Verwaltungsrecht

Keine Gruppenverfolgung der Oromo in Äthiopien

Aktenzeichen  Au 1 K 17.32523

Datum:
15.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 30703
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
AsylG § 3 Abs. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Volkszugehörige der Oromo sind keiner an ihre Volkszugehörigkeit anknüpfenden politischen Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG ausgesetzt.  (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 Zwar sind Frauen in Äthiopien in besonderem Maße dem Risiko vor Übergriffen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter ausgesetzt, gleichwohl kann von einer Gruppenverfolgung nicht ausgegangen werden, da nicht für jede Frau in Äthiopien ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eines Übergriffs in diese Rechtsgüter besteht.  (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf die Gewährung subsidiären Schutzes. Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 20. April 2017 ist auch hinsichtlich der Ausreiseaufforderung, der Abschiebungsandrohung und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird insoweit in vollem Umfang Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft i. S. des § 3 Abs. 1 AsylG.
a) Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 -Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Dabei kann die Verfolgung i. S. des § 3 AsylG nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten. Eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommt jedoch nicht in Betracht, wenn eine zumutbare landesinterne Fluchtalternative zur Verfügung steht (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Die Tatsache, dass der Ausländer bereits verfolgt oder von Verfolgung unmittelbar bedroht war, ist dabei ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, wenn nicht stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass er neuerlich von derartiger Verfolgung bedroht ist. Hat der Asylbewerber seine Heimat jedoch unverfolgt verlassen, kann sein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn ihm auf Grund von Nachfluchttatbeständen eine Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dabei ist es Sache des Ausländers, die Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei genügt für diesen Tatsachenvortrag aufgrund der typischerweise schwierigen Beweislage in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
b) Hiervon ausgehend sind im Fall der Klägerin die Voraussetzungen für eine Flüchtlingsanerkennung nicht gegeben. Eine Verfolgung allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Oromo hat die Klägerin nicht zu befürchten. Volkszugehörige der Oromo sind keiner an ihre Volkszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten politischen Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG ausgesetzt.
Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich geklärt (BVerwG, U.v. 18.7.2006 – 1 C 15/05 – BVerwGE 126, 243). Danach setzt die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung voraus, dass eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ vorliegt, die die Vermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich da bei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (BayVGH, U.v. 03.07.2012 – 13A B 11.30064 – juris Rn. 20). Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinn der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden (BVerwG, U.v. 18.07.2006 – 1 C 15/05 a.a.O.).
Gemessen hieran ist unter Berücksichtigung und Würdigung der aktuellen Auskunftslage und der jüngsten Entwicklungen eine gruppengerichtete Verfolgung der Oromos in Äthiopien nicht anzunehmen. Die Oromos sind in Äthiopien zahlenmäßig die größte Ethnie (ca. 35% der Bevölkerung). Dennoch hat die kleinere Ethnie der Tigriner (ca. 6% der Bevölkerung) einen überproportionalen politischen Einfluss, sodass sich die Oromos politisch unterrepräsentiert fühlen. Tatsächlich haben die Tigriner zudem großen Einfluss in der Wirtschaft und dominieren die Sicherheitskräfte. Politisch in der Opposition aktive Mitglieder der Oromo werden von Sicherheitskräften häufig der Nähe zur Oromo Liberation Front (OLF) verdächtigt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 22.03.2018 – im Folgenden: Lagebericht, S. 14). Teilweise wurden gezielt Personen aus Oromia, insbesondere Studenten, verhaftet und misshandelt. Allerdings knüpfen die Repressalien, insbesondere die willkürlichen Verhaftungen und Misshandlungen, nicht an die Volkszugehörigkeit an, sondern können letztlich alle Personen betreffen, die sich aktiv oppositionell betätigen (VG Düsseldorf, U.v. 08.03.2018 – 6 K 3856/17.A – juris Rn. 62). Des Weiteren gewährt die Verfassung allen ethnischen Gruppen Gleichberechtigung und weitgehende Autonomierechte. Auch eine nach Hautfarbe, Herkunft oder Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe diskriminierende Gesetzgebung oder Verwaltungspraxis ist nicht feststellbar (Lagebericht, S. 14). Die jüngsten Entwicklungen sprechen darüber hinaus ebenfalls gegen die Annahme einer Gruppenverfolgung der Oromos. Denn Anfang 2018 ist neben zahlreichen weiteren Inhaftierten auch der Oppositionsführer der Oromos, Dr. Merera Gudina, entlassen worden (Lagebericht, S. 6). Weiter ist zu berücksichtigen, dass der seit April 2018 amtierende Ministerpräsident Äthiopiens, Abiy Ahmed, oromischer Volkszugehöriger ist. Unter Würdigung all dieser Umstände kann daher insgesamt nicht angenommen werden, dass eine derartige kritische „Verfolgungsdichte“ für alle Volkszugehörigen der Oromo vorliegt, aufgrund der eine Verfolgungsgefahr für jeden Angehörigen der Oromo unabhängig von dessen individuellem Einzelschicksal zwangsläufig zu bejahen wäre (ebenso VG Düsseldorf, U.v. 08.03.2018 – 6 K 3856/17.A – juris Rn. 56 ff.).
