Verwaltungsrecht

Keine umfassende Frage- und Hinweispflicht des Gerichts

Aktenzeichen  1 ZB 18.32333

Datum:
16.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 26912
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3
VwGO § 86, § 108
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Der Anspruch auf rechtliches Gehör garantiert dem Verfahrensbeteiligten, sich zu allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten zu äußern, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können; mit diesem Äußerungsrecht korrespondiert aber keine umfassende Frage- und Hinweispflicht des Gerichts.  (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2 Das Gericht ist nicht verpflichtet, die ihm obliegende abschließende Sachverhalts- und Beweiswürdigung vorab mit den Beteiligten zu erörtern.  (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 25 K 17.45860 2018-07-20 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der Versagung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor bzw. ist nicht dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG).
Mit dem Zulassungsantrag wird geltend gemacht, dass es sich bei dem Urteil des Verwaltungsgerichts um eine Überraschungsentscheidung handle. In der mündlichen Verhandlung habe das Gericht keine Zweifel an den ärztlichen Attesten geäußert, die eine Vergiftung der Geschwister des Klägers belegten. Auch sei im Verlauf der mündlichen Verhandlung in keiner Weise ersichtlich gewesen, dass das Gericht den Hauptvortrag des Klägers, dass er von der Regierung Kabilas verfolgt werde, nicht als glaubwürdig einschätzen werde. Die Aussage des Gerichts, dass der Kläger gesund und arbeitsfähig sei, sei angesichts des nicht angezweifelten Vorliegens seiner Augenerkrankung als überraschend im Sinn eines Gehörsverstoßes zu werten.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet die Gerichte, die Aussagen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und die wesentlichen Gründe für ihre Entscheidung anzugeben (§ 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs soll weiter sicherstellen, dass ein Verfahrensbeteiligter Einfluss auf den Gang des rechtlichen Verfahrens und dessen Ausgang nehmen kann. Zu diesem Zweck muss er Gelegenheit erhalten, sich zu allen tatsächlich und rechtlichen Gesichtspunkten zu äußern, die für die Entscheidung erheblich sein können (§ 108 Abs. 2 VwGO). Mit diesem Äußerungsrecht korrespondiert aber keine umfassende Frage- und Hinweispflicht des Gerichts. Vielmehr kann erwartet werden, dass die Beteiligten von sich aus erkennen, welche Gesichtspunkte Bedeutung für den Fortgang des Verfahrens und die abschließende Sachentscheidung des Gerichts erlangen können, und entsprechend vortragen. Auch in der Ausprägung, die der Anspruch auf rechtliches Gehör in § 86 Abs. 3 VwGO gefunden hat, wird dem Gericht keine umfassende Erörterung aller entscheidungserheblichen Gesichtspunkte abverlangt. Insbesondere muss das Gericht die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffes hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst auf Grund der abschließenden Beratung ergibt. Dies gilt auch für den Tatsachenvortrag des Asylbewerbers, der selbst für die Darlegung seiner Asylgründe verantwortlich ist (vgl. BVerwG, B.v. 21.1.2000 – 9 B 614.99 – juris Rn. 5; B.v. 9.3.2007 – 1 B 171.06 – juris Rn. 6; B.v. 17.4.2008 – 10 B 28.08 – juris Rn. 8; B.v. 14.8.2018 – 7 B 8.18 – juris Rn. 8).
Nach diesen Maßstäben hat der Kläger eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch eine Überraschungsentscheidung nicht dargetan. Das Gericht hat das klägerische Vorbringen, auch soweit es in den vorgelegten Schreiben eines Medizinzentrums in Goma enthalten ist, zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen. Mit Angriffen auf die gerichtliche Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung lässt sich ein Gehörsverstoß regelmäßig nicht begründen (vgl. BVerwG, B.v. 23.1.2004 – 1 B 273.03 – BeckRS 2004, 21263; B.v. 4.6.2018 – 1 B 31.18 – juris Rn. 7). Das Gericht ist nicht verpflichtet, die ihm obliegende abschließende Sachverhalts- und Beweiswürdigung vorab mit den Beteiligten zu erörtern. Eine willkürliche und möglicherweise deshalb überraschende Würdigung des Inhalts der vorgelegten Schreiben ist nicht ersichtlich. Das gleiche gilt, soweit das Gericht den Kläger als gesund und arbeitsfähig eingestuft hat. Aus den zuletzt vorgelegten fachärztlichen Attesten vom 22. Januar und 26. Juni 2018 ergibt sich ein stabiler Befund der Kontrolluntersuchung an beiden Augen; es wird nur am rechten Auge die Fortsetzung der Medikation mit Augentropfen 1x zur Nacht empfohlen.
