Verwaltungsrecht

Keine Gruppenverfolgung vom Ahmadi in Pakistan

Aktenzeichen  M 10 K 17.30895

Datum:
18.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 28810
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya sind in Pakistan nicht allein wegen ihres Glaubens und dessen Praktizierung einer Gruppenverfolgung ausgesetzt (BVerwG BeckRS 2013, 49253, VGH BW BeckRS 2013, 52685). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

1. Über die Klage konnte trotz Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung gemäß § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) entschieden werden. Die Beklagte war zum Termin ordnungsgemäß geladen und auf die Folgen des Ausbleibens hingewiesen worden; sie hatte mit Schreiben vom 27. Juni 2017 generell auf Ladung gegen Zustellnachweis verzichtet.
2. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 HS. 2 Asylgesetz – AsylG) keinen Anspruch auf die beantragten Verwaltungsakte (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Bescheid der Beklagten vom 29. Dezember 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
a) Soweit sich der Kläger auf wirtschaftliche Gründe für seine Ausreise beruft, hat er keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder auf subsidiären Schutz (vgl. § 30 Abs. 2 AsylG).
b) Soweit der Kläger geltend macht, er werde wegen einer Familien- und einer Landstreitigkeit verfolgt, ist eine konkrete andauernde Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a AsylG schon nicht geltend gemacht. Jedenfalls muss sich der Kläger auf eine inländische Fluchtalternative gemäß § 3e AsylG verweisen lassen. Nach der Erkenntnislage (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan, im Folgenden: Lagebericht, Stand: August 2017, S. 20) können potentiell Verfolgte in den Großstädten Rawalpindi, Lahore, Karachi, Peshawar oder Multan aufgrund der dortigen Anonymität unbehelligt leben. Selbst Personen, die wegen Mordes von der Polizei gesucht werden, können in eine Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt, ausweichen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass es kein funktionierendes Meldewesen in Pakistan gibt (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 15.1.2014 an das VG Leipzig).
c) Soweit der Kläger darlegt, er werde als Ahmadi in Pakistan verfolgt, sieht das Gericht zunächst von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da es der Begründung des angefochtenen Bescheids vom 29. Dezember 2016 folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend ist auszuführen, dass der Kläger wegen seines Glaubens weder einer Gruppenverfolgung noch als bekennender Ahmadi einer Individualverfolgung gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3a, § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG ausgesetzt ist.
(1) Das Gericht geht in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung davon aus, dass Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya in Pakistan nicht allein wegen ihres Glaubens und der Praktizierung ihres Glaubens einer Gruppenverfolgung ausgesetzt sind (vgl. ausführlich BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12; VGH Baden-Württemberg, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – jeweils juris). Anhaltspunkte dafür, dass sich die Bedingungen wesentlich verschlechtert haben, sind nicht vorgetragen und auch den Erkenntnismitteln, die Gegenstand des Verfahrens sind, nicht zu entnehmen. Auch der Lagebericht führt zwar aus, dass die islamische Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya nach der pakistanischen Verfassung nicht als muslimisch anerkannt werde und Ahmadis durch eine speziell gegen sie gerichtete Gesetzgebung diskriminiert würden. So sei es ihnen etwa verboten, sich als Muslime zu bezeichnen oder wie Muslime zu verhalten. Verstöße würden strafrechtlich geahndet. Zudem käme es seit 1950 immer wieder zu Ausschreitungen gegen Mitglieder der Religionsgemeinschaft, die von radikal-islamistischen Gruppen geschürt würden. Der weitaus größte Teil der Ahmadis lebe jedoch friedlich mit den muslimischen Nachbarn zusammen (vgl. Lagebericht, S. 14).
(2) Etwas anderes gilt jedoch für diejenigen Ahmadis, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und ihr Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen. Von zentraler Bedeutung ist hierbei das Verbot für Ahmadis, sich als Muslime zu bezeichnen und dieses Verständnis insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen. Für Ahmadis besteht in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen würden. Sie haben mit einem erheblichen Risiko für Leib und Leben durch die Gefahr einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten oder gravierenden Übergriffen privater Akteure zu rechnen. Ihnen drohen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen bei einer Rückkehr nach Pakistan (vgl. ausführlich BVerwG, a.a.O.; VGH Baden-Württemberg, a.a.O. – juris Rn. 116). Ein Angehöriger der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya aus Pakistan, für den das Leben und Bekennen seines Glaubens in der Öffentlichkeit identitätsbestimmender Teil seines Glaubensverständnisses ist, besitzt die Flüchtlingseigenschaft auch dann, wenn er im Falle der Rückkehr sein öffentliches Glaubensbekenntnis unterlassen würde. Bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung kann die Qualität einer Verfolgung erreichen (vgl. BVerwG, a.a.O. – juris Rn. 26; VGH Baden-Württemberg, a.a.O. – juris Rn. 117).
