinzuweisen, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils keinen Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 3 AsylG darstellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.


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