Verwaltungsrecht

Keine Gruppenverfolgung von Sunniten im Irak

Aktenzeichen  RN 6 K 16.32353

Datum:
29.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 146945
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 In Bagdad ist die Gefahrendichte nicht so hoch, dass jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist, sodass kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein faktischer Abschiebungsstopp in Bezug auf die zwangsweise Rückführung zur Ausreise verpflichteter irakischer Staatsangehöriger vermittelt einen wirksamen Schutz vor Abschiebung hinsichtlich allgemeiner Gefahren, so dass es keines zusätzlichen Schutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG bedarf. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet, weil der Bescheid des Bundesamts vom 9.9.2016 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO). Die Kläger hat weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder eines subsidiären Schutzstatus noch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG.
I.
Der Kläger besitzt keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, U. v. 20.2.2013 – 10 C 32/12 – juris).
Der Asylbewerber besitzt im Asylverfahren eine dahingehende Mitwirkungspflicht, unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der seine Verfolgungsfurcht für den Fall der Rückkehr begründet. Bei den in die eigene Sphäre des Asylsuchenden fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss der Asylsuchende Schilderungen geben, die geeignet sind, den Asylanspruch lückenlos zu tragen (BVerwG, U. v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – juris). Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten kann allein schon der eigene Tatsachenvortrag des Asylsuchenden zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von seiner Wahrheit überzeugen kann. Wenn wegen Fehlens anderer Beweismittel nicht anders möglich, muss die richterliche Überzeugungsbildung vom Vorhandensein des entscheidungserheblichen Sachverhalts in der Weise geschehen, dass sich der Richter schlüssig wird, ob er dem Asylsuchenden glaubt. Daran kann er sich wegen erheblicher Widersprüche im Vorbringen des Asylsuchenden gehindert sehen, es sei denn die Widersprüche und Unstimmigkeiten können überzeugend aufgelöst werden. Daran kann er sich auch gehindert sehen, wenn der Asylsuchende sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, ohne in einsehbarer Weise zu erklären, warum er für sein Asylbegehren maßgebliche Umstände nicht schon früher in das Verfahren eingeführt hat (BVerwG, B. v. 23.5.1996 – 9 B 273/96 – juris).
Der Kläger hat bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe keine individuellen Umstände vorgetragen, die auf eine Verfolgung im Sinne der §§ 3 ff. AsylG schließen lassen.
Soweit der Kläger vorträgt, dass er im Irak verfolgt werde, weil er in seiner Druckerei für Saddam Hussein Währung gedruckt habe, ist dies nach Überzeugung der Einzelrichterin als nicht glaubhafte Steigerung des Vortrags zu bewerten. Während der Kläger bei der Anhörung durch das Bundesamt noch berichtet hatte, dass er in seiner Druckerei Zeitungen gedruckt habe und die schiitischen Milizen deshalb auf ihn aufmerksam geworden seien, erklärte er erstmals in der mündlichen Verhandlung, aufgrund seiner Tätigkeit für Saddam Hussein verfolgt worden zu sein. Es ist nicht ersichtlich, weshalb der Kläger angeblich tragende Beweggründe für seine Ausreise erstmals in der mündlichen Verhandlung schildern sollte. Die Erklärung des Klägers, dass er dies bei der Anhörung durch das Bundesamt nicht erwähnt habe, weil er danach nicht gefragt worden sei, überzeugt angesichts der offenen Fragestellung bei der Bundesamtsanhörung nicht. Hätte es sich bei der vorgetragenen Verfolgung aufgrund der früheren Tätigkeit für Saddam Hussein tatsächlich um einen tragenden Grund für die Ausreise des Klägers gehandelt, hätte der Kläger dies nach Überzeugung der Einzelrichterin von sich aus bei der Bundesamtsanhörung oder jedenfalls in der Klagebegründung geschildert.