c) Auch eine geschlechtsspezifische Verfolgung besteht nicht. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Klägerin bei einer Rückkehr nach Äthiopien allein aufgrund ihres Geschlechts eine Gruppenverfolgung droht. Den Erkenntnismaterialien ist zwar zu entnehmen, dass Frauen in Äthiopien in besonderem Maße dem Risiko von Übergriffen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter ausgesetzt sind (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien vom 22.03.2018, Stand: Februar 2018, S. 17 f.). Die Feststellungen in den Erkenntnismaterialien reichen jedoch zur Annahme einer Gruppenverfolgung nicht aus, da nicht für jede Frau in Äthiopien ohne weiteres die aktuelle Gefahr eines Übergriffs in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter besteht (VG Würzburg, U.v. 8.12.2016 – W 3 K 16.30416 – juris Rn. 32; VG Arnsberg, U.v. 24.10.2014 -12 K 1874/13.A – juris Rn. 129; VG Düsseldorf, U.v. 23.5.2013 – 6 K 3576/13.A -juris Rn. 86). Es ist nicht erkennbar, dass Frauen in Äthiopien generell eine derart untergeordnete Stellung hätten, dass sie von der übrigen männlichen Gesellschaft als andersartige Gruppe mit deutlich ab- bzw. ausgegrenzter Identität wahrgenommen würden und als solche generell diskriminierende Unterdrückung von die Menschenwürde verletzender Intensität zu erleiden hätten. Wenngleich nach den vorliegenden Auskünften Frauen in Äthiopien diskriminiert werden und ihnen in der Gesellschaft eine untergeordnete Rolle zugewiesen wird, nehmen sie am gesellschaftlichen Leben teil und haben grundsätzlich Bewegungsfreiheit, Zugang zu Bildung, Arbeit und medizinischer Versorgung. Zahlreiche Rechtsnormen und staatliche Maßnahmen dienen ausdrücklich dem Schutz der Frauen, z.B. die Strafbarkeit von weiblicher Genitalverstümmelung und Zwangsentführungen (VG Würzburg, U.v. 8.12.2016 – W 3 K 16.30416 – juris Rn. 33). Vor dem Hintergrund der äthiopischen Gesetzeslage ist nicht ersichtlich, dass Akte sexueller Gewalt gegen Frauen in Äthiopien stets in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale erfolgen. Vielmehr sind sie ihrem Charakter nach jedenfalls zum Teil der allgemeinen Kriminalität zuzuordnen und stellen insoweit keine gezielte Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht dar. Da es bereits an einer Gruppenverfolgung fehlt, bedarf es keiner weiteren Erörterung, inwieweit der äthiopische Staat schutzbereit und schutzfähig ist.
d) Individuell beruft sich die Klägerin auf eine Verfolgung durch die äthiopische Regierung wegen einer Teilnahme an einer Demonstration. Eine begründete Furcht vor Verfolgung hat die Klägerin aber nicht glaubhaft gemacht. Ihr Vorbringen ist bereits unglaubhaft, weil es teilweise Ungereimtheiten aufweist und widersprüchlich ist. So ist schon nicht nachvollziehbar, warum die Klägerin bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt angab, dass sie im Gefängnis mit einer Art Gummischlauch geschlagen worden sei, hiervon aber in der mündlichen Verhandlung trotz Nachfrage des Gerichts nach den Bedingungen in der Haft überhaupt nichts berichtete. Vielmehr gab sie lediglich an, dass die Bedingungen sehr schlecht gewesen seien, sie keine richtige Toilette gehabt hätten, nur wenig zu essen bekommen hätten und auf dem Boden hätten schlafen müssen. Beim Bundesamt trug sie zudem vor, dass zwei Männer sie in einen Raum gezogen und vergewaltigt hätten. In vier Nächten hätten sie sie immer geholt, in diesen Raum gesteckt und sie misshandelt. Im Gegensatz dazu berichtete sie in der mündlichen Verhandlung, dass sie in der zweiten und vierten Nacht von zwei Wärtern sexuell missbraucht worden sei. Weiter teilte sie beim Bundesamt mit, dass sie nach der Freilassung noch einige Zeit zu Hause bei ihren Eltern gelebt habe. Diese hätten irgendwann zu ihr gesagt, dass sie sie wahrscheinlich nie mehr in Frieden lassen würden und sie deshalb das Land verlassen solle. Dann sei sie nach …gefahren und habe dort Schleuser getroffen. Diesen Angaben widersprechend gab sie in der mündlichen Verhandlung an, dass ihr Vater sie bis zur Ausreise bei einem Freund im Haus versteckt habe. Aufgrund dieser Widersprüche und Unstimmigkeiten sowie dem ansonsten oberflächlich gehaltenen Vorbringen konnte die Klägerin mit dem von ihr vorgetragenen Verfolgungsschicksal nicht glaubhaft machen, dass sie tatsächlich aus Äthiopien vorverfolgt ausgereist ist. Selbst wenn man aber ihren Vortrag als wahr unterstellen würde, so ist jedenfalls nicht erkennbar, dass an ihr nach mehreren Jahren noch ein derartiges Interesse bestehen sollte, dass man sie deshalb im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien dort aufspüren wird werden wollen.
