Verwaltungsrecht

Keine nachträgliche Änderung des Grundes der Versetzung in den Ruhestand

Aktenzeichen  AN 1 K 17.02368

Datum:
14.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 30975
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBG Art. 64 Nr. 1, Nr. 2, Art. 71 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1 Eine nachträgliche Änderung der Rechtsgrundlage einer Versetzung in den Ruhestand auf Antrag bei Vollendung des 64. Lebensjahres in eine solche wegen Schwerbehinderung (Art. 64 Nr. 1, Nr. 2 BayBG) ist weder für die Vergangenheit noch für die Zukunft möglich. Die Versetzung in den Ruhestand ist ein statusverändernder Verwaltungsakt, der nach dem Ruhestandsbeginn nicht mehr korrigierbar ist. (Rn. 53 und 54) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei einem Antrag auf Ruhestandsversetzung wegen Schwerbehinderung (Art. 64 Nr. 2 BayBG) ist eine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nicht erforderlich, da der Beamte in diesem Fall nicht gegen seinen Willen in den Ruhestand versetzt wird. (Rn. 59) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Bescheid der Regierung von Mittelfranken vom 6. Dezember 2016 und der Widerspruchsbescheid derselben Behörde sind nicht rechtswidrig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
Der Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, die gemäß Art. 64 Nr. 1 BayBG zum Ablauf des 31. Juli 2016 erfolgte Ruhestandsversetzung aufzuheben und den Kläger gemäß Art. 64 Nr. 2 BayBG wegen Schwerbehinderung in den Ruhestand zu versetzen.
Der Kläger hat am 12. Januar 2016 formularmäßig beantragt, gemäß Art. 64 Nr. 1 BayBG mit Ablauf des 31. Juli 2016 (Endes des Schuljahres 2015/2016) in den Ruhestand versetzt zu werden. Die Urkunde über die Ruhestandsversetzung wurde dem Kläger am 26. Juli 2016 gegen Empfangsbekenntnis ausgehändigt. Damit ist der Kläger mit Ablauf des 31. Juli 2016 rechtswirksam nach Art. 64 Nr. 1 BayBG in den Ruhestand getreten.
Eine nachträgliche Abänderung der Rechtsgrundlage der Versetzung in den Ruhestand in eine solche nach Art. 64 Nr. 2 BayBG ist weder für die Vergangenheit noch für die Zukunft möglich.
Nach Art. 71 Abs. 1 Satz 2 BayBG kann eine Zurruhesetzungsverfügung – nur – bis zum Beginn des Ruhestandes zurückgenommen werden. Diese Bestimmung dient nicht nur dem Vertrauensschutz des in den Ruhestand versetzten Beamten, sondern auch dem allgemeinen Interesse der Rechtsbeständigkeit der Statusentscheidung und der Rechtsklarheit. Damit erweist sie sich als das Gegenstück der Ämterstabilität, die aus ähnlichen Gründen den Widerruf und die Rücknahme der Ernennung von den allgemeinen Vorschriften ausnimmt und an spezielle, im Beamtengesetz selbst geregelte Voraussetzungen knüpft (BVerwG, U.v. 30.4.2014 – 2 C 65/11, juris; U.v. 25.10.2007 – 2 C 22.06, juris). Die Versetzung in den Ruhestand ist – wie die Ernennung des Beamten – ein statusverändernder Verwaltungsakt. Sie ist nach dem Ruhestandsbeginn nicht mehr korrigierbar; die abschließenden Regelungen des Beamtenrechts stehen einem Rückgriff auf die Vorschriften des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts über den Widerruf und die Rücknahme von Verwaltungsakten und einem Wiederaufgreifen des Verfahrens (Art. 48, 49, 51 BayVwVfG) entgegen. Das erfasst auch den Grund für die Zurruhesetzung. Eine Aufspaltung in die Zurruhesetzung „als solche“ einerseits und den Grund für die Zurruhesetzung andererseits ist nicht möglich (BVerwG, a.a.O.). Dementsprechend muss der Grund für die Zurruhesetzung bei Erlass der Zurruhesetzungsverfügung feststehen; er darf nicht offen oder in der Schwebe bleiben. Kommt die Versetzung in den Ruhestand aus mehreren gesetzlichen Gründen in Betracht, so ist eine nachträgliche Änderung des Inhalts der Verfügung dahingehend, dass die Zurruhesetzung auf einen anderen der gesetzlichen Gründe gestützt wird, nicht möglich (Lemhöfer, in: Plog/Wiedow, BBG, § 47 a.F. Rn. 8). Das schließt gleichermaßen Änderungen zugunsten wie zu Lasten des Beamten aus. Somit sind inhaltliche Änderungen – auch bezüglich des Grundes der Zurruhesetzungsverfügung – ab Beginn des Ruhestandes ausgeschlossen (BVerwG, a.a.O.; OVG NW, B.v. 23.7.2018 – 6 A 1520/16, juris).