Der Vortrag des Klägers, im Zusammenhang mit juristischen Streitigkeiten um seine Druckerei von schiitischen Milizen bedroht worden zu sein, führt ebenfalls nicht zu einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
So ist das Gericht schon nicht von der Wahrheit dieses Vortrags überzeugt, denn zwischen dem Vortrag bei der Bundesamtsanhörung und dem Vortrag in der mündlichen Verhandlung bestehen erhebliche Unstimmigkeiten, die einer Glaubhaftigkeit der klägerischen Schilderungen entgegenstehen. In der mündlichen Verhandlung gab der Kläger an, dass er den Namen der Gruppierung, die ihm seine Druckerei weggenommen habe und gegen die er geklagte habe, nicht kenne und dass ihm die Anhänger dieser Miliz gedroht hätten, dass sie ihn umbringen würden, wenn er noch einmal klagen würde. Außerdem hätten Anhänger der Miliz das Gebäude aufgesucht, in dem sich das Büro seiner Baufirma befunden habe, und beim Wachmann des Gebäudes nach ihm gefragt. Diese Sachverhaltsschilderung deckt sich nicht mit den Angaben des Klägers bei der Bundesamtsanhörung. Dort erklärte der Kläger, dass ihn die schiitischen Milizen „Asaib el Hak“ verfolgt hätten. Er schilderte bei der Bundesamtsanhörung zwar auch, dass verschleierte Personen beim Wachmann des Bürogebäudes nach ihm gefragt hätten, erklärte jedoch auf gezielte Nachfrage, persönlich nicht durch schiitische Milizen bedroht worden zu sein. Er habe Informationen erhalten, dass er mitgenommen werde, wenn sie ihn fänden. Nicht ersichtlich ist auch hier, weshalb der Kläger von der in der mündlichen Verhandlung dargelegten persönlichen Bedrohung, dass er nicht noch einmal klagen solle, weil er sonst umgebracht würde, nicht schon bei der Anhörung durch das Bundesamt hätte berichten sollen.
Die in der mündlichen Verhandlung erst im Rahmen des letzten Worts abgegebene Erklärung des Klägers, dass er den Dolmetscher bei der Bundesamtsanhörung nicht verstanden habe, überzeugt nicht. Ausweislich der Niederschrift über die Bundesamtsanhörung hat der Kläger am Ende der Anhörung bestätigt, dass es keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben habe. Darüber hinaus bietet die Niederschrift über die Anhörung auch keine Anhaltspunkte für mögliche Verständigungsschwierigkeiten.
Selbst wenn man den Vortrag hinsichtlich der Verfolgung durch schiitische Milizen trotz dieser Ungereimtheiten als wahr unterstellen würde, käme vorliegend die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch deshalb nicht in Betracht, weil dem Kläger, der zuvor in dem schiitisch geprägten Stadtviertel Karada gelebt und gearbeitet hat, eine Fluchtalternative im Sinne des § 3e AsylG zur Verfügung stünde und er sich in anderen – gegebenenfalls sunnitisch geprägten – Stadtteilen Bagdads niederlassen könnte (vgl. zur Fluchtalternative in sunnitisch geprägten Stadtteilen auch: BayVGH, B. v. 16.11.2017 – 5 ZB 17.31639 – juris). Der Kläger erklärte in der mündlichen Verhandlung, sich vor seiner Ausreise für mehrere Monate im Stadtteil Waziriya aufgehalten zu haben. Dieser Stadtteil wird nach Angaben des Klägers zur Hälfte von Sunniten und zur Hälfte von Schiiten bewohnt und befindet sich in der Nähe des sunnitisch geprägten Stadtteils Al Adamia (vgl. Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, 24.8.2017, S. 67). Dem Kläger ist dort nach eigenen Angaben nichts zugestoßen.
Der Vortrag des Klägers, dass ihm von den Behörden die Ausstellung eines Reisepasses verweigert worden sei, führt ebenfalls nicht zur Flüchtlingsanerkennung, da sich der Schilderung schon nicht entnehmen lässt, dass dem Kläger der Reisepass aufgrund eines Merkmals im Sinne des § 3 AsylG verweigert worden sei. Bei der angeblichen Entführung der Tochter, die nach Angaben des Klägers bei der Anhörung durch das Bundesamt nur der Erpressung von Geld dienen sollte, handelte es sich nur um allgemeines kriminelles Unrecht, das an kein flüchtlingsrechtlich relevantes Merkmal anknüpft. Im Übrigen wurde insofern auch keine fortdauernde Bedrohungssituation geschildert.
Dem Kläger kann auch nicht allein aufgrund seiner Religionszugehörigkeit Flüchtlingsschutz zuerkannt werden.