d) Daher ist der Klägerin selbst im Falle der Annahme einer Verfolgungssituation am früheren Aufenthaltsort jedenfalls ein landesinternes Ausweichen zumutbar (§ 3e Abs. 1 AsylG).
aa) Dass die Klägerin fast drei Jahre nach ihrer Ausreise aus Äthiopien noch landesweit wegen der angegebenen einfachen Teilnahme an einer Demonstration gesucht wird, ist nach Auffassung des Gerichts nicht anzunehmen. Es ist auch nicht erkennbar, weshalb die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach so langer Zeit an einem anderen Ort in Äthiopien aufgespürt werden sollte.
bb) Es ist zudem zu erwarten, dass es der Klägerin gelingen wird, jedenfalls mit Unterstützung der Familie den Lebensunterhalt für sich und ihre Tochter in Äthiopien sicherzustellen. Die Klägerin gehört zur Gruppe junger, gesunder und arbeitsfähiger Frauen, von denen auch unter Berücksichtigung der schwierigen Situation für Rückkehrer bei einer Rückkehr nach Äthiopien zu erwarten ist, dass sie ihren Lebensunterhalt sicherstellen können (ausführlich hierzu siehe unter 3. a)).
2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes i. S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach Satz 2 dieser Vorschrift die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
Vorliegend hat die Klägerin mangels Glaubhaftigkeit ihres Vorbringens keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihr bei einer Rückkehr nach Äthiopien ein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG drohe. Jedenfalls steht der Klägerin auch hier interner Schutz offen (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e AsylG, vgl. oben).
3. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht ersichtlich.
a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Dies ist insbesondere auch dann der Fall, wenn es dem Betroffenen nicht mehr gelingen würde, seine elementaren Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft zu befriedigen (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – Asylmagazin 2015, 197) und die aus den zu erwartenden schwierigen Lebensbedingungen resultierenden Gefährdungen im Einzelfall eine solche Intensität aufweisen, dass auch ohne konkret drohende Maßnahmen von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen ist.
Hiervon kann im Fall der Klägerin nicht ausgegangen werden. Das Gericht ist der Überzeugung, dass die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien nicht Gefahr liefe, dort auf derart schlechte humanitäre Bedingungen zu stoßen, dass die Abschiebung eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen würde. Es wird dabei nicht verkannt, dass die Lebensumstände in Äthiopien äußerst schwierig sind. Ausweislich des Lageberichts des Auswärtigen Amts werden Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Kindergeld o.ä. von der äthiopischen Regierung nicht erbracht. Rückkehrer können nicht mit staatlicher Unterstützung rechnen (Lagebericht, S. 23). Äthiopien ist bei etwa 92 Mio. Einwohnern mit einem jährlichen Brutto-National-Einkommen von etwa 410 US Dollar pro Kopf eines der ärmsten Länder der Welt (Platz 174 von 188 im Human Development Index). Ein Großteil der Bevölkerung lebt unter der absoluten Armutsgrenze. Etwa 77% der Bevölkerung hatten im Jahr 2011 weniger als zwei US-Dollar pro Tag zur Verfügung. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in Äthiopien nicht in allen Landesteilen und zu jeder Zeit gesichert. Die Existenzbedingungen in Äthiopien sind für große Teile der Bevölkerung, insbesondere auf dem Land, äußerst hart und schwierig. Für die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wäre jedoch notwendig, dass die Klägerin durch eine Rückführung in ihr Heimatland einer Extremgefahr ausgesetzt werden würde. Dies kann nur angenommen werden, wenn sie im Falle einer Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod ausgeliefert oder erheblichen Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit ausgesetzt sein würde (BVerwG v. 17.10.1995, BVerwGE 99, 324; v. 19.11.1996, BVerwGE 102, 249 sowie v. 12.7.2001, BVerwGE 115, 1). Für eine solche Extremgefahr liegen selbst unter Berücksichtigung der aktuell äußerst schwierigen wirtschaftlichen und humanitären