Verwaltungsrecht

Keine Verfolgung von Hazara in Afghanistan

Aktenzeichen  M 26 K 17.35154

Datum:
15.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 10666
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1 Hazara unterliegen in Afghanistan zwar einer gewissen Diskriminierung, sind aber keiner an ihre Volks- oder Religionszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten politischen oder religiösen Verfolgung ausgesetzt. Auch fehlt es an einer erheblichen Gefahrendichte. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die allgemeine Gefährdungslage in Afghanistan bzw. in der Provinz Kabul erreicht ohne das Vorliegen individueller gefahrerhöhender Umstände nicht die Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, durch Anschläge im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts Schaden für Leib oder Leben zu erleiden. (Rn. 19 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
3 Gerade in Kabul lebt eine große Zahl von vertriebenen Hazara. Es ist nicht ersichtlich, dass ihnen der Zugang zu Erwerbsmöglichkeiten und Unterkunft auf einfachstem Niveau nicht gewährleistet wäre. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleitung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. Mai 2018 entschieden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen ist. Denn in der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Beklagte ist ausweislich der aus der Niederschrift ersichtlichen Feststellungen in der mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß geladen worden.
Die Regierung von Oberbayern ist gemäß § 63 Nr. 4 VwGO als Vertreter des öffentlichen Interesses (VöI) Verfahrensbeteiligter aufgrund der generellen Beteiligungserklärungen vom 11. Mai 2015 und vom 18. Mai 2015. Hierin wurde die Beteiligung jedoch auf die Übersendung der jeweiligen End- bzw. Letztentscheidung beschränkt.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid vom 10. März 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten; der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. Zuerkennung subsidiären Schutzes. Auch hat er keinen Anspruch auf Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die vom Bundesamt nach Maßgabe des § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung sowie das dreißigmonatige Einreise- und Aufenthaltsverbot sind ebenfalls nicht zu beanstanden. Das Gericht folgt den Feststellungen und der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und sieht diesbezüglich von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Es ergänzt lediglich wie folgt:
„Auch nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung, in der der Kläger informatorisch gehört wurde, steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass ihm im Falle einer Einreise nach Afghanistan Verfolgung i.S.d § 3 AsylG oder ein ernsthafter Schaden im Sinne von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung i.S.d. § 4 Abs. 1 AsylG droht. Anhaltspunkte für das Vorliegen nationaler Abschiebungsverbote liegen ebenfalls nicht vor.“
Aus der Tatsache, dass der Kläger Hazara und Schiit ist, folgt nicht, dass ihm allein deshalb die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen ist. Hazara unterliegen in Afghanistan zwar noch einer gewissen Diskriminierung, sind derzeit und in überschaubarer Zukunft aber weder einer an ihre Volks- oder Religionszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten politischen oder religiösen Verfolgung noch einer erheblichen Gefahrendichte im Sinn von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt (BayVGH, B.v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris m.w.N.).
Grundsätzlich hat sich für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara die Lage nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes verbessert. Zwar bestehen gesellschaftliche Spannungen fort und leben in lokal unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (vgl. Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 19.10.2016, Stand September 2016). Nach den Erkenntnissen des UNHCR werden Hazara bis zu einem gewissen Grad weiterhin diskriminiert. Insbesondere Paschtunen hätten Vorbehalte gegenüber den in der Vergangenheit an den Rand gedrängten und diskriminierten Hazara, die seit dem Sturz der Taliban 2001 deutliche wirtschaftliche und politische Fortschritte gemacht hätten. Die Hazara würfen der Regierung vor, Paschtunen zum Nachteil anderer Ethnien, insbesondere der Hazara, zu bevorzugen. In bestimmten Gebieten könne es zu Übergriffen von Taliban und anderen Regierungsgegnern kommen, die möglicherweise an die Volksbzw. schiitische Religionszugehörigkeit anknüpften. Es gebe Berichte über Belästigungen, Einschüchterungen bis hin zu Tötungen. In den Provinzen Wardak und Ghazni gebe es immer wieder gewalttätige Auseinandersetzungen um Weideland zwischen paschtunischen Nomaden (Kuchis) und dort sesshaften Hazara (vgl. UNHCR: Eligibilty Guidelines for assessing the international protection needs of asylum-seekers from Afghanistan, 19. April 2016, S. 67 f., 75 f.). Im Jahr 2015 habe es Entführungen von Hazara auf der Fern Straße zwischen Kabul und Kandahar sowie der Straße von Maidan Shahr nach Bamiyan in der Provinz Wardak gegeben. Mehrere Hazara seien vermutlich von Anhängern des sog. Islamischen Staates getötet worden. Der sogenannte Islamische Staat in der Provinz Khorasan (ISPK) führte auch Anschläge gegen Zivilisten durch, insbesondere gegen die schiitische Minderheit der Hazara, die auch wegen der Teilnahme afghanischer Schiiten am Kampf gegen den IS auf Seiten des syrischen Regimes im Brennpunkt des ISPK steht. Landesweit schreibt UNAMA dem ISPK 899 zivile Opfer (209 Tote und 690 Verletzte) im Jahr 2016 zu und spricht von einer Verzehnfachung der von dem ISPK verursachten Opferzahl gegenüber dem Vorjahr. Über die Hälfte der 2016 getöteten und verletzten Zivilisten, nämlich 85 Tote und 413 Verletzte, fiel einem Anschlag auf eine Demonstration in Kabul am 23. Juli 2016 zum Opfer, an der in erster Linie Angehörige der Hazara teilnahmen. Anschläge des ISPK auf Hazara in deren angestammten Siedlungsgebiet in der zentralen Hochlandregion sind aber bislang nicht bezeugt (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017, Stand Juli 2017, vom 28.7.2017, S. 10).
Weitere Entführungen von Angehörigen der Volksgruppe der Hazara durch vermutlich andere Tätergruppen habe es in den Provinzen Ghazni und Farah gegeben (vgl. Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 6.11.2015, Stand November 2015). Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen registrierte 2015 20 Entführungsfälle durch Regierungsgegner mit mindestens 146 entführten Hazara, von denen 13 ermordet worden seien. Sieben von ihnen seien nach ihrer Verschleppung in die Provinz Zabul die Kehlen durchgeschnitten worden. Soweit bekannt, seien die Motive Lösegelderpressung, Gefangenenaustausch, unterstellte Zugehörigkeit zu den Sicherheitskräften oder die Weigerung illegale Abgaben zu entrichten, gewesen. Bis auf einen ereigneten sich die Fälle in gemischtethnischen Gebieten der Provinzen Ghazni, Balkh, Sari Pul, Faryab, Uruzgan, Baghlan, Wardak, Jawzjan und Ghor (vgl. UNAMA, Stand Februar 2016: Afghanistan. Annual Report 2015. Protection of Civilians in Armed Conflict. Kabul, S. 49 f.).
Bei den oben geschilderten Entführungen und Ermordungen handelte es sich aber erkennbar um lokal begrenzte Einzelfälle, aus denen keine stichhaltigen Gründe abgeleitet werden können, wonach für den Kläger in seinem Herkunftsland allein wegen seiner Volkszugehörigkeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden drohe. Nach Bekanntwerden der Vorfälle in der Provinz Zabul kam es in der Hauptstadt Kabul und in anderen Städten zu Protesten tausender Menschen gegen die Übergriffe auf die Angehörigen der Hazara (vgl. Human Rights Watch vom 13.11.2015: Afghan Killings Highlight Risks to Ethnic Hazaras, https://www…net/…html, UNAMA a.a.O., S. 50). Dies zeigt, dass der von sunnitischen Extremisten gegen die überwiegend schiitischen Hazara gerichtete Hass in weiten Teilen der Gesellschaft keine Unterstützung findet. Die sonstigen in Einzelfällen weiterhin bestehenden Benachteiligungen stellen grundsätzlich keine Eingriffe von erheblicher Intensität dar. Anzeichen dafür, dass die Hazara allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit landesweit einer gezielten Verfolgung oder Gefährdung im Sinne des § 4 AsylG unterliegen, liegen jedenfalls nicht vor (so auch st. Rspr. BayVGH, B.v. 14.8.2017 – 13a ZB 17.30807 – juris Rn. 19; vgl. zur aktuellen Gefährdungslage der Angehörigen der Volksgruppe der Hazara insbesondere VG Lüneburg, U.v. 13.6.2017 – 3 A 136/16 – juris Rn. 25 ff. und VGH Baden-Württemberg, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris Rn. 233 ff.).
Auch im Hinblick auf seine Zugehörigkeit zum Volk der Hazara und seinen Aufenthalt im westlichen Ausland (“Verwestlichung“) gibt es keine stichhaltigen Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger im Falle einer Abschiebung nach Afghanistan ein ernsthafter Schaden drohen würde. Hierfür reicht nämlich nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (z.B. EGMR, U.v. 6.2.2001 – Az. 44599/98 – NJW 2002, 453) auch ein Klima grober Menschenrechtsverletzungen oder Gewalt als solches nicht aus, solange sich die Gefahr nicht konkret gegen den Einzelnen richtet (vgl. zum Ganzen Hailbronner, AuslR, Stand: Februar 2016, § 4 AsylG Rn. 28 ff.). Dass Rückkehrern aus dem europäischen Ausland generell mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Entführung und Gewalttaten drohen würden, da sie als reich wahrgenommen würden, ist den aktuellen Erkenntnismitteln nicht zu entnehmen.
Darüber hinaus hat der Kläger auch nach den aktuellen Erkenntnismitteln keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Denn es liegen keine stichhaltigen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger bei einer Abschiebung nach Afghanistan einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt wäre.
Die allgemeine Gefährdungslage in Afghanistan bzw. in der Provinz Kabul, wohin wohl zunächst eine Abschiebung erfolgen würde, erreicht auch unter Zugrundelegung der aktuellen Erkenntnismittel keine Intensität, aufgrund der bereits ohne das Vorliegen individueller gefahrerhöhender Umstände von der Erfüllung des Tatbestands des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG auszugehen wäre. Das Risiko, dort durch Anschläge Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, ist nach den von der Rechtsprechung hierfür angelegten Maßstäben unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BayVGH, B.v. 31.8.2017 – 13a ZB 17.30756- juris; B.v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris, B.v. 8.2.2017 – 13a ZB 17.30016 – juris; BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris Rn. 33; BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 22 f., jeweils m.w.N.).
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist geklärt, unter welchen Voraussetzungen eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) besteht und dass es für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte einer wertenden Gesamtbetrachtung auf der Grundlage einer quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos bedarf (vgl. BayVGH, U.v. 17.1.2017 – 13a ZB 16.30182 – juris Rn. 4 ff. m.w.N.). Eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände in der Person des Betroffenen fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist somit ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich (BayVGH, U.v. 17.1.2017 a.a.O. Rn. 5 m.w.N.). Zur Ermittlung der für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr ausreichenden Gefahrendichte ist dabei aufgrund aktueller Quellen die Gesamtzahl der in der Herkunftsprovinz lebenden Zivilpersonen annäherungsweise zu ermitteln und dazu die Häufigkeit von Akten willkürlicher Gewalt sowie der Zahl der dabei Verletzten und Getöteten in Beziehung zu setzen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist dabei ein Risiko von ca. 1:800 oder 0,125%, in der Herkunftsprovinz verletzt oder getötet zu werden, so weit von der Schwelle der für den subsidiären Schutz beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass sich das Fehlen einer wertenden Gesamtbetrachtung neben der rein quantitativen Ermittlung nicht auszuwirken vermag (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 22 f.; dazu auch BayVGH, U.v. 17.1.2017 a.a.O. Rn. 6 f. m.w.N.).
An diesen, in der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung gefestigten Maßstäben gemessen, ist für den Kläger nicht davon auszugehen, dass die für die Feststellung einer individuellen Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts erforderliche Gefahrendichte auch nur möglicherweise annähernd erreicht wäre:
Ausgehend von mindestens 27 Millionen Einwohnern (vielfach wird eine höhere Bevölkerungszahl angenommen) und von 10.453 Opfern in Afghanistan (nach UNAMA) lag die Gefahrendichte im Jahr 2017 landesweit erheblich unter 0,12% oder 1:800 (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 31.8.2017 – 13a ZB 17.30756 – juris).
Hinsichtlich Kabul, wohin eine Abschiebung wohl erfolgen würde, errechnet sich ausgehend von einer Einwohnerzahl der Stadt Kabul von geschätzt 4,6 Mio. Menschen (vgl. Auswärtiges Amt, Länderinformationen Afghanistan, Schätzung 2011, www…de) und den Opferzahlen für das Jahr 2017 (UNAMA, Afghanistan, Protection of civilians in armed conflict, Annual Report 2017, Februar 2018, S. 1) eine Wahrscheinlichkeit von 0,038%, innerhalb eines Jahres verletzt oder getötet zu werden. Dieser Wert ist bei Anlegung der dargelegten Maßstäbe auch unter Berücksichtigung einer gewissen Dunkelziffer weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt. Geht man von einer höheren Einwohnerzahl aus (teilweise existieren Schätzungen von bis zu 7 Mio. Einwohnern, vgl. VGH Baden-Württemberg, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris Rn. 499 f.), ist das Risiko noch geringer.
Auch ist nicht ersichtlich, dass eine im Wesentlichen zunehmende Tendenz der Opferwahrscheinlichkeit gegeben wäre. Insoweit muss zwar festgestellt werden, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan insgesamt seit Anfang 2016 deutlich verschlechtert hat und die Situation dort als volatil anzusehen ist (vgl. Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern, Dezember 2016, S. 1). Nach dem im Februar 2018 veröffentlichten Bericht der UNAMA über zivile Opfer im bewaffneten Konflikt im Jahr 2017 war in der Region Kabul ein Anstieg der Opferzahlen um 73 festzustellen, landesweit war hingegen im Vergleich zum Vorjahr 2016 ein Rückgang um 9 Prozent zu verzeichnen.
Eine wesentliche Steigerung der Opferzahlen für die Zukunft implizieren die aktuellsten Berichte mithin nicht.
Schließlich liegt beim Kläger auch unter Berücksichtigung der in der Klagebegründung ins Feld geführten Gesichtspunkte kein nationales Abschiebungsverbot vor. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der sich das Gericht anschließt, ist geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit weiterhin nicht von einer extremen Gefahrenlage oder einer Verletzung von Art. 3 EMRK auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG führen würde (z.B. B.v. 23.11.2017 – 13a ZB 17.31228 m.w.N.). Stichhaltige Gründe dafür, dass die Umstände im Falle des Klägers zu einer anderen Beurteilung Anlass geben, liegen nicht vor. Insbesondere hat der Kläger bereits Berufserfahrung gesammelt, indem er im Iran als A … gearbeitet hat. Mit diesen Vorkenntnissen dürfte es für ihn trotz des großen Verdrängungswettbewerbs auf dem afghanischen Arbeitsmarkt möglich sein, sich – notfalls auch ohne familiäre Unterstützung – ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren.
Die Volkszugehörigkeit des Klägers steht einer Existenzsicherung nicht entgegen. Wie beschrieben können sich die Hazara als Minderheit zwar einerseits im Alltag durchaus Diskriminierungen ausgesetzt sehen, andererseits hat sich ihre Situation seit dem Jahr 2001 insgesamt verbessert. Gerade in Kabul lebt mit etwa 1 bis 1,5 Millionen Personen eine ganz erhebliche Anzahl von – teils (intern) vertriebenen – Hazara. Es ist nicht ersichtlich, dass sich die Verhältnisse für diese – und in Anknüpfung hieran womöglich auch für den Kläger – so gestalteten, dass ein Zugang zu Erwerbsmöglichkeiten und Unterkunft nicht (auch nicht auf einfachstem Niveau) gewährleistet wäre, zumal es trotz der großen Zahl der Hazara in Kabul keine Berichte dahin gibt, dass Hazara typischerweise keine Arbeit und/oder keine Unterkunft erhalten würden (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris Rn. 494).
Dass der Kläger – dies für das Gericht nicht nachprüfbarhazara-typisch aussieht und seine Volkszugehörigkeit bereits in seinem Namen trägt, rechtfertigt keine andere Bewertung. Das Gericht geht davon aus, dass das Aussehen und der Name des Klägers in gemischt-ethnischen Großstädten, die auch durch große Flüchtlingszuströme geprägt sind, bei der Arbeitssuche und sonstigen Existenzsicherung nicht ins Gewicht fällt. Seine Arbeitsleistung wird er dort auch typischerweise ohne die Offenlegung seines Namens erbringen können. In den Provinzen der Zentralregion, in denen die Hazara die Mehrheit der Bevölkerung stellen, stellen das Aussehen und der Name des Klägers ohnehin von vornherein kein Problem dar.
Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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