Es wird nicht übersehen, dass derzeit von gewaltsamen Übergriffen schiitischer Milizen gegen Sunniten insbesondere in den ehemals durch die Terrorgruppe IS besetzten Gebieten berichtet wird (siehe z.B. Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak des Auswärtigen Amts vom 7.2.2017 und Amnesty International, Amnesty Report 2017 Irak vom 17.2.2017). Ausweislich des Länderinformationsberichts des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich konkurrieren schiitische Milizen in Bagdad mit der örtlichen Polizei und gehen mit zielgerichteter Gewalt gegen sunnitische Araber vor, die sie dazu drängen, die schiitischen bzw. gemischt sunnitisch-schiitischen Wohngebiete Bagdads zu verlassen (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, 24.8.2017, S. 65 ff.). Dabei gehe es weniger um konfessionell motivierten Hass, sondern vielmehr darum, die Grundstücke der vertriebenen Familien zu übernehmen. Es werde außerdem von konfessionell motivierten Entführungen und Morden bzw. entsprechenden Drohungen gegenüber der sunnitischen Bevölkerung berichtet. Aufgrund dieses konfessionellen Konflikts seien viele Familien gezwungen worden, ihre Häuser zu verlassen, wodurch in Bagdad separate sunnitische und schiitische Viertel entstanden seien (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, 24.8.2017, S. 65 ff.).
Dennoch ist – auch bei Berücksichtigung der Dokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich vom 24.8.2017 (BayVGH, B. v. 16.11.2017 – 5 ZB 17.31639) – nicht von einer Gruppenverfolgung von Sunniten im Irak auszugehen, weil es angesichts der Größe der Gruppe der Sunniten an der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen kritischen Verfolgungsdichte fehlt (vgl. BayVGH, B. v. 16.11.2017 – 5 ZB 17.31639 – juris; BayVGH, B. v. 21.9.2017 – 4 ZB 17.31091 – juris; BayVGH, B. v. 9.1.2017 – 13a ZB 16.30740 – juris). Nach Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B. v. 16.11.2017 – 5 ZB 17.31639 – juris) rechtfertige der Umfang der Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter, die an die sunnitische Religionszugehörigkeit anknüpften, in der Relation zu der Größe dieser Gruppe nicht die Annahme einer alle Mitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung. Die irakische Bevölkerung setze sich zu 60 bis 65% aus arabischen Schiiten, zu 17 bis 22% aus arabischen Sunniten und zu 15 bis 20% aus (überwiegend sunnitischen) Kurden zusammen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 7.2.2017, S. 7). Bei einer Gesamtbevölkerung von ca. 36 Millionen Einwohnern (Auswärtiges Amt, Länderinformation Irak, Stand: März 2017) würde das bedeuten, dass sechs bis acht Millionen arabische Sunniten im Irak im oben geschilderten Sinn als Gruppe verfolgt würden. Für eine solche Annahme gebe es keine ausreichenden Hinweise. Dies gelte auch für die Stadt Bagdad, in der 7,6 Millionen Einwohner leben (vgl. Auswärtiges Amt, Länderinformation Irak, Stand: März 2017).
II.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG.
Der Vortrag des Klägers lässt nicht darauf schließen, dass ihm bei einer Rückkehr in den Irak ein ernsthafter Schaden in Form der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) droht. Hinsichtlich der vorgetragenen Bedrohung durch schiitische Milizen wird auf obige Ausführungen verwiesen.
Des Weiteren kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Bagdad einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt wäre.
Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen (BVerwG, U. v. 24.6.2008 – 10 C 43/07 – juris). Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt liegt nicht schon bei inneren Unruhen und Spannungen wie Tumulten, vereinzelt auftretenden Gewalttaten oder anderen ähnlichen Handlungen vor. Vielmehr muss ein Konflikt ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie dies etwa bei Bürgerkriegsauseinandersetzungen oder Guerillakämpfen der Fall ist (BVerwG, U. v. 24.6.2008 – 10 C 43/07 – juris).
Eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben kann sich aus einer allgemeinen Gefahr für eine Vielzahl von Zivilpersonen im Rahmen eines bewaffneten Konflikts ergeben, wenn sich die Gefahr in der Person des Ausländers verdichtet. Liegen keine individuellen gefahrerhöhenden Umstände vor, kann eine erhebliche individuelle Gefahr infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts nur dann angenommen werden, wenn die drohenden allgemeinen Gefahren eine derart hohe Dichte bzw. einen derart hohen Grad aufweisen, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist (BVerwG, U. v. 14.7.2009 – 10 C 9/08 – juris). Zur Ermittlung dieser Gefahrendichte bedarf es auf der Grundlage der quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos einer wertenden Gesamtbetrachtung (BVerwG, U. v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris; BayVGH, B. v. 17.1.2017 – 13a ZB 16.30182 – juris).
Unabhängig davon, ob dort ein bewaffneter Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG besteht, ist die Gefahrendichte in Bagdad nicht so hoch, dass jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist.