Hieran ändert die Tatsache nichts, dass der Kläger nach seinem am 12. Januar 2016 gestellten Antrag, nach Art. 64 Nr. 1 BayBG in den Ruhestand versetzt zu werden, am 30. März 2016 beim zuständigen Versorgungsamt einen Antrag auf Feststellung einer Schwerbehinderung nach § 2 Abs. 2 SGB IX gestellt hat, und diesem Antrag mit Bescheid vom 8. Juni 2016, also noch vor dem Ruhestandseintritt stattgegeben und ein GdB von 70 festgestellt worden ist.
Denn der Kläger hat nachfolgend bei der Regierung von Mittelfranken weder einen Antrag gestellt, er wolle nunmehr wegen Schwerbehinderung nach Art. 64 Nr. 2 BayBG in den Ruhestand versetzt werden, noch hat er selbst die Regierung von Mittelfranken von seiner zwischenzeitlich festgestellten Schwerbehinderung in Kenntnis gesetzt, womit er (zumindest konkludent) deutlich gemacht hätte, dass er sich auf seine Schwerbehinderung berufen will (vgl. VG Düsseldorf, U.v. 21.11.2011 – 13 K 2262/11, juris Rn. 36; VG Karlsruhe, U.v. 20.11.2014 – 4 K 1205/12, juris).
Der Beklagte, der bereits mit Schreiben vom 12. Februar 2016 die Versetzung des Klägers mit Ablauf des 31. Juli 2016 in den Ruhestand in die Wege geleitet hatte, musste deshalb bis zum Erhalt des Schreibens des Klägers vom 4. September 2016 nicht davon ausgehen, dass der Kläger nicht mehr an seinem gestellten Antrag festhalten will. Eine entsprechende Verpflichtung zu einer Nachfrage beim Kläger, als die Personalstelle der Regierung von Mittelfranken am 23. Juni 2016 über das Staatliche Schulamt von der festgestellten Schwerbehinderung beim Kläger in Kenntnis gesetzt worden war, bestand nicht (vgl. OVG NW, B.v. 7.1.2015 – 6 B 1303/14, juris; BVerwG, U.v. 15.12.1980 – 6 C 58.78, juris).
Denn der Kläger hätte sich ohne Schwierigkeiten, z.B. über allgemein zugängliche Quellen im Internet oder durch Nachfrage bei der Schwerbehindertenvertretung über die Möglichkeiten der Ruhestandsversetzung bei einer festgestellten Schwerbehinderung erkundigen und spätestens vor der Entgegennahme der Urkunde über die Versetzung in den Ruhestand auch nachfragen können, ob die Ruhestandsversetzung nach Art. 64 Nr. 2 BayBG wegen Schwerbehinderung erfolgt.
Entgegen der Auffassung des Klägers war vor seiner Versetzung in den Ruhestand eine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nicht erforderlich. Diese ist bei einem Antrag auf Ruhestandsversetzung nach Art. 64 Nr. 1 BayBG ohnehin nicht geboten und auch bei einem Antrag nach Art. 64 Nr. 2 BayBG nicht erforderlich, da der Schwerbehinderte in diesem Fall nicht gegen seinen Willen (z.B. wegen Dienstunfähigkeit) in den Ruhestand versetzt wird. Diese Fallkonstellation ist von § 178 Abs. 2 SGB IX (§ 95 Abs. 2 SGB IX a.F.) nicht erfasst (vgl. Esser/Isenhardt in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, Rn. 18 zu § 178; Ziffer 10.4 der Teilhaberichtlinien – Inklusion behinderter Angehöriger des Öffentlichen Dienstes in Bayern, FMBek. vom 19.11.2012, Az. PE – P 1132 – 002 – 33 316/12).
Ebenso bestand keine Veranlassung zu der vom Bevollmächtigten des Klägers beantragten Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 267 AEUV.
Es ist in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geklärt, dass der Begriff „angemessene Vorkehrungen“, mit dem die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung im Sinne von Art. 5 der Richtlinie 2000/78 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf gewährleistet werden soll, dahin zu verstehen ist, dass er die Beseitigung der verschiedenen Barrieren umfasst, die die volle und wirksame Teilhabe der Menschen mit Behinderung am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, behindern (EuGH, U.v. 11.4.2013 – C-335/11 und C-337/11, juris; vgl. auch: BAG, U.v. 22.5.2014 – 8 AZR 662/13, juris).
Um die Beseitigung derartiger Barrieren, die die volle und wirksame Teilhabe des Klägers am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, behindert haben könnten, geht es im vorliegenden Verfahren jedoch gerade nicht.
Auch ein Verstoß gegen Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. i der UN-BRK liegt nicht vor.
Nach dieser Bestimmung haben die Vertragsstaaten sicherzustellen, dass am Arbeitsplatz angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderungen getroffen werden. Zudem bestimmt Art. 2 Unterabs. 3 der UN-BRK, dass von der „Diskriminierung aufgrund von Behinderung“ alle Formen der Diskriminierung erfasst sind, einschließlich der Versagung angemessener Vorkehrungen. Nach der Legaldefinition in Art. 2 Unterabs. 4 der UN-BRK sind „angemessene Vorkehrungen“ notwendige und geeignete Änderungen und Anpassungen, die keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen und die, wenn sie in einem bestimmten Fall erforderlich sind, vorgenommen werden, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen oder ausüben können. Die Bestimmungen der UN-BRK sind Bestandteil der Unionsrechtsordnung (EuGH, U.v. 11.4.2013, a.a.O., Rn. 28 ff.) und damit zugleich Bestandteil des – ggf. unionsrechtskonform auszulegenden – deutschen Rechts (BAG, U.v. 21.4.2016 – 8 AZR 402/14, juris Rn. 20 m.w.N.). Der Umstand, dass die UN-BRK seit ihrem Inkrafttreten integrierender Bestandteil der Unionsrechtsordnung ist, führt darüber hinaus dazu, dass auch die Richtlinie 2000/78/EG ihrerseits nach Möglichkeit in Übereinstimmung mit diesem Übereinkommen auszulegen ist (EuGH, U.v. 11.4.2013 – C-335/11, Rn. 28 bis 32).
Wie bereits ausgeführt geht es im vorliegenden Verfahren jedoch weder um die Frage, ob am (früheren) Arbeitsplatz des Klägers angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderungen getroffen worden waren, noch um die Gewährleistung, dass der Kläger an seinem Arbeitsplatz gleichberechtigt mit anderen alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen oder ausüben konnte.
Die Klage war deshalb abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Gründe, die Berufung nach § 124 a Abs. 1 VwGO zuzulassen, liegen nicht vor.


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