Erforderlich ist damit eine Gesamtwürdigung der religiösen Persönlichkeit des Betroffenen anhand aller vorliegenden Gesichtspunkte. Bloße Kenntnisse über die Glaubensinhalte der Ahmadiyya, eine Mitgliedsbescheinigung der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland Körperschaft des öffentlichen Rechts (im Folgenden: Ahmadiyya Deutschland KdöR), regelmäßige Moschee-Besuche oder die Teilnahme an jährlichen Großveranstaltungen der Ahmadiyya oder an sonstigen Aktionen der Ahmadiyya (mit den üblichen Helferdiensten) lassen daher für sich genommen nicht bereits auf eine individuelle Glaubensüberzeugung und ein nach außen wirkendes Glaubensvermittlungsbedürfnis schließen. Erforderlich ist vielmehr ein Bedürfnis, aus dem ahmadischen Glauben heraus bekennend zu leben und auch andere Menschen an dieser Haltung teilhaben zu lassen. In diesem Sinne muss es sich beim Betroffenen um einen aus der Allgemeinheit der Ahmadis hervorstechenden Gläubigen handeln, dessen Glauben sich öffentlich manifestiert (vgl. zum Ganzen: VG Augsburg, U.v. 21.11.2017 – Au 2 K 17.30246 – juris).
Gemessen an diesen Maßstäben ist der Kläger nach Auffassung des Gerichts kein mit seinem Glauben eng verbundener Ahmadi, für den die Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit ein zentrales persönliches Anliegen und Teil seiner religiösen Identität ist. Durch die ausführliche informatorische Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung hat das Gericht insgesamt nicht die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger ein mit seinem Glauben und der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft eng verbundener Mensch ist, dem es wichtig ist, seinen Glauben nach außen zu tragen. Der Kläger hat nicht ausreichend dargelegt, dass er seinem Glauben eine entscheidende Bedeutung beimisst und ihm die Teilnahme an den Gebeten und Veranstaltungen äußerst wichtig ist.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, vor seiner Ausreise aus Pakistan sei er regelmäßig in Moscheen der Ahmadiyya gegangen, er habe eine Funktion in der Ahmadiyya-Gemeinde (Leiter einer Gruppe für Sauberkeit in der Umgebung) gehabt und auch seine Familie sei in der Ahmadiyya-Gemeinde aktiv gewesen. In Deutschland gehe er in der Regel zwei- bis dreimal in der Woche in die Moschee. Weder in Pakistan noch in Deutschland habe er daheim gebetet, habe dies aber nun vor. Die Religion sei für ihn so wichtig wie das Atmen zum Leben. An seiner Religion seien für ihn das Leben, der Friede und die Liebe sowie die verschiedenen Bewegungen innerhalb seiner Religion bedeutsam. In Deutschland habe er sich nicht um eine Funktion in seiner Ahmadiyya-Gemeinde bemüht. Eine Bestätigung der Ahmadiyya Deutschland KdöR habe er nicht, da er sich darum nicht bemüht habe. In Deutschland nehme er an Veranstaltungen teil und verteile Flyer. Zum Beweis hierfür wurden in der mündlichen Verhandlung verschiedene Fotos (Teilnahme des Klägers an verschiedene Flyeraktionen) und Ausweisdokumente (Teilnehmerausweis für die 43. Jalsa Salana Deutschland 2018 und Helferausweis der Moschee in …*) vorgelegt.
Die bloße Teilnahme an Veranstaltungen und Besuche in der Moschee belegen jedoch für sich genommen nicht, dass der Kläger eine religiös geprägte Persönlichkeit ist, die mit dem Glauben eng verwoben ist. Die Ausführungen des Klägers, er habe weder in Pakistan noch in Deutschland daheim gebetet und sich in Deutschland weder um eine Funktion in der Ahmadiyya-Gemeinde noch um eine Bescheinigung der Ahmadiyya Deutschland KdöR bemüht, legen vielmehr den Schluss nahe, dass für den Kläger die Religion kein wesentlicher Aspekt seiner Persönlichkeit ist. Die Antwort auf die in der mündlichen Verhandlung gestellte Frage, was ihm an seiner Religion wichtig sei, blieb oberflächlich und wirkte nicht engagiert. In der mündlichen Verhandlung erweckte der Kläger auch nicht den Eindruck, eigenständig nach außen religiös aufzutreten bzw. auftreten zu wollen. Angesichts dessen ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass ihn die in Pakistan eingeschränkte Möglichkeit der Religionsausübung in einen inneren Konflikt führen würde.
Hinzu kommt, dass die behauptete Verfolgung wegen seines Glaubens bei seiner Anhörung bei der Beklagten nur eine Nebenrolle spielte, im Vordergrund standen die wirtschaftlichen Gründe und Familienstreitigkeiten. Auf explizite Frage gab er in der Anhörung sogar an, in erster Linie aus wirtschaftlichen Gründen ausgereist zu sein. In der mündlichen Verhandlung hat sich diese Einlassung bestätigt. Der Kläger hat angegeben, wesentliche Anteile der monatlich bezogenen Sozialhilfe (382 €) nach Hause zu schicken (durchschnittlich 150-200 €).
Eine relevante Verfolgung ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung, für seine Ausreiseentscheidung sei Anlass die Ermordung von 15-16 Menschen (gemeint wohl Ahmadis), deren Mörder er gekannt habe, gewesen. Eine konkrete Bedrohung hat er deswegen nicht geltend gemacht. Jedenfalls muss er sich auch insoweit auf eine inländische Fluchtalternative nach § 3e AsylG verweisen lassen (siehe hierzu bereits oben).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben