Verwaltungsrecht

Keine Verfolgungsgefahr im Iran bei formalem Glaubensübertritt zum Christentum

Aktenzeichen  14 ZB 16.30380

Datum:
4.11.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 54890
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3
VwGO § 108 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Es gibt keine Erkenntnisse dahingehend, dass einem allein aus formalen bzw. asyltaktischen Gründen zum christlichen Glauben Übergetretenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran allein wegen des formalen Glaubenswechsels oder wegen seiner bisherigen religiösen Betätigung in Deutschland eine asylrechtlich relevante und/oder abschiebungsrelevante Verfolgung drohen könnte (vgl. VGH München BeckRS 2015, 56145). (redaktioneller Leitsatz)
2 Wird in einem Urteil auf ein anderes Urteil als bestätigender Beleg für die eigene Würdigung hingewiesen, unterliegt die Bezugnahme nicht den besonderen Anforderungen des § 108 Abs. 2 VwGO (ebenso BVerwG BeckRS 2014, 49494). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 2 K 16.30837 2016-08-11 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) und des Vorliegens eines Verfahrensmangels (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO) sind nicht in der gebotenen Weise (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) dargelegt bzw. liegen jedenfalls nicht vor.
1. Eine grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor.
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, bisher höchstrichterlich oder – bei tatsächlichen Fragen oder nicht revisiblen Rechtsfragen – durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt, aber klärungsbedürftig und über den zu entscheidenden Fall hinaus bedeutsam ist (st. Rspr., vgl. z. B. BayVGH, B. v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris Rn. 2 m. w. N.; vgl. auch Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36 ff. m. w. N.). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Die vom Kläger gestellte (Tatsachen)Frage,
„ob einem vom Islam zum Christentum konvertierten iranischen Staatsbürger, der sich öffentlich auch in den sozialen Medien (Facebook) zu seinem christlichen Glauben bekennt, im Falle einer Rückkehr in den Iran dort eine asylrechtlich relevante Verfolgung droht, und zwar auch in dem Fall, in dem – wie vorliegend – das erkennende Gericht nicht die notwendige Überzeugungsgewissheit gewinnen konnte, dass die Hinwendung zum christlichen Glauben auf einer ernsthaften Gewissensentscheidung, also auf einem ernstgemeinten religiösen Einstellungswandel in einer identitätsprägenden festen Überzeugung beruht“,
hat keine grundsätzliche Bedeutung.
Diese Frage ist in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs hinreichend geklärt. Danach gibt es keine Erkenntnisse dahingehend, dass einem allein aus formalen bzw. asyltaktischen Gründen zum christlichen Glauben Übergetretenen wie dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran allein wegen des formalen Glaubenswechsels oder wegen seiner bisherigen religiösen Betätigung in Deutschland eine asylrechtlich relevante und/oder abschiebungsrelevante Verfolgung drohen könnte (vgl. BayVGH, B. v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris Rn. 5 f. m. w. N.). Diese Einschätzung wird durch den aktuellen Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 9. Dezember 2015 bestätigt (S. 14 ff., 26). Erkennbar beziehen sich die dortigen Aussagen auf solche Konvertiten, die ihren neu aufgenommenen Glauben – und die damit verbundene Abkehr vom Islam – aktiv im Iran ausüben (vgl. BayVGH, B. v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris Rn. 6 zum Lagebericht vom 24.2.2015). Der Kläger hat auch keine aktuellen Erkenntnisquellen benannt, die in Abweichung von dieser Rechtsprechung eine verfolgungsrelevante Gefährdung schon bei einem rein formal durch Taufe erfolgten Übertritt zum Christentum als annähernd wahrscheinlich erscheinen lassen. Der von ihm im Zulassungsverfahren vorgelegte Bericht aus der Frankfurter Rundschau vom 25. August 2016 mit dem Titel bzw. Untertitel „Erbitterter Kulturkampf. Konservative Iraner wollen mit harschen Aktionen die Öffnung des Landes verhindern“ verhält sich zu diesem Thema nicht. Die Frage asylrelevanter Verfolgung eines lediglich formal Getauften stellt sich nach alledem auch dann nicht, wenn er sich öffentlich in sozialen Medien (Facebook) zu seinem – angeblichen – christlichen Glauben bekennt.
2. Auch der Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.
Der Kläger rügt in diesem Zusammenhang eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Das Verwaltungsgericht habe im Urteil ausgeführt, es sei auch den iranischen Behörden bekannt, dass iranische Staatsangehörige in Asylverfahren häufig zum christlichen Glauben konvertierten, um so bessere Chancen im Asylverfahren zu erhalten. Hinzu komme, dass sich iranische Staatsangehörige in der Bundesrepublik Deutschland „im Feindesland“ befänden, und dort sei es durchaus erlaubt, durch Täuschungshandlungen den Feind zu überlisten. Der rein formale Glaubensübertritt und eventuelle Facebook-Einträge würden bei einer Rückkehr in den Iran damit keine nachteiligen Folgen für den Kläger haben. Diese Bewertung des Verwaltungsgerichts finde keine Grundlage in den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnisquellen, so dass das Verwaltungsgericht Tatsachen bzw. Beweisergebnisse verwertet habe, die nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden seien und zu denen sich die Beteiligten nicht hätten äußern können.
Aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) ergibt sich, dass eine gerichtliche Entscheidung nur auf solche Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden darf, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Soweit ein Gericht einen bis dahin nicht erörterten oder sonst hervorgetretenen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der alle oder einzelne Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten, und die Beteiligten sich dazu nicht äußern konnten, liegt eine unzulässige Überraschungsentscheidung vor (BVerwG, B. v. 27.7.2015 – 9 B 33.15 – DVBl 2015, 1381 Rn. 8 m. w. N.). Im Asylverfahren dürfen bei Wahrung des rechtlichen Gehörs nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse – einschließlich Presseberichten und Behördenauskünften – verwertet werden, die von einem Verfahrensbeteiligten oder dem Gericht im Einzelnen bezeichnet zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden (BVerfG, B. v. 18.6.1985 – 2 BvR 414/84 – BVerfGE 70, 180 m. w. N.). Diese Erkenntnismittel müssen ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt sein (BVerwG, U. v. 29.12.1983 – 9 C 68.83 – InfAuslR 1984, 89).
Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts weisen nicht darauf hin, dass es Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet hat, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten. Jedenfalls benennt das Verwaltungsgericht keine derartigen, nicht in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse für seine nach § 108 Abs. 1 VwGO getroffene Einschätzung. Soweit das Verwaltungsgericht auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 23. März 2016 – AN 1 K 16.30035 – (juris) hinweist, zieht es dieses ersichtlich nur als bestätigenden Beleg für seine eigene Würdigung heran; solche Bezugnahmen unterliegen nicht den besonderen Anforderungen des § 108 Abs. 2 VwGO (BVerwG, B. v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – NVwZ 2014, 1039 Rn. 11 m. w. N.; BayVGH, B. v. 25.8.2016 – 14 ZB 16.30133 – juris Rn. 9 m. w. N.).
Soweit der Kläger meint, die Bewertung des Verwaltungsgerichts finde keine Grundlage in den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnisquellen, macht er im Ergebnis ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung geltend, die jedoch im Asylverfahren eine Zulassung der Berufung mangels eines entsprechenden Zulassungsgrunds nicht rechtfertigen können. Er verweist in diesem Zusammenhang auf den o.g. Bericht aus der Frankfurter Rundschau vom 25. August 2016, der sich zu Konvertiten nicht verhält, und darauf, dass die Vorstellung, iranische Institutionen würden bei der Ahndung von Facebook-Einträgen unterscheiden, ob diesen eine ernsthafte Überzeugung des Nutzers oder andere Motive zugrunde lägen, nicht den im Iran herrschenden realen Verhältnissen entspreche und nicht vorstellbar sei; damit setzt er nur seine eigene Wertung an die Stelle der Wertung des Verwaltungsgerichts. Im Übrigen finden sich, etwa im Lagebericht vom 9. Dezember 2015 (S. 14 ff., 26), sehr wohl Anhaltspunkte darauf, dass der iranische Staat unterscheidet, da Repressionen – wie oben ausgeführt – nur Konvertiten treffen, die die neue Religion aktiv im Iran ausüben, und nicht formal im Ausland Übergetretene, obwohl der Kläger selbst davon ausgeht, dass im Exil lebende Iraner durch den iranischen Geheimdienst überwacht werden und diesem ein Glaubensübertritt bekannt wird. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die iranischen Behörden könnten unterscheiden, ob ein ernsthafter Abfall vom Islam vorliege oder nicht, entspricht auch der ständigen Rechtsprechung, dass den iranischen Stellen bekannt ist, dass eine große Zahl iranischer Asylbewerber aus wirtschaftlichen oder anderen unpolitischen Gründen versucht, im westlichen Ausland und insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland dauernden Aufenthalt zu finden, und hierzu Asylverfahren betreibt, in deren Verlauf bestimmte Asylgründe geltend gemacht werden und deshalb auch entsprechende Betätigungen stattfinden, etwa eine oppositionelle Betätigung in Exilgruppen (vgl. BayVGH, B. v. 9.8.2012 – 14 ZB 12.30263 – juris Rn. 5 m. w. N.) oder der Beitritt zu religiösen Exilorganisationen, die häufig, wenn nicht vorwiegend dazu dienen, Nachfluchtgründe zu belegen (BayVGH, B. v. 2.3.2010 – 14 ZB 10.30050 – juris Rn. 5). Auch insoweit geht die ständige Rechtsprechung davon aus, dass die iranischen Behörden diese Nachfluchtaktivitäten realistisch einschätzen (BayVGH, B. v. 2.3.2010 a. a. O.; vgl. auch Lagebericht vom 9.12.2015 S. 24, 30). Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang auf sein Recht auf Religionsfreiheit gemäß Art. 9 EMRK hinweist, ist anzumerken, dass ein formaler Übertritt nicht durch das Recht auf Religionsfreiheit geschützt ist.
Kosten: § 154 Abs. 2 VwGO.
II. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil sein Antrag auf Zulassung der Berufung aus den unter Nr. I genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1, § 115 ZPO).
Einer Entscheidung über die Kosten des Prozesskostenhilfeverfahrens bedarf es nicht, weil Gerichtskosten nicht erhoben werden und eine Kostenerstattung nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO ausgeschlossen ist.


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