Bedingungen in Äthiopien keine ausreichenden Anhaltspunkte vor. Die Klägerin ist eine arbeitsfähige Frau, die über verwandtschaftliche Beziehungen in ihrem Heimatland verfügt. Sie hat dort noch ihre Eltern sowie mehrere Geschwister, die sie zumindest in der Anfangszeit unterstützen können. Bereits bei der Ausreise wurde die Klägerin von ihrem Vater mit ca. 5.000 $ unterstützt. Soweit die Klägerin vorträgt, dass sie keinerlei Kontakt mehr zu ihrer Familie habe, weil sie keine aktuelle Telefonnummer habe, ist doch davon auszugehen, dass sie im Falle einer Rückkehr zu ihnen wird Kontakt aufnehmen können und sie sie zumindest in der Anfangszeit unterstützen werden. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Familie der Klägerin sich nicht mehr am alten Wohnort, an dem sie eine Kaffeeplantage betrieben hat, aufhält. Hinzu kommt, dass auch der Lebensgefährte der Klägerin, mit dem sie eine gemeinsame Tochter hat, aller Voraussicht nach ins Heimatland Äthiopien wird zurückkehren müssen. Wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung angab, ist auch sein Asylantrag abgelehnt worden. Es ist daher zu erwarten, dass die Klägerin und ihr Lebensgefährte sich die Aufgaben der Kinderbetreuung und der Erwirtschaftung des Lebensunterhalts werden teilen können. Demzufolge ist insgesamt anzunehmen, dass die Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nach Äthiopien ihren Lebensunterhalt wird sicherstellen können.
b) Auch die von der Klägerin vorgetragene Beschneidung sowie die geltend gemachte drohende Beschneidung ihrer Tochter begründen kein Abschiebungsverbot. Die Klägerin selbst ist nach ihren eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung bereits im Alter von acht Jahren beschnitten worden, sodass die Beschneidung jedenfalls nicht kausal für die erst viele Jahre später stattgefundene Ausreise sein kann. Der Tochter der Klägerin droht zudem nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Beschneidung. Seit der Reform des Strafgesetzbuchs 2005 ist die Genitalverstümmelung gemäß Art. 565 mit Geldstrafe ab 500 Birr (ca. 15 EUR) oder mit mindestens drei Monaten, in besonders schweren Fällen mit bis zu 10 Jahren Gefängnisstrafe bedroht (Lagebericht, S. 18). Die Regierung sowie äthiopische und internationale Organisationen führen Kampagnen zur Abschaffung der Genitalverstümmelung durch. Die äthiopische Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, schädliche traditionell und kulturell bedingte Praktiken, wie etwa die Genitalverstümmelung bei Frauen oder Kindern und Zwangsehen bis zum Jahr 2025 endgültig abzuschaffen. Trotz sinkender Zahlen ist die Genitalverstümmelung aber nach wie vor mit großen regionalen Unterschieden weit verbreitet, besonders in ländlichen Gebieten (Lagebericht, S. 18). Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist das Gericht dennoch der Überzeugung, dass der Tochter der Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien keine Genitalverstümmelung droht. Ihre Mutter, die Klägerin, hat in der mündlichen Verhandlung nachdrücklich und mehrmals glaubhaft versichert, dass sie eine Beschneidung ihrer Tochter nicht will und auch nicht wird vornehmen lassen. Soweit sie angegeben hat, dass sie ihre Tochter in Äthiopien nicht vor einer Beschneidung schützen könnte bzw. sie von dem gesellschaftlichen Druck berichtet hat, ist von ihr zu erwarten und aufgrund ihrer Angaben auch anzunehmen, dass sie sich den zum Teil bestehenden gesellschaftlichen Zwängen widersetzen wird und an ihrer Tochter keine Beschneidung wird vornehmen lassen.
c) Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG).
Auch hiervon ist bei der Klägerin nicht auszugehen. Gesundheitliche Einschränkungen wurden nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich.
4. Das von der Beklagten verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot auf der Grundlage des § 11 Abs. 1 AufenthG sowie die Abschiebungsandrohung begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Qualifizierte Einwände hiergegen hat die Klägerin auch nicht erhoben.
5. Die Klage war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.


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