Verwaltungsrecht

Keine unbefristete Gestattung durch faktisches Unterlassen

Aktenzeichen  10 CE 17.1172

Datum:
15.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 4 Abs. 1 S. 1, § 5, § 30 Abs. 1, § 71 Abs. 2
AufenthV AufenthV § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
VwGO VwGO § 123 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Zielt das Antragsbegehren auf die „endgültige“ Gestattung des Aufenthalts im Bundesgebiet und nicht nur auf eine vorläufige, sichernde Regelung ab, kann dies nach Sinn und Zweck der Rechtsschutzmöglichkeit nicht durch § 123 VwGO gesichert werden. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2 Sollten mittlerweile die bisher fehlende allgemeine Erteilungsvoraussetzung des gesicherten Lebensunterhalts sowie die sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen, müsste die Antragstellerin erneut einen Antrag auf Nachzug zu ihrem Ehegatten stellen und bei der zuständigen deutschen Auslandsvertretung erneut ein Visumverfahren einleiten. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 24 E 17.1000 2017-05-04 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250,- Euro festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren in erster Instanz erfolglosen Antrag weiter, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 1 VwGO) zu verpflichten, der Antragstellerin zu gestatten, über den 10. März 2017 hinaus „mindestens einen Monat länger“ in München bleiben zu können.
Das Verwaltungsgericht legte in dem Beschluss vom 4. Mai 2017 das Begehren dahingehend aus, dass sie beantrage, von Ausreiseaufforderungen und Ausreisefristsetzungen als Voraussetzung für Abschiebemaßnahmen verschont zu werden, wobei im Ergebnis eine unbefristete Gestattung des Verbleibs in München erstrebt werde, sei es im Wege entsprechender Verwaltungsakte, sei es durch rein faktisches Unterlassen weiterer Ausreiseaufforderungen.
Der Antrag sei schon deshalb erfolglos, weil die Antragstellerin ihr Antragsbegehren nicht zunächst im Verwaltungsverfahren geltend gemacht habe; damit bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis für eine gerichtliche Eilentscheidung. Unabhängig davon hätte der Eilantrag aber auch in der Sache keine Erfolgsaussichten. Die Antragstellerin habe einen Anordnungsanspruch weder bezeichnet noch glaubhaft gemacht. Bei der Antragsgegnerin sei bislang weder ein Antrag auf Duldung oder auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gestellt worden; auch im gerichtlichen Verfahren habe sie keine Rechtsgrundlage aufgezeigt, die für die von der Antragstellerin und von ihrem Ehemann erhoffte Pflegegeldzahlung zu der begehrten Gestattungspflicht führe. Es sei bislang nicht einmal nachgewiesen, dass es zu der von der Antragstellerin erhofften Bewilligung von Leistungen kommen werde. Unabhängig davon seien auch keine medizinischen Nachweise hinsichtlich der Erkrankung des Ehemanns der Antragstellerin vorgelegt, geschweige denn erläutert worden, inwieweit sich daraus ein Anspruch auf Gestattung eines weiteren Aufenthalts ergeben sollte.
Die von der Antragstellerin in ihrer Beschwerde dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof in seiner Prüfung beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen es nicht, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuändern oder aufzuheben.
Der Vorwurf, die Antragsgegnerin habe unvollständige Akten vorgelegt, ist nicht nachvollziehbar. Entgegen der Behauptung im Beschwerdeverfahren befinden sich sowohl das Schreiben des Bevollmächtigten der Antragstellerin vom 3. April 2017 wie auch die vom Generalkonsulat Kaliningrad übermittelten Unterlagen bei den vorgelegten Behördenakten (Bl. 2 des Vorgangs 162141222383/6 bzw. Vorgang 162141222383/12).
Wenn das Ziel des vorliegenden Antrags als „die unbefristete Gestattung des Verbleibs in München durch ein faktisches Unterlassen weiterer Ausreiseaufforderungen und Ausreisefristsetzungen“ beschrieben wird, verfehlt die Antragstellerin den Sinn und Zweck der Rechtsschutzmöglichkeit nach § 123 VwGO. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 u. 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis. Das Antragsbegehren zielt aber auf die „endgültige“ Gestattung des Aufenthalts der Antragstellerin im Bundesgebiet und nicht nur auf eine vorläufige, sichernde Regelung ab. Im Übrigen kann ein „Untätigbleiben“ der Ausländerbehörde nicht verlangt werden, da Ausländer wie die Antragstellerin für ihren Aufenthalt im Bundesgebiet grundsätzlich einen bestimmten Aufenthaltstitel benötigen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG).
