Verwaltungsrecht

Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  Au 3 K 17.32611

Datum:
26.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 18140
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5 und Abs. 7

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der angegriffene Bescheid vom 3. Mai 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes oder die Gewährung subsidiären Schutzes. Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor (§ 113 Abs. 1, 5 VwGO).
1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen im Fall des Klägers nicht vor.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Die Tatsache, dass der Ausländer bereits verfolgt oder von Verfolgung unmittelbar bedroht war, ist dabei ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, wenn nicht stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass er neuerlich von derartiger Verfolgung bedroht ist. Hat der Asylbewerber seine Heimat jedoch unverfolgt verlassen, kann sein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn ihm auf Grund von Nachfluchttatbeständen eine Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dabei ist es Sache des Ausländers, die Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei genügt für diesen Tatsachenvortrag aufgrund der typischerweise schwierigen Beweislage in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
a) Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist davon auszugehen, dass der Kläger sein Heimatland nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung im o.g. Sinne verlassen hat.
aa) Der Vortrag des Klägers zu den Gründen seiner Ausreise aus Afghanistan ist nicht glaubhaft.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss auch in Asylstreitigkeiten das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – InfAuslR 1989, 349). Diese Überzeugung konnte das Gericht nach dem Gesamtergebnis der mündlichen Verhandlung nicht gewinnen, da die Angaben des Klägers zu seinem Verfolgungsschicksal widersprüchlich und gesteigert und daher unglaubwürdig sind.
Widersprüchlich sind schon die Angaben des Klägers zu seiner Reise nach Deutschland. Während er beim Bundesamt angab, er habe sich nur einen Tag in Pakistan aufgehalten (Bl. 23 der Bundesamtsakte), gab er in der mündlichen Verhandlung an, er habe sich ungefähr 2 ½ Wochen in Pakistan aufgehalten. Im Übrigen gab er beim Bundesamt an, er habe Afghanistan zwischen dem 20. und 30. Januar 2014 verlassen und sei im April 2014 nach Deutschland eingereist. Demgegenüber gab er in der mündlichen Verhandlung an, seine Reise habe ungefähr sechs Monate gedauert, was ausgehend von der Angabe einer Einreise im April eine Ausreise im November 2013 bedeuten würde. Wenn der Kläger schon zu seinem Aufenthalt vor der Einreise widersprüchliche und unwahre Angaben macht, muss das Gericht davon ausgehen, dass auch das Verfolgungsschicksal erfunden ist.
Mit den Angaben zum Ausreisezeitpunkt in Widerspruch steht auch die Angabe des Klägers, er habe vor der Ausreise sieben, acht oder neun Monate im … gearbeitet, wobei ein Beginn dieser Tätigkeit nicht vor Juli 2013 angesetzt werden kann, da er nach eigenen Angaben bis Juni 2013 zur Ausbildung in Indien weilte und anschließend noch kürzere Kurse an einer anderen Dienststelle absolviert hat. Widersprüchlich sind auch die Angaben des Klägers zum Beginn seiner Dienstzeit bei der afghanischen Armee und seiner Tätigkeit außerhalb der Armee. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung einerseits angegeben, er sei im Jahr 2010 in die afghanische Armee eingetreten, sein erster Diensttag sei die Aufnahmeprüfung für die indische Militärakademie gewesen. Andererseits hat er aber angegeben, er habe ein „diploma in business administration“ gemacht und während dieses Studiums gleichzeitig für die Amerikaner gedolmetscht. Nach der vorgelegten Bescheinigung des … dauerte dieses Studium aber von Februar 2010 bis Februar 2011. Diese Angaben sind offensichtlich zeitlich nicht mit einem Dienstbeginn im Jahr 2010 vereinbar. Wenn der Kläger schon zu seinem Dienstbeginn bei der Armee widersprüchliche und unwahre Angaben macht, muss das Gericht davon ausgehen, dass auch das Verfolgungsschicksal erfunden ist.
Widersprüchlich sind auch die Angaben des Klägers im Hinblick auf die Motivation seiner Desertation. Während der Kläger beim Bundesamt angab, man habe ihn nach … schicken wollen, weil er keine Beziehungen gehabt habe, und sein Kommandant habe ihm mit Gefängnis gedroht, wenn er nicht nach … gehe (Bl. 71 der Bundesamtsakte), trug sein Prozessbevollmächtigter schriftsätzlich vor, der Kläger habe nach … versetzt werden sollen, da er sich wegen Drohungen durch die Taliban bei seinen Vorgesetzten beschwert und um mehr Schutz gebeten habe (Bl. 48 der Gerichtsakte); in der mündlichen Verhandlung gab der Kläger schließlich als alleinigen Grund für die Versetzung nach … an, dass er sich wiederholt bei höheren Vorgesetzten über Dienstverfehlungen seiner Vorgesetzten beschwert gehabt habe. In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass der Kläger auf die Nachfrage des Gerichts, wann die Anordnung zur Rotation und damit zur Versetzung nach … gewesen sei, wiederholt ausweichend antwortete.
Als gesteigert und damit unwahr ist der Vortrag des Klägers insofern anzusehen, als er in der mündlichen Verhandlung zum ersten Mal erwähnt hat, dass der Militärgeheimdienst seit seiner Ausreise alle drei bis sechs Monate seine Familie aufsuche, um sich nach dem Kläger und seiner Dienstwaffe zu erkundigen. Diesen für eine etwaige staatliche Verfolgung wesentlichen Umstand hat der Kläger weder beim Bundesamt noch in seinen schriftsätzlich vorgebrachten Angaben zum Verfolgungsschicksal gemacht. Als gesteigert und widersprüchlich sind auch die Angaben des Klägers zum Verbleib seiner Dienstwaffe anzusehen. Während er die Dienstwaffe bei der Anhörung durch das Bundesamt überhaupt nicht erwähnte, ließ mit Schriftsatz vom 10. März 2020 erstmals vortragen, er habe seine Dienstwaffe mitgenommen und diese auf dem freien Markt verkauft, um seine Flucht zu erleichtern; in der mündlichen Verhandlung gab er schließlich an, er habe seine Dienstwaffe bei seiner Familie gelassen und deren Verkauf erst von unterwegs aus organisiert, wobei er als Grund hierfür einmal die Finanzierung der Flucht, einmal den Schutz der Familie vor einem Fund der Waffe durch den Militärgeheimdienst benannte.
bb) Bereits vor seiner Ausreise in Afghanistan verfolgt worden zu sein, hat der Kläger selbst nicht vorgetragen. Vielmehr hat er angegeben, statt zum Dienst zurückzukehren, unmittelbar ausgereist zu sein.
cc) Dass der Kläger Afghanistan aus Furcht vor den Taliban verlassen hätte, ist nicht ersichtlich. Er hat in der mündlichen Verhandlung auf die Frage nach den Gründen für seine Ausreise ausschließlich auf die Zustände in der afghanischen Armee und seine bevorstehende Versetzung in die Provinz … verwiesen.
b) Dem demnach unvorverfolgt ausgereisten Kläger droht auch bei einer Rückkehr nach Afghanistan – jedenfalls in Kabul – keine Verfolgung.
aa) Dem Kläger droht bei seiner Rückkehr keine Verfolgung durch die Taliban. Zwar lässt sich der Erkenntnismittellage entnehmen, dass gezielte Angriffe und Tötungen betreffend Mitglieder der afghanischen Sicherheitsbehörden und Streitkräfte in Afghanistan vorkommen, wobei Berichten zufolge auch ehemalige Mitglieder der nationalen Sicherheitskräfte angegriffen würden (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2.9.2019, S. 19 f.). Allerdings ist diesen Berichten auch zu entnehmen, dass es sich insoweit stets um Einzelfälle handelt und es hinsichtlich der Gefährdung stets auf die Umstände des Einzelfalles ankommt (vgl. zum ganzen VG Würzburg, U.v. 9.4.2018 – W 1 K 18.31101 – juris m.w.N.). Im vorliegenden Fall ist nicht von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung des Klägers aufgrund seiner früheren Tätigkeit in den Streitkräften auszugehen. Denn hierbei ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass der Kläger diese Tätigkeit bereits seit mehr als sechs Jahren beendet hat und damit keine aktuelle Gefahr mehr für die Taliban und andere aufständische Gruppen darstellt. Zudem hat er sich – seinen eigenen Sachvortrag als wahr unterstellt – durch seine Desertation gerade von den afghanischen Streitkräften distanziert, so dass nicht ersichtlich ist, welches Interesse die Taliban an ihm haben sollten. Hinzukommt, dass der Kläger, der in der mündlichen Verhandlung ausführliche Angaben zu seiner Situation während seiner Dienstzeit am … gemacht hat, eine konkrete und individuelle Bedrohung durch die Taliban in keiner Weise erwähnt hat.
bb) Auch wenn man die Desertation des Klägers – trotz der dargelegten Zweifel an der Glaubhaftigkeit des klägerischen Vortrags – als wahr unterstellt, droht ihm deswegen bei seiner Rückkehr auch im Hinblick auf die Vorschriften des afghanischen Militärstrafgesetzbuches zur Strafbarkeit der Desertation keine Verfolgung durch den afghanischen Staat.
Zwar kann eine Verfolgung, die an eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale anknüpft, bereits in dem strafrechtlich bewehrten Verbot einer bestimmten Verhaltensweise liegen. Allerdings muss die strafrechtliche Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen, d. h. es muss eine tatsächliche Gefahr („real risk“) bestehen (OVG Münster, B.v. 5.1.2016 – 11 A 324/14.A – juris). Selbst wenn man im Hinblick auf die Ausführungen des Klägers, er wolle nicht getötet werden und andere nicht töten, das Verfolgungsmerkmal der politischen Überzeugung bejahen wollte, besteht für den Kläger trotz der Strafandrohung im afghanischen Militärstrafgesetzbuch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die tatsächliche Gefahr („real risk“) einer strafrechtlichen Verfolgung wegen seiner Desertation.
Das Gericht ist unter Berücksichtigung der in das Verfahren einbezogenen Erkenntnismittel davon überzeugt, dass dem Kläger aufgrund seiner Desertation bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine asylerhebliche Verfolgung durch den afghanischen Staat droht. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes besteht in Afghanistan keine Wehrpflicht. Zwar kann Fahnenflucht gemäß dem Gesetz mit bis zu fünf Jahren Haft, in besonders schweren Fällen mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden. Insbesondere für Offiziere kommen strengere Regeln zur Anwendung (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2.9.2019, S. 13; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 13.11.2019, S. 259 f.). Dem Auswärtigen Amt sind aber keine Fälle bekannt, in denen es zu einer strafrechtlichen Verurteilung oder disziplinarischen Maßnahme allein wegen Fahnenflucht gekommen ist. Ein gängiges Phänomen sei es, dass Soldaten und Polizisten, die z.B. fern ihrer Heimat eingesetzt sind, das Militär bzw. den Polizeidienst vorübergehend verlassen, um zu ihren Familien zurückzukehren. Diese „Deserteure“ würden schon aufgrund der sehr hohen Schwundquote (sog. „attrition rate“) nach Rückkehr zu ihrem ursprünglichen Standort wieder in die Armee aufgenommen. Fälle strafrechtlicher Verfolgung seien dem Auswärtigen Amt nicht bekannt. Davon ausgehend wird in der Rechtsprechung angenommen, dass die Desertation afghanischer Soldaten bei ihrer Rückkehr – unabhängig vom Dienstgrad – nicht strafrechtlich geahndet wird (vgl. VG München, U.v. 25.3.2019 – M 26 K 17.40464 – juris m.w.N.; VG Augsburg, U.v. 29.1.2018 – Au 5 K 17.31917 – juris; VG Würzburg, U.v. 23.8.2017 – W 1 K 16.31894 – juris Rn. 23; VG Augsburg U.v. 9.9.2013 – Au 6 K 13.30065 – juris). Das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verweist insofern darauf, dass der Fall eines im Jahr 2016 wegen Desertation verurteilten Soldaten, der ein Medienfall geworden sei, zeige, dass solche Verurteilungen selten seien und die Absicht zeigten (in Einzelfällen) ein Exempel zu statuieren (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 13.11.2019, S. 260 unter Berufung auf einen französischsprachigen Bericht des Schweizerischen Staatssekretariats für Migration). Umstände, die im Fall des Klägers die Annahme rechtfertigen könnten, an ihm solle ein solches Exempel statuiert werden, sind nicht ersichtlich. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, der afghanische Militärgeheimdienst suche seit seiner Ausreise regelmäßig seine Familie auf, um sich nach ihm zu erkundigen, erachtet das Gericht diesen Vortrag als gesteigert und unglaubhaft (s.o.). Nichts Anderes ergibt sich auch aus dem klägerischen Vortrag, dass der afghanische Staat wegen der für seine Ausbildung in Indien angefallenen Kosten ein besonderes Interesse an der Ahndung der Desertation des Klägers habe. Denn insofern ist davon auszugehen, dass bei einer Rückkehr lediglich Kompensationszahlungen durch den Betroffenen oder einen Bürgen im Raum stehen, wie das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unter Berufung auf einen örtlichen Rechtsanwalt ausführt (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 13.11.2019, S. 260).
Der im Zusammenhang mit diesen Erkenntnismaterialien gestellte Beweisantrag des Klägerbevollmächtigten war abzulehnen. Der Klägerbevollmächtigte hat „zum Beweis der Tatsache, dass der Bericht des Auswärtigen Amtes vom November 2019 sowie der Bericht des österreichischen Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl aus dem Jahr 2019 keine Ausführungen dazu macht, weshalb keine Fälle bekannt sind, in denen Deserteure und Befehlsverweigerer nicht verurteilt worden sind“, beantragt, das Auswärtige Amt zum Grund hierfür anzufragen. Der Beweisantrag war abzulehnen, weil die unter Beweis gestellte Tatsache offensichtlich ist. Dass der Lagebericht keine Ausführungen zu der aufgeworfenen Frage macht und keinen unmittelbaren detaillierten Nachweis in Form etwa einer Fußnote liefert, ergibt sich unmittelbar aus der Lektüre des Berichts. Eine Auskunft des Auswärtigen Amtes hierzu ist nicht erforderlich. Soweit es um das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich geht, verweist dieser gerade ausdrücklich auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes, so dass das Vorgesagte entsprechend gilt. Was die im Beweisantrag weiterhin gestellten drei offenbar alternativ zu verstehenden Fragen betrifft, dürfte es sich um einen unzulässigen Ausforschungsantrag handeln.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG. Er hat keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht.
a) Dem Kläger droht im Hinblick auf die strafrechtliche Sanktionierung seiner – als wahr unterstellten – Desertation kein Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz Nr. 1 und 2 AsylG. Wie dargelegt, fehlt es insoweit an der tatsächlichen Gefahr („real risk“) einer strafrechtlichen Verfolgung (s.o.).
b) Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG liegen nicht vor. Dem Kläger droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan nach derzeitigem Kenntnisstand keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Jedenfalls ist ihm im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung eine Rückkehr nach Kabul zumutbar.
aa) Es ist in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende volljährige, alleinstehende und arbeitsfähige (siehe dazu unten) afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit weiterhin nicht von einer Gefahrenlage auszugehen ist, die zur Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG führen würde (vgl. etwa BayVGH, B.v. 29.4.2019 – 13a ZB 19.31492 – juris Rn. 6 m.w.N.). Da es an einer Verdichtung allgemeiner Gefahren fehlt, wäre der Kläger keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt (vgl. etwa VG Augsburg, U.v. 24.9.2018 – Au 8 K 17.33483 – juris Rn. 30; VG München, U.v. 27.2.2019 – M 26 K 17.40437 – juris).
bb) Das Gericht ist der Überzeugung, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan jedenfalls in Kabul keiner Verfolgung ausgesetzt wäre und Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative noch geeignet und zumutbar ist, so dass erwartet werden kann, dass er sich dort vernünftigerweise niederlässt (vgl. etwa VG Augsburg, U.v. 24.9.2018 – Au 8 K 17.33483 – juris Rn. 31).
Grundsätzlich ist Kabul im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage als Fluchtalternative geeignet. Das Risiko, dort durch Anschläge Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, ist weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (umfassend aufgrund der aktuellen Auskunftslage VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 109; BayVGH, B.v. 20.2.2018 – 13a ZB 17.31970 – juris Rn. 6; VG Augsburg, U.v. 24.9.2018 – Au 8 K 17.33483 – juris Rn. 30). Dies zu Grunde gelegt, erreicht die allgemeine Gefährdungslage in Kabul keine Intensität, dass Stadt und Provinz Kabul im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage als Fluchtalternative nicht mehr geeignet wären (vgl. VG Augsburg, U.v. 27.11.2018 – Au 5 K 17.31133; VG Augsburg, U.v. 4.9.2019 – Au 8 K 17.35664). Daran wird auch im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung des Vortrags der Klägerbevollmächtigten festgehalten.
Eine landesweite gezielte Verfolgung des Klägers durch die Taliban ist trotz seiner früheren Tätigkeit für die afghanischen Streitkräfte nicht plausibel; ein Untertauchen in der Millionenstadt Kabul ohne Meldewesen ist ihm ohne Weiteres möglich. Das Verfolgungsinteresse hängt vom jeweiligen Einzelfall ab (vgl. Stahlmann, Asylmagazin 2017, 82/88). Gerade in Kabul leben mindestens 3 Mio., nach informellen Schätzungen aber 7 Mio. Menschen (vgl. auch das Schweizerische Bundesverwaltungsgericht, U.v. 13.10.2017 – D-5800/2016 – Urteilsabdruck S. 21), wobei fast alle Volksgruppen vertreten sind, insbesondere Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Baluchen, Sikh und Hindu, ohne dass eine Volksgruppe unter ihnen deutlich vorherrscht. Auch wenn die Angehörigen der Volksgruppen zu einer Ansiedlung bei ihren Familien oder im Kreis ihrer Volksgruppe neigen, haben sich doch auch Volksgruppenübergreifende Nachbarschaften gebildet (EASO Country of Origin Information Report, Afghanistan, Key socio-economic indicators etc., August 2017, S. 17, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/EASO_COI_Afghanistan_ IPA_Au-gust2017.pdf). Dass Taliban gerade in größeren Städten Netzwerke unterhalten, ist bekannt. Schätzungen reichen von 500 bis 1.500 Spionen in Kabul. Allerdings richtet sich ihr Interesse wegen ihrer personell begrenzten Möglichkeiten dort auf prominente Personen wie Parlamentsmitglieder, Regierungsmitglieder und höherrangige Angehörige der Streitkräfte; nicht prominente Personen und ihre Familienangehörigen bleiben bis auf spezifische persönliche Feindschaften und Rivalitäten unbehelligt (EASO, Afghanistan, Individuals targeted by armed actors in the conflict, coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/Afghanistan_targeting_conflict.pdf, S. 63 f.). Beobachter für EASO schätzten die Zahl derer, die von den Taliban in größeren Städten Afghanistans gezielt gesucht und verfolgt würden, auf wenige Dutzend Personen, höchstens 