Verwaltungsrecht

Keine Unzulässigkeitsentscheidung wegen italienischen Aufenthaltstitels aus humanitären und familiären Gründen

Aktenzeichen  M 9 S 17.40251

Datum:
28.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 2976
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 35, § 36 Abs. 1, Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1, § 77 Abs. 2

 

Leitsatz

Die Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG setzt voraus, dass ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz iSd § 1 Abs. 1 Nr. 2 gewährt hat. Die Erteilung eines italienischen Aufenthaltstitels („PERMESSO DI SOGGIORNO“) aus humanitären und familiären Gründen („MOTIVI UMANITARI“/„MOTIVI FAMILIARI“) ist nicht ausreichend, da es an einer förmlichen Schutzgewährung mangelt. (Rn. 11 – 12) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 16. Mai 2017 gegen Ziff. 3 des Bescheids vom 5. Mai 2017, Gz. 6075580-232, wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich im Wege des Eilrechtsschutzes gegen die Ablehnung ihrer Asylanträge als unzulässig.
Mit Bescheid vom 5. Mai 2017, bekanntgegeben am 9. Mai 2017 (vgl. Bl. 162 d. BA), lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (i. F.: Bundesamt) die am 10. August 2015 (Bl. 8 d. Behördenakts – i. F.: BA -) gestellten Asylanträge als unzulässig ab (Ziff. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 2). Die Antragsteller wurden aufgefordert, das Bundesgebiet binnen einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, widrigenfalls wurde ihnen die Abschiebung nach Italien angedroht (Ziff. 3). Das Verbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziff. 4). Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Antragsteller hätten bereits in Italien Asylanträge gestellt. Im Rahmen des dortigen Asylverfahrens sei ihnen internationaler Schutz gewährt worden. Die Antragsteller hätten die entsprechenden italienischen Aufenthaltstitel hierfür vorgelegt, welche auch mit den EURODAC-Ergebnissen korrespondierten. Wegen des Bescheidinhalts im Übrigen wird auf diesen Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Die Bevollmächtigte der Antragsteller hat am 16. Mai 2017 Klage und Eilantrag gegen den Bescheid erhoben. Sie beantragt im hiesigen Verfahren,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen.
Wegen der Begründung wird auf die Schriftsätze Bezug genommen.
Das Bundesamt stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichts- sowie die beigezogene Behördenakte.
II.
Der nach § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG e contrario und nach § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG zulässige Antrag ist begründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts einerseits und das private Aussetzungsinteresse, also das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen.
Maßstab ist dabei, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG, § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO analog. Angegriffener Verwaltungsakt in diesem Sinne ist im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG die nach § 35, § 36 Abs. 1, § 34 Abs. 1, Abs. 2 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung als selbstständiger Verwaltungsakt (vgl. BVerwG, B.v. 23.10.2015 – 1 B 41/15 – juris; BeckOK AuslR, AsylG, Stand: 18. Ed. 1.8.2017, § 34 Rn. 36ff.). Ernstliche Zweifel sind nur dann gegeben, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris; Marx, AsylG, Stand: 9. Auflage 2017, § 36 Rn. 51). Maßnahme in diesem Sinne ist die Abschiebungsandrohung – mit nachfolgender Abschiebung des Betroffenen -, die sich hier auf die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig stützt und die deren Folge ist, weswegen Anknüpfungspunkt der (summarischen) Prüfung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes – vermittelt über § 36 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 35 AsylG – die Frage sein muss, ob das Bundesamt den Asylantrag zu Recht als unzulässig abgelehnt hat (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris; Marx, AsylG, Stand: 9. Auflage 2017, § 36 Rn. 43). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG.
Die Voraussetzungen der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG sind vorliegend nicht gegeben.
Die Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG setzt voraus, dass ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 gewährt hat. Durch den Verweis auf § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist klargestellt, dass mit der Gewährung internationalen Schutzes (nur) die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und/oder die Gewährung subsidiären Schutzes gemeint ist (BeckOK AuslR, Stand: 20. Ed. 1.11.2018, AsylG § 29 Rn. 76).
Der Behördenakte ist zu entnehmen, dass die italienischen Aufenthaltstitel („PERMESSO DI SOGGIORNO“) aus humanitären und familiären Gründen („MOTIVI UMANITARI“/„MOTIVI FAMILIARI“) erteilt worden sind (Bl. 30ff. d. BA bzw. Bl. 83f. d. BA). Damit wird nicht dargetan, dass Italien den Klägern internationalen Schutz gewährt hätte. Erforderlich ist dafür eine förmliche Schutzgewährung, während die bloße Gewährung eines humanitären Aufenthaltsrechts nicht ausreicht (statt aller BayVGH, B.v. 15.2.2018 – 10 ZB 17.30437 -; VG München, B.v. 3.8.2017 – M 21 S 17.42162 -; VG Augsburg, U.v. 25.4.2017 – Au 7 K 17.30260 – jeweils zitiert nach juris). Die Antragsgegnerin selbst stellte u. a. in einer Auskunft an das Verwaltungsgericht Hannover (Bundesamt an VG Hannover v. 24.9.18 – 7 A 1616/17 -, recherchiert über Asylfact) klar, dass ein Aufenthaltstitel mit der Bezeichnung „MOTIVI UMANITARI“ nur bedeute, dass humanitärer Schutz „ähnl. unseren Abschiebungsverboten“ gewährt worden sei. Der Verwaltungsvorgang enthält darüber hinaus weder die angeblichen EURODAC-Erkenntnisse noch ein Inforequest an Italien, das zu einer weiteren (Auf-) Klärung hätte beitragen können, vgl. Art. 34 Abs. 2 lit. e und g Dublin III-VO. Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass nicht einmal von den Antragstellern unterzeichnete Anhörungsbögen/Formulare in der Behördenakte zu finden sind.
Die Entscheidung kann auch nicht auf Basis von § 29 Abs. 1 Nr. 4 AsylG aufrechterhalten werden, da die diesbezüglichen Voraussetzungen – folgerichtig – nicht geprüft wurden.
Auf die Rechtsfolge des § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG wird hingewiesen.
Die Kostenfolge fußt auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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