Die Antragstellerin hat aber auch keinen Anspruch auf einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung konkret und nachvollziehbar dargelegt und glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO), der durch eine Veränderung des bestehenden Zustands vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde und der deshalb durch eine einstweilige Anordnung zu sichern wäre (sog. Anordnungsgrund).
Mit dem Schreiben vom 3. April 2017 hat der Bevollmächtigte der Antragstellerin eine „Daueraufenthaltsgenehmigung“ beantragt. Da ein solcher Aufenthaltstitel im Aufenthaltsgesetz nicht vorgesehen ist, hat die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 5. April 2017 zu Recht nachgefragt, auf welcher Grundlage eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden solle. Die bloßen Verweise der Antragstellerin auf eine bereits beim Generalkonsulat Kaliningrad beantragte Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis gehen allerdings fehl. Wie aus den Behördenakten zu entnehmen ist, hat die Antragstellerin am 15. September 2015 bei dem Generalkonsulat Kaliningrad einen Visumsantrag für den Nachzug zu ihrem hier lebenden (staatenlosen) Ehemann gestellt; der Antrag wurde der Antragsgegnerin am 22. September 2015 wegen der hierfür nötigen Zustimmung der Ausländerbehörde (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthV) übermittelt. Die Antragsgegnerin hat ihre Zustimmung am 4. April 2016 wegen des Fehlens der Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG abgelehnt. Die dann zwangsläufig erfolgte Ablehnung des Visumsantrags befindet sich nicht in den Akten der Antragsgegnerin, da es sich dabei um eine Entscheidung des Generalkonsulats bzw. des Auswärtigen Amts handelt (§ 71 Abs. 2 AufenthG). Es ist davon auszugehen, dass auch tatsächlich eine Ablehnung erfolgt ist, denn das Generalkonsulat stellte der Antragstellerin am 6. Mai 2016 ein Besuchsvisum (sog. Schengen-C) aus, das nicht der Zustimmung der Ausländerbehörde bedarf; mit diesem Visum ist die Antragstellerin zuletzt in das Bundesgebiet eingereist.
Wenn die Antragstellerin nunmehr der Meinung ist, dass mittlerweile die bisher fehlende allgemeine Erteilungsvoraussetzung des gesicherten Lebensunterhalts (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) sowie die sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen, müsste sie erneut einen Antrag auf Nachzug zu ihrem Ehegatten gemäß § 30 Abs. 1 AufenthG stellen. Hierfür müsste sie jedoch erneut ein Visumverfahren einleiten (§ 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG), und zwar bei der zuständigen deutschen Auslandsvertretung. Die Antragstellerin geht offenbar in ihrem Schriftsatz vom 12. September 2017 fälschlicherweise davon aus, dass die „Nachholung des Visumverfahrens“ gegenüber der Antragsgegnerin stattfinden könne. Diese verlangt jedoch zu Recht die vorherige Ausreise zur Durchführung bzw. Nachholung des Visumverfahrens.
Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Visumpflicht und damit für die Möglichkeit der Antragstellung unmittelbar bei der Ausländerbehörde (§ 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG oder §§ 39 ff. AufenthV) sind nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere der nicht näher begründete Vortrag, die Antragstellerin müsse ihren psychisch erkrankten Ehemann pflegen, genügt nicht für die Annahme, die (vorübergehende) Ausreise zur Durchführung des Visumverfahrens sie ihr aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls unzumutbar.
Das Verwaltungsgericht hat daher zu Recht festgestellt, dass ein zu sichernder Anspruch i.S.d. § 123 Abs. 1 VwGO nicht glaubhaft gemacht ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1, Abs. 2 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, da die Rechtsverfolgung aus den dargelegten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben