Verwaltungsrecht

Keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in Asylstreitverfahren eines ugandischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  9 ZB 20.31306

Datum:
6.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 16967
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AyslG § 78 Abs. 3 Nr. 2, 3
VwGO § 86 Abs. 1, § 138 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

Die bloße Behauptung, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen oder das Gericht habe es versäumt, Beweis zu erheben, vermag einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (Rn. 5 – 6). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 5 K 17.38994 2020-05-06 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Kläger ist ugandischer Staatsangehöriger und begehrt die Anerkennung als Asylberechtigter, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, die Zuerkennung subsidiären Schutzes und die Feststellung von Abschiebungshindernissen. Mit Urteil vom 6. Mai 2020 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt erfolglos. Aus dem Zulassungsvorbringen ergeben sich weder die geltend gemachte Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) noch ein Verfahrensmangel (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG).
1. Der vom Kläger geltend gemachte Zulassungsgrund einer Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) wird schon nicht ausreichend dargelegt. Dem Zulassungsvorbringen lässt sich kein Rechtssatz oder verallgemeinerungsfähiger Tatsachensatz entnehmen, den das Verwaltungsgericht abweichend von einem der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten übergeordneten Gerichte aufgestellt haben soll (vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2019 – 9 ZB 19.31503 – juris Rn. 6). Die Ausführungen im Zulassungsvorbringen zielen inhaltlich auf den geltend gemachten Verfahrensfehler ab, ohne die Anforderungen einer Divergenzrüge zu beachten.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Das Gericht hat sich mit den wesentlichen Argumenten des Klagevortrags zu befassen, wenn sie entscheidungserheblich sind. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann jedoch nur dann festgestellt werden, wenn sich aus besonderen Umständen klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (BayVGH, B.v. 19.10.2018 – 9 ZB 16.30023 – juris Rn. 10). Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist allerdings nicht schon dann verletzt, wenn der Richter zu einer unrichtigen Tatsachenfeststellung im Zusammenhang mit der ihm obliegenden Tätigkeit der Sammlung, Feststellung und Bewertung der von den Parteien vorgetragenen Tatsachen gekommen ist. Auch die bloße Behauptung, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen oder das Gericht habe es versäumt, Beweis zu erheben, vermag einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (vgl. BVerfG, B.v. 15.2.2017 – 2 BvR 395/16 – juris Rn. 5 m.w.N.; BayVGH, B.v. 22.10.2019 – 9 ZB 19.31503 – juris Rn. 8).
Soweit der Kläger im Hinblick auf die von ihm vorgelegte polizeiliche Ladung einen Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) geltend macht, ergibt sich hieraus kein Verfahrensfehler des Verwaltungsgerichts. Das Verwaltungsgericht setzt sich mit dem vom Kläger vorgelegten Schreiben inhaltlich auseinander und führt aus, dass bereits aufgrund der Formulierung unklar sei, in welcher Funktion sich die angebliche Vorladung an den Kläger richte. Zudem verneint das Verwaltungsgericht ein ernsthaftes Verfolgungsinteresse des ugandischen Staates und stellt unter Bewertung der Erkenntnismittel darauf ab, dass der Kläger noch nach Ausstellung der angeblichen polizeilichen Ladung ein Visum erhalten habe und problemlos über den Flughafen ausreisen konnte. Die Ausführungen des Klägers zu seinen Ausreisevorbereitungen bewertet das Verwaltungsgericht als nicht nachvollziehbar. Abgesehen davon, dass die Aufklärungsrüge nicht dazu dient, Versäumnisse eines anwaltschaftlich vertretenen Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren und insbesondere Beweisanträge zu ersetzen, die ein Beteiligter zumutbarerweise hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat (BVerwG, B.v. 20.12.2012 – 4 B 20.12 – juris Rn. 6), statuiert Art. 103 Abs. 1 GG auch keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht (vgl. BVerfG, B.v. 5.3.2018 – 1 BvR 1011/17 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 10.4.2019 – 9 ZB 18.33046 – juris Rn. 5). Auch die bloße Behauptung, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen oder das Gericht habe es versäumt, Beweis zu erheben, vermag einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (vgl. BVerfG, B.v. 15.2.2017 – 2 BvR 395/16 – juris Rn. 5 m.w.N.; BayVGH, B.v. 16.3.2020 – 9 ZB 19.34124 – juris Rn. 5).
Der Vortrag, das Verwaltungsgericht habe den Kläger zur Glaubhaftigkeit seiner Homosexualität nicht ausreichend befragt, führt nicht zum Erfolg. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 6. Mai 2020 wurde der Kläger informatorisch angehört. Daraus ergibt sich, dass das Verwaltungsgericht Fragen zum Vortrag der Homosexualität gestellt hat, deren Antworten zusammengefasst in die Niederschrift aufgenommen wurden. Das Verwaltungsgericht hat zudem zahlreiche Aspekte des klägerischen Vortrags angeführt und den Vortrag in zahlreichen Punkten als oberflächlich, aufgesetzt, völlig unplausibel, lückenhaft und nicht nachvollziehbar bewertet. Aus dem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 103 Abs. 1 GG) folgt aber keine Pflicht des Gerichts zur umfassenden Erörterung sämtlicher entscheidungserheblicher Gesichtspunkte. Das Tatsachengericht ist nicht verpflichtet, die Beteiligten schon in der mündlichen Verhandlung auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinzuweisen und offen zu legen, wie es seine Entscheidung im Einzelfall zu begründen beabsichtigt (vgl. BVerwG, B.v. 30.3.2016 – 5 B 11.16 – juris Rn. 20 m.w.N.; BayVGH, B.v. 26.3.2019 – 9 ZB 19.30143 – juris Rn. 8). Eine den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs konkretisierende gerichtliche Hinweispflicht – zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung – besteht nur dann, wenn auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht mit einer bestimmten Bewertung seines Sachvortrags durch das Verwaltungsgericht zu rechnen braucht (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 27.7.2015 – 9 B 33.15 – NJW 2015, 3386; B.v. 23.1.2014 – 1 B 12.13 – juris Rn. 11 m.w.N.). Aus den asylspezifischen Anforderungen an die gerichtliche Ermittlungstiefe nach § 86 Abs. 1 VwGO folgen keine weitergehenden Anforderungen an die gerichtliche Hinweispflicht. Dass es im Asylverfahren, soweit entscheidungserheblich, stets auch um die Glaubwürdigkeit des Asylbewerbers und die Glaubhaftigkeit seines Vortrags geht, ist selbstverständlich und bedarf grundsätzlich nicht des besonderen Hinweises durch das Gericht (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2001 – 1 B 347.01 – juris Rn. 4 m.w.N.; BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 9 ZB 19.33518 – juris Rn. 4). Auch insoweit wendet sich das Zulassungsvorbringen vielmehr im Gewand einer Gehörsrüge gegen die Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung durch das Verwaltungsgericht, womit jedoch kein im Asylverfahrensrecht vorgesehener Zulassungsgrund angesprochen wird (vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2019 – 9 ZB 19.34121 – juris Rn. 10).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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