Aus den von der UNO-Unterstützungsmission im Irak UNAMI (United Nations Assistance Mission for Iraq) veröffentlichten Zahlen (vgl. UN Casualties Figures for Iraq, http://www.uniraq.org, → Resources → Civilian Casualties) ergibt sich, dass im Jahr 2016 in Bagdad durch Anschläge insgesamt 3.132 Zivilpersonen getötet und 8.829 Zivilpersonen verletzt worden sind. In den ersten zehn Monaten des Jahres 2017 wurden insgesamt 653 Todesopfer und 1.999 Verletzte gezählt. Bei Berücksichtigung einer Dunkelziffer von einem Drittel (vgl. VG Karlsruhe, U. v. 26.1.2017 – A 3 K 4020/16 – juris) lag damit die Gesamtzahl der Getöteten und Verletzten im Jahr 2016 bei mindestens 16.000 Personen. Setzt man die Zahl von insgesamt mindestens 16.000 zivilen Opfern im Jahr 2016 in das Verhältnis zur Wohnbevölkerung Bagdads von ca. 7,6 Millionen Personen (Auswärtiges Amt, Länderinformation Irak, März 2017), so lag die Gefahr dafür, in Bagdad im Jahr 2016 als Zivilperson durch einen Anschlag verletzt oder getötet zu werden, bei ca. 0,21% (vgl. VG Karlsruhe, U. v. 26.1.2017 – A 3 K 4020/16 – juris: 0,17% bei Zugrundelegung der Jahre 2014, 2015 und 2016; VG Aachen, U. v. 20.1.2017 – 4 K 2040/15.A – juris: 0,25% für das Jahr 2014, jeweils ca. 0,21% für die Jahre 2015 und 2016). Die für die ersten zehn Monate des Jahres 2017 vorliegenden Zahlen legen eine weitere Verschärfung des Konflikts nicht nahe. Auch bei Berücksichtigung der angespannten medizinischen Versorgungssituation (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak des Auswärtigen Amts vom 7.2.2017) kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger in Bagdad allein aufgrund seiner Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung durch willkürliche Gewalt ausgesetzt wäre (vgl. zur Situation in Bagdad: VG Karlsruhe, U. v. 26.1.2017 – A 3 K 4020/16 – juris; VG Aachen, U. v. 20.1.2017 – 4 K 2040/15.A – juris; VG Ansbach, U. v. 15.12.2016 – AN 2 K 16.30398 – juris).
Des Weiteren hat der Kläger keine gefahrerhöhenden Umstände in seiner Person vorgetragen. Insbesondere wirkt sich seine sunnitische Religionszugehörigkeit nicht schon ohne weiteres gefahrerhöhend aus. Zwar finden, wie bereits dargelegt, im Irak Übergriffe auf Sunniten statt, angesichts der Größe der Gruppe der Sunniten in Bagdad kann allerdings nicht von einer Gefahr für jeden Iraker sunnitischer Religionszugehörigkeit ausgegangen werden.
III.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG.
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG scheidet aus, weil, wie bereits im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen von § 4 AsylG dargelegt wurde, keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in den Irak eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK droht.
Gleichermaßen kommt ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG nicht in Betracht, weil der Kläger keine individuellen Umstände vorgetragen hat, die darauf schließen lassen, dass für ihn im Irak eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Die allgemeine Versorgungs- und Sicherheitslage führt grundsätzlich nicht zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG, denn bei Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, kann ein Abschiebungsverbot nur ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn eine Abschiebung in den Heimatstaat aufgrund der hohen Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer allgemeinen Gefahr verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad kann allerdings nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer im Falle der Abschiebung „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (BVerwG, B. v. 14.11.2017 – 10 B 47/07 – juris). Trotz der schwierigen Sicherheits- und Versorgungslage im Irak kann nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass aufgrund der allgemeinen Verhältnisse vor Ort jeder in den Irak zurückkehrenden Person eine existenzielle Gefahr droht. Es ist auch nicht ersichtlich, dass gerade dem Kläger bei einer Rückkehr eine extreme Gefahr aufgrund der dort bestehenden Versorgungslage drohen würde. Im Übrigen hat das Bayerische Staatsministerium des Innern mit Rundschreiben vom 10.8.2012 (Az. IA2-2081.13-15) in der Fassung vom 3.3.2014 verfügt, dass irakische Staatsangehörige – mit Ausnahme von Straftätern aus den autonomen Kurdengebieten – nicht zwangsweise zurückgeführt, sondern weiterhin im Bundesgebiet geduldet werden. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass hinsichtlich allgemeiner Gefahren ein wirksamer Schutz vor Abschiebung besteht.
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids im Übrigen bestehen nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83 b AsylG.
Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.


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