100 Personen (EASO, a.a.O., S. 64). Alle übrigen nicht prominenten Personen und deren Familien, die auch keine persönlichen Feindschaften mit Taliban-Mitgliedern pflegten, würden die Taliban grundsätzlich bei einem Umzug in die Stadt nicht aufzuspüren versuchen. Soweit Gegenteiliges angenommen wird, weil die Taliban aus einer Migration in den Westen ein ihnen feindliches Verhalten ableiteten und deswegen einen in den Westen geflohenen Afghanen bei seiner Rückkehr gezielt suchen sollten (so Stahlmann, Gutachten vom 28.3.2018 an das VG Wiesbaden, S. 202), erscheint dies vor dem Hintergrund der hier ebenfalls ausgewerteten gegenteiligen Auskünfte und der großen Zahl nach Europa Geflüchteter nicht realistisch. Selbst bei Wahrunterstellung des klägerischen Vortrags ist eine landesweite gezielte Verfolgung des Klägers, der sich seit Jahren nicht mehr in Afghanistan aufhält, daher nicht plausibel. Abgesehen davon, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung eine Verfolgung durch die Taliban selbst nicht vorgetragen hat, ist nicht ersichtlich, welches Interesse die Taliban nach sechsjähriger Abwesenheit noch haben sollten. Zwar hatte der Kläger in der afghanischen Armee den Rang eines „second lieutenant“. Dabei handelt es sich jedoch um den untersten aller Offiziersdienstgrade. Damit gehörte der Kläger gerade nicht zu höherrangigen Militärangehörigen, die im besonderen Interesse der Taliban stehen. Hinzukommt, dass der Kläger durch seine Desertation sich gerade vom afghanischen Staat distanziert hat, was überdies gegen ein besonderes Interesse der Taliban an seiner Person spricht.
3. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor.
Für einen arbeitsfähigen, erwachsenen, afghanischen Mann ohne Unterhaltsverpflichtung, der keine familiären oder sozialen Unterstützungsnetzwerke hat, besteht im Allgemeinen – wenn nicht besondere, individuell erschwerende Umstände hinzukommen – in Afghanistan, trotz der schlechten humanitären Bedingungen und Sicherheitslage keine Gefahrenlage, die mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK und infolgedessen zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG führt (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960 – juris Rn. 33 ff.; BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris Rn. 41; BayVGH, B.v. 29.4.2019 – 13a ZB 19.31492 – juris Rn. 6). Erst recht ergibt sich für den Kläger eine extreme allgemeine Gefahrenlage in Afghanistan weder aus der allgemeinen Sicherheitslage noch wegen der allgemeinen Versorgungslage. In der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende volljährige, alleinstehende und arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit weiterhin nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (vgl. BayVGH, B.v. 29.4.2019 – 13a ZB 19.31492 – juris Rn. 6 m.w.N.).
Das Gericht geht davon aus, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt in Kabul sicherstellen kann (vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 14.1.2015 – 13a ZB 14.30410 – juris Rn. 5). Auch wenn hierfür mehr zu fordern ist als ein kümmerliches Einkommen zur Finanzierung eines Lebens am Rande des Existenzminimums (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 20), ist doch vernünftigerweise zu erwarten, dass der Kläger sich in Kabul aufhält und seinen Lebensunterhalt dort sicherstellt. Es ist zu erwarten, dass der Kläger als gesunder Mann auch ohne nennenswertes Vermögen oder Rückgriff auf die Kontakte zu seiner Familie, mit der er sich nach eigenen Angaben zerstritten hat, seinen Lebensunterhalt in Kabul sicherstellen kann (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2018 – 13a ZB 17.31611 – Rn. 6 m.w.N.; VGH BW, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris Rn. 470 ff.; VGH BW, U.v. 11.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris Rn. 345 ff.). Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger in Kabul seinen Lebensunterhalt durch Arbeit sichern kann.
Zwar wird darauf verwiesen, der Zugang zu Wohnung und Arbeit hänge maßgeblich von Netzwerken vor Ort ab (vgl. Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73/76 f., 78).
Angesichts der Bevölkerungsfluktuation in Afghanistan durch Rückkehrer auch aus dem benachbarten Ausland kann auf das Vorhandensein von bestehenden Netzwerken gerade nicht maßgeblich abgestellt werden, weil auch solche Netzwerke keine statischen Gebilde sind und ihre Veränderung bzw. Neubildung nicht ausgeschlossen, sondern auch unter Afghanen möglich und zumutbar ist, wie ihre Neubildung auch in Europa zeigt. Dass dem Kläger verwehrt wäre, ggf. neue Netzwerke zu bilden, ist nicht ersichtlich. Er ist volljährig und arbeitsfähig. Ein Vertrautsein mit den Verhältnissen in Kabul ist nicht erforderlich, vielmehr reicht es, wenn ein Rückkehrer den größten Teil seines Lebens in einer islamisch geprägten Umgebung verbracht hat und eine der beiden Landessprachen spricht (BayVGH, B.v. 29.6.2017 – 13a ZB 17.30597 – Rn. 6; BayVGH, B.v. 26.3.2018 – 13a ZB 17.30438 – Rn. 7). Dies ist bei dem in Afghanistan geborenen, aufgewachsenen, überdurchschnittlich gebildeten und Dari sprechenden Kläger, der vor seiner Ausreise bereits in … gelebt hat, der Fall. Im Übrigen sind unter Berücksichtigung der Auskunftslage insbesondere Rückkehrer aus dem Westen in einer Position, die durchaus auch Perspektiven im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts eröffnet (vgl. BayVGH, U.v. 13.5.2013 – 13a B 12.30052 – juris Rn. 12; VGH BW, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris Rn. 479, 484, 493). Zudem stehen dem Kläger auch Rückkehrhilfen zur Verfügung (vgl. BAMF an VG Augsburg vom 12.8.2016), die jedenfalls für die Anfangszeit einer Wiedereingliederung des Klägers in die afghanischen Verhältnisse sein Auskommen sichern, bis er aus eigener Kraft seinen Lebensunterhalt sichern kann (aus GARP-Mitteln 500 Euro je Erwachsener, aus ERIN-Mitteln ca. 700 Euro, näher dazu VG Augsburg, U.v. 18.10.2016 – Au 3 K 16.30949 – Rn. 21 m.w.N.; auch Asylos, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 19, 21, asylos.eu/wp-content/uploads/2017/08/AFG2017-05-Afghanistan-Situation-of-young-male-Westernised-returnees-to-Kabul-1.pdf; zudem BT-Drs. 19/1120, S. 15 f.), wobei nur ein Sechstel der Rückkehrer auch Leistungen nach der Rückkehr in Anspruch nahm (Asylos ebenda S. 20). Hinzu kommt z.B. eine von Deutschland unterstützte Hilfsorganisation vor Ort (IPSO), welche psycho-soziale Hilfe für 400 bis 500 Personen am Tag anbietet wie u.a. Übungen für Kenntnisse des Alltags in Afghanistan, Einzelberatung, und handwerkliche Fähigkeiten (Asylos ebenda S. 53 m.w.N.), sowie eine von IOM unterhaltene Unterkunftsmöglichkeit für die ersten zwei Wochen nach der Ankunft (EASO, Afghanistan Networks, Februar 2018, S. 30).
4. Die Entscheidung des Bundesamts, das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen, weist keine Rechtsfehler auf. Die Länge der Frist liegt im Rahmen des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG. Dass insoweit besondere Umstände vorlägen, die eine Verkürzung der Frist als zwingend erscheinen ließen, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.


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