Verwaltungsrecht

Keine Verfolgung in Georgien

Aktenzeichen  W 7 K 16.31851

Datum:
7.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 3a Abs. 1, § 3b, § 34 Abs. 1
EMRK EMRK Art. 3
AufenthG AufenthG § 59, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Staatliche Repressalien gegenüber Rückkehrern nach Georgien sind nicht bekannt. Auch die Asylantragstellung im Ausland führt bei der Rückkehr nicht zur Verfolgung. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in Georgien gewährleistet. Rückkehrer, die fremde Unterstützung benötigen, sind vor allem auf die Familie angewiesen. Internationale Organisationen bieten ebenfalls Unterstützung an. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 28. September 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin (schon deswegen) nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Denn die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Asylanerkennung noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich (1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2.) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, i.S.d. § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Aus § 3a AsylG ergibt sich, welche Handlungen als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG gelten. Zwischen derartigen Handlungen und den in § 3b AsylG näher definierten Verfolgungsgründen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG; vgl. hierzu auch Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL 2011/95/EU – Qualifikationsrichtlinie), oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1.) beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG; siehe hierzu auch Art. 9 Abs. 1 Buchst. b Qualifikationsrichtlinie).
Zudem müssen die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2 Buchst. d Qualifikationsrichtlinie (vgl. jetzt § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“), was dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspricht (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 32 m.w.N.). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG; vgl. hierzu bereits BVerwG, U.v. 5.11.1991 – 9 C 118.90 – juris; BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – juris).
Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass dieses die Gefahr politischer Verfolgung begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 –, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG Nr. 32). Demgemäß setzt ein Asyl- oder Flüchtlingsanspruch voraus, dass der Schutzsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbzw. Flüchtlingsbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 –, Buchholz, § 108 VwGO Nr. 147).
Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt (1.) die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, (2.) Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder (3.) eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 AsylG).
Hinsichtlich der Feststellungen zu §§ 3 und 4 AsylG wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid, die das Gericht sich zu Eigen macht, Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend gilt Folgendes:
Die Klägerin ist nicht vorverfolgt aus Georgien ausgereist, sondern mit einem Visum der Deutschen Botschaft zum Zweck der Behandlung ihrer erkrankten Tochter, wobei nach ihren eigenen Angaben der georgische Staat die Behandlungskosten übernommen hat. Zwischenzeitlich ist die Tochter verheiratet und hat ein Kind. Die Klägerin ist schwanger von einem ukrainischen Staatsangehörigen, der sich ebenfalls im Asylverfahren befindet. Sie gibt in der mündlichen Verhandlung an, aufgrund dessen von ihrem georgischen Ehemann, mit dem sie nur kirchlich verheiratet gewesen sei, und ihrem Sohn bedroht zu werden. Diese würden sie bei einer Rückkehr nach Georgien „nicht am Leben lassen“. In der Folge erklärt sie, sie habe zu ihrem Sohn, der in Deutschland ebenfalls Asylantrag gestellt hatte, diesen aber zurückgenommen hat, keinen Kontakt mehr. Bei der Befürchtung der Klägerin handelt es sich um eine bloße Behauptung, die durch nichts belegt ist. So hat die Klägerin, die in Tiflis gelebt hat, angegeben, sie habe bereits vor ihrer Ausreise von diesem Mann getrennt gelebt. Stichhaltige Gründe dafür, dass ihr bei einer Rückkehr nach Georgien ein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 AsylG droht, wurden daher nicht glaubhaft gemacht.
Die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes waren daher abzulehnen.
Hat die Klägerin keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, scheidet auch eine Asylanerkennung, die an engere Voraussetzungen gebunden ist, aus.
2. Ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor. Zunächst wird auf die zutreffenden Ausführungen des Bundesamts im angegriffenen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend gilt insbesondere im Hinblick auf die Schwangerschaft der Klägerin, dass nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10. November 2016 die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln gewährleistet ist. Rückkehrer, die fremde Unterstützung benötigen, sind bislang vor allem auf Familie und Freunde angewiesen. Internationale Organisationen – wie IOM und ICMPD – bieten ebenfalls Unterstützung an. Ein Mobilitätszentrum, eingerichtet beim Ministerium für Flüchtlinge, wurde gegründet und seit 2014 von der IOM fortgeführt. Hier wird Beratung und auch finanzielle Hilfe zur Reintegration in den Arbeitsmarkt (auch Hilfe zur Selbständigkeit) zur Verfügung gestellt, bei Bedarf auch eine Erstbzw. Zwischenunterkunft. Staatliche Repressalien gegenüber Rückkehrern sind nicht bekannt. Auch die Tatsache einer Asylantragstellung im Ausland ist bei der Rückkehr nach Georgien unerheblich.
Die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung sind daher ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Diese beruhen auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


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