Weiter wird mit dem Zulassungsantrag vorgetragen, dass ein Verstoß gegen das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör darin zu sehen sei, dass das Gericht den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag zu Unrecht abgelehnt habe. Das Gericht habe weder durch eigene Sachkunde noch vorliegende Erkenntnismittel darlegen können, auf welche Tatsachengrundlage es die in der Ablehnung des Beweisantrags angeführte bestehende Behandelbarkeit des Klägers mit den erforderlichen Augentropfen stütze, und den Vortrag des Klägers zu den Medikamentenkosten nicht widerlegen können. Das Gericht habe ohne ausreichende Tatsachengrundlage behauptet, dass die Kosten für Medikamente in der Demokratischen Republik Kongo erheblich niedriger als im Bundesgebiet seien.
Art. 103 Abs. 1 GG will als Prozessgrundrecht lediglich sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht; es gewährt allerdings keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen. Wann ein Beweisantrag entscheidungserheblich ist, ist prinzipiell von den Fachgerichten im Rahmen der konkreten Verfahrenssituation und auf der Grundlage des einfachen Rechts zu beurteilen. Die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen wird erst dann überschritten, wenn ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird. Von einer willkürlichen Behandlung kann insbesondere nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandergesetzt und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (vgl. BVerfG, B.v. 8.11.1978 – 1 BvR 158/78 – BVerfGE 50, 32; B.v. 22.5.2015 – 1 BvR 2291/13 – juris Rn. 5; BVerwG, B.v. 9.9.1997 – 9 B 412.97 – juris Rn. 6).
Eine nicht sachgerechte Ablehnung des Beweisantrages in der mündlichen Verhandlung (§ 86 Abs. 2 VwGO) wird mit dem Zulassungsantrag nicht aufgezeigt. Dass die benötigten Augentropfen entgegen dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes in der Demokratischen Republik Kongo nicht erhältlich seien, wird mit dem Zulassungsvorbringen nicht geltend gemacht. Auch wenn man davon ausgeht, dass das benötigte Medikament des Klägers Ganfort nur zu dem vom Kläger genannten Höchstpreis von 144,00 Euro erhältlich ist (vgl. medikamente-per-klick.de gleiche Packungsgröße zu 96,97 Euro), konnte das Gericht davon ausgehen, dass die Behandlung des Klägers mit Augentropfen auch in der Demokratischen Republik Kongo möglich ist. Denn nach den ärztlichen Attesten vom 22. Januar und 26. Juni 2018 ist eine Behandlung mit diesem Medikament nur auf dem rechten Auge einmal täglich notwendig und die von dem Kläger genannte Packungsgröße des Medikaments reicht mindestens für 3 Monate (90 Einzeldosen x 0,4 ml). Eine Behandlung mit den Augentropfen Lumigan und Dorzo Comp war nach der Kontrolluntersuchung vom 22. Januar 2018 nicht mehr medizinisch indiziert. Der Kläger hat weder mit der Begründung des Beweisantrags noch mit dem Zulassungsvorbringen substantiiert geltend gemacht, dass der damit maximal anfallende Betrag von etwa 50 Euro monatlich die finanziellen Mittel des Klägers nach Rückkehr in sein Heimatland übersteigen würde. Im Übrigen kann der Kläger im Hinblick auf mögliche Startschwierigkeiten auch einen gewissen Vorrat dieses Medikaments mitnehmen. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass es nicht entscheidungserheblich darauf ankommt, ob der Kläger darüber hinaus freiwillig weitere Medikamente einnimmt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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