Verwaltungsrecht

Keine Verletzung rechtlichen Gehörs durch das Nichtbescheiden eines Hilfsbeweisantrags

Aktenzeichen  9 ZB 16.30023

Datum:
19.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 26960
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Zur Darlegung des Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr eine allgemeine, über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zugemessen wird (vgl. BayVGH BeckRS 2018, 25062). (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2 Wird ein hilfsweise gestellter Beweisantrag vom Verwaltungsgericht nicht beschieden, kann daraus kein Verfahrensverstoß abgeleitet werden, wenn der übergangene Hilfsbeweisantrag mangels Entscheidungserheblichkeit des Beweisthemas mit rechtsfehlerfreier Begründung hätte abgelehnt werden können und der Ablehnungsgrund – aufgrund des Urteilsinhalts – nachgebracht werden kann (vgl. BayObLG BeckRS 1999, 01833 u. BeckRS 1999, 27760). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 4 K 14.30096 2015-11-27 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und der Versagung des rechtlichen Gehörs liegen nicht vor.
1. Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete, noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr eine allgemeine, über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 26.9.2018 – 9 ZB 18.32071 – Rn. 5, noch nicht veröffentlicht).
Dem genügt das Zulassungsvorbringen nicht. Zum einen ist die von der Klägerin formulierte Frage weder klärungsfähig noch klärungsbedürftig. Zum anderen ist eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung weder dargelegt noch erkennbar.
Es ist nicht klärungsfähig, ob „Ereignisse, die sich im Wesentlichen im persönlichen Bereich der Klägerin und ihres Arbeitgebers“ abgespielt haben, durch Auskünfte des Auswärtigen Amts bestätigt werden können. Mangels näherer Ausführungen hierzu im Zulassungsantrag kann schon nicht nachvollzogen werden, was das Zulassungsvorbringen mit der Formulierung „persönlicher Bereich der Klägerin und ihres Arbeitgebers“ meint. Sofern die Formulierung „persönlicher Bereich“ mit Privatsphäre gleichzusetzen ist, ist die Frage nicht klärungsfähig. Denn die dem Auswärtigen Amt gestellten Fragen, ob die Klägerin als Haushaltshilfe für Dr. K.B., der nach ihren Angaben ihr Cousin sei, beschäftigt war, ob sie seit 2005 aktiv bei der Partei FDC tätig war, ob das Schreiben des FDC von Dr. K.B. persönlich unterschrieben worden ist und die inhaltliche Richtigkeit des Schreibens bestätigt werden kann sowie wann Dr. K.B. bei der Deutschen Botschaft vorgesprochen und mit wem er dort gesprochen hat, betreffen nicht die Privatsphäre der Klägerin und ihres Arbeitgebers. Das Verwaltungsgericht ist auch nicht davon ausgegangen, dass Schilderungen von Ereignissen aus dem persönlichen Bereich nur bei einer Verifizierung durch das Auswärtige Amt („muss“) als glaubhaft angesehen werden können. Mit ihrem Vortrag wendet sich die Klägerin daher in Wirklichkeit im Gewand einer Gehörsrüge gegen die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Kritik an der tatrichterlichen Sachverhaltsermittlung sowie der Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann aber grundsätzlich nicht die Annahme der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache begründen. Das Asylverfahrensrecht kennt in § 78 Abs. 3 AsylG – im Gegensatz zu § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO – den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung nicht (BayVGH, B.v. 28.8.2018 – 9 ZB 18.50045 – juris Rn. 7).
Abgesehen davon hat das Verwaltungsgericht ergänzend ausgeführt, dass auch bei Wahrunterstellung der Angaben im Brief vom 4. Juli 2011 die behauptete politische Verfolgung der Klägerin nicht belegt sei. Es sei nicht erkennbar, warum die Klägerin als Vollstreckerin für einen Anschlag auf Dr. K.B. ausgewählt und als seine Hausangestellte politisch verfolgt werden sollte. Auf diese ergänzenden Ausführungen geht das Zulassungsvorbringen nicht ein.
Die Frage ist auch nicht klärungsbedürftig. Es bedarf keiner Klärung in einem Berufungsverfahren, ob das Gericht nach eigener Rechtsüberzeugung über Inhalt und Umfang der Aufklärungsmaßnahmen zur Erforschung des entscheidungserheblichen Sachverhalts entscheiden kann. Dies ergibt sich bereits aus dem im Gesetz verankerten Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO).
Das Zulassungsvorbringen lässt auch nicht erkennen, aus welchen Gründen der von der Klägerin aufgeworfenen Frage Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 28.8.2018 – 9 ZB 18.32134 – juris Rn. 3). Inwieweit Beweiserhebungen durch Einholung von Auskünften des Auswärtigen Amts aus logischen Gründen unmöglich sind, lässt sich nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise beantworten, weil es ausschlaggebend auf die konkreten Umstände des Einzelfalls ankommt.
2. Die geltend gemachte Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) liegt ebenfalls nicht vor.
Der durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, soweit es aus verfahrens- oder materiellrechtlichen Gründen nicht ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben muss oder kann. Ein unerhebliches oder offensichtlich unsubstantiiertes Vorbringen darf außer Betracht gelassen werden (vgl. BVerwG, U.v. 20.11.1995 – 4 C 10.95 – NVwZ 1996, 378 = juris Rn. 13 m.w.N.). Diese Verfahrensgarantie gewährleistet nicht, dass die angefochtene Entscheidung frei von einfach-rechtlichen materiellen Rechtsfehlern oder sonstigen Verfahrensfehlern ist, sondern sie soll nur sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Rechtsfehlern ergeht, die ihren Grund gerade in der unterlassenen Kenntnisnahme oder in der Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben. Das verfassungsrechtlich verankerte Gehörsgebot schützt einen Verfahrensbeteiligten auch nicht vor jeder nach seiner Meinung sachlich unrichtigen Ablehnung eines von ihm in einer mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags. Die Ablehnung eines erheblichen Beweisangebots verstößt nur dann gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 138 Nr. 3 VwGO) als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG), wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BayVGH, B.v. 14.12.2017 – 9 ZB 15.30129 – juris Rn. 16 m.w.N.). Das gilt auch für – wie hier – hilfsweise gestellte Beweisanträge (vgl. BVerfG, B. v. 22.9.2009 – 1 BvR 3501/08 – juris Rn. 13 m.w.N.). Dass diese Beweisanträge nicht unbedingt gestellt sind, entbindet das Gericht lediglich von der verfahrensrechtlichen Pflicht des § 86 Abs. 2 VwGO, über sie vorab durch Gerichtsbeschluss zu entscheiden, nicht aber von den sonst für die Behandlung von Beweisanträgen geltenden verfahrensrechtlichen Bindungen, wenn sie sich als erheblich erweisen (vgl. BVerfG a.a.O.).
Die Klägerin wendet ein, das Verwaltungsgericht habe ihren in der mündlichen Verhandlung vom 20. November 2015 für den Fall des Bestreitens der inhaltlichen Richtigkeit der schriftlichen Bestätigung vom 4. Juli 2011 (Heftung 7, Bl. 35 der Behördenakten) hilfsweise gestellten Beweisantrag, durch ein Sachverständigengutachten zu klären, ob der Klägerin in Afrika zwei Zähne im Vorderkiefer unten ersetzt worden sind, nicht beachtet. Hieraus ergibt sich jedoch kein Gehörsverstoß. Zwar hat das Verwaltungsgericht den hilfsweise gestellten Beweisantrag im Urteil nicht verbeschieden, obwohl es den Vortrag der Klägerin insgesamt als nicht glaubhaft betrachtet hat. Daraus kann aber kein Verfahrensverstoß abgeleitet werden, weil der im Übrigen nur in Form eines Ausforschungsantrags („ob“) gestellte, übergangene Hilfsbeweisantrag mangels Entscheidungserheblichkeit des Beweisthemas mit rechtsfehlerfreier Begründung abgelehnt werden hätte können und der Ablehnungsgrund – aufgrund des Urteilsinhalts – nachgebracht werden kann (vgl. BayObLG, B.v. 9.2.1999 – 4St RR/7/99 – juris Rn. 13; U.v. 29.7.1999 – 5St RR 115/99 – juris Rn. 21). Das Ergebnis der Beweisaufnahme hätte keine Auswirkungen auf die Beurteilung des Wahrheitsgehalts des entscheidungsrelevanten klägerischen Vortrags. Denn die unter Beweis gestellte zahnärztliche Behandlung könnte weder als Nachweis für eine politische Verfolgung dienen, noch hätte sie Auswirkungen auf die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Klägerin in Bezug auf ihre Angaben zu ihrer Verfolgungsgeschichte, weil es insoweit an einem erkennbaren Zusammenhang zwischen Zahnbehandlung und politischer Verfolgung fehlt. Demzufolge hat das Verwaltungsgericht festgestellt, es sei nicht belegt, dass die Klägerin politisch verfolgt werde; es werde auch nicht deutlich, warum sie als Hausangestellte politisch verfolgt werden sollte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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