Verwaltungsrecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen in Italien

Aktenzeichen  M 18 S 16.50521

Datum:
23.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 27a, § 34a Abs. 1
EMRK EMRK Art. 3
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 3 Abs. 2, Art. 25 Abs. 2

 

Leitsatz

Schutzsuchende laufen in Italien nicht Gefahr, aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (ebenso BayVGH BeckRS 2014, 52068; OVG NRW BeckRS 2016, 47662; NdsOVG BeckRS 2015, 47840). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben am … geboren und somalischer Staatsangehöriger. Er wurde am … 2015 durch die Bundespolizei Rosenheim aufgegriffen und wegen des Verdachts auf unerlaubte Einreise aus einem Drittstaat erkennungsdienstlich behandelt.
Für den Antragsteller wurde ein EURODAC-Treffer in Italien (…) ermittelt.
Bei seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 27. Juni 2016 gab der Antragsteller an, er sei über Äthiopien, Libyen, Italien, wo er sich in Lampedusa und Mailand aufgehalten habe, und Österreich in das Bundesgebiet eingereist.
Am 31. März 2016 richtete das Bundesamt ein Wiederaufnahmeersuchen an Italien, welches unbeantwortet blieb.
Mit Bescheid vom 4. Juli 2016, zugestellt durch Niederlegung an der Pforte der Asylunterkunft am 9. Juli 2016, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab, ordnete die Abschiebung nach Italien an und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung. In der Begründung wurde u. a. ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylG unzulässig, da Italien aufgrund der vorherigen illegalen Einreise in das Gebiet der Mitgliedsstaaten über die italienische Außengrenze gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei. Die Anordnung der Abschiebung wurde auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützt. Im Übrigen wird auf die Bescheidsbegründung Bezug genommen.
Mit Schreiben des Antragstellers vom 13. Juli 2016, eingegangen am 14. Juli 2016, erhob der Antragsteller gegen den Bescheid vom 4. Juli 2016 Klage (M 18 K 16.50520) und gleichzeitig,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung anzuordnen.
Zur Begründung führte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers unter dem 4. August 2016 aus, dass mangels deutscher Übersetzungen des Fragenkatalogs der Erst- und Zweitbefragung wegen fehlender Nachprüfbarkeit der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt sei. Ferner sei klarzustellen, ob und wann der Antragsteller einen Asylantrag gestellt habe. Wegen fehlender Entscheidung über den Asylantrag sei die Abschiebungsanordnung im Bescheid vom 4. Juli 2016 rechtswidrig.
Das Bundesamt beantragte unter dem 4. August 2016,
den Antrag abzulehnen.
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Die Anforderung eines übersetzten Fragebogens beim Bundesamt über die Erstbefragung (Bl. 7 – 10 der Behördenakte) bzw. der Zweitbefragung (Bl. 11 – 12 der Behördenakte) kann unterbleiben, da das Gericht sich auf die Angaben in der Niederschrift über das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats zur Durchführung des Asylverfahrens vom 27. Juni 2016 stützt (Bl. 48 der Behördenakte).
Es steht fest, dass der Antragsteller am 5. Februar 2016 einen Asylantrag gestellt hat (Bl. 18 und Bl. 30 der Behördenakte). In diesem Zusammenhang ist ihm auch am selben Tag das Formblatt „Belehrung von Asylbewerbern“ ausgehändigt worden (Bl. 2 der Behördenakte). Im Bescheid des Bundesamtes vom 4. Juli 2016 wurde versehentlich das Datum der Befragung als Datum des Asylantrags genannt.
Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt, wenn ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Nach Satz 2 der Vorschrift gilt dies auch dann, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamts zurückgenommen hat.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsanordnung sind nach der im Eilverfahren vorzunehmenden summarischen Überprüfung gegeben. Danach ist Italien aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Die italienischen Behörden haben auf das Wiederaufnahmegesuch vom 31. März 2016 nicht innerhalb der Frist des Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO reagiert, so dass davon auszugehen ist, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wurde. Da für den Antragsteller ein EURODAC-Treffer der Kategorie 2 (vgl. Art. 24 Abs. 4 Satz 3 i. V. m. Art. 9 Abs. 1 VO (EG) Nr. 603/2013) ermittelt wurde, ist Italien nach Art. 18 Abs. 1 lit.b Dublin-III-VO zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers. Somit steht grundsätzlich fest, dass die Abschiebung nach Italien durchgeführt werden darf.
Die Überstellung an Italien ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinn des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte i. S. v. Art. 6 Abs. 1 EUV entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH v. 21.12.2011 a. a. O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Italien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. BayVGH v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris m. w. N.; OVG NRW v. 21.6.2016 – 13 A 1896/14.A – juris; NdsOVG v. 25.6.2015 – 11 LB 248/14 – juris). Dabei begründet auch die Lage der Personen, die in Italien einen internationalen Schutzstatus zuerkannt bekommen haben, noch keine systemischen Mängel. Dies gilt auch in Ansehung des Umstands, dass Italien kein mit dem in der Bundesrepublik bestehenden Sozialleistungssystem vergleichbar landesweites Recht auf Fürsorgeleistungen kennt und hier nur im originären Kompetenzbereich der Regionen und Kommunen ein sehr unterschiedliches und in weiten Teilen von der jeweiligen Finanzkraft abhängiges Leistungsniveau besteht (VGH BW v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris).
Auch aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 4. November 2014 (NVwZ 2015, 127 ff.) ergibt sich nichts anderes. Der EGMR hat hier keine systemischen Mängel in Italien gesehen, sondern lediglich entschieden, dass die Schweizer Behörden die Abschiebung einer Familie nach Italien nicht vornehmen dürfen, ohne vorher individuelle Garantien von den italienischen Behörden erhalten zu haben, dass die Antragsteller des dortigen Verfahrens in Italien in einer dem Alter der Kinder adäquaten Art und Weise behandelt werden und die Familie zusammen bleiben darf. Das Urteil beinhaltet damit keine Aussage zu eventuellen systemischen Mängeln in Italien, sondern lediglich eine Einschränkung für die Abschiebung von Familien nach Italien, wohingegen der Antragsteller eine volljährige Einzelperson ohne vorgetragene körperliche oder geistige Einschränkungen ist. Ein alleinstehender junger Mann gehört grundsätzlich nicht zu den besonders schutzwürdigen Personen im Sinn der genannten Entscheidung des EGMR (vgl. EGMR v. 5.2.2015 – 51428/10; NdsOVG v. 25.6.2015 a. a